Im Kino

Zwei Schusswaffen für den Noir

Die Filmkolumne. Von Stefanie Diekmann
21.06.2023. In Christoph Hochhäuslers "Bis ans Ende der Nacht" versucht ein Paar wieder ein Paar zu werden, nachdem Lennart zu Leni wurde. Der Anschluss klappt einfach nicht mehr, da hilft auch ein Tanzkurs nichts.


Im Standardtanz ist die binäre Geschlechterordnung noch weitgehend intakt. Im Film Noir ist sie es meist auch, von einigen Ausnahmen (etwa: "The Crying Game", "Bound" oder "Sur mes lèvres") abgesehen. Die Engführung von Standardtanz und Film Noir, die in einer frühen Episode von "Bis ans Ende der Nacht" stattfindet, ist, so betrachtet, nicht ohne bösartige Ironie. Ebenso wie der Umstand, dass die beteiligten Figuren sich dem Tanzkurs wie einer lästigen Pflicht unterziehen, bereits eine Idee davon gibt, was in diesem Film alles nicht einrasten wird.

Der Tanzkurs hilft nicht weiter. Das Dinner zu viert, das eine Weile später angesetzt wird (ein Paar auf der einen Tischseite, eines auf der anderen, die Männer und ihre Begleitungen einander jeweils gegenüber) auch nicht. Und ebenso wenig die Gespräche über Nagellack in der Kurspause; die Shopping-Episode in der Damenumkleide; die Gesten des Male Bonding, exzessiver Alkoholkonsum inklusive; die Kicher- und die Wutanfälle und am allerwenigsten der Auftrag, ein Paar zu performieren, wenn man schon mal eines gewesen ist; allerdings unter anderen Vorzeichen.

Es geht nicht, es wird nicht gehen. Die Anschlüsse klappen nicht, die Widerstände sind anhaltend, und die Narrative verfehlen sich sogar dort, wo sie vorher einstudiert werden konnten. "In Hannover", sagt Leni, "in Hamburg" sagt Robert auf die Frage, in welcher Stadt sie sich kennengelernt haben; "La Petite", sagt Leni, "Canetti", sagt Robert, als es um den Namen des Restaurants geht; und wenn die Auskünfte später plausibler erscheinen, hat das weniger mit Koordination oder Einverständnis zu tun als mit sprunghaften Äußerungen und klaren Abweichungen vom vereinbarten Text: "Ich war im Gefängnis".



Als sie ins Gefängnis ging, hieß Leni noch Lennart, jedenfalls für die meisten Figuren, die sich durch den Film bewegen. Dass sie jetzt Leni heißt, bedeutet nicht, dass ihre Transition abgeschlossen wäre, und auch sonst ist Transition das zentrale Motiv in diesem Film, was aber nicht damit zu tun hat, dass irgendwann noch eine Operation ansteht (Leni ist Leni), und auch nur bedingt mit dem Umstand, dass Robert, der Lennart liebte, mit Leni nicht klar kommt. Vielmehr verhält es sich so, dass "Bis ans Ende der Nacht" in seinen besten Momenten eine Entwicklungsgeschichte erzählt, an deren Ende der Glücksanspruch, das Selbstbewusstsein, die Autonomie einer Figur sehr viel entschiedener artikuliert werden als zu Beginn.

Dazwischen ist viel generisches Material. Dunkelheit, Stadtbrachen, Scheinwerfer, klandestine Treffen und ein, zwei Schusswaffen für den Noir. Ein wenig Online-Kriminalität für die digitale Gegenwart. Strähnige Haare und fahle Gesichter für die angegriffene Männlichkeit (die Lederjacke bleibt bis auf Weiteres im Spiel). Ein Drei- bis Viereck zwischen Freundschaft, Liebe und Verrat, um die Zirkulation der Affekte zu organisieren. Dazu einige Versatzstücke der Erzählung von Gender Trouble und Transphobie, zu denen der Griff zwischen die Beine ebenso gehört wie die Einnahme von Hormonen, eine spezifische Farbpalette oder die periodische Fokussierung des Dialogs auf Makeup, "Titten", Fußfesseln oder den schon erwähnten Nagellack.

Das Geschenk, das Christoph Hochhäusler den Zuschauer:innen seines Films macht, ist neben der Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider (choreografisch, eigenständig, der Erzählung immer nur zum Teil verpflichtet) die Besetzung. Die Anmut und Gelassenheit von Thea Ehre, die auf der Berlinale einen Silbernen Bären erhielt. (Warum den für die beste Nebenrolle, bleibt das Geheimnis der Jury). Die Erschöpfung der Figuren von Timocin Ziegler (Robert) und Michael Sideris (Victor). Die harsche, wache Intelligenz von Ioana Iacob (Nic), die im deutschsprachigen Kino der letzten Jahre häufiger gecastet wurde, aber immer noch nicht angemessen sichtbar ist. Es gibt Filme, die man wegen ihrer Figuren empfehlen kann, und "Bis ans Ende der Nacht" gehört in jedem Fall zu ihnen.

Stefanie Diekmann

Bis ans Ende der Nacht - Deutschland 2023 - Regie: Christoph Hochhäusler - Darsteller: Timocin Ziegler, Thea Ehre, Michael Sideris, Rosa Enskat, Ioana Iacob - Laufzeit: 120 Minuten.