Im Kino

Irrwitziger Schalk

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh
08.12.2022. João Pedro Rodrigues' "Irrlicht" ist kein - oder jedenfalls nicht nur - schwuler Porno, sondern auch Komödie, Liebesfilm, Musical und autorenfilmischer Ulk in einem. Da passen ganz leicht sogar noch Klimakatastrophe und Kolonialismus rein.


Einmal 69er-Position in stabiler Seitenlage im abgebrannten Wald. Er, weiß, auch er, schwarz. Wie lässt sich vom Schwanz des Anderen reden? Schwarzer Turm, Bandwurm, Sklavenhalter, Imperialist? Ins Begehren schieben sich Politik und Geschichte. Bis es schließlich kommt, wie es kommen muss, also beide ins Gesicht des Anderen. Die harten Pimmel, die man vorher sah, waren eindeutig als Dildos zu erkennen - bildhafte Symbole für etwas, das wiederum mit Metaphern belegt und also zum Bild gemacht wurde.

João Pedro Rodrigues' "Das Irrlicht" ist kein (oder vielleicht besser: nicht nur) schwuler Porno, sondern Komödie, Liebesfilm, Musical und autorenfilmischer Ulk in einem. Filmisch in seinen Mitteln, oft theatral in seiner Inszenierung. Immer vom Bild her gedacht - auch in dem Sinn, wie darin Bilder aufgegriffen, inszeniert und gesucht werden, vielleicht auch wie darüber nachgedacht wird, wie Bilder in einem historischen Prozess zu Bildern werden und wie Bilder einander umgarnen, zu Metaphern werden.

Es ist die Geschichte eines verarmten Königs ohne Reich. Im Jahr 2069 liegt er siech darnieder, ein großes Gemälde aus der reichen Kolonialgeschichte thront als letzter Besitz über ihm. Es wird seine Beerdigung finanzieren. Rückblick ins Jahr 2011: Der König ist noch Prinz und also Sohn eines übermächtigen Vaters, der den Phallus als Ausdruck seiner Macht stets im Munde führt (nicht immer, Sigmund Freud, ist eine Zigarre nur eine Zigarre). Der aus Kolonialzeiten stammende Reichtum ist allgegenwärtig, genau wie die Gefahr von Waldbränden in Portugal. Auch deshalb - nicht zuletzt wegen Greta Thunbergs berühmter UNO-Rede - will Prinz Alfredo Feuerwehrmann statt König werden. Vielleicht auch, um das Feuer im Phallus des Vaters zu löschen, respektive in dessen Zigarre. Alfredo selbst jedenfalls hat die Hände fast ständig vor seinem Schritt, Ausweis eines Unbehagens am eigenen Körper.



Ein Unbehagen, das ihm bei der Feuerwehr bald gründlich genommen wird. Die dortigen Beefcake-Männer langen allesamt kräftig zu. Vor allem aber sind sie Kunst-Connaisseure, die Bilder aus der Kunstgeschichte statuarisch nachstellen, möglichst unbekleidet. Der Männerbund der Schicksalsgemeinschaft männlicher Professionals als Sehnsuchtsort des Begehrens.

Hier lernt Alfredo Alfons kennen, in dessen Körper der schwarze Schwanz übergeht, von dem eingangs die Rede war. Aus Momenten gelebten Kunstsachverstands und Musical-Choreografien, die sich aus der Intimität von Handgriffen bei lebensrettenden Maßnahmen ergeben, ergibt sich die eruptive Lust auf den Körper des Anderen. Der linkische Alfredo kommt im eigenen Körper an, schon auch weil der Körper des Anderen in und auf seinem (an)kommt.

Was auf der Mikroebene des Körperlichen lustvoll tastet und erkundet wird, wird auf der Makroebene von Geschichte und Politik zu einem verzwickten Spiel. "Da ist er also, der Weiße, der als Feuerwehrmann die Fehler seiner Geschichte zu korrigieren versucht, und auf der Suche nach Erlösung seinen Hintern Schwarzen hinhält." - "Da ist er also, der Schwarze, der denen, die ihn schwarz genannt haben, was vom Schwarzsein erzählt, nur um sich zu vergewissern, dass er kein Sklave mehr ist, dabei hat er nur Lust auf weiße Hintern." So in etwa läuft ein halb ironischer, halb ernster Dialog zwischen den beiden ab.



Das Begehren als Metapher und Austragungsort für die Drangsal der Geschichte, im Kippmoment der Klimakatastrophe, die zur Drangsal der Geschichte für künftige Generationen zu werden droht. "Um den Wald wirklich zu retten, musst Du ihn ganz und gar verinnerlicht haben", sagt Alfons an einer Stelle zu Alfredo. Dafür zeigt er ihm Dias, die Alfredo benennt. Begriffe der Flora. Ein Umschnitt zeigt: Es sind Dias von Schwänzen aller Formen und Farben, je nach Mode der Intimrasur bewaldet oder nicht. Nicht immer, Sigmund Freud, ist ein Schwanz einfach nur ein Schwanz.

Metaphern, Metonyme, Symbole. Verschiebungen des Begrifflichen, Begreifen des Verschobenen. Diskurs und Aushandlung - vom imaginären zum konkreten Bild, oder in Rolle rückwärts auch umgekehrt. Der Kolonialismus, dessen Insignien erst Reichtum, dann Schande markieren, ist die historische Schuld Europas in der Neuzeit. Im Abarbeiten daran entbrandet schon die nächste in Form der Klimakatastrophe. Der historische Kolonialismus ist zu einem konkreten Bild geronnen, das die Szenerie des Films in seinen ersten Minuten dominiert. Am Ende, im Jahr 2069, ist es von der Wand verschwunden, erfährt aber ein performantes Echo im letzten Bild des Films, das die im Off bleibenden Geschehnisse zwischen den Jahren 2011 und 2069 mit einer politischen Erzählung auffüllt. Wie sich die Klimakatastrophe ihrerseits ins Bild setzen lässt, daran arbeitet dieser Film.

Und obendrein ist er, in seiner sprunghaften Leichtigkeit, seiner irrlichternden Lust am irrwitzigen Schalk und seiner Offbeat-Lakonie auch noch ziemlich witzig. Oder wutzig.

Thomas Groh

Das Irrlicht - Portugal 2022 - OT: Fogo-Fátuo - Regie: João Pedro Rodrigues - Darsteller: u.a. Mauro Costa, André Cabral, Joel Branco, Oceano Cruz - Laufzeit: 67 Minuten.