Im Kino

Wenn die Luft brennt

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
03.03.2021. Wie die Apokalypse in eine paradoxe Aufbruchsstimmung mündet, in der die paar Überlebenden auf einen "very good guy" im Norden vertrauen, erzählt Ric Roman Waugh mit "Greenland".


Die Skyline von Tampa, Florida gehört nicht zu den ikonischsten der USA. Die Nähe zum Wasser lässt die Hochhäuser eher lieblich als erhaben wirken und man muss Abstand sowie Aufnahmewinkel schon ziemlich geschickt wählen, um das recht überschaubare Stadtzentrum wirklich urban ausschauen zu lassen. Hollywood verirrt sich ohnehin nur selten hierher. Den letzten prominenten Auftritt hatte die Stadt in Steven Soderberghs Stripperfilm "Magic Mike". Jetzt hat sich mit dem Katastrophenfilm "Greenland" eine weitere Produktion nach Zentralflorida begeben. Aber lange bleibt Tampa nicht im Spotlight: Nur ein paar Sekunden lang ist eine Helikoptertotale zu sehen, dann legt eine Druckwelle ganz Downtown binnen weniger Augenblicke in Schutt und Asche. Tampa ist das Epizentrum des ersten von vielen, bald über den gesamten Erdball verteilten Einschlägen von Meteoritensplittern, die Millionen von Menschenleben kosten, eine Massenpanik auslösen und doch nur Vorboten des einen, bald anstehenden großen Einschlags sind, eines "extinction level events", das die lebenden Organismen auf unserer Welt auslöschen wird.

Fast ist es beruhigend, dass die Welt im Kino auch weiterhin fast stets nicht in Corona-Zeitlupe, sondern im Zeitraffer untergeht, und dass die Apokalypse nicht in Stillstellung und einer langsamen Erschlaffung, sondern in frenetischer Aktivität und einer paradoxen Aufbruchsstimmung beschrieben wird. Wobei im Fall von "Greenland" weder Massenpanik noch kollektive Handlungsmacht im Zentrum stehen, sondern eine Abfolge bescheidener, privater, fast schon intimer Bewegungen.

Die Intention hinter dieser Bewegung ist vorgegeben, bevor die Meteoritensplitter in die Atmosphäre eintreten. Zu Filmbeginn steht John Garrity (Gerald Butler), ein Bauingenieur, hoch oben auf einem Wolkenkratzer (nicht in Tampa zum Glück, sondern in Atlanta, Georgia) und betrachtet sehnsüchtig ein Foto seiner Frau Allison (Morena Baccarin) und des gemeinsamen Sohns Nathan (Roger Dale Floyd). Die Ehe ist, wie wir später erfahren, seit einem Seitensprung Johns on the rocks. Seinen technisch vermittelten hilflosen Blick wieder in aktives, analoges, fürsorglich-väterliches Schutzhandeln zu übersetzen: Das ist zweifellos das Programm des Films.

Wie fast stets im Katastrophenfilm - und längst nicht nur im amerikanischen - erweist sich die Familie als letzte Bastion des Menschlichen. Alle anderen Formen der Vergemeinschaftung verlieren im Angesicht des Untergangs rapide an Bindungskraft; der Familienverbund hingegen wird ganz im Gegenteil nur noch enger geschweißt, wenn die Luft brennt und Asche wie Schnee vom Himmel fällt. Besonders deutlich wird das in einer großartig dicht inszenierten Szene unmittelbar nach dem ersten Impact, in der John, Allison und Nathan im familieneigenen SUV das Weite suchen, und die den drei eben noch freundschaftlich verbundenen Nachbarn plötzlich nur noch Hindernisse auf einem (zunächst sehr hypothetischen) Weg in die Sicherheit sind.



Man kann die Fixierung des Films auf Vater, Mutter, Kind freilich auch anders herum lesen: Vielleicht zeigen moderne Katastrophenfilme wie "Greenland", dass es heutzutage schon eines Weltuntergangs bedarf, um das Glücksversprechen des Lebensentwurfs Kleinfamilie noch mit Inhalt zu füllen. Das auf den ersten Blick nicht unähnliche Dwayne-Johnson-Actionspektakel "San Andreas" trieb diesen Gedanken 2015 auf die paranoide Spitze: Da wurde die Rettung der Kleinfamilie zum notwendigen und zwangsläufigen Korrelat des brutalstmöglichen Untergangs der restlichen Welt. "Greenland" funktioniert letztlich doch ganz anders und weigert sich in den entscheidenden Momenten, patriarchale Handlungsmacht gegen institutionelle Vernunft auszuspielen. Erstaunlich viel Raum nehmen stattdessen Ohnmachtserfahrungen ein. Fast die Hälfte des Films spielt in einer einzigen langen, dunklen Nacht, die nur vom Weltuntergang selbst illuminiert wird: Oben am Himmel das Meteoritenschauspiel, unten am Boden die Scheinwerfer der Autos, in denen verzweifelte Menschen sitzen, die versuchen, sich in Sicherheit zu bringen.

Die Nacht bettet die Figuren noch in größter Gefahr sanft, und sie verschluckt, zumindest tendenziell, die globalen Aspekte der fiktionalen Katastrophe ebenso wie die ideologische Schlagseite des Genres. Was bleibt, sind eine Handvoll Körper, die sich hilflos aneinander klammern, und die trotzdem auseinander gerissen werden. Wenn die Sonne dann doch noch einmal aufgeht - vielleicht, wer weiß, zum letzten Mal -, dann geht "Greenland" allerdings noch fast eine ganze Stunde weiter und verliert leider, einem schönen Auftritt des großartigen Charakterschauspielers Scott Glenn zum Trotz, doch etwas an Stringenz. Einerseits rückt wieder das proaktive Handeln in den Vordergrund: Irgendwo hoch oben im Norden, in Kanada, soll es einen "very good guy" geben, der eine Rettungsperspektive bietet; und andererseits kann Regisseur Ric Roman Waugh im Hellen nicht mehr ganz so gut verbergen, dass das Budget, das ihm zur Verfügung steht, Kollegen wie Michael Bay oder Roland Emmerich nur ein müdes Lächeln entlockt hätte.

Dennoch sind die Bilder, die Waugh findet, offensichtlich von der großen Leinwand her gedacht. "Greenland" hatte sogar tatsächlich einen kleinen Kinostart, Mitte Oktober, als die Kinos noch offen waren, aber schon längst wieder hätten zu sein sollen. Jetzt können wir den Film zu Hause nachholen und uns darauf freuen, bald selbst wieder allein neben anderen im Dunkeln sitzen zu dürfen. Behütet von einem Lichtereignis, das es gut mit uns meint.

Greenland - USA 2020 - Regie: Ric Roman Waugh - Darsteller: Gerald Butler, Morena Baccarin, Roger Dale Floyd, Scott Glenn, Randal Gonzalez - Laufzeit: 119 Minuten. justwatch.de listet auf, wo "Greenland" online geliehen werden kann.