Im Kino

Ein wenig August

Die Filmkolumne. Von Fabian Tietke
25.10.2023. In Diego Llorentes Film bewegt sich eine junge Frau zwischen ihrem alten und ihrer neuen Heimat - und zwischen zwei Männern. Die füllen ihr Leben etwas allzu vollständig aus, und dennoch ist "Notes On a Summer" schönes spätes Sommerkino.


Marta lebt mit Leo, ihrem Partner, in Madrid. Sie promoviert in Chemie, gibt Kindern Schwimmunterricht, eigentlich läuft es ganz gut in ihrem Leben. Doch als sie den Sommer über zurück zu ihrer Mutter nach Asturien an den Atlantik fährt, wirkt es, als fiele eine Last von ihr ab. Schon während sie ihr Gepäck auspackt, kommt sie in einer Welt an, die deutlich weniger kompliziert scheint. Während Marta (Katia Borlado) ausbricht aus der Enge der Stadt, die im Alltag unbemerkt geblieben ist, bleibt Leo (Antonio Araque) zurück, wird später nachkommen. Beide sind zur Hochzeit eines Freundes von Marta eingeladen, der seinen Partner heiratet. Der spanische Regisseur Diego Llorente zeichnet Martas sommerliches Aufatmen in "Notas sobre un verano" ("Notes On a Summer") mit großer Leichtigkeit. Llorentes Film lief in diesem Jahr in der Tiger Competition auf dem Filmfestival in Rotterdam.

Einen unbeschwerten Sommer lang trifft sich Marta mit ihrer Schwester, fährt mit ihr und der Mutter zum Friedhof und bringt sich mit alten Freund_innen gegenseitig auf den aktuellen Stand ihrer Leben. Dann ist da noch Pablo (Álvaro Quintana), mit dem sie früher mal zusammen war. Die neuerliche Begegnung öffnet die Tür zu einem möglichen, anderen Leben in der alten Heimat, mit ihrer alten Liebe.

Die größte Kunst Llorentes, der ebenso viele Romane geschrieben wie Langfilme gedreht hat, besteht in den Momenten der Vagheit. Wiederholt bewegt sich Marta, bewegen sich auch die anderen Figuren des Films in die Tiefe des Raums oder in Autos und verschwinden aus dem Bereich des Hörbaren. Ihre Wortwechsel sind im Einzelnen nicht länger von Bedeutung, man ahnt auch so, was passiert. In Szenen wie diesen wird Llorentes Erzähltechnik am deutlichsten, die vor allem in der Skizze besteht.

Die größte Schwäche besteht in der Art, wie Llorentes seine Protagonistin von den beiden Männern in ihrem Leben abhängig macht. Vor allem Leos An- und Abwesenheit strukturiert das Leben von Martas Figur wie übermächtig. Seine Abwesenheit öffnet einen Raum, der sogleich mit Pablo gefüllt wird. Als er früher als geplant an den Atlantik hinterher reist, erhält er Martas ungeteilte Aufmerksamkeit. In den Gesprächen, die Marta mit ihren Freundinnen führt, ist das kaum anders: Die meisten drehen sich um gegenwärtige und frühere Beziehungen. Nur mit Pablo und Leo kreisen die Dialoge auch mal um gute und schlechte Arbeitsverhältnisse.


Bei aller Skizzenhaftigkeit bleibt "Notes On a Summer" durchgängig von der Erzählung bestimmt. Llorente und Kameramann Adrián Hernández nutzen die Vagheit unverständlicher Dialoge, um filmische Räume zu öffnen. In den Bildern jedoch öffnet sich nichts, nie entwickeln sie eine Eigenständigkeit. Keines Bilder erzählt etwas, was nicht von der Erzählung eingehegt wurde. Nur einmal darf eine Möwe einfach nur von einem Dachfirst auf die Menschen auf der Grünfläche unter ihr gucken, leicht misstrauisch, als würde das Gerede die Fische scheu machen.

Getragen wird "Notes On a Summer" durch all das hindurch von seiner Protagonistin und der Atmosphäre, die sich dank des reduzierten Handlungsskeletts entfalten kann. Es ist ein ruhiger, gemächlicher Film, der den Sommer ein wenig in den Herbst hinein verlängert. Wie sagt Martas Begleitung beim ersten Strandbesuch, als Marta von ihrer Arbeit erzählt: "Probleme werden im September gelöst, im August gibt es keine Probleme." Llorentes Film schenkt seinen Zuschauer_innen ein wenig August.

Fabian Tietke
Notes On a Summer - Spanien 2023 - OT: Notas sobre un verano - Regie: Diego Llorente - Darsteller: Katia Borlado, Antonio Araque, Álvaro Quintana, Rocío Suárez, Elena Palomo - Laufzeit: 83 Minuten.