Im Kino

Zum Entscheidenden zurück

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Michael Kienzl
25.04.2018. Jesse V. Johnson hat mit "Pay Day" einen grundsympathischen, melancholischen Prügelfilm über den Niedergang proletarischer Lebenswelten gedreht. Lynne Ramsay versucht hingegen in ihrem dekonstruierenden Genrefilm "A Beautiful Day" etwas zu aufdringlich, jeden aufkeimenden Genuss zu verhinden.


Der erste Kampf, den French (Scott Adkins) zu absolvieren hat, findet in seinem eigenen, spartanisch eingerichteten Martial-Arts-Studio statt: Hier zeigt er einem Herausforderer die Grenzen auf, nach allen Regeln der klassischen Kampfkunst. Auch die Ausleuchtung ist elegant: Durchs Fenster einfallendes Licht verwandelt die Kontrahenten in weiß umflorte Schattenkrieger. Wie in einem alten Samurai-Film: Martial-Arts-Kino als Übung in ästhetischer Reduktion, jede Bewegung und jede Kameraeinstellung sitzt.

Alles in allem eine souveräne Leistung, aber French ist trotzdem pleite. Und muss deshalb raus in die Welt, in die Straßen von Los Angeles, wo er zwar ebenfalls reichlich Gelegenheit finden wird, seine körperlichen Fähigkeiten einzusetzen; wo man jedoch mit formalisierter Bewegungskunst keinen Blumentopf gewinnt. Alle übrigen Prügeleien im Film sind denn auch ausgesucht messy. Durchweg kompetent inszeniert und teils ziemlich spektakulär, aber die technische Finesse der Darsteller wie auch der Regie zielt nicht mehr auf die Reinheit der Form, sondern auf maximalen impact.

Genau das ist auch Frenchs Auftrag: einen Eindruck hinterlassen. Er heuert, um seine Liquiditätsprobleme zu überwinden, als Geldeintreiber an. Gemeinsam mit seinem Partner Sue (Louis Mandylor) fährt er in einem ausladenden, kantigen, stylischen Auto durch Los Angeles. Genauer gesagt sitzen sie in einem Cadillac Coup de Ville, und man wird den Eindruck nicht los, dass dessen Miete mindestens die Hälfte des Produktionsbüdgets verschlungen haben dürfte. Trotzdem passt das Auto gut zur Welt, in der der Film spielt: Auch den Jungs und (nicht allzu vielen) Mädels, die ihn bevölkern, traut man ohne weiteres zu, dass sie ihr beschränktes Vermögen am liebsten für Repräsentationskram der protzigeren Art auf den Kopf hauen.

French und Sue sind auf der Suche nach fertigen Typen, die anderen, nicht ganz so fertigen Typen Geld schulden. Der Sinn der Sache besteht allerdings gar nicht darin, tatsächlich zu kassieren und das scheinen alle Beteiligten zu wissen. Für gewöhnlich sind French und Sue bereits in eine heftige Schlägerei verwickelt, bevor sie auch nur die Chance haben, ihr Anliegen vorzubringen. Noch dazu sind die beiden fast stets einen Kopf kleiner als ihre häufig außerdem zahlenmäßig überlegenen und teils sogar zusätzlich noch bewaffneten Kontrahenten. Sie gleichen das durch Nehmerqualitäten und professionellen Pragmatismus aus. Vor jedem Kampf öffnet Sue das Handschuhfach im Coup de Ville und wählt, mit dem Auge des Kenners, aus der dort verstauten Sammlung einen passenden Schlagring aus.



Zwischen den Fights tauchen gelegentlich schwarzweiße Aufnahmen von Kühen auf einer Weide auf. Was das zu bedeuten hat, versteht man so lange nicht, bis man es doch tut. Die Inserts vollziehen eine dramaturgische Zuspitzung nach, die dem Film insgesamt nicht unbedingt gut tut. Am besten ist er, solange er es bei einer bloßen Aneinanderreihung von Autofahrten und Prügeleien belässt. Die entscheidende Dynamik gewinnt "Pay Day" eh nicht aus dem sich langsam herauskristallisierenden Verschwörungsplot, sondern aus dem Zwischenmenschlichen. Denn natürlich kommen sich, man kennt das aus unzähligen Buddy-Komödien, die zunächst nicht gerade gut aufeinander abgestimmten Hauptfiguren langsam näher. Der von seinem neuen Job dauergenervte, arrogante French braucht eine Weile, um sich auf den prolligen Charme seines Mitstreiters einzustellen. Es geht dabei nicht nur um charakterliche Dispositionen, sondern auch um Lebensphilosophien: French ist ein Irakkriegs-Veteran, den das Schlachtfeld zu einem asketischen Einzelgänger gemacht hat, Sue ein Lebemann, der sich von der eigenen downward mobility nicht aus der Ruhe bringen lässt und sich auch weiterhin nimmt, was zu holen ist; der aber gleichzeitig jene Gefühle zulässt, die der seinen ästhetischen Idealen verpflichtete French in sich verschließt. In der schönsten Szene des Films spricht er über seine früh verstorbene Tochter, und eine einsame Träne fließt ihm über das Gesicht.

Noch bis vor wenigen Jahren bevölkerten kleinformatige, bodenständige, aber dabei oft, und auch in diesem Fall, keineswegs uninspirierte Actionfilme wie "Pay Day" die Videothekenwände gleich zu Dutzenden. Heute haben sie einen schweren Stand. Die Videotheken sind verschwunden und ein neues Vertriebsmodell für die bread-and-butter-Varianten des Bewegungskinos ist nicht in Sicht. Die diversen Streamingplattformen setzen bislang, wenn überhaupt, nur auf die Design- und High-Concept-Varianten des Genrefilms. Tatsächlich ist der Hauptdarsteller von "Pay Day", Scott Adkins, in gewisser Weise ein letzter Mohikaner; all die anderen B-Actionstars der 1980er, 1990er und Nuller sind entweder bereits in der Rente, beziehungsweise der Obskurität verschwunden, oder auf dem Weg dorthin (man denke an Steven Seagals rechtsradikales Coming-Out). Der Präzisionsathlet Adkins hingegen lässt nicht locker. Dieses Jahr sind bereits drei Adkins-Vehikel abgedreht, alle inszeniert von Jesse V. Johnson, seinem aktuellen Lieblingsregisseur.

In "Pay Day" gibt es eine Szene, die den aktuellen Stand der Dinge im Genrekinos der unteren Büdget- und Prestigeklasse reflektiert. Bei einer ihrer Fahrten durch LA bittet Sue French, in einer alles andere als glamourösen Geschäftsstraße anzuhalten. Er betritt dort einen ausgesucht tristen Videoladen und kommt mit einem Filmposter wieder. Er hat selbst einmal, erzählt er stolz, in einem Ninjafilm mitgespielt. Heute muss er, um über die Runden zu kommen, im Auftrag von Arschlöchern andere Arschlöcher verprügeln. Seine Freundin wiederum, die einst offenbar Pornos drehte (noch ein Filmplakat: "Sloppy Seconds featuring Lola Swallows") arbeitet inzwischen als Prostituierte.

"Pay Day" ist ein gelegentlich melancholischer Film über den Niedergang proletarischer Arbeits- und Lebenswelten, aber wehleidig fühlt er sich nie an. Es hilft ja eh nichts, es bleibt einem nichts anderes übrig, als auch weiterhin jeden Morgen aufzustehen und sich ein weiteres Mal in den ganz normalen Infinitiy War der prekarisierten Gegenwart zu stürzen. Another day, another fight, another film.

Lukas Foerster

Pay Day - USA 2018 - OT: The Debt Collector - Regie: Jesse V. Johnson - Darsteller: Scott Adkins, Louis Mandylor, Michael Paré, Tony Todd, Selina Lo, Nihan Gur - Laufzeit: 95 Minuten.

"Pay Day" ist ab dem 26.04. auf BluRay und DVD erhältlich.

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Langsam rollt Joe (Joaquin Phoenix) eine Jelly Bean zwischen den Fingern hin und her; zunächst noch locker, dann mit zunehmendem Druck, bis er das giftgrüne Kügelchen schließlich zerquetscht hat. Als der schweigsame Ex-Soldat, Ex-FBI-Mann und mittlerweile ziemlich verwahrloste Sonderling kurz darauf die Tochter eines Politikers aus den Fängen eines Kinderprostitutionsrings befreien soll, wirft der Auftraggeber etwas hilflos ein auf Bestätigung wartendes "I heard you are brutal" in den Raum - worauf Joe erst gar nicht zu reagieren scheint, dann aber fast ein wenig verschämt murmelt: "I can be".

Lynne Ramsays "A Beautiful Day" (im Original: "You Were Never Really Here") richtet sich in einem Schwellenbereich kurz vor dem drohenden Gewaltausbruch ein. Die Unberechenbarkeit ist schon in den Körper des Hauptdarstellers eingeschrieben. Phoenix ist weder richtig dick, noch ein Muskelpaket, aber doch massiger als man ihn je gesehen hat. Gerade diese offensive, aber doch schwer definierbare Leibesfülle sorgt dafür, dass man Joe leicht unterschätzt. Wenn er seinen trägen Körper durch den New Yorker Stadtdschungel schleppt oder sich vor dem Spiegel mit groben Gesten die speckigen Haare nach hinten streicht, spürt man zwar eine gewisse Brutalität unter der Oberfläche brodeln, kann sich aber auch nicht so recht vorstellen, wie sie aus ihm herausbrechen soll.

"A Beautiful Day" ist ein düster impressionistischer Film, der zwar von Gewalt erzählt, sie aber überwiegend gar nicht zeigt. Irgendwo zwischen den gemarterten, nach Erlösung strebenden Figuren eines Paul Schraders und einem kaltblütigen Racheengel wie Charles Bronson geht Joe gewissenhaft seinem Auftrag nach. Allerdings gerät er in eine Verschwörung, die selbst einem kaltblütigen Nahkämpfer wie ihm ein paar Nummern zu groß ist. Und während er mit Faust, Hammer oder Pistole seine Widersacher aus dem Weg räumt, verbannt Ramsay fast jede explizite Darstellung davon ins Off. Dabei wirkt es nicht so, als würde uns das Spektakel aus moralischen Gründen vorenthalten werden, sondern lediglich, um den Blick zum Entscheidenden zurückzuführen, zur Hauptfigur. Gewalt manifestiert sich weniger in konkreten Handlungen als in den Spuren, die sie am Menschen hinterlässt, und die ihn schleichend zugrunde richten.



Immer wieder flackern kurze Flashbacks auf, deuten Traumata aus der Vergangenheit an, ohne an Erklärungen interessiert zu sein. Vermutlich gab es eine von Missbrauch geprägte Kindheit, mindestens ein erschütterndes Erlebnis während eines Auslandseinsatzes (wahrscheinlich im Irak oder in Afghanistan) und einen Ermittleralltag, der von abscheulichen Verbrechen geprägt war. Joe ist als gesellschaftliches Ausschussprodukt ein naher Verwandter von Travis Bickle aus "Taxi Driver", aber im Gegensatz zu Martin Scorsese bringt Ramsay die Genremaschinerie nie zum Laufen. Vielmehr zerschlägt sie die Welt ihres Films zu einem Scherbenhaufen, der statt Überblick und Kohärenz Brüche und Details bietet.

Wie sich "A Beautiful Day" zwar herkömmlicher Erzählmuster bedient, sich dabei aber immer wieder selbst ausbremst, offenbart vielleicht am anschaulichsten der Soundtrack von Jonny Greenwood. Von Anfang an herrscht ein unheimlicher Lärm. Neben kreischenden Großstadtgeräuschen schieben sich unterschiedliche Sounds in den Gehörgang, mal eine Melodie mit Streichern, dann ein lässig wabbender Electro-Beat, dann wieder rhythmisch etwas unorthodoxere Percussion-Musik. Auch wenn die verschiedenen Themen teilweise übereinander gelegt werden, verschmelzen sie nicht zu einer treibenden Kakophonie, sondern blockieren sich gegenseitig. Wenn Ramsay etwas offensichtlich nicht will, dann, dass sich ein geschmeidiger Warhnehmungsfluss entwickelt.

Dieser dekonstruierende Ansatz überzeugt allerdings nur teilweise. Er passt besonders dann gut, wenn er mit gewohnten Formen der Gewaltdarstellung bricht oder die archaische Rolle des Retters auseinandernimmt. Joe will umsorgen und beschützen, kriegt dabei aber noch nicht einmal sein eigenes Leben auf die Reihe. Eine Heldengeschichte ist für Ramsay nur als eine Geschichte des Scheiterns denkbar. Als weniger produktiv erweist sich das Misstrauen des Films gegenüber seiner bis auf wenige Variationen eigentlich recht konventionellen Handlung. Hier versucht Ramsay ein bisschen zu beharrlich, jeglichen aufkeimenden Genuss zu verhindern. Wenn das Trauma jedoch nur als diffuses Gefühl über dem Film schwebt, das durch einen bewussten Verzicht auf Figurenpsychologie abstrakt bleibt und wenn Genremuster zwar bedient werden, aber das meiste, was an ihnen funktioniert, sabotiert wird, dann steht man als Zuschauer tatsächlich irgendwann vor einem Scherbenhaufen, in dem zwar einiges schön funkelt, allerdings ohne, dass man am Ende allzuviel damit anzufangen weiß.

Michael Kienzl

A Beautiful Day - USA 2017 - OT: You Were Never Really Here - Regie: Lynne Ramsay - Darsteller: Joaquin Phoenix, Judith Roberts, Ekaterina Samsonov, John Doman, Alex Manette - Laufzeit: 89 Minuten.