Im Kino

Pin-up der geschmeidigen Selbstermächtigung

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl, Jochen Werner
25.08.2016. Blake Lively gewinnt in Jaume Collet-Serras "The Shallows" zunächst die Zuneigung eines großen Publikums - und legt sich dann mit einem Hai an. Marcus Dunstan erweist sich in seinem selbstbewusst inszenierten Fallenstellerfilm "The Neighbor" ein weiteres Mal als einer der prägenden Köpfe des zeitgenössischen Splatterfilms.

Ein verlassener Traumstrand irgendwo in Mexiko. Die Texanerin Nancy treibt auf ihrem Surfbrett durchs Wasser und trifft auf zwei Einheimische. Die beiden jungen Männer schalten zwar sofort in den Flirtmodus, doch die attraktive Touristin hält sie auf Distanz. Mit bodenständiger, sehr amerikanischer Freundlichkeit vermittelt sie ihnen, dass sie nicht als Freiwild, sondern als Kollegin unterwegs ist - und stürzt sich schließlich mit einem Lächeln auf die nächste Welle.
 
Seit Jahren ist die Rede von einem - häufig milde belächelten - Pop-Feminismus, bei dem Frauen sich zwar männliche Privilegien herausnehmen, dabei jedoch nichts von ihrer Weiblichkeit, sprich ihrem Sex-Appeal, einbüßen müssen. Statt gegen das System zu kämpfen, arrangiert man sich mit ihm, um es für seine eigenen Zwecke zu nutzen. "Gossip Girl" Blake Lively ist in "The Shallows" gewissermaßen das Pin-up dieser geschmeidigen Selbstermächtigung. Ihre Nancy hat sich zwar ihren Platz in einer Männerdomäne geschaffen, auf den Hintern schauen darf man ihr aber trotzdem - was die Kamera auch immer wieder sehr unbekümmert tut. Das macht ihre Figur nicht nur zu einer Repräsentantin des aktuellen Zeitgeists, sondern ermöglicht es ihr auch, die Zuneigung eines großen Publikums zu gewinnen.
 
Gerade noch hat uns ein im Bild aufflackerndes Handy-Display einen Blick in Nancys Vergangenheit gewährt. Wir erfahren, dass sie an den Lieblingsstrand ihrer gerade verstorbenen Mutter gereist ist, dass sie ihr Medizinstudium geschmissen hat und einfach mal raus musste. Obwohl man nur wenig von der jungen Frau erfährt, hat man das Gefühl, alles über sie zu wissen. Nancy hat nicht viel Kontur, kann aber auch deshalb nirgendwo anecken. Für Frauen kann sie als Role Model interessant sein, für Männer ist sie als potentielle Freundin und gleichgesinnter Kumpel in Personalunion sowieso der Jackpot.
 
Im Auftakt seines neuen Films setzt der spanische Regisseur Jaume Collet-Serra nicht nur seine Protagonistin, sondern auch die sie umgebende Postkartenkulisse als ultimative Projektionsfläche ein. In einer idealisierten Welt, in der alles mehr als nur ein bisschen besser aussieht, siedelt er sein aufgemotztes Sportvideo an, das mit Slow-Motion-Exzessen die eigene Schönheit feiert. Lively, die sich mal anmutig im Wasser räkelt, dann wieder gut gelaunt ins Abenteuer stürzt, wirkt eher wie ein Model, das ein bestimmtes Lebensgefühl verkörpert, als wie eine Schauspielerin, die sich in eine Rolle einfühlt. Der Schnitt (Joel Negron) stimmt alles perfekt aufeinander ab - den mit glänzenden Wassertropfen übersäten Körper, die wuchtigen Wellen und sogar ein paar in der Abendsonne springende Delfine. Spätestens wenn der hämmernde Rotzgören-Pop ("I'm not looking for trouble, but trouble's looking for me") einmal kurz aussetzt und Nancys Lachen genau in diesen stillen Moment fällt und damit Teil des Songs wird, ist klar, dass sich alles genau dort befindet, wo es hingehört.
 

Nach diesem in zweierlei Hinsicht blendenden Einstieg macht es sich der Film zur Aufgabe, die Ordnung, die er geschaffen hat, wieder durcheinander zu bringen. Schon bald verwandelt sich die Kulisse, in die sich Nancy gerade noch so gut eingefügt hat, in ein lebensbedrohliches Terrain. Als ein Hai auftaucht, der weniger ein klassischer Vertreter seiner Zunft ist, als eine mythisch  überhöhte Naturgewalt, die für die verdrängten Ängste eines nur scheinbar furchtlosen Mädchens steht, ist Nancy der Umgebung hilflos ausgeliefert. Nachdem sie ihren nun nicht mehr makellosen, sondern ziemlich geschundenen Körper auf einen kleinen, kurzzeitig von der Ebbe freigelegten Felsen gerettet hat, erzählt "The Shallows" eigentlich nur noch, wie Nancy versucht, wieder Kontrolle über ihr Leben und damit auch über das Bild zu bekommen. Um zur anfänglichen Ordnung zurückzukehren, muss sie bezeichnenderweise das für sie zum Gefängnis gewordene Küstenstück mit mathematischem Geschick ausmessen.
 
Collet-Serra zeigt sich in seinem Film zwar offensichtlich an seiner Figur und ihrem persönlichen Dilemma interessiert, lässt die unverblümte Freude an kleineren und größeren Spektakeln aber stets über nuancierte Charakterzeichnung triumphieren. Das minimalistische Setting erweist sich dabei als trügerisch. Mit allerhand versteckten Requisiten und einer doof dreischauenden Möwe ("Steven Seagull") als Leidensgenossin ist ständig etwas los. Anders als die hilflose Nancy nimmt das Publikum eine überlegene Perspektive ein, der sich nur der Hai entziehen kann. Ständig springen die Bilder zwischen verschiedenen Blickwinkeln hin und her, zeigen das Geschehen von oben, von unten, aus nächster Nähe und dann wieder aus größerer Distanz. Gerade diese ständige Übersichtlichkeit zeigt, dass "The Shallows" - anders als seine Marketing-Kampagne nahelegt - wenig am Tierhorrorfilm oder am Horrorfilm überhaupt interessiert. Statt möglichst viel im Verborgenen zu lassen, zerrt der Regisseur alles an die Oberfläche. Die typischen Spannungsmomente des Genres reizt er kaum aus aus: Fast keiner der Angriffe des Hais ist als Überraschungseffekt inszeniert. Ein sich selbst überschätzender Helfer etwa verschwindet einfach lautlos von der Wasseroberfläche.
 
Man kann das dem Film aber schon deshalb nicht vorwerfen, weil Collet-Serra nicht an seiner Aufgabe scheitert, sondern einfach etwas anderes will. In seiner weitaus mehr auf die Hauptfigur als ihren Gegenspieler konzentrierten Inszenierung spielen eher Fristen, sinkende Kraftreserven und eine Portion Body Horror eine Rolle - was "The Shallows" eher wie einen maritimen Actionfilm erscheinen lässt. In mancher Hinsicht wirkt er gar wie eine zugespitzte Version von Collet-Serras vorletztem Film "Non-Stop", in dem ein von Flugangst geplagter Liam Neeson an Bord eines Passagierflugzeugs auf Terroristen-Jagd geht. Auch hier haben wir es mit nur einem Schauplatz zu tun, an dem ein weitgehend unsichtbarer Antagonist dem geschwächten Helden zu schaffen macht. Und so wie Neeson im Fast-Rentenalter als Actionheld über sich hinauswachsen kann, darf Lively ihre grazile Bikini-Figur präsentieren und dabei trotzdem bis aufs Blut gegen einen Killer-Hai kämpfen.

Michael Kienzl

The Shallows - USA 2016 - Regie: Jaume Collet-Serra - Darsteller: Blake Lively, Oscar Jaenada, Brett Cullen, Sedona Legge, Janelle Bailey - Laufzeit: 86 Minuten.

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Wenn bad guys auf worse guys treffen, wird es im Genrekino oftmals erst so richtig interessant. Klassische Kinohelden oder edle Absichten gibt es in "The Neighbor" an keinem Ort, nirgends: Der kleine Gangster Johnny, der Flüchtige mit neuen Autonummernschildern und frischen (statt blutverschmierten) Unterhemden ausstattet, haust mit seiner Freundin Rosie irgendwo in Mississippi - dort wo die Nachbarn mit Flinten auf Hasen schießen und sich beim eiskalten Bier erkundigen, warum genau man ihr Grundstück betreten habe. Ein Territorium, auf dem, wie man seit diversen Kettensägenmassakern genau weiß, früher oder später nicht nur Hasen erlegt werden.
 
Das Teleskop, das Johnny und Rosie vor dem Fenster platziert haben, weckt den Verdacht des nicht gar so harmlosen, titelgebenden Nachbarn Troy, und als Johnny von einem Deal heimkommt, ist Rosie verschwunden. Dass der Nachbar böse Dinge in seinem Keller tun könnte, daran lassen Film und Genrekonventionen von Beginn an wenig Zweifel, und nach einer etwas umständlichen ersten Hälfte nimmt "The Neighbor" spürbar Tempo auf. Man merkt, während das Skript sich noch viel Mühe gibt, das ohnehin offen Daliegende so hinzukonstruieren, dass man es dann rasant heruntererzählen kann, dass es in dieser Art Film nicht unbedingt zuerst auf die Exposition ankommt.
 
Aber was ist das eigentlich: diese Art Film? Regisseur Marcus Dunstan mag zwar nicht zu den bekannten Namen des gegenwärtigen Splatterkinos zählen, zu seinen prägenden Köpfen gehört er aber durchaus, zeichnet er doch für die Drehbücher der letzten vier Beiträge der "Saw"-Reihe verantwortlich - und somit für die strukturell vielleicht ambitionierteste Horrorfilmserie der Kinogeschichte, deren vertrackt sadistische und unendlich verspielte Fallenkonstruktion er für sein Regiedebüt "The Collector" direkt übernahm und aus dem Episch-Seriellen in die kleinere Form des Kammerspiels übertrug. Ein Konzept, das er dann gespiegelt erneut in der Fortsetzung "The Collection" aufgriff, die den überlebenden Protagonisten des Vorläufers mit einem bezahlten Söldnertrupp auf die Jagd nach dem Killer schickt - und sie schließlich in dessen fallengespicktem Haus einmal mehr ums Überleben kämpfen lässt.
 

Zwei schöne, intensive Splatterfilme sind das, und insbesondere in der Zusammenschau machen sie sehr deutlich, worin Dunstans größte Stärke liegt: die Bewegung einander blutig verfeindeter Antagonisten auf engem, aber verschlungenem Raum zu dirigieren. In der zweiten Hälfte funktioniert auch "The Neighbor" so, und er sucht und findet einen Mittelweg zwischen dem Zweipersonenstück "The Collector" und dem durch etwas zu viele etwas zu gesichtslose Protagonist*innen etwas zu aufgeblasenen "The Collection". Der Situations- und Spannungsaufbau entspinnt sich im Wesentlichen zwischen den drei Protagonist*innen Johnny, Rosie und Troy - ein paar Figurenauftritte aus mehr oder minder heiterem Himmel seien dabei getrost unterschlagen, dienen sie doch zuvorderst dem Ansinnen, halbwegs regelmäßig eine Nebenfigur auf blutige Weise aus dem Film zu entfernen.
 
Überhaupt ist Dunstans vorderstes Ziel die Affektproduktion mit allen zur Verfügung stehenden filmischen Mitteln. Während aber sein Debüt noch stark der Flash-Cut-Ästhetik der "Saw"-Filme verhaftet war und dessen Fortsetzung gerade im Vergleich etwas zu HD-glatt daherkam, schöpft "The Neighbor" eine breite Palette stilistischer Folien aus. Atmosphärische Zwischensequenzen wirken wie mit einer alten Schmalfilmkamera gedreht, anderes gemahnt an die Körnigkeit klassischer Bahnhofskinoglückseligkeit, und für eine lange, brutale Sequenz wechselt Dunstan unvermittelt (und folgenlos) in einen kontemporären HD-Look.
 
Makrostrukturell mag das wenig Sinn machen - gerade der Sprung in die Digitaloptik hinein und wieder heraus wirkt eher irritierend. In der Mikrostruktur des Films, die vor allem atmosphärische Intensitäten miteinander in Kontakt setzt und unterschiedliche Konstellationen von Antagonist*innen im Raum durchspielt, sind Dunstans Strategien nach wie vor effektiv. "The Neighbor" ist nicht sein bester Film und auch nicht der große Wurf, der Dunstans endgültigen Durchbruch als Splatterauteur bewirken könnte - dafür ist er zu umständlich und nicht konsequent genug. Dennoch ist ihm ein guter, selbst noch im Bedienen klassischer Genretopoi eigenständiger und selbstbewusst inszenierter Film gelungen. Das ist, wie der Rezensent am selben Fantasyfilmfestabend bei einem Screening von "Carnage Park" einmal mehr feststellen durfte, gar nicht einmal so wenig.

Jochen Werner

The Neighbor - USA 2016 - Regie: Marcus Dunstan - Darsteller: Josh Stewart, Luke Edwards, Aley Essoe, Bill Engvall, Jacqueline Fleming, Melissa Bolona - Laufzeit: 87 Minuten.
 
"The Neighbor" ist auf dem Fantasy Filmfest zu sehen, das noch bis zum 18. September 2016 durch diverse deutsche Städte tourt.