Im Kino

Sissi-Kino

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
15.12.2010. Fast ein Wunder: Xavier Beauvois' Mönchsdrama "Von Menschen und Göttern" ist der sehr selten gewordene Fall eines Films, der Kritik und Publikum gleichermaßen begeistert. Übrigens sehr zurecht. Weitgehend Einigkeit herrscht, wie es aussieht, auch bei Florian Henckel von Donnersmarcks Zweitling "The Tourist": Außer sauteuren Spesen wenig gewesen.


Eine algerische Kleinstadt. Wenig Arbeit, viele Krankheiten, religiöse und politische Spannungen. Auf den Straßen mehr militärische als zivile Fahrzeuge, immer wieder und immer häufiger taucht eine islamistische Miliz auf und tötet jeden, der ihnen nicht in den Kram passt. Etwas außerhalb die Mauern eines Klosters. Hinter den Mauern lebt eine Gruppe französischer Mönche in einer anderen Zeit. Alte Männer in dunklen Hallen mit hohen Wänden, die den Schall der Schritte reflektieren, stille Gebete, uralte Rituale. Zwei denkbar unterschiedliche Welten, die trotz der Mauern in engem Kontakt stehen. Lange beschränkt sich der Film darauf, geduldig sowohl das Leben auf beiden Seiten der Mauer, als auch die verschiedenen Momente der Kontaktaufnahme zu beschreiben.

Xavier Beauvois Film "Von Menschen und Göttern" basiert auf Ereignissen, die sich in den neunziger Jahren tatsächlich zugetragen haben, in der algerischen Ortschaft Tibhirine und einem benachbarten Trappisten-Kloster. Insofern ist von Anfang an klar, dass am Ende doch noch etwas ganz Entscheidendes passieren muss. Die Mönche von Tibihirne wurden in der Nacht zum 27.3.1996 in ihrem Kloster ermordet. Bis heute ist nicht abschließend geklärt, ob die Mörder radikale Islamisten waren, oder Milizen im Dienst der Militärregierung, die den Mord den Islamisten unterschieben wollten. Beauvois geht es nicht darum, Stellung zu dieser Frage zu beziehen, er entfernt sich im letzten Filmabschnitt bewusst vom schlichten, antidramatischen Tonfall der Chronik, der weite Teile des Films prägt. Statt dessen inszeniert er, auf der Tonspur begleitet von einem historischen Brief, den einer der Mönche kurz vor seinem Tod verfasst hatte, den Tod der Franziskaner als eine Art überindividuelle Traumsequenz. Ein Traum, dessen Subjekt nur die Geschichte selbst sein kann.

In Cannes gefeiert, in Frankreich ein Überraschungshit scheint "Von Menschen und Göttern" der selten gewordene Fall eines Films zu sein, der von Kritik und Publikum gleichermaßen angenommen wird. Angesichts des schwierigen Sujets, das hinter jeder Ecke ein politisches Minenfeld bereithalten zu scheint, ist dieser Erfolg nur noch erstaunlicher.

Es ist dann auch nicht allzu überraschend, dass Beauvois' Film einige Sachen nicht allzu genau wissen möchte. Der Islamismus zum Beispiel ist für den Film etwas, das der algerischen Gesellschaft von außen zustößt. Einmal rollt er symbolisch in schwarzen Jeeps an und zerstört wie eine Naturgewalt den harmonischen Zusammenhang der bäuerlichen Gemeinschaft, die ihrerseits in den Mönchen des Franziskanerklosters Verbündete sehen möchte. Der Mönch Christian - ein bebrillter Idealist, der lange Zeit das moralische Zentrum des Films zu sein scheint - wird derweil in einem Gespräch mit einem Lokalpolitiker mit der Kolonialgeschichte Frankreichs und damit auch mit seiner eigenen impliziten Komplizenschaft mit dem ehemaligen Kolonialherrn konfrontiert. Allzu viele Spuren hinterlässt diese Konfrontation nicht in "Von Menschen und Göttern". Der Film ruft diese und ähnliche Diskurse immer wieder auf, ohne sie dann besonders konsequent weiter zu verfolgen.



Bezogen aufs Individuum ist das, was Beauvois zeigt, sicherlich nicht falsch. Die algerische Bauernfamilie erlebt die bis an die Zähne bewaffneten Islamisten ebenso völlig zurecht als rein externe Bedrohung, wie der spartanisch lebende Trappistenmönch sich als selbstlosen Helfer verstehen darf. Man muss dem Film seine Perspektivbeschränkung, die praktischerweise gleich beide Monotheismen aus der Schusslinie nimmt, nicht vorwerfen. Man kann aber daran erinnern, dass es durchaus Filme gibt, die mehr zu sagen haben über das Verhältnis des politischen Islams zur nordafrikanischen Gesellschaft und ihren vormodernen Clanstrukturen (Ameur Rabah-Zaimeches "Bled Number One" zum Beispiel) oder über das strategische Ineinandergreifen von christlicher Missionierung und europäischer Kolonialisierung, von dem selbstredend beide Akteure gleichermaßen profitierten (Ousmane Sembenes "Ceddo" zum Beispiel oder auch der Dokumentarfilm "Das koloniale Missverständnis" von Jean-Marie Teno). Und auch daran, dass derartige Filme aus guten Gründen nicht zu Arthaus-Mainstream-Crossoverhits avanciert sind.

Je länger der Film aber dauert, desto weniger fallen derartige Fragen ins Gewicht. Denn was den Film wirklich interessiert, ist das gleichzeitig individuelle und kollektive Dilemma der Mönche, die schnell erkennen, dass sie zwischen die Fronten einer Auseinandersetzung geraten sind, deren Zuspitzung für sie selbst nur den sicheren Tod bedeuten kann. Aber das Land zu verlassen, hieße auch, die algerische Ortschaft ihrem Schicksal zu überlassen. Immer stärker konzentriert sich der Film auf ein moralisches Problem, das von der konkreten politischen Situation tendenziell abstrahiert. Die Szene, auf die "Von Menschen und Göttern" zuläuft (obwohl sie nicht am Ende steht), evoziert das biblische Abendmahl am Vorabend der Kreuzigung. Während einer gemeinsamen Mahlzeit muss jeder Mönch für sich eine Entscheidung fällen. Beauvois entwirft die Szene nicht als Tableau im Stil da Vincis, sondern filmt die Männer isoliert, einzeln in Großaufnahme. Ein Schlüssel zum Film ist diese Szene gerade in ihrer Differenz zum biblischen Abendmahl: Die zentrale Figur, Jesus, fehlt. In Abwesenheit eines Erlösers sind die Mönche auf ihr eigenes moralisches Urteilsvermögen zurückgeworfen, die Entscheidung, die sie fällen, wird zur Artikulation der eigenen Freiheit.

Lukas Foerster

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Es sind Bilder wie aus einem Hitchcock-Film: Eine geheimnisvolle, unter Observation der Polizei stehende Frau (Angelina Jolie) spricht im Zug von Paris nach Venedig einen fremden Mann an (Johnny Depp als tapsiger, Agententhriller lesender Mathelehrer) und fädelt flirtend mit ihm ein Agentenverwechslungsspielchen ein, auf das sich Depp als graues Mäuschen zwar ungelenk, doch nur zu gerne einlässt. Der fremde wird darüber zum falschen Mann: Fortan steht Depp bei der Polizei unter Verdacht, ein Steuerhinterzieher zu sein, der dem britischen Empire Millionen im dreistelligen Bereich schuldet und dessen Äußeres nach einem plastisch-chirurgischen Eingriff keiner kennt. Zu den Häschern der Obrigkeit gesellt sich noch ein sinistrer Haufen russischer Schurken, denen der eigentlich Gesuchte ebenfalls ein ordentliches Sümmchen schuldet.

Nach dem mausgrauen "Das Leben der Anderen" sendet Florian Henckel von Donnersmarck in seinem zweiten Film sonnendurchleuchtete Postkarten aus Venedig. Da hebt sich die Kamera aus der Bodenperspektive zum weitreichenden Panorama, da wird beim Ball in Venedig der Reigen der Schönen und Reichen per Kameraobjektiv angeschmachtet, als befände man sich wieder im Sissi-Kino der 50er. Einen locker-leichten Film habe er nach dem schwermütigen, aber oscarprämierten "Das Leben der Anderen" drehen wollen, spricht der gegenwärtig omnipräsente von Donnersmarck in jedes Journalistenmikrofon, und die Insistenz, mit der er das Locker-Leichte immer wieder betont, lässt erahnen, dass es mit dem Locker-Leichten nicht allzu weit her sein kann.

Dass er sich an Hitchcock - genauer: an Hitchcocks eher leichten Unterhaltungsfilmen wie "Über den Dächern von Nizza" und "Der unsichtbare Dritte" - orientiert hat, liegt auf der Hand, doch scheint er vom Meister nicht viel gelernt zu haben: Wenn Jolie und Depp sich gerade im Zug kennengelernt haben, fährt auch hier - wie am Ende von "Der unsichtbare Dritte" - die Bahn in einen Tunnel. Bei Hitchcock ist das eine unverhohlene Beischlafmetapher, bei von Donnersmarck lediglich schief in den Film eingeklebtes Bildzitat.



Auch in anderer Hinsicht ist der Film sorglos, wenn nicht schlampig: Da mangelt's allenthalben an räumlicher Kontinuität, das Eröffnungspiece - die Jolie wird auf den Pariser Straßen von der Polizei beschattet - gerät allen filmischen Potenzialen zum Trotz, die eine solche Sequenz mit sich bringt, zur vertanen Chance: Ein echter Maverick hätte im Zusammenspiel aus mise-en-scene, Montage und Musik ein Filetstück kreiert, von Donnersmarck hingegen hält in Verdopplung der Scherze vor den Polizeimonitoren auch mit seiner eigenen Kamera lediglich auf den Hintern von Angelina Jolie.

Überhaupt die Polizei: Ein wahrer Stümperhaufen, ähnlich wie die russischen Gangster auf der anderen Seite. Mit viel böser Miene gehen sie zwar alle ans Werk, Profis des eigenen Fachs findet man jedoch auf keiner Seite, so dass ihnen auch ein unbeholfener Mathelehrer wie der seltsam schwammige Johnny Depp bald auf der Nase albern herumtanzen und sich vor deren Nase in Angelina Jolie verlieben kann. Esprit, den zu empfinden man von der Leinwand angeherrscht wird, hat dies freilich so gut wie keinen. Mr. Henckel von Donnersmarck, warum haben Sie das gemacht?

Thomas Groh

Von Menschen und Göttern. Frankreich 2010 - Originaltitel: Des hommes et des dieux - Regie: Xavier Beauvois - Darsteller: Lambert Wilson, Michael Lonsdale, Olivier Rabourdin, Philippe Laudenbach

Tourist. USA / Frankreich 2010 - Regie: Florian Henckel von Donnersmarck - Darsteller: Angelina Jolie, Johnny Depp, Paul Bettany, Timothy Dalton, Steven Berkoff, Rufus Sewell, Ralf Moeller, Raoul Bova, Julien Baumgartner