Im Kino

Stein ist erweicht

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Ekkehard Knörer
16.06.2010. Frisch von der Fußball-WM-Resterampe: Oliver Hirschbiegels virtuos an seinem eigentlichen Inhalt vorbeigefilmtes Nordirland-Drama "Five Minutes in Heaven". Mark Stephen Johnson führt in "When in Rome" eindrucksvoll vor, wie man mit lauter interessanten Darstellern Fernsehen und Kino selbst betrügt.


Ein Prolog, historisch und in nostalgischer Farbsättigung, der zwanzig Minuten lang nicht viele Worte macht. Vier Jugendliche, fanatische Protestanten in Lurgan, Nordirland. Wir schreiben das Jahr 1975. Im Fernsehen läuft eine Unterhaltungsshow. Die vier klauen ein Auto, einer hat eine Waffe, er steigt aus dem Auto und tötet durchs Fenster mit drei Schüssen einen Katholiken. Dessen kleiner Bruder, der zuvor stundenlang den Ball an die Wand spielt, sieht ihm dabei zu. Der Mörder bringt ihn nicht um. Die Kamera schleicht durch die Räume. Die vier zünden das Auto an. Dann geht's in die Jetztzeit.

Eine beinahe wahre Geschichte. Der Regisseur, der Hitlers Untergang filmte. Ein Drehbuchautor, der sich mit den realen Vorbildern seiner Figuren lange zusammengesetzt hat. Ein Nachdenkdrama als BBC-Kammerspiel, von der Regie unter Hochdruck gesetzt. Liam Neeson, der Mörder, halbtot ist er innerlich und nähert sich (im Auto, chauffiert) der Fernsehkonfrontation wie einer gefährlichen, aber notwendigen OP; mit Bangen, todmüde, resigniert. Der kleine Bruder dagegen (im Auto, echauffiert), ist ein Topf, dem jeden Moment der Deckel wegfliegen kann. Er trägt den Dolch im Gewande. Als Mittlerin fungiert, frisch aus dem neuen rumänischen Kino importiert, Anamaria Marinca, Knopf im Ohr, Verständnis im Blick, schwerer osteuropäischer Akzent, sie kommt aus Wladiwostock. Die anderen Fernsehfritzen porträtiert Oliver Hirschbiegel kamerakritisch, mediensatirisch. Ein Blödsinn.

Liam Neeson sitzt im improvisierten Studio im grau ragenden Landschloss. Die Kamera unternimmt eine Zeitlupen-Halbkreisfahrt, vorbei an Monitoren und Fernsehkameras und lauerndem TV-Personal, eine Fahrt, die auf ein Close-Up von Neesons in Schuldbewusstsein gemeißeltem Gesicht hinauslaufen muss. Das tut sie. Dieser Stein will erweicht sein.



Verfallenes Haus, später. Nun treffen der Täter (immer noch resigniert-reuig) und der Bruder des Opfers (immer noch Dolch im Gewand) sich doch. Prügelei, man fliegt aus dem Fenster. Die Kamera unternimmt eine Zeitlupen-Aufs-Fenster-Zu-Fahrt, als wollte Oliver Hirschbiegel zeigen, dass er Michael Snows "Wavelength" kennt. Das tut er, ganz bestimmt, hat schließlich Film an der Kunsthochschule studiert.

Man kann die Virtuosität von Hirschbiegels Inszenierung schwerlich bestreiten. (Eine Themaverfehlung nach der anderen, aber gekonnt.) James Nesbitt reißt sich als viertel-bis-halbrasend-zuckender Hochdruckkesseldarsteller den Arsch auf. (Lächerlich, aber preisverdächtig.) Das Drehbuch lässt die Figuren sagen, was zu sagen ist, und es tut dies oft und auch deutlich. (Penetrant, aber theaterreif.) Spannungsgenres rumoren überdies sinnlos im Kammerspiel. Immerzu schleicht die Kamera, schleicht und schleicht, wie ein Erzähler, der ständig aufmerksamkeitsheischend flüstert. Sie flüstert um Ecken, sie flüstert durchs Haus, sie flüstert so laut. Ist ja auch ein wichtiger Film: Versöhnung, Wahrheit, Rache, Nordirlandkonflikt. Ba bla bla: sind so große Worte. Das Leben geht nach Fensterflug weiter: Therapie, Tränen. Am Ende Kameradraufblick. Es ist vollbracht: Stein ist erweicht. Kamera flüstert Familienidyll. Sundancepreis wird gewonnen.

Ekkehard Knörer

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Die Sommersaison verläuft für Hollywood enttäuschend, ein Möchtegern-Blockbuster nach dem anderen bleibt hinter den Erwartungen zurück. In Deutschland kommt noch die WM dazu, da geht von Anfang an nicht viel. In den nächsten Wochen startet nur, was sowieso wenig Potenzial hat. "When in Rome" ist so ein Film, der - in diesem Fall mit guten Gründen - im Sommerloch verklappt wird.

Kurz zur Handlung: Beth hat sich gerade von ihrem Freund getrennt, als sie während der Hochzeit ihrer Schwester in Rom in der Fontana Di Trevi herum planscht und einige Münzen einsammelt, die vorher von liebeshungrigen Männern hinein geworfen worden waren. Ganze fünf Verehrer hat sie dann mit einem Mal, seltsamerweise wohnen alle in New York und warten dort auf ihre Rückkehr, kleben penetrant an ihre Fersen oder hängen auch schon mal kopfüber in ihrer eigenen Wohnung. Der finalen Paarbildung steht trotzdem nicht allzu viel im Wege.

Es gibt Filme, in denen trotz guter Zutaten nichts zusammen passt. "When in Rome", die romantische Komödie von Mark Steven Johnson, ist so ein Film. Es gibt eine angemessene Kulisse, die nicht mehr sein will - und eigentlich auch nicht muss - als ein einziges dynamisierbares Klischee, eine Grundidee, die zwar schrecklich doof ist, aber doof auf eine ziemlich kinoaffine Art, und dann gibt es vor allem einen wunderbaren Cast. Die Hauptdarstellerin Kristen Bell kennt man - beziehungsweise: sollte man kennen - aus der sehr intelligenten Jugendserie "Veronica Mars", in der sie als High-School-Detektivin die südkalifornische Schickeria aufmischt. Unter den Verehrern ihrer Beth finden sich neben Danny DeVito noch ein weiterer Fernsehstar: Will Arnett, der in der dekonstruktivistischen Sitcom "Arrested Development" den manischen Zauberer und potenziellen Millionenerben Gob Bluth gibt, und - last but not least - Jon Heder, Napoleon Dynamite aus der gleichnamigen Indie-Komödie höchstpersönlich.



Man darf sich angesichts einer solchen Auswahl nicht nur fragen, warum sich Beth ausgerechnet in den Langweiler Nick verliebt, der von Josh Duhamel verkörpert wird, einem Schauspieler, der selbst bei Michael Bay nur in der zweiten Reihe auf Transformer-Jagd gehen darf. Vor allem muss man darüber erschrecken, wie plump auf einmal alles wirkt, was Bell, Arnett und Heder machen. Mark Stephen Johnson hat vorher den nicht uninteressanten Superheldenfilm "Ghost Rider" gedreht, zum Komödienregisseur taugt er wenig. Er gibt sich durchaus Mühe, am kulturellen Kapital seines Casts zu partizipieren, etwa, wenn urplötzlich Heders Sideckick aus "Napoleon Dynamite" auch in "When in Rome" auftaucht. Aber schon die Perücke, die Arnett aufsetzen muss, ist zum Fremdschämen. Und Humor heißt in "When in Rome" more often than not: irgendwo dagegenlaufen und dann ein dummes Gesicht ziehen. Und Kristen Bells Beth? Ein Yuppie-Nichts ohne eine einzige originelle Note, ohne jedes Geheimniss. Veronica Mars wäre so eine keinen zweiten Blick wert gewesen.

Was Johnson aus diesem Cast macht, das ist genau genommen nicht nur ein Betrug an Bell, Heder und Arnett, sondern ein Betrug an den Medien Fernsehen und Kino selbst. Erst das Fernsehen und das Kino haben aus Bell Veronica Mars, aus Heder Napoleon Dynamite und aus Arnett Gob Bluth gemacht. In "When in Rome" kleben diese Rollen zwar noch als müder Abglanz an den Schauspielerkörpern, aber dem Film selbst bleiben sie äußerlich.

Lukas Foerster

Five Minutes of Heaven. Großbritannien / Irland 2009 - Regie: Oliver Hirschbiegel - Darsteller: Liam Neeson, James Nesbitt, Anamaria Marinca, Niamh Cusack, Pauline Hutton, Richard Dormer, Mark Davison, Kevin O'Neill, Paul Garret

When in Rome. USA 2009 - Originaltitel: When in Rome - Regie: Mark Steven Johnson - Darsteller: Kirsten Bell, Josh Duhamel, Dax Shepard, Anjelica Huston, Will Arnett, Bill Heder, Alexis Dziena, Kate Micucci, Peggy Lipton