Im Kino

Ursprachenwärts

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
09.07.2008. Nach innen geht der Weg für Francis Ford Coppola, der sich vom Ertrag seines kalifornischen Weinguts das religionsphilosophische Alterswerk "Jugend ohne Jugend" geleistet hat. Nach Osten geht der Weg dagegen in "Alle Alle", einem deutschen Film, in dem viel Herzblut und Milan Peschel stecken.

File under: Alterswerk. Es ist in der Kunst oft anders als beim Wein, mit dessen Anbau der einstmals große Hollywood-Regisseur Francis Ford Coppola das Geld verdient hat, mit dem er, privat ganz und gar, diesen jüngsten Film "Jugend ohne Jugend" nach zehn Jahren Pause produzierte. Während große Weine besser werden im Alter, wird mancher Künstler doch eher sonderlich. Möchte nicht einfach ein weiteres Buch schreiben, einen weiteren Film drehen, sondern existenzielle Fragen in Angriff nehmen und endlich loswerden, was ihm zuvor nicht loszuwerden gelang.

Coppola hat, damit fing es an, eine Novelle gelesen, in deren Helden er sich erkannte. Die Novelle hat Mircea Eliade verfasst, der rumänische Religionsphilosoph, später geläuterte Sympathisant des Faschismus (er schrieb - wie sein Freund Emile Cioran - Propagandatexte für die Eiserne Garde, war auch ein Bewunderer Mussolinis) und Autor fantasynaher, spekulativer Romane. Eliade gehört zur spirituell-mystischen Strömung der Religionswissenschaft, war ein früher Indienfahrer, hat als einer der ersten über Schamanen geforscht und emphatisch die Aufwertung von Mythos, Gefühl und nichtrationalen Zuständen aller Art propagiert. Ein Hermann Hesse für Möchtegernintellektuelle, ein Gewährsmann jener Linie des Denkens und Fühlens, die ziemlich direkt von den Hippies zu diversen New-Age-Strömungen führt. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg und wer ihn nimmt, findet dort als primitiven den eigentlichen Menschen und dabei die Wahrheit über die großen Fragen.

Dominic Mateis Weg geht erst mal nach Bukarest. Es ist das Jahr 1938, Matei ist ein alter Mann, und er will sterben. Er hat als Linguist nicht gefunden, was er sein Leben lang suchte (die Ursprache), er hat die Frau, die er liebte (seine Jugendliebe Laura, gespielt von Alexandra Maria Lara), verloren und also will er ein Ende machen mit seinem Leben. Er tritt vor den Bahnhof, da trifft ihn der Blitz. Matei aber stirbt nicht. Er kommt ins Krankenhaus und die Ärzte (darunter Bruno Ganz) können nur staunen, wie sich der alte Mann superheldenhaft geradezu regeneriert. Die Zähne fallen ihm aus und neue wachsen ihm nach. Aus verbrannter alter Haut wird frische junge und aus der Maske des Alters schält sich Tim Roth, wie wir ihn kennen.


Es ist überdies, als sei der Pfingsgeist in den verjüngten Matei gefahren: Er spricht in Zungen und speichert in Sekunden die Inhalte ganzer Bücher. Zeit vergeht, Matei forscht, trickst einen Nazi (Andre Hennicke) aus und begegnet in den fünfziger Jahren Veronica (gespielt von Alexandra Maria Lara), in der er eine Art wiedergeborene Laura erkennt. Auch Veronica trifft der Blitz und auch sie spricht in Zungen, genauer gesagt: sie spricht in Trance zunächst Sanskrit. Während aber Matei durch den Blitz verjüngt wurde, muss Veronika - die sich nun allerdings Rupini nennt - über die Maßen schnell altern und gelangt in diesem Alterungsprozess aufs Konvulsivischste auch in der Evolution menschlicher Laute ursprachenwärts immer weiter zurück.

Zwischen Traum und Realität, vor allem aber zwischen dem unfreiwillig Grotesken und keineswegs freiwilligerer Komik navigiert glücklos Coppolas Film. Er stellt dabei immer mal wieder die edel ausgeleuchteten, aber kein bisschen originellen, ja, noch nicht einmal je irgendwie atemberaubenden Bilder auf den Kopf. Gedreht ist alles in einem einschlägigen Klischees folgenden Osteuropa, kein Hauch Wirklichkeit dringt belebend ins Hanebüchene. Das multinationale Schauspielerensemble chargiert beziehungslos nebeneinander her und vermag es verständlicherweise nicht, dem ganzen ungekeltert über dem Zuschauer ausgeschütteten Eso-Quatsch Leben, Leidenschaft oder gar Sinn einzuhauchen.

"Ich habe genau den Film gemacht, den ich machen wollte", sprach Francis Ford Coppola, als die Kritik seinen Film zu zerreißen begann, als Weiser vom Weinberg. Man muss inzwischen wohl wünschen, es werde sein seit bald zwanzig Jahren in Vorbereitung befindliches Wunschprojekt-Riesenwerk "Megalopolis" besser nie das Licht der Leinwand erblicken.

***


Ost-Signale: Der Regionalexpress mit der Brandenburg-Trötmusik an jeder Station. Verlassene Gegend. Jobs gehen verloren. Frauen werden geschlagen. Behinderte werden ausgesetzt. Das Auto bleibt stehen. Das Akkordeon spielt Sehnsuchtsmusik.

Eine Begegnung: Hagen, der geistig behindert ist, trifft auf Domühl, einen Loser, der seine grade aus dem Knast entlassene Nachbarin Ina begehrt. Erst findet Domühl den zugelaufenen Hagen, der ihm das Auto kilometerweise nach Hause schiebt, lästig. Dann aber zeigt sich: Das Herz des Domühl, der Dinge aus Holz baut, ist, es war zu befürchten, aus Gold.

"Alle Alle" ist ein Projekt, in dem fraglos viel Herzblut steckt. Geld war keins da, aber der dringende Wunsch, diesen Film zu machen. Milan Peschel, Mitglied des Volksbühnen-Ensembles, spielt als Domühl umsonst mit. Er macht seine Sache grandios, was kein Wunder ist, denn die Sache des Milan Peschel ist es, immer nur Milan Peschel zu sein und zu spielen, egal, in was für einen Kontext man ihn steckt. Schlimm ist dagegen, was Eberhard Kirchberg als Hagen tut: Er lässt kein Klischee der Geistigbehindertenschauspielerei aus.

Die Regie hindert ihn nicht. Überhaupt ist "Alle Alle" mehr als nur unbedarft. Es steckt kein klarer Gedanke darin, nur der Wunsch, irgendwie soziale Wirklichkeit reinzupacken und so zusammenzuknoten, dass am Ende Rührendes rauskommt. Die Wirklichkeit, die als Wunsch drinsteckt, ist aber nichts als Drehbuchautorenblödsinn. Da ist kein Wille, genau hinzusehen. Da ist kein Platz in den Bildern für das, was nicht vom Buch schon hineinbehauptet ist. Da reden immer nur Schauspieler vor Kameras. Da ist alles aufs Sentiment hin gedreht. Man soll sich noch beim Schlechtfühlen wohlfühlen und darum geht's am Ende gut aus.

Dieser Film ist, mit einem Wort: Ostklischeekitchensinkschmonzes.

Jugend ohne Jugend. Regie: Francis Ford Coppola. Mit Tim Roth, Alexandra Maria Lara, Bruno Ganz, Andre Hennicke und anderen. USA / Deutschland / Italien / Frankreich / Rumänien 2007, 124 Minuten.

Alle Alle.
Regie: Pepe Planitzer. Mit Eberhard Kirchberg, Milan Peschel, Marie Gruber, Simone Frost u.a .Deutschland 2007, 90 Minuten