Im Kino

Von Spinnen und Russen

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
18.08.2010. Als Action-Perpetuum-Mobile macht Angelina Jolie in Phillip Noyces Kalter-Kriegs-Revival-Film "Salt" immerhin eine gute Figur. In Thomas Siebens Filmdebüt "Distanz" schweigt, schießt und liebt ein Gärtner als Mörder und weiß nicht warum.

August Diehl ist Michael Krause, Spinnenforscher und deutscher Ehemann der CIA-Agentin Evelyn Salt (gespielt von Angelina Jolie), der ein Aufenthalt in nordkoreanischen Folterkellern noch in den Knochen steckt. "Deutsche", sagt der Ehemann am Frühstückstisch, "machen keine Scherze" und eine sehr giftig aussehende Spinne kuckt zur Bestätigung ungerührt aus dem Einmachglas. Darauf geht Salt ins Geheimagenten-Büro und erledigt dort dann kurz vor Dienstschluss noch rasch ein Verhör. Ein todkranker und also sicher ehrlicher Überläufer behauptet, geheime Informationen über einen russischen Maulwurf in Washington zu haben. Man glaubt ihm nicht recht, obwohl der Lügendetektor keine Lügen detektiert. Salt will schon gehen, da nennt der Mann den Namen des Maulwurfs: Evelyn Salt.

Erster Hoppla-Moment des Films, auf den dann hopplahopp rasch weitere folgen. Keiner ist hier, wer er oder sie scheint. Oder ist dann doch, wer er schien, hin, her, Salt als Agentin oder Gegenagentin oder Gegengegenagentin. Das ganze kommt einem entgegen aus uralten Kalter-Kriegs-Zeiten, ein Drehbuch, wie nach dreißig Jahren aus russischen Kerkern befreit und jetzt nicht ganz taufrisch in Hollywood auf den Tisch. (Allerdings zielt der teuflische Plan am Ende darauf, dass Muslime auf die Nuklearbombardierung von Teheran und Mekka nicht so gut reagieren: Kurve grad noch gekriegt.) Dass Salt eine Frau ist, war auch erst einmal nicht so gedacht. Schade eigentlich, dann hätte August Diehl also nicht Angelina Jolie, sondern den zunächst vorgesehenen Tom Cruise zum Abschied geküsst. Spinnenmann Diehl verschwindet übrigens schnell, aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Ihn wiederzubekommen, die Welt auch zu retten, nimmt Salt mancherlei auf sich.


Kaum ist sie enttarnt als die, die sie (nicht) ist, sprintet sie auf und davon. Bastelt sich eine kleine Feuerwurfapparatur und erwehrt sich, unter Einsatz auch des Spitzenunterhöschens, taxierender Blicke und ihrer Haut. Der Thrillerplot macht, als etwas kindisches "24"-Imitat, einen auf ganz große Weltverschwörung, nur sind die Löcher darin so gewaltig, dass immer wieder ganze Autoverfolgungsjagden von Monstertruck-Größe hindurchjagen. Im Auto bzw. meistens eher darauf sehen wir Evelyn Salt, mal auch an Häuserwänden herumturnend, mal auch im Aufzug wie Spiderman von Wand zu Wand hüpfend - aber gut, letzteres ist sicher durch metaphorische Arachnologie-Übertragung vom Ehemann motiviert. Jedenfalls geht es mehr als nur einmal so: Kaum glauben die Männer, die hinter ihr her sind, sie gefangen zu haben, tut Salt wieder einen gewaltigen Sprung von der Autobahnbrücke und rennt gänzlich unverstaucht auf einem Lasterdach einfach weiter.

Erst ist Jolie blond, dann trägt sie die Haare lang schwarz, dann kurz schwarz. Sie lässt den russischen Präsidenten im Erdboden verschwinden. Sie springt, fliegt, kickt und hat im Zweifel noch einen Würgetrick im Ärmel. Selbstverständlich ist die ganze als so halbwegs ernst gemeint präsentierte Geschichte nichts als ein Vorwand für eine Actionmaschine mit dem einzigen Zweck, Angelina Jolie dabei zuzusehen, wie sie zur Abwechslung anderes tut, als irgendwo wieder ein Kind zu adoptieren. Das kann man, auch weil Regisseur Phillip Noyce sein Action-Handwerk noch immer versteht, einigermaßen attraktiv finden.


Falls man, was keineswegs sicher ist, das bis zur Parodie einschlägige Voranpeitschsoundtrackgewitter von James Newton Howard erträgt. Und falls man auch nach der soundsovielten Wendung noch miträtseln mag über Wolfe im Schafspelz und Schafe im Wolfspelz und/oder Schafspelz als Wolfspelz. Und über Spinnen und Nuklearbomben und wiederaufgewärmten Kalten Krieg. Und weil dies Falls am Ende so groß ist, dass ein ganzer potenzieller Atomkrieg locker hineinpasst, fragt man sich, ob es nicht wirklich besser gewesen wäre, auf einen Plot einfach mal völlig zu verzichten und Angelina Jolie in erhabener Sinnlosigkeit über Stock und Stein ihren Parkour-Sport treiben zu lassen. Als Jane Fonda der Post-Aerobic und also adäquate Action-Heroine der Gegenwart. Aber nein. Hat nicht sollen sein. Wird, heißt es, fortgesetzt: Auf SALT I folgt, auch das ist wie früher, dann SALT 2.

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Daniel Bauer ist Gärtner im Berliner Botanischen Garten. Sein Chef ist nicht nett zu ihm. Jana hat am selben Ort einen Bürojob. Sie hat es auf Daniel abgesehen. Er scheint nicht zu wissen, wie ihm geschieht. Er geht, weil sie immer fragt, mit ihr etwas trinken, benimmt sich dabei etwas linkisch und seltsam. Seltsamer aber ist, was er hinterher tut: Er geht in den Park und schießt einen zufällig vorbeilaufenden Jogger tot. Das Gewehr hat er zuvor von Jägern gestohlen. Es wird nicht die letzte Tat dieser Art bleiben.

Thomas Sieben stellt diesen Mann ins Zentrum seines Debütfilms und lässt ihn komplett unerklärt. Er folgt ihm, manchmal mit sehr nah hinter ihm hergeführter Handkamera, mal mit etwas größerem Abstand. Ken Duken, der Daniel spielt (und den fördergeldfreien Film koproduziert hat), ist, will man dies Rätsel von einer Figur verstehen, keine wirkliche Hilfe. Kaum eine Rührung je in seinem Gesicht. Daniel buddelt Pflanzen in die Erde, er legt sich schlafen, er geht in den Wald, er schießt Menschen tot, er hat dann auch Sex mit Jana.

Sie steht durch dick und dünn Daniel zur Seite. Auch sie und der Grund für ihre sehr aufdringlichen Annäherungen an den meist schweigsamen Mann bleiben unerklärt. Nun erklärt sich allerdings eine erotische Anziehung allemal leichter von selbst als Daniels Menschen-im-Park-Totschieß-Hobby. Buch und Regie aber weigern sich konsequent, zu den Gründen etwas zu sagen. Nicht einmal, ob es dem Mann Lust bereitet zu töten, wird je wirklich klar. Höchstens sieht man, wie er frisches Blut zwischen den Fingern reibt: das scheint ihm nicht unangenehm.

Was Sieben verweigert, ist - so weit so gut - fernsehtypische Sofortpsychologie, also die Erklärung einer Pathologie durch dies Trauma oder jenes. So einfach macht er es sich nicht. Nur macht er es sich leider in Wahrheit noch einfacher, indem er schlicht gar nichts unternimmt, seine Figur in einen Rahmen zu stellen, der ihr Verhalten auch nur irgendwie plausibilisiert. Sie ist so ungefähr das Seltenste von der Welt (ein komplett motivloser Killer) und der Film erwartet, dass man das einfach so hinnimmt, solang der Mann nur immer geduldig gezeigt wird, in seiner Wohnung, im Wald, im Bett mit der Jana, im Botanischen Garten. (Immerhin: Daran, dass sich mit Liebe alles überwinden lässt, glaubt der Film nicht.)


Von ferne erinnert "Distanz" - nicht nur, weil Franziska Weisz hier wie da die weibliche Hauptrolle spielt - an Benjamin Heisenbergs sehr viel gelungeren Film "Der Räuber". Beide Male Männer, die schweigen wie Gräber und töten wie Mörder. (Der Räuber rennt noch dazu wie ein Irrer, der Gärtner gräbt wie ein Blöder.) Heisenberg jedoch greift einen wahren Fall auf, nähert ihn einem Genrezusammenhang an und verankert, auch wenn er gleichfalls auf einfache psychologische Erklärung verzichtet, seine Figur nach Möglichkeit im Konkreten. "Distanz" dagegen bleibt auf Dauer abstrakt und merkwürdig uninteressiert an seiner Figur, die von Anfang bis Ende den Eindruck macht, einer habe sie sich ausgedacht, um etwas - nur lässt sich nicht sagen, was genau - zu beweisen. Im luftleeren Raum tut sie seltsame Dinge und bekommt Gesellschaft dabei nur von einer Frau, die sich ebenfalls schwer begreiflich verhält. Unbeteiligt sieht die Nähe behauptende Kamera dabei zu. Der Zuschauer tut es auch und zuckt mit den Schultern.

Salt. USA 2010 - Regie: Phillip Noyce - Buch: Kurt Wimmer - Darsteller: Angelina Jolie, Liev Schreiber, Chiwetel Ejiofor, Daniel Olbrychski, Andre Braugher, Yara Shahidi, Victor Slezak, Zoe Lister Jones, Gaius Charles, Corey Stoll, Cassidy Hinkle, Nicole Signore

Distanz. Deutschland 2008 - Regie und Buch: Thomas Sieben - Darsteller: Ken Duken, Franziska Weisz, Josef Heynert, Jan Uplegger, Karsten Mielke, Lars Jokubeit, Stefan Puntigam, Sigo Heinisch, Boris Methner