Im Kino

Wer nicht ins Bild passt

Die Filmkolumne. Von Stefanie Diekmann
08.11.2017. Beim DOK Leipzig wurde Empathie mit Pegida eingefordert oder Schuld über die Verbrechen im Kongo verhandelt. Die besseren Filme des Festivals haben autoritäre Zuweisungen vermieden. Zum Beispiel David Spaeths Film "Betrug".
Wenn das Leitungsteam von DOK Leipzig der Ansicht ist, dass ein bestimmter Film von Interesse für die so genannte allgemeine Öffentlichkeit sein könnte, dann wird dieser Film gerne für ein Sonderprogramm in der Osthalle des Hauptbahnhofs ausgewählt. Die Filmreihen, die sich daraus ergeben, sind weniger eklektizistisch, als es auf den ersten Blick scheinen mag, da sie fast immer von den Themen Familie (2017: "Betrug", "Mum's Hair"), Kinder ("Muhi"), Identitäten ("Deine Fremde") sowie dem didaktisch und diskursiv ergiebigen Themenkomplex "Wir und die anderen" dominiert werden.

Dass die allgemeine Öffentlichkeit längst nicht mehr allgemein ist und unter anderem durch recht kontroverse Interpretationen der Begriffe "wir", "die" und "anders" gespalten, war an einem Abend der letzten Woche zu beobachten, an dem das Festival die Vorführung des Films "Montags in Dresden" (D 2017) angesetzt hatte. "Montags in Dresden" ist eine Produktion des MDR, der zu den zentralen Kooperationspartnern von DOK Leipzig gehört und deshalb fast immer einen Beitrag im Festivalprogramm zeigt. Meistens keinen guten und schon zum zweiten Mal einen Film von Sabine Michel, die als Regisseurin auf die DDR und deren Nachgeschichte abonniert ist und jetzt einen Film über die Pegida-Bewegung gedreht hat. Über die viel zitierten Menschen dahinter. Und über deren ebenfalls sehr viel zitierte Sorgen und Ängste, von denen meistens dann gesprochen wird, wenn es nicht um die Positionen gehen soll, um die Parolen und um das, was am Montagabend in Dresden so auf den Transparenten steht.


Sabine Michel: Montags in Dresden.

Am Abend der Filmvorführung übte Pegida dann multiplizierte Präsenz: solistisch und massenhaft; auf der Leinwand, auf den Stühlen in der Halle und draußen vor den Türen; als Zuschauer, als Demonstranten und in Gestalt des Protagonisten René Jahn, der sichtlich bemüht war, die Regie über den Abend zu übernehmen. Es blieb dann bei einem eingehegten Auftritt und bei der Rede vom Reden müssen, miteinander und mit den Pegida-Anhängern; und dass daraus ziemlich zuverlässig ein ziemlich unangenehmer Film entstehen muss, lässt sich an "Montags in Dresden" ganz gut studieren.

Überhaupt kann als eine der Regeln der Programmierung gelten, dass die Dokumentarfilme, die alle sehen wollen, selten zu den besten des Festivals gehören. Es menschelt, wie im Fall der MDR-Koproduktion, die in einer klugen Kurzkritik mit den Worten "Pegida privat" kommentiert wurde (man schließt Bekanntschaft und verbringt gemeinsame Zeit in Küchen, Sitzgruppen und beim Winterspaziergang im Schnee). Oder es wird autoritativ, wie im Fall des Beitrags "Das Kongo Tribunal", der die Interpretation einer Geschichte krimineller Ausbeutung scheinbar zur Disposition stellt und doch alles zugleich sein will: ein Dokumentation über die Exploitation von Menschen und Ressourcen in der Demokratischen Republik Kongo, eine Investigation, ein Making Of und zugleich Mitschnitt eines jener Tribunale, die der Regisseur Milo Rau zum Standardformat seiner historiografischen Aufarbeitungen entwickelt hat.


Milo Raus: Das Kongo-Tribunal. Foto: DOK Leipzig

Mit dem Dokumentarfilm in seiner weniger sympathischen Form ist das Format des Tribunals sehr kompatibel. Die personalisierte Geschichte, die exponierten Akteure, die Zuordnung von Schuld und Mitschuld, das Spektakel einer öffentlichen Verhandlung, die auf die Schließung sehr komplizierter Fragen ausgerichtet ist: "Das Kongo Tribunal" informiert im Abspann darüber, dass man zwei Minister der DRK kurz nach Durchführung der fiktiven Tribunale von ihren Posten entfernt habe. Wer dann noch Fragen anmeldet, ist tendenziell ein Spielverderber der guten Sache, die in der Aufklärung, Orientierung des Publikums und in der Herstellung maximaler Übersichtlichkeit besteht.

"Betrug", der Eröffnungsfilm der diesjährigen Ausgabe von DOK Leipzig und ebenfalls Teil des Programms in der Osthalle, ist deshalb ein interessanter Beitrag, weil Sitzgruppen und kriminelle Aktivitäten zwar auch dort eine zentrale Rolle spielen, die Verteilung von Empathie (Dresden) und Schuldzuweisung (Kongo) jedoch in mehr als einer Hinsicht irritiert wird. Das bekannte Diktum, dass Dokumentarfilme vom Leben der anderen Hälfte handeln ("How the Other Half Lives"), und zwar: der armen, muss für "Betrug" dergestalt adaptiert werden, dass die Paare, die in dem Film von David Spaeth auf ihren gepflegten grauen Sofas sitzen, nicht arm sind. Sie erscheinen vielmehr sehr wohlhabend, und selbst, wenn sie es nicht durchweg sein sollten, partizipieren sie an der saturierten Gewissheit einer Upper Middle Class, die mit viel Selbstverständlichkeit über Geld, Bildung, Ressourcen, über soziale Netzwerke und Kompetenzen und nicht zuletzt über die In- und Exklusion derjenigen verfügt, die Zutritt zur Middle Class begehren.


David Spaeth: Betrug. Foto: DOK Leipzig

Die Geschichte, die in "Betrug" aus der Mitte der Sofas, in wohlgesetzten Worten und sorgfältig kadriert erzählt wird, beginnt mit einer Inklusion. Und mit vielen Statements über den damaligen Auftritt von Basti, der allein auf einem anderen Sofa hockt, das ebenfalls grau ist und dennoch nicht ganz ins Bild passt, so wie es auch in den Statements viel darum geht, dass Basti nicht ins Bild passte, von Anfang an nicht, womit man sich damals aber nicht lange aufgehalten habe. Basti, seinerseits, gibt Auskunft über seine Beobachtungen am Leben der Anderen, die er studiert und manipuliert hat, und es liegt sehr nahe, zwischen dieser Aktivität der genauen Beobachtung, der Intervention und des nachhaltigen Eingriffs in Soziotope eine Verbindung zu dem herzustellen, woraus sich dokumentarische Filmpraxis zusammen setzen kann. "Betrug", seit der ersten Vorführung kontrovers diskutiert (Psychogramm, Gruppentherapie, Wohlstands-Zoo oder restaurative Anstrengung?), etabliert diese Verbindung post festum, nach der Party, die für Basti nicht gut zu Ende gegangen ist. Der Schuldspruch, die Empathiefrage werden darüber eher zweitrangig, und das ist keine schlechte Voraussetzung für die Sichtung der vielen kleinen, klugen Film, die das Programm von DOK Leipzig auch in seiner sechzigsten Ausgabe versammelt.

Im Internationalen Wettbewerb hat Ana Dumitrescus Film "Licu, a Romanian Story" die Goldene Taube gewonnen, im Deutschen Wettbewerb "Muhi - Generally Temporary" von Rina Castelnuovo-Hollander und Tamir Elterman. Alle Preisträger hier.