Im Kino

Zum Helden regrediert

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer
12.08.2009. In atemberaubender Konzentration zeigt Kathryn Bigelows "Tödliches Kommando" den Irak als Zone, in der Männer nach der Lebensgefahr süchtig werden. Der Videokünstler Steve McQueen gestaltet in seinem ersten Spielfilm "Hunger" das Schicksal des IRA-Kämpfers Bobby Sands als Triptychon.


"Tödliches Kommando" nimmt keinen Anlauf, sondern versetzt sich, seine Protagonisten und die Zuschauer unversehens nach Bagdad. Sonne, eine breite Straße mit wenigen Menschen, hier und da einer am Rand, auf der Straße ein verdächtiger Gegenstand. Diesem nähert sich das Bombenentschärfungs-Team der US-Armee. Ein Mann wird in der Hitze in einen Schutzanzug gesteckt, dem man ansieht, dass er im Zweifel nicht hilft, sondern eher etwas wie ein Symbol ist für die Bewegung in feindlicher und lebensgefährlicher Umgebung: ein Mann auf dem Mond. Er macht kleine Schritte, nicht für die Menschheit, sondern für George W. Bush.

Diesen Kontext jedoch, Gründe des Krieges, seine politischen Implikationen, seine Auswirkungen in der Heimat und an anderen Orten, blendet Kathryn Bigelows Film konsequent aus. Er will nur zeigen, was es heißt, im Feindesland vor Ort zu sein. Und noch den Feind und seinen Blick auf die US-Invasoren, blendet "Tödliches Kommando" recht weitgehend aus. So weit jedenfalls, dass nur jene eine Perspektive bleibt, die die Soldaten betrifft: Man sieht die Hand, die zum Handy greift, um durchs Eintippen eines Codes die Bombe in die Luft gehen zu lassen. Man sieht den Mann, der vom Balkon auf die Straße blickt, wo er offenkundig die Bombe gelegt hat. Man sieht Menschen auf Balkonen, die einander Zeichen geben, die man zwar nicht versteht, die aber kaum etwas Gutes verheißen. Alles ist für die Männer, von denen "Tödliches Kommando" erzählt, Drohung. Die ganze Welt im Irak ist potenziell Hinterhalt. Jeder Kontakt mit den Bewohnern des Landes kann der letzte sein. Vertrauen an falscher Stelle ist tödlich. Und es gibt fast ausschließlich falsche Stellen.

Spezifisch für den Irakkrieg, bzw. dessen frühe Phase, ist der Film trotz der massiven Ausblendungen, die er vornimmt, in dieser Hinsicht: Die Männer, die George W. Bush als Befreier ins Land geschickt hat, werden von dessen Bewohnern gehasst. Und sie stellen sich darauf ein. Sie verschanzen sich im eigenen Lager, das eine Festung ist. Wie scharf die Eingänge als Schleusenpunkte befestigt sind, muss Staff Sergeant William James (Jeremy Renner), der Held des Films, am eigenen Leib erleben. Ein einziges Mal geht er auf eigene Faust hinaus in die Stadt. Ein einziges Mal folgt er einer Sympathie, die einem Einheimischen gilt. Mit niederschmetterndem Ergebnis. Er flieht zurück in den Schutzraum, in dem es zwar Konflikte zwischen Kameraden gibt. Innen aber weiß man, wo die Linien verlaufen. Außen ist Kommunikation selbst als Auseinandersetzung so gut wie unmöglich.


"Tödliches Kommando" ist ein Film über Zonen. Da ist das US-Lager als Raum des Vertrauens und gleichzeitig der Regression. Hier stellt man die Gefahren, die man gemeistert hat, in einer Kiste unter sein Bett. Unter den Zündern, die James da gesammelt hat, findet sich auch sein Ehering: Dieser Mann, der mit viel Bravado 877 Bomben entschärft hat, ist zu menschlich-alltäglichen Beziehungen nicht in der Lage. Zum Innen des Krieges gibt es für ihn nirgends ein Außen. Er ist einer, der nicht bei Frau und Kind, sondern nur in selbst gewählter Lebensgefahr sein Zuhause hat. Diesen einen Ausfallschritt ins Psychologische unternehmen Bigelow und ihr Drehbuchautor Mark Boal. Dessen Buch beruht auf Erfahrungen, die er als embedded journalist im Irak machte. Der Film lässt, nur konsequent, sehen, was man ihn sehen ließ: in radikal beschränkter Perspektive.

Und die Meister-Action-Regisseurin Kathryn Bigelow setzt mit immensem handwerklichen Können die Beschränkung um in atemnehmende Konzentration. Der Film ist eine im Countdown heruntergezählte Kette bedrohlicher Situationen, mit kurzen zwischenmenschlichen Intermezzi, die die Handelnden knapp, aber so präzise konturieren, dass sie uns als Sympathieträger mit in die Lebensgefahr ziehen. Bigelow verweigert das Bombardement des Zuschauers mit hoch fragmentierten Bildern und sourround-getuneten Tönen, wie man es aus dem zeitgenössischen Blockbuster-Kino kennt. Klar entwirft sie ihre Bedrohungsräume. Gekonnt gesetzt ist jeder einzelne Blickwechsel und Schnitt. Die Perspektive wechselt fluide, aber niemals beliebig. Die Blicke der Kamera tasten einen Raum ab, dem in der Intensität dieses Abtastens Atmosphäre erwächst. Rasche Schnitte, die Handkamera, der gelegentliche Umschnitt auf die Subjektive mit dem Atem im Schutzanzug als Begleitgeräusch: all das suggeriert sehr filigran die Omnipräsenz von Ungewissheit. (Er herrscht in diesem Film ein atemberaubender Mangel an Plumpheit.)

In der Bewährung unter Lebensgefahr werden, andererseits, die Soldaten zu Helden. Das ist unvermeidlich und darauf will das Buch auch hinaus. Es bleibt aber bei der Heldenverehrung nicht stehen, sondern diagnostiziert die Lust an der existenziellen Situation als potenziell pathologisch. "Der Krieg ist eine Droge" lautet - als Zitat des Journalisten Chris Hedges - das Motto des Films. Was das heißen kann, führt "Tödliches Kommando" an seiner Hauptfigur Will James exemplarisch vor: Seine Welt kennt kein Außen, keine Rückkehr ins Alltägliche mehr. Er ist zum Helden, der weniger todesmutig als tollkühn in der Zone des Todes hoch effektiv operiert - nicht etwa geboren, sondern rettungslos regrediert.

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"Hunger", das Spielfilmdebüt des Videokünstlers Steve McQueen, erzählt eine wahre Geschichte aus den finstersten Zeiten des Nordirland-Konflikts. Die wahre Geschichte des IRA-Mannes Bobby Sands, die im Jahr 1981 spielt, entfaltet der Film nach einem kurzen Prolog in der Außenwelt zum Triptychon in drei sehr unterschiedlich konzipierten Altarflügeln, vom Betreten der Hölle zur Auffahrt in die Märtyrergeschichte. Diese drei, im Film aufeinander folgenden Flügel seien hier kurz beschrieben:



Auf dem linken Flügel sehen wir den Eintritt von Sands (Michael Fassbender, zu allem bereit) in den Raum, in dem er die Hoffnung fahren zu lassen schnell lernt, einen Raum, aus dem er auf dem Weg, auf dem lebende Menschen Räume verlassen, nicht mehr entkommen wird. Sands kommt in den Knast. Man sperrt ihn, als er sich weigert, die Anstaltskleidung zu tragen, mit einem anderen Gefangenen nackt, nur im härenen Überwurf, in eine Zelle. Sie hat ein Fenster zum Licht, ist selbst aber umso mehr ein Reich der Dunkelheit, darin die Grenzen, deren Aufrechterhaltung das Menschliche ausmacht, zerfließen. Das ist wortwörtlich und buchstäblich zu verstehen. Alles, was Gestalt war, wird hier zersetzt in Teile von Körpern, in Schläge, in bloße zerstörerische Bewegung. Im Gegenzug gewinnt das Zersetzte neue, andere, in seiner Schönheit groteske Gestalt. Wieder und wieder mustert die Kamera die eigentümliche Kreise und Ornamente an der Wand: Sie sind, wie man bald begreift, nichts anderes als verschmierte Scheiße. Nicht nur die Fäkalien, sondern auch die Nahrung erscheint merkwürdig amorphisiert, ein Brei von grenzwertiger Stofflichkeit, der etwa an die Materialstudien des Künstlers Dieter Roth gemahnt. Alles ist auf diesem dunklen, wie durch tiefrot getönte Kirchenfenster beleuchteten linken Flügel des Films auf seine Materialität reduziert. In einer lang ausgespielten Szene tönt auf dem leeren Gefängnisflur, von dem die Pisse gewischt wird, aus dem Radio die Stimme Margaret Thatchers hinein in die Hölle. Es muss die Stimme des Antichrist sein.



Auf dem mittleren Flügel sehen wir zunächst aus mittlerer Distanz die folgende Einstellung: An einem Tisch im Gesprächszimmer des Gefängnisses sitzt, mit nacktem Oberkörper, links Bobby Sands, rechts ein Priester, der frühere Protestaktionen der IRA unterstützt hat. Den Plan, den Sands nun entfaltet, hält er jedoch für reinen selbstmörderischen Wahnsinn. Geplant ist ein Hungerstreik, der fortgesetzt wird, bis die Thatcher-Regierung einlenkt. Anfänglich geht der Dialog zwischen den beiden, das eigentliche Thema vermeidend, hin und her. Die Kamera bleibt starr und ergreift keine Partei. Wie Pingpong-Bälle fliegen die Dialoge. Dann aber geht es zur Sache. Du machst dich zum Anführer eines Himmelfahrtskommandos, ich kann dich dabei nicht unterstützen.Scharf kritisiert der Priester den zu allem entschlossenen Sands. Dann macht die Kamera einen Schnitt auf das Gesicht des Gefangenen, der nun eine Geschichte, eine Art Gleichnis, aus seiner Kindheit erzählt. Es geht um ein verletztes, Schmerzen leidendes Fohlen, das zu töten einst einzig Bobby Sands den Mut hatte. Während er dieses Gleichnis erzählt, verbleibt die Kamera die ganze Zeit auf seinem Gesicht. Sie ergreift Partei, was nur noch deutlicher wird, wenn sie zuletzt doch noch einmal kurz umschneidet auf den Priester: Der hat nichts zu entgegnen, sitzt am Tisch und schweigt. Damit ist das Schicksal des Bobby Sands besiegelt.

Auf dem rechten Flügel erleben wir Bobby Sands' Tod, Auferstehung und Himmelfahrt. Eine Transsubstantiation des Körpers, der hier in der Art seiner Inszenierung zum sakralen Körper wird - die Frage, wie er als eben solcher politisch noch oder gerade wieder funktionalisierbar wäre, lässt "Hunger" offen. Während er auf dem linken Flügel kein Subjekt mehr war, sondern die Erniedrigung selbst, abjekt im Abjekten, während er im Mittelflügel seine Diskursivität und eine politische Position wiedererlangte, wird der Körper von Sands nunmehr zum Märtyrerkörper in möglicherweise machtvoller Passivität. Mit offenen Augen zeigt Steve McQueen, was es heißt, Hungers zu sterben. Mit bloßem Abmagern ist es mitnichten getan. Wir sehen die Wundmale an Sands Körper, wir sehen ihn Blut speien, wir sehen ihn umkippen, wir sehen seine Visionen von auffliegenden Vögeln. Also sehen wir Sands einerseits elend verenden. Gefilmt aber ist das in fast stummer Abfolge von seltsam lichten Sequenzen. Der Film, der nun ganz und gar mit Sands selbst identifiziert ist, verklärt den sterbenden Körper des IRA-Kämpfers. Willig folgt er ihm, in idyllischen Kindheitsvisionen, aus dieser in eine andere Welt.

Die historischen Fakten, wie sie in Chroniken verzeichnet werden, sind reduziert auf den Vor- und den Abspann. Einzig die Stimme des Antichrist ertönt im dritten Flügel des Triptychons ein weiteres Mal.

Tödliches Kommando. USA 2008 - Originaltitel: The Hurt Locker - Regie: Kathryn Bigelow - Buch: Mark Boal - Darsteller: Jeremy Renner, Anthony Mackie, Brian Geraghty, Guy Pearce, Ralph Fiennes, David Morse, Christian Camargo, Suhail Aldabbach

Hunger. Großbritannien / Irland 2008 - Regie: Steve McQueen - Buch: Steve McQueen, Edna Walsh - Darsteller: Michael Fassbender, Liam Cunningham, Stuart Graham, Laine Megaw, Brian Milligan, Liam McMahon, Karen Hassan, Frank McCusker