Im Kino

Die beste aller Liebesoptionen

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Michael Kienzl
20.12.2017. Da das tagesaktuelle Kino diese Woche wenig hergibt, wirft die Kinokolumne einen Blick nach Wien. Das Programm des dortigen Filmmuseums würdigt derzeit das Schaffen von vier Regisseurinnen des populären amerikanischen Kinos: Kathryn Bigelow, Lizzie Borden, Amy Heckerling und Susan Seidelman. In den nächsten Tagen laufen zwei Lieblingsfilme von Perlentaucher-Autoren: Amy Heckerlings "Clueless" und Kathryn Bigelows "Blue Steel".


Looking out a dirty old window
Down below the cars in the city go rushing by
I sit here alone and I wonder why

Friday night and everyone's moving
I can feel the heat but it's soothing, heading down
I search for the beat in this dirty town


Vom Dreck, den die erste Strophe von "Kids in America" der Muffs beschwört, ist nichts zu sehen in der von ihr untermalten Montagesequenz, die am Anfang von Amy Heckerlings Jane-Austen-Adaption "Clueless" steht. Stattdessen sieht man junge, schöne Menschen, die im Cabrio durch die Gegend cruisen, Shoppen gehen und Partys feiern. Freilich ist der Widerspruch zwischen den lyrics und den Bildern nur ein scheinbarer: Der fröhliche, südkalifornische Fun-Punk auf der Tonspur will gar nicht auf echten Schmutz heraus, sondern bezeichnet lediglich den inneren Zustand der Pubertät. Gleich darauf setzt ein Voice-Over-Kommentar ein:

Okay, so you're probably going, "Is this like a Noxzema commercial or what?" But seriously, I actually have a way normal life for a teenage girl.

Noxzema ist eine Hautcreme. Die Stimme, die gefühlt die halbe Filmlaufzeit über munter drauflos plappert, gehört Cher (Alicia Silverstone), einem hochgewachsenen, blonden Teeniemädchen, das wir am Ende der ersten Montagesequenz in ihrem Schlafzimmer vor dem Spiegel sitzend vorfinden. Damit ist das Zentrum der großartig orchestrierten modischen, musikalischen und linguistischen Kakophonie definiert, die "Clueless" durchaus auch - und von ganzem Herzen - ist: Cher und ihr Selbstbild, daraus leitet sich alles Weitere ab. An Tempo verliert der Film im Folgenden kaum. Wenn die Hauptfigur sich von ihrem Spiegelbild abwendet, folgt gleich eine zweite, nur etwas gemächlichere Montagesequenz, die uns auf einer kurzen Tour durch ihren Alltag mitnimmt: Erst die Wahl der Garderobe, zusammenkomponiert am Computer-Touchscreen (in der Beknacktheit dieser Idee, nicht in dem Computerprogramm selbst, schlägt sich rückblickend der Zeitgeist der 90er nieder), dann die ausladende Freitreppe herunter in die Küche, ein kurzes Frühstücksgespräch mit dem Vater, dann im eigenen Auto (aber ohne Führerschein) zur Schule, auf dem Beifahrersitz die beste Freundin Stacey (Dionne Davenport), die einen absurden Hut durch die Gegend trägt. In der Schule wiederum kommt es vor allem darauf an, beim Gang über den Pausenhof eine gute Figur zu machen. Die Noten sind für eine wie Cher grundsätzlich Verhandlungssache.



Eigentlich besteht "Clueless" fast nur aus Montagesequenzen - die bei Amy Heckerling allerdings, ähnlich wie bei Martin Scorsese, nicht etwa billige Shortcuts sind, sondern sorgfältig gestaltete Verdichtungen. Und die sich außerdem als erstaunlich flexibel erweisen: Eben noch will der Bilderfluss kaum mehr, als auf einer Partys ein paar neugierige Seitenblicke auf harmlos enthemmt feiernde Jugendliche aneinander zu reihen, aber wenn es anschließend darum geht, wer wen nach hause fährt, dann ist der Film plötzlich hochkonzentriert - weil es für Cher eben momentan auf der Welt kaum etwas wichtiger gibt als die Frage, ob es ihr gelingt, ihre Freundin Tai (Brittany Murphy) mit Elton (Jeremy Sisto), einem der beliebtesten Jungs aus ihrer Schule, zu verkuppeln.

"Freundin" ist andererseits zuviel gesagt, oder zu wenig, je nachdem. Tatsächlich ist Tai für Cher ein "project": Sie hat sich vorgenommen, dem neu zugezogenen, zunächst naiv anmutenden Mädchen den Schlabberlook und auch die Vorliebe für kiffende Skateboardjungs (Breckin Mayer als - allein der Name! - Travis Birkenstock; eine schöne Nebenrolle, die offensichtlich an Sean Penns legendären Jeff Spicoli in Heckerlings Debüt "Fast Times at Richmond High" angelehnt ist) auszutreiben. Meine Lieblingsmontagesequenz in "Clueless" ist denn auch ein "makeover", in dem es vorderhand darum geht, dass Cher und Stacey Tai ordentlich aufpreppen, sie in ihresgleichen zu verwandeln versuchen. Vergleichbare Szenen, allesamt Variationen des Pygmalion-Motivs, gibt es oft in Teeniefilmen, aber in diesem Fall ist der Witz an der Sache, dass Tai sich durch den neuen look fast gar nicht verändert. Was an ihr eigensinnig und widerständig ist, bleibt erhalten. Zum einen betrifft das ihre gesteigerte, unzähmbare Lebendigkeit, zum anderen und noch wichtiger ihr Gesicht, das vorher wie hinterher an einen Knautschball erinnert: Rund und elastisch ist es, und jede innere Regung ergreift von ihm sofort und zur Gänze Besitz.

Brittany Murphy gehört, sobald sie auftaucht, die volle Aufmerksamkeit des Films. Oft ist sie in der Bildmitte platziert, und wird seitlich von Cher und Stacey eingerahmt. Die beiden sind zweifellos hübscher als sie, aber der Blick bleibt dennoch stets an Tai hängen, weil sie in dieser Anordnung das bewegliche Element ist. Ihr Geheimnis ist die eigene Formbarkeit. Dem Druck, den ihre Begleiterinnen auf sie ausüben, hält sie gerade nicht stand; sie gibt ihm nach - und beharrt gerade im Akt des Nachgebens auf der eigenen Einzigartigkeit. Sicher: Das kann man auch konventioneller als Cuteness beschreiben, und als solche ist das sicher auch eine Taktik (und zwar gleich in zweifacher Hinsicht: innerdiegetisch von Tai, außerdiegetisch von Heckerling), aber das ändert nichts an der Effektivität von Murphys Spiel.



Wenn Tai die nassen Haare, aus der ihr die Freundinnen gerade die rote Farbe herausgewaschen haben, enthusiastisch nach hinten wirft, und sich wild lachend trockenrubbeln lässt, oder wenn sie bald danach, in selbstvergessener Pose auf der Coach fläzend, das aus dem Fernseher plärrende Mentos-Werbelied mitsing, dann wirkt das nicht wie eine erarbeitete Performance, sondern wie ein Naturereignis, zu dem man sich gar nicht anders als staunend verhalten kann. Kurzum: Tai platzt wie eine Bombe in den Film und es dauert eine ganze Weile, bis Cher sich von dieser Detonation erholt und sich daran macht, die Hoheit über den Bildraum wiederzugewinnen. Glücklicherweise bleibt der Wettstreit zwischen den beiden nur ein Handlungsstrang unter vielen, "Clueless" artet nie zum Zickenkriegsfilm aus, der Konkurrenzkampf nimmt nie überhand, es überwiegt stets die Freude am gemeinsamen Jungsein.

Jungsein… und mit den Jungs sein. Einige der männlichen Schüler bleiben etwas flach, Elton etwa, oder auch der trotzdem nicht nur token gay Christian Stovitz (Justin Walker), der seine Marlon-Brando-Retropose so perfekt drauf hat, dass er ganz hinter ihr verschwindet. Super ist hingegen neben Mayer vor allem Paul Rudd als Josh Lucas, Chers Stiefbruder. Rudds Präsenz und Brillianz ist von ganz anderer Art als die von Murphy (und auch als die von Silverstone, die dem Film die Grundierung gibt und die hier nur deshalb nicht noch einmal eigens ausführlich gewürdigt wird, weil "Clueless" in gewisser Weise ohnehin mit ihr identisch ist), er ist von Anfang an da, aber lange im Hintergrund, als Nachsatz: ...und dann gibt es da noch meinen komischen, Nietzsche lesenden Stiefbruder. Aber er ist eben auch die Konstante, die bleibt, wenn alles andere sich verändert. Rudd ist vermutlich der beste Schauspieler seiner Generation, und man sieht das schon in "Clueless". Zum Beispiel daran, dass er es schafft, gut auszusehen, obwohl sein unglücklicher Bartversuch durchaus zurecht mit Schambehaarung verglichen wird. Und auch daran, dass er zwar die souveränste Figur spielt, aber gleichzeitig das Unfertige am Jungsein am besten darzustellen weiß.

Joshs linkische Arroganz schmilzt so langsam und unaufdringlich dahin, dass man am Ende, gemeinsam mit Cher, hinterrücks überwältigt wird von seiner Wandlung vom kauzigen Streber zur besten aller möglichen Liebesoptionen. Noch mehr als der restliche Film verweist der Cher-und-Josh-Handlungsstrang in seiner Dramaturgie der indirekten Offenbarung und der wechselseitigen Erziehung zweier Liebender auf die Verbindung von "Clueless" mit den Hollywoodkomödien der klassischen Ära. Man kann das verallgemeinern: "Clueless" wird immer noch viel zu häufig als "90er-Kultfilm" und dergleichen verunglimpft - in Wahrheit handelt es sich um eines der großen Komödienmeisterwerke der letzten Jahrzehnte, auf Augenhöhe mit den Screwball-Klassikern der 1930er.

Lukas Foerster

Clueless - USA 1995 - Regie: Amy Heckerling - Darsteller: Alicia Silverstone, Dionne Davenport, Paul Rudd, Brittany Murphy, Breckin Mayer, Justin Walker - Laufzeit: 97 Minuten.

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Die Pistole im Vorspann von "Blue Steel" wirkt wie eine riesige Skulptur. Langsam erforscht die Kamera das verschnörkelte Design und die schimmernde Oberfläche der Waffe, berauscht sich an ihrem kalten Glanz und ihrer bedrohlichen Aura. Gleich darauf sehen wir Megan (Jamie Lee Curtis), wie sie sich für ihre Ernennung bei der New Yorker Polizei vorbereitet. Es ist ein sorgfältig ausgeführtes Ritual, das der Film in einem bühnenhaften Gegenlicht zelebriert; wie die junge Frau ihr blaues Hemd zuknöpft, wie sie in die weißen Handschuhe schlüpft und mit einem entschiedenen Ruck die frisch geputzten Schuhe bindet. Dass Kathryn Bigelow solchen modischen Details soviel Aufmerksamkeit schenkt, ist mehr als reiner Ästhetizismus. Vielmehr betont die Inszenierung, dass wir einer Verwandlung beiwohnen, die für die Geschichte elementar ist. Denn jedes dieser Details ist ein Symbol für die Macht, nach der die ständig um Anerkennung ringende Heldin strebt.

Wenn Megan noch schnell ihre Polizeimütze vor dem Spiegel richtet und ihr dabei ein selbstbewusstes Lächeln übers Gesicht huscht, zeigt Bigelow mit einer kleinen Geste, welche Bedeutung der neue Job für ihre Protagonistin hat. Wir haben es mit einer Frau zu tun, die zwar eine beste Freundin aus Schultagen hat, ansonsten aber scheinbar weder Bekannte, noch ein Liebesleben. Ein Jahrzehnt nach John Carpenters "Halloween" verkörpert Jamie Lee Curtis erneut eine Außenseiterin, die lieber pflichtbewusst ihre Arbeit erfüllt, statt mit Jungs auszugehen. Würde man andere über Megan reden hören, fielen wahrscheinlich Begriffe wie burschikos, verschlossen und spröde. Und anstatt gegen diese Andersartigkeit anzugehen, wählt sie einen Beruf, der sie endgültig zum Sonderling macht. Als ihre beste Freundin sie auf einer Party mit einem Mann verkuppeln will, ergreift dieser die Flucht, sobald er von ihrem Job erfährt: "You're a beautiful woman. Why do you wanna become a cop?". Und Megan lässt es sich nicht nehmen, das schlechte Gewissen, das ihr Beruf bei Außenstehenden provoziert, mit einem gemeinen Scherz auszuspielen.

Es zeichnet sich bald ab, dass Megan ihre inneren Konflikte auch im Beruf austrägt. Die Polizei nimmt dabei eher eine metaphorische Bedeutung ein: Der Film versteht sie, ganz idealistisch gesehen, als Institution, die sich dem Kampf für Gerechtigkeit verschrieben hat. Die junge Frau will innerhalb dieser eher lieblosen Ersatzfamilie stellvertretend das erreichen, woran sie im Privaten gescheitert ist; den Schwachen helfen, weil sie ihre Mutter nicht vor häuslicher Gewalt schützen kann, und den Respekt bekommen, der ihr vom tyrannischen Vater versagt geblieben ist. Dann trifft sie plötzlich auf einen Mann, der in ihr jene furchteinflößende Gesetzeshüterin sieht, die sie gerne wäre: Als der psychopathische Trader Eugene (Ron Silver) unerkannt Zeuge wird, wie Megan einen Verbrecher erschießt, ist er sofort von ihrer vermeintlichen Kaltblütigkeit fasziniert - und beginnt das bodenständige Arbeitermädchen kurz darauf mit charmanter Hartnäckigkeit und einem romantischen Helikopterflug über die Skyline zu verführen.



"Blue Steel" erzählt von menschlicher Unzulänglichkeit und der daraus folgenden Lust nach Autorität. Obwohl man das antagonistische Verhältnis zwischen Megan und Eugene durchaus als Geschlechterkampf sehen kann - spätestens, wenn sich die beiden am Ende in einem von Bigelow gewohnt rasant inszenierten Showdown durch Downtown Manhattan ballern - vereint die beiden doch der Wunsch, ihre Selbstzweifel zu kompensieren, mit der Pistole als ultimativem Fetisch der Macht. Bevor der zurückgewiesene Eugene zum gekränkten Racheengel wird, sieht er in der Polizistin eine Gleichgesinnte, mit der gemeinsam er sich über andere erheben kann. Wie schließlich die Gefahr in Megans persönliches Umfeld eindringt, vollzieht auch der Film auf verschiedenen Ebenen einen Rückzug in die private Isolation - jedoch ohne, dass diese jemals heimelig wirken würde. Da wäre etwa der sphärische elektronische Soundtrack von Brad Fiedel, der uns mit seinem synthetischen Atmen wie in einen Kokon hüllt. Oder die höhlenartigen Autos, in denen sich die Figuren immer wieder von der kalten, regnernischen Nacht des Molochs New York abschirmen.

Obwohl "Blue Steel" nicht nur souverän durchgestylt ist, sondern sich auch durch seine narrative Konzentration und Geradlinigkeit auszeichnet, verbirgt sich in dieser Einfacheit noch genug Unausgesprochenes, um sie unergründlich und geheimnisvoll wirken zu lassen. Allein über den Einsatz der Waffe als Phallussymbol ließe sich eine Dissertation schreiben. Dass Geschlechterpolitik im Film eine Rolle spielt, zeigt sich etwa daran, wie die traditionellen Rollenbilder des Thrillers neu variiert werden. So darf Megan einmal ihren Vorgesetzten und späteren Liebhaber wie eine Damsel in Distress aus einer brenzligen Situation befreien. Aber Bigelow belässt es nicht bei der feministischen Pointe. Ihr Film wirkt universeller, weil er auch das Leben einsamer Großstädter und die Abgründe der 80er-Jahre-Lifestyles im Blick hat. Dass sich ein psychopathischer Serienmörder unerkannt zwischen Wall Street, Fitnesstudio und Sternerestaurant bewegen kann, lässt die Yuppie-Kultur wie eine einzige Perversion wirken. Dabei scheint es vor allem der ständige Leistungsdruck zu sein, der Ron Silver den Wahnsinn in sein harmloses Teddybär-Gesicht treibt.

Das Spiel um die Dominanz hat Megan am Ende gewonnen, ohne, dass sich das wie ein Triumph anfühlen würde. Aber immerhin ist sie, dem Hollywood-Credo entsprechend, erwachsener geworden. Und auch das manifestiert sich in modischen Details: Die oberen Knöpfe des blutverspritzten Polizeihemds sind nun geöffnet und das fransige Pony, das ihr zu Beginn noch mädchenhaft in die Stirn hing, hat sich zu einem reiferen Seitenscheitel geformt.

Michael Kienzl

Blue Steel - USA 1990 - Regie: Kathryn Bigelow - Darsteller: Jamie Lee Curtis, Ron Silver, Clancy Brown, Elizabeth Peña, Louise Fletcher, Philip Bosco - Laufzeit: 102 Minuten.

Die beiden Filme sind Teil der Retrospektive "Bigelow & Co.", die noch bis zum 4.1.2018 im Österreichischen Filmmuseum zu sehen ist. "Clueless" läuft am 22.12. um 18:30 Uhr, "Blue Steel einen Tag vorher, am 21.12. ebenfalls um 18:30 Uhr. Mehr Informationen zur Reihe finden sich hier.