Im Kino

Zärtlicher Abschied

Die Filmkolumne. Von Janis El-Bira, Patrick Holzapfel
13.12.2017. In Rian Johnsons "Star Wars: Die letzten Jedi" sind alle Figuren mit einer Schattenseite ausgestattet. Dennoch setzt sich im Zweifelsfall das Prinzip Milchkuh durch. "Meine schöne innere Sonne" von Claire Denis mit der hinreißenden Juliette Binoche begibt sich auf den Spuren Roland Barthes' auf eine Flanerie durch die Wege des Liebens und Begehrens. Die Botschaft des Films aber wird von Gérard Depardieu ausgesprochen.

Die Suche nach neuen Helden in alten Mustern und alten Helden in neuen Mustern geht weiter: Wie im direkten Vorgänger, "Das Erwachen der Macht", an den "Die letzten Jedi" nahtlos anknüpft, machen sich die Macher hinter "Star Wars" auf die buchstäbliche Suche nach dem Funken, der in den Augen von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen ein Staunen auslöst. Inhaltlich wird dieser Funke Hoffnung genannt und vor allem durch die Figur und den Mythos Luke Skywalker am Leben erhalten. An ihn und seine Strahlkraft klammert sich der mit dem Rücken zur Wand stehende Widerstand um seine Schwester Leia (Carrie Fisher). Dabei entsteht ein andauerndes Zerren und Ziehen zwischen den in der Space-Saga so oft divergierenden Ideen einer Rückkehr und einer Abkehr.

Auf einer anderen Ebene suchen natürlich auch die Produzenten nach dem träumenden Staunen in den Augen der Kinozuseher. Der Funke Hoffnung ist in diesem Fall ein Dollarzeichen oder auch die fette Milchkuh, die Disney bis zum letzten Tropfen melken will. Dass dabei nicht nur bezüglich der vom Studio geforderten Extrazahlungen von Kinobetreibern dasselbe Verhalten an den Tag gelegt wird, das auch die böse Erste Ordnung im Film zelebriert, muss zumindest bemerkt werden. Am Ende bleibt "Star Wars" immer eine aufgeblasene Technik-Oper, die mit den Mitteln eines Imperiums vom Widerstand und den großen Träumen eines egozentrischen Weltbilds erzählt. Es ist spannend, wenn man einen kurzen Vergleich mit einem anderen SciFi-Blockbuster-Sequel des Jahres wagt: Wird nämlich in "Blade Runner 2049" die Idee des außergewöhnlichen, besonderen, zu Großem bestimmten Ich weggewischt, so existiert sie in "Die letzten Jedi" wie ein allumfassendes Mantra, das durchaus mit der Arbeitsweise von Castingshows vergleichbar ist. Denn so ein bisschen spüren alle Talente dieser Erde doch ebenfalls die Macht in sich.

Im Gegensatz zu J.J. Abrams, der sich wie sonst nur Robert Zemeckis und Steven Spielberg auf die altbewährte Hollywood-Nostalgieformel "Zurück in die Zukunft" versteht, wirkt die Auseinandersetzung mit dem Funken und der Magie bei Rian Johnson in sich gebrochener. Wenn jeder "Star Wars"-Film auch irgendwie eine Kritik am jeweiligen Vorgänger ist, beziehungsweise eine Reaktion auf die Kritik, dann besteht die Aufgabe von Johnson darin, aus der herzbrechenden Nostalgie und dem Retro-Setdesign des Vorgängers neue Elemente zu gewinnen. So werden Laserschwerter weggeworfen, das Design der Raumschiffe erhält deutlich mehr Details, Masken werden entfernt und Geheimnisse als irrelevant weggewischt. Diese Tendenz hat in Hollywood spätestens seit "Casino Royal" Konjunktur, wo Daniel Craig auf die Frage, ob er seinen Martini lieber gerührt oder geschüttelt wolle, mit einem Schulterzucken reagierte. Der Unterschied zur Agentenreihe ist aber auch deutlich: "Star Wars" stellt neue Helden ins Zentrum und deren Kampf, sich in einer eigentlich vorgefertigten Welt neue Werte zu erkämpfen.

Das gilt für Rey (Daisy Ridley), etwas blasser als im Vorgänger auf den Spuren der Macht wandelnd, mit dem Herzen denkend und sich mit großem Glauben einen eigenen Weg suchend. Ebenso gilt das für Finn (John Boyega), den ehemaligen Stormtrooper, auf der Suche nach einem Platz, ängstlich davonlaufend und doch ausgestattet mit einem Herz am rechten Fleck. Es gilt aber auch für Poe (Oscar Isaac) und seinen beinahe schon mit Superheldenkräften ausgestatteten Droiden / rolling gag BB-8. Der Cockpit-Macho wird im Gegensatz zu seiner etwas arg leichten Sprücheklopferattitüde bei Abrams von Johnson deutlich mehr hinterfragt.

Am deutlichsten gilt diese Suche nach neuen Werten für den eigentlichen Protagonisten. Denn in Kylo Ren/Ben Solo (Adam Driver) spiegeln sich die Konflikte zwischen Rückkehr und Abkehr, Verbundenheit und Unabhängigkeit oder auch der Last der Vergangenheit und den Versprechen der Zukunft am dringlichsten. Eigentlich bei Skywalker ausgebildet, sich dann aber gegen ihn wendend, sich ge- und verführt von "Supreme Leader" Snoke nach und nach seiner Vergangenheit entledigend, führt er zusammen mit dem faschistoiden General Hux (Domhnall Gleeson) die Erste Ordnung an. Sie wollen selbst die letzten Keimzellen einer Hoffnung und eines möglichen Widerstands zerstören. Die Zerrissenheit in Kylo Ren zeigt sich etwa, als er es nicht fertigbringt, seine Mutter Leia zu töten.


Kylo Ren ist ein wenig wie Robert Ford, getrieben von Angst, Wut und dem leeren Ehrgeiz, jemand sein zu wollen. Immer wieder betont Johnson seine Unentschiedenheit und Dazwischenheit. Ein Dialog entsteht zwischen ihm und Rey, Spiegelungen, Grauzonen zwischen dem Bösen und dem Guten, alles hängt am seidenen Faden wie ein von zwei Seiten angezogenes Laserschwert in einer Szene in der Luft zwischen dem möglichen Guten und Bösen schwebt. Letztlich sind fast alle Figuren, selbst Luke Skywalker, mit einer Kehrseite ausgestattet. In manchen Augenblicken driftet "Die letzten Jedi" sogar in wahrhaftige Zweifel über die Grenzen zwischen dem Guten und dem Bösen (etwa, als ein von Benicio del Toro gespielter Codeknacker offenbart, dass der Widerstand seine Waffen bei den selben Händlern besorgt wie die Erste Ordnung), aber nur bis ein Kuss den Milchkuhzuschauern erklärt, um was es hier geht: das Prinzip der Verbindung (versinnbildlicht durch häufige Nahaufnahmen sich berührender Hände) gegen das Prinzip der Trennung (versinnbildlicht im Hass von tosenden Flammen im Weltall).

Verbindung ist das Stichwort für die Montagearbeit von Johnson. Statt Thom Andersens Credo vom Schnitt, der trennt und dem Ton, der verbindet, zu folgen, legt er wie schon in "Looper" einen anderen Ansatz vor: Schnitte verbinden. So springt er nicht nur in gewohnter Sternenkriegs-Manier durch Raum und Zeit, um waghalsige Parallelmontagen zu inszenieren, sondern führt auch den Schuss-Gegenschuss jenseits räumlicher Logik ins Star-Wars-Universum ein. Dieser hängt an einer neuen Form der Jedikraft, die man als Laie in diesen Sachen wohl als "Beamen" bezeichnen könnte. Dabei verbindet die Macht jene, die sie spüren, gleich einem Skype-Telefonat. Dadurch entstehen neue Einblicke und Illusionen gleichermaßen. Es ist offensichtlich, dass das das Prinzip der vom Film in einer an Terrence Malick erinnernden Sequenz evozierten Macht denselben Richtlinien der Verbindung folgt wie die Montage von Johnson. Die Kinomagie ist mit uns. Allerdings fügt Johnson, der auch zum ersten Mal Flashbacks, also Schnitte, die die Zeit verbinden, in einem "Star Wars"-Film anwendet, diesen Verbindungen immer wieder Risse zu. Mal werden Geschichten aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt, mal stellt sich heraus, dass ein scheinbar anwesender Körper gar nicht da ist.

Genau in diesen spannenden Momenten wackelt das Konstrukt von Johnson gewaltig, denn seine Tendenz zur Ambivalenz muss den Gesetzen des Marktes folgend letztlich doch zu eindeutigen Verhältnissen führen. So arbeitet sein Film zweifelnd und hadernd gegen das Staunen an, um es uns dann doch zu geben. Das schöne Schlussbild des Films, in dem der Funken dann tatsächlich bebildert wird, wirkt wie aus einem anderen Film. Aber so wie der Widerstand einfach nur für einen möglichen dritten Teil kämpft, so bezieht sich auch dieser Funken letztlich auf das Prinzip der Fortsetzung. Immer weiter muss man glauben, immer weiter muss man hoffen, immer weiter soll man kaufen.

Das alles bedeutet natürlich nicht, dass sich Freunde des Universums nicht über einige Wiedersehen freuen dürfen und der Plot sich nicht weiter mit direkten Verweisen und indirekter Strukturähnlichkeit an der Ursprungstrilogie orientieren würde. In erster Linie gilt das für die Rückkehr von Luke Skywalker, die am Ende von "Das Erwachen der Macht" als buchstäblicher Cliffhanger versprochen wurde und die sich in Form eines inneren Konflikts, der unter anderem an Christopher Nolans "Batman"-Reihe erinnert, etwas verzögert. Luke ist inzwischen eine Art Superheld in der Sinnkrise und lebt zurückgezogen auf seiner Jedi-Insel, die außer ihm von allerhand fantasievollen Gestalten bevölkert wird, was die eine oder andere humorvolle Szene ermöglicht. Auch Leia hat man noch nie so präsent wahrgenommen und vieles im Film wirkt wie ein zärtlicher Abschied für Carrie Fisher. Ein Abschied, der natürlich wie fast alles bei Star Wars von Rückkehr geprägt ist. Die essenziellen Dinge leben in Funken weiter, sie verbinden sich über Raum und Zeit hinweg, sie behaupten ständig ihre eigene Bedeutung und rühren in ihrer Würde, selbst wenn diese teuer erkauft wurde. Am Ende kann man also sagen: Es ist ein "Star Wars"-Film.

Patrick Holzapfel


Star Wars: Die letzten Jedi - USA 2017 - OT: Star Wars: The Last Jedi - Regie: Rian Johnson - Darsteller: Daisy Ridley, Mark Hamill, Adam Driver, Carrie Fisher, Domhnall Gleeson, Oscar Isaac, Laura Dern, Benicio del Toro - Laufzeit: 152 Minuten.


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Eine Frau unter Einfluss erklärt sich. Juliette Binoche ist Isabelle in Claire Denis' neuem Film "Meine schöne innere Sonne". Künstlerin von Beruf, glücklos im Leben. Gleich in der ersten Einstellung ist sie nackt. Nackter noch wird sie in der letzten sein, nicht am Körper zwar, aber an der Seele. Leergeweint, leergelächelt, auserklärt. Denn der Einfluss, unter dem sie steht, das sind keinesfalls die zahlreichen Männer, die zuvor an- und wieder fortgeschwemmt werden wie zerborstene Muscheln am Strand, sondern das ist die Liebe selbst. Ihr allein gilt das feine Sensorium dieses Films. Ihr allein ist Isabelle auf der Spur. Sie will sie erklären. Sich selbst und anderen.

Orientierungspunkte, Wegmarken dieser Spurenlese in "Meine schöne innere Sonne" sind Roland Barthes' "Fragmente einer Sprache der Liebe". Es ist nicht das erste Mal, dass Claire Denis einen philosophischen Text in einen Film verwandelt hat, aber kaum einer könnte der flüchtigen und zugleich immer Fleisch und Blut, Haut und Haar behauptenden Sinnlichkeit dieser Filmemacherin näher liegen als Barthes' Flanerie durch die unergründlichen Wege des Liebens und Begehrens. Dabei stellt Denis den Titel des Barthes-Buchs eigentlich von Beginn an auf den Kopf. Ihr Film zeigt die Liebe als Sprache in Fragmenten. Fragmente, die nicht zueinander finden, sich nicht zu einer geteilten Sprache der Liebenden fügen wollen. In der Sprache der Liebe sprechen zu wollen bedeutet, eine Schneise durch das unwegsame Gelände zu schlagen, das uns uneinholbar vom Anderen trennnt. Der ihr gemäße Ausdruck ist das Stammeln. Und es wird viel und oft sehr komisch gestammelt in diesem Film. Nicht nur mit Worten, sondern mit ganzen Sätzen, entlang derer sich die Verhältnisse im Spiel zwischen Isabelle und den Männern immer wieder verschieben. Ein langer Abschied an der Wohnungstür verwandelt sich so nur unter mühevollsten Verbalverrenkungen in eine gemeinsame Nacht. "Ich dachte, das Gerede würde niemals aufhören", sagt Isabelle gerade noch erleichtert zu ihrem zweiten Liebhaber im Film, als sie sich bereits in den Armen liegen. Doch es gibt kein Entkommen aus dem Stolpern der Wörter: "Wohin gehen wir?", fragt er zurück - und meint damit tatsächlich bloß: in welches Zimmer?


Von der Liebe geblendet zu sein, schreibt Barthes einmal, "heißt im Grenzfall Verhinderung von Sehen, von Sprechen." Wem Sprechen und Sehen versagen, der muss zwangsläufig tasten. Und weil der Körper nicht lügt, nicht stottert und stammelt in seinem Begehren, lässt Denis die Körper ihrer Figuren immer wieder den schwierigen Anläufen zur Sprache zuvorkommen. In einer unvergesslichen Szene tanzt Isabelle in einem Club mit einem Fremden. Man muss gesehen haben, wie Binoche das spielt: Tränen stehen ihr in den Augen und ein Lachen auf den Lippen, wenn sich Schulter und Schulter, Hand und Hand wortlos finden. Schon einmal, in den letzten Minuten ihres Meisterwerks "Der Fremdenlegionär" (1999), hat die große Körperfilmerin Claire Denis eine völlig unvermittelte Tanzszene gezeigt, die alles Schwere, alle Taubheit wie durch einen Zaubertrick zu verflüssigen wusste. Jene aus ihrem neuen Film steht dem in nichts nach. Es scheint, als atmeten die Tanzenden eine andere Luft, als sei es ausgerechnet der Körper, der für das Leichte am Menschen steht. Sprachlose Schönheit.

Doch vielleicht ist es genau deshalb auch der größte Coup dieses hinreißenden Films, dass es am Ende ein so gar nicht leichter, sondern sogar unerhört massiger Körper ist, der Isabelle in die Sonne, ins Helle schickt. Plötzlich, für wenige Minuten nur, sitzt Gérard Depardieu ihr gegenüber - und spricht. Präzise, entschlossen und verständlich. Als Wahrsager und Seelenseher lässt er sein Pendel schwingen, begutachtet die Fotos ihrer Verflossenen und Halbverflossenen und gibt ihr für die Zukunft ein Wort mit, das auch deshalb aus einer anderen Sprache ins Französische zu stürzen scheint, weil Liebe eben Übersetzungsarbeit ist: Sei "open".

Janis El-Bira

Meine schöne innere Sonne
- Frankreich 2017 - OT: Un beau soleil intérieur - Regie: Claire Denis - Darsteller: Juliette Binoche, Xavier Beauvois, Philippe Katerine, Josiane Balasko, Sandrine Dumas, Alex Descas - Laufzeit: 94 Minuten.