Im Kino

Das Böse stirbt nicht

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl
13.10.2022. ... und Michael Myers schon gar nicht. In David Gordon Greens "Halloween Ends" ist die Heldin Laurie Strode schon Großmutter, in gediegenem Strickjäckchen. Aber es nützt ihr nichts, das Böse nimmt einfach eine neue Form an, während um sie herum das Victimblaming zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird.


Vielleicht zum ersten Mal, seitdem John Carpenter 1978 das "Halloween"-Franchise aus der Taufe hob, darf die Heldin Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) wirklich glücklich sein. Die wirren Haare hat sie in Form gebracht, das Flanellhemd gegen ein gediegenes Strickjäckchen eingetauscht und im Supermarkt lächelt das ewige Final Girl Polizist Hawkins (Will Patton) bei einem scheuen Flirt verlegen an.

Nachdem sie seit vierzig Jahren auf der Abschussliste des maskierten Killers Michael Myers steht und in den letzten beiden "Halloween"-Filmen - die als direkte Fortsetzung des ersten Teils angelegt sind - als schwer verängstigte und traumatisierte Einzelgängerin auftrat, darf sie sich zum Abschluss von David Gordon Greens Trilogie als unauffällige Großmutter neu erfinden. Schmerz und Verlust der Vergangenheit hat sie in ein Buchprojekt ausgelagert und lebt nun mit ihrer verwaisten Enkelin Lindsey (Kyle Richards) in einem Haus, das keine Festung mehr sein soll, sondern ein Zuhause. Und tatsächlich wirkt es in "Halloween Ends" erst einmal so, als müsste man nicht mit Michaels Rückkehr rechnen.

Wie bei einer Matrjoschka-Puppe schält sich im Vorspann aus jedem grinsenden Kürbis ein weiterer. "Halloween Ends" findet im Abschluss nicht nur einen Neuanfang, sondern beschäftigt sich auch mit der Frage, wie man einem derart auf seinen Killer ausgerichteten Franchise frischen Wind verleihen kann. "Das Böse stirbt nicht, es findet nur eine neue Form" tippt Laurie einmal in ihre alte Schreibmaschine und bringt damit eines der Hauptmotive auf den Punkt. Um es vorwegzunehmen: Michael Myers wird in dem Film erst recht spät auftreten. Er lebt in einer höhlenartigen Behausung und hat sich gewissermaßen in den Ruhestand verabschiedet. Seine weiße Maske ist grau und ranzig geworden, die Bewegungen wirken gebrechlich.

Die Perspektivverschiebung wird gleich im Auftakt offenbart. Man wartet nur darauf, dass der nerdige Wuschelkopf Corey (Rohan Campbell) bei seinem Babysitterjob von Myers beseitigt wird, doch stattdessen kommt es zu einem tragischen Unfall, der den Jungen zum Ausgestoßenen werden lässt.



Schon in "Halloween Kills" hatten sich die Bewohner Haddonfields zum Wutbürger-Mob formiert, diesmal sind sie sogar noch eine Spur garstiger. Nicht nur Laurie, sondern auch Lindsey und Corey, die bald ein Paar werden, wollen sich endlich der Zukunft widmen, aber ihr Umfeld verhindert jede Entwicklung. Es ist deshalb vielleicht kein Zufall, dass der Film zwar in der Gegenwart angesiedelt ist, seine krisseligen, teilweise eigenwillig colorierten Bilder aber einen deutlichen Retro-Touch haben. Bei den Nebenfiguren handelt es sich fast ausnahmslos um Scheusale, die alte Wunden aufreißen: mobbende Rich Kids, stumpfe Macho-Polizisten, hysterische Mütter, ein zynischer Radiomoderator, und immer wieder Opfer, die anderen Opfern Vorwürfe machen.

Das Victimblaming ist in "Halloween Ends" eine selbsterfüllende Prophezeiung. Nicht nur die Namen von Laurie und Corey reimen sich aufeinander, auch wird dem Jungen mit der markant geformten Oberlippe ständig eingeredet, schuldig zu sein. Das eigene Gesicht wird zum Fluch. Bei einer Halloween-Party gelingt es ihm nur, sich zu amüsieren, weil er eine Maske der Vogelscheuche aus "Der Zauberer von Oz" trägt. Als er sie für einen kathartischen Tanz abnimmt und im Freudentaumel von einem Gast erkannt wird, ist es sofort vorbei mit dem Spaß.

Nachdem Corey zufällig in Michaels Höhle gerät, beginnt er sich schließlich zu verwandeln. Aus dem Jungen mit den Oversize-Klamotten wird ein verwegener Typ mit kaltem Blick, Motorrad und Lederjacke. Ein bisschen erinnert Corey an den nerdigen Protagonisten aus Carpenters "Christine", der vom Gemobbten zum hasserfüllten Racheengel wird. Nur bleiben in "Halloween Ends" die genauen Beweggründe Coreys im Unklaren. Zwar wird der Junge zum Verbündeten und Stellvertreter Michaels, aber das wirkt weder wie eine Staffelübergabe an die jüngere Generation, noch als würde sich in ihm - wie Laurie es nennt - ein Virus des Bösen ausbreiten. Wie und warum die Übertragung stattfindet, bleibt nebulös, was aber auch irgendwie egal ist. Denn Corey ist als Figur deshalb interessant, weil er einem Vexierbild gleicht: Er ist Laurie genauso nah wie Michael, ist ebenso verletztliches Opfer wie empathieloser Killer.

Green nimmt sich viel Zeit für Rohan Campbell, der bei seiner Borderline-Performance manchmal wie ein junger Willem Dafoe wirkt. Seine Slasher-Routine zögert "Halloween Ends" lange mit einem düsteren Kleinstadt-Drama hinaus, in dem die Außenseiter Corey und Lindsey davon träumen, ihrer verhassten Heimat endlich den Rücken zu kehren. Befreiend fühlt sich diese ungewohnte Richtung an, nachdem die Ahnenpflege in den beiden Vorgängerfilmen etwas andächtig und pflichtschuldig daherkam. Zwar gehen die Geschichten von Corey und Michael nicht ganz ineinander auf, aber wenn sich Green zerrütteten jugendlichen Seelenwelten und beengender Kleinstadt-Tristesse widmet, ist er sichtlich in seinem Element.

Dabei tritt "Halloween Ends" die Tradition keineswegs mit Füßen. Es gibt ein Montagefeuer mit Clips aus alten Filmen, das klassische Musikthema sowie einen guten Mix aus bösartig inszenierten Morden und makabren Witzen. Green verweigert sich nicht dem Franchise, sondern bietet zum Abschied lediglich einen längeren Umweg an, der letztlich doch wieder bei Michael Myers und einem übergroßen Küchenmesser landet. Aber diesmal gibt es ein Ende, das seinen Namen auch verdient hat.

Michael Kienzl

Halloween Ends - USA 2022 - Regie: David Gordon Green - Darsteller: Jamie Lee Curtis, Kyle Richards, Rohan Campbell, Will Patton, Andi Matichak - Laufzeit: 111 Minuten.