Im Kino

Als Außenseiter gekennzeichnet

Die Filmkolumne. Von Katrin Doerksen, Lukas Foerster
23.08.2017. Valeska Grisebachs "Western" leistet Übersetzungsarbeit an der griechisch-bulgarischen Grenze. Jared Hess frönt in "Masterminds" ein weiteres Mal mit zen-artiger Gelassenheit seiner Vorliebe fürs Skurrile.

Es gab ein Malheur in der Berliner Pressevorführung zu "Western": der Film wurde ohne Untertitel gezeigt. Nun besteht "Western" nicht aus übermäßig viel Dialog. Aber der, den es gibt, ist zu weiten Teilen bulgarisch. Die Leute von der Presseagentur entschuldigten sich später für den Fauxpas, eigentlich hatte ich aber nicht das Gefühl, dass das Nichtverstehen das Erleben des Films negativ beeinträchtigt. Es könnte sogar interessant sein, ihn auch ohne Untertitel in die Kinos zu bringen. Plötzlich ist man darauf angewiesen, die Gesten der Schauspieler zu interpretieren. Auf bekannte Laute im Wortschwall zu horchen und den Tonfall der Sprechenden einzuordnen. Gerade im manchmal vergeblichen Streben nach Verständigung steckt eine Essenz des Films.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Verhältnis zwischen Deutschland und dem europäischen Südosten von den Weltkriegen belastet. Später dreht die DEFA dort ihre Historien- und Indianerfilme. In "Western" kehren die Ostdeutschen auf den Balkan zurück. Das heißt: So genau lässt sich das gar nicht bestimmen, denn keine der Figuren legt ihre Papiere vor und Regisseurin Valeska Grisebach bemüht sich auch nicht, sie mit ausführlichen Hintergrundgeschichten auszustatten. Aber sie sprechen mit diesem kodderigen Brandenburger Dialekt. Manche kommen vielleicht vom Rande Berlins, andere aus dem Nichts zwischen Brandenburg und Sachsen. Erst spät im Abspann wird in einer Zeile dem Jugendherbergswerk Pirna gedankt. Da erinnert man sich: Ganz zu Beginn haben die Bauarbeiter auf der Treppe vor einer Jugendherberge gesessen. Meinhard (Meinhard Neumann) kommt dazu, er hat für alle das Essen geholt. Damit ist der hagere, stets in blaue Jeans gekleidete Mann mit den eingefallenen Wangen in dieser Domäne breitbeiniger Machos sofort als Außenseiter gekennzeichnet, oder zumindest als Neuling. Gemeinsam geht es nach Bulgarien, genauer: in die Nähe eines kleinen Dorfes kurz vor der Grenze zu Griechenland. Ein heißes, felsiges Nirgendwo, und im Lager der Deutschen, die hier ein Wasserkraftwerk bauen sollen, hisst man zuerst einmal die schwarzrotgoldene Flagge. In Bezug auf das Gastland bleibt man skeptisch: "Wat willst'n in Bulgarien kaputt schießen", fragt jemand beim ersten gemeinsamen Frühstück, "Haste schon wat Janzet jesehen?"


Wenn sich Bulgaren und Deutsche in "Western" mal mehr, mal weniger freundlich gegenüberstehen, dann geht es immer auch um die Übersetzungsarbeit, die das Medium Film per se zu leisten imstande ist - durch Zeigen und Beobachten, weniger durch Erklären. Valeska Grisebachs Art zu Beobachten ist deeskalativ. Bei einer nächtlichen Konfrontation versteht im Grunde keiner der Beteiligten so recht, worum es eigentlich geht, aber ein aufgebrachter Deutscher zieht sofort sein Messer. Das bekommen wir jedoch erst zu sehen, als er es schon wieder wegsteckt und die unmittelbare Gefahr vorüber ist. Als weigerte sich Grisebach, Empörungsreflexe zu bedienen. Oder auch nur die sich beim Zuschauen entwickelnde feine Beobachtungsgabe durch einen plötzlichen Adrenalinausstoß zu vernebeln.

Auch sonst braucht es in "Western" nicht viele Worte, um das Beobachtete zu präzisieren. "Bist'n Schlitzohr?" fragt der Chef der Bauarbeitertruppe Meinhard einmal, und man könnte diesen Satz als dahingesagtes Sprichwort verstehen. Viel, viel später zeigt ihn die Kamera einmal beiläufig von der anderen Seite und da kann man es schließlich sehen: sein Ohrläppchen ist tatsächlich gespalten. Irgendwann muss er gegen die Regeln der Walz verstoßen haben. Überhaupt scheint etwas Zwielichtiges an Meinhard zu haften, eine schwierige Vergangenheit vielleicht, ohne Zweifel aber etwas Rebellisches, etwas Eigenwilliges. Gut möglich, dass, wenn der Schlitz im Ohr endlich zu sehen ist, man den Dialog vom Beginn schon vergessen hat. Aber es ist ein bisschen wie mit dem nicht übersetzten bulgarischen Dialog: "Western" funktioniert, wenn man die Details versteht. Aber auch, wenn man sie nicht versteht.

Es folgt eine ruhige Aneinanderreihung von Tagen und Nächten auf der bulgarischen Baustelle, abrupt wechseln sich Dunkelheit und Helligkeit ab. Manchmal reitet Meinhard auf einem weißen Pferd ins Dorf. Er wird immer mehr zum Außenseiter in den eigene Reihen, freundet sich stattdessen mit den Bulgaren an. Einer von ihnen spricht gebrochenes Deutsch und übersetzt ab und zu. Irgendwann kommt eine Kiesellieferung nicht an, sonst passiert kaum etwas. Eines Abends sitzt Meinhard bei einer bulgarischen Familie im Garten, der Schnaps fließt reichlich, man kommt ins Philosophieren. Der Übersetzer ist gerade nicht da. "Mein Leben ist manchmal kompliziert", seufzt Meinhard. Es ist sein einziger Satz in "Western", der so klingt, als wolle er einmal mehr sagen. Aber das versteht dann natürlich keiner.

Katrin Doerksen

Western - Deutschland 2017 - Regie: Valeska Grisebach - Darsteller: Meinhard Neumann, Reinhardt Wetrek, Syuleyman Alilov Letifov, Vaneta Gragnova - Laufzeit: 119 Minuten.

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Wenn Kelly Campbell (Kristen Wiig) ihrem Kollegen David Scott Ghantt (Zach Galifianakis) zum ersten Mal vorschlägt, den gemeinsamen Arbeitgeber zu beklauen, isst sie gleichzeitig eine Birne. Die Lässigkeit, die sie dabei an den Tag legt, imponiert dem linkischen Vollbart- und Ponyfrisurträger womöglich mehr als ihr Sex Appeal, und mit ziemlicher Sicherheit mehr als die Aussicht auf plötzlichen Reichtum. Eigentlich war die Sache schon während eines wortlosen Blickwechsels unmittelbar davor entschieden: Campbell lächelt Ghantt freundlich und höchstens ein bisschen neugierig an, er grinst verzückt, fast manisch zurück.

Die beiden sind als Sicherheitsleute bei Loomis Fargo angestellt, einem Unternehmen, das Bargeldtransporte organisiert und das im Jahr 1997 von Dieben um 17,3 Millionen Dollar erleichtert wurde. Nun dient dieser Kriminalfall als Vorlage für den schönen neuen Film von Jared Hess. Oder vielleicht eher als dessen Vorwand. Denn "Masterminds" ist weder rasanter Gangsterschabernack, noch True-Crime-Thriller, sondern einfach eine weitere Groteske aus der amerikanischen Provinz, ganz auf einer Linie mit "Napoleon Dynamite" und "Gentlemen Broncos". Der ausgiebige Abstecher nach Mexiko wiederum, den der Film gemeinsam mit Ghantt im Mittelteil unternimmt, verweist auf "Nacho Libre", den vielleicht eigenartigsten Film des Regisseurs. Seine vorherigen Filme hatte Hess allesamt selbst geschrieben, in Kooperation mit seiner Frau Jerusha. "Masterminds" ist der erste Film seiner Karriere, der auf dem Papier nach Auftragsarbeit ausschaut. Das Heist-Genre mag nicht das alleridealste Genre für Hess sein, weil es fast automatisch einen erzählerischen Drive hervorbringt, der wenig Raum lässt für Abschweifungen (beziehungsweise genauer: der Abschweifungen immer schon als Abschweifungen von etwas markiert und sie deshalb unter Rechtfertigungsdruck stellt), aber dennoch gelingt es Hess problemlos, sich das Projekt mit Haut und Haaren zu eigen zu machen.


Der aus individualpsychologischer Sicht aberwitzigen Summe von 17,3 Millionen begegnet "Masterminds" (der freilich selbst 25 Millionen gekostet hat) mit vulgärkomödiantischer Nonchalance. Einen Teil der Scheine stopft sich Ghantt auf dem Weg nach Mexiko in die Jogginghose, sodass er buchstäblich mit einem Arsch voll Geld nach Süden reist. Auf dem Weg dahin, am Flughafen, eine der besten von vielen deadpan-Miniaturen des Films: Ghantt kauft Proviant für den Flug, beim Bezahlen greift er tief und ausführlich in wenig appetitliche Regionen seiner Hose. Die Verkäuferin verzieht das Gesicht, ebenso eine junge Frau, die hinter ihm ansteht. Die Szene ist komisch, weil Hess die Situation nicht eskalieren lässt, sondern das Unangemessene an ihr stillstellt. Und auch, weil das framing stabil bleibt. Die Inszenierung ist stets klar, klassisch und durchdacht, die Figuren werden so sorgfältig im Bild platziert (und als distinktes Bildelement isoliert), dass jede Großaufnahme als ein Akt der Individuierung verstanden werden kann.

Ein Kino, das sich definiert über Äußerlichkeiten, die aber stets auf etwas Innerliches, auf eine in sich konsistente Weltsicht verweisen. Sein bevorzugter Schauplatz, die amerikanische Provinz, ist in erster Linie kein konkreter, sondern ein psychischer Ort - Hess-Filme sind Americana der Seele, mit zen-artiger Gelassenheit zusammengebaut. Die Stilisierung von Bildsprache und Schauspiel, auch die unbedingte Vorliebe fürs Skurrile, erinnern an Wes Anderson. Bei Hess wirkt das freilich weniger zwanghaft, weniger hermetisch, außerdem nimmt er sich die Freiheit, aus dem selbstetablierten formalen System zwischendurch auch einmal komplett auszusteigen, zum Beispiel während eines grandios entgleisenden Fotoshootings von Ghantt und seiner auf ornamentale Weise verklemmten Verlobten (Kate McKinnon; deren Rolle hätte ruhig etwas umfangreicher ausfallen können).

Es geht nicht, wie bei Anderson, um melancholisch überformte Selbsteinschließung, sondern um eine Lust am Formenreichtum der Welt. Tatsächlich wirkt Owen Wilson, einer der prototypischen Anderson-Darsteller, in "Masterminds" eher fehl am Platz. Rein physiognomisch passt er mit seinem dezent ins Bizarre abdriftenden California-Playboy-Gesicht gut zu seiner Rolle als Steve Eugene Chambers, dem von seinen eigenen Winkelzügen hoffnungslos überforderten Kopf der Bande. Aber es will ihm einfach nicht gelingen, die abstrusen Garderoben, in denen er durch den Film läuft, mit derselben Selbstverständlichkeit zu "bewohnen" wie Galifianakis.

Oder auch wie Jason Sudeikis. Der spielt Michael McKinney, einen Auftragskiller, der einerseits seinen Job als Berufung begreift, andererseits aber hoffnungslos sentimental ist. Beides aus vollem Herzen und ohne jedes Bewusstsein dafür, dass sich daraus ein Widerspruch ergeben könnte. Dass die menschliche Dummheit als eine unerschöpfliche Quelle komischer Situationen fungiert, haben viele Regisseurinnen und Regisseure erkannt. Hess allerdings besteht darauf, auch und gerade die dümmsten seiner Figuren nicht bloß zu stellen. Wie schon Napoleon Dynamite sind Ghantt und McKinney Holy Fools, und damit immer schon errettet. In einer der schönsten Szenen des Films erkennen sie sich gegenseitig als Ihresgleichen. Ohne das selbst zu begreifen, versteht sich. Aber wichtiger ist eh, dass sich zu guter Letzt auch McKinney eine Ponyfrisur zulegen wird.

Lukas Foerster

Masterminds - USA 2016 - Regie: Jared Hess - Darsteller: Zach Galifianakis, Kristen Wiig, Owen Wilson, Jason Sudeikis, Kate McKinnon, Leslie Jones, Jo Daly - Laufzeit: 95 Minuten.

"Masterminds" hat in Deutschland leider keinen regulären Kinostart erhalten. Seit dem 18.08. ist der Film auf DVD und BluRay erhältlich.