Im Kino

Die unverbrauchten Bilder

Die Filmkolumne. Von Patrick Holzapfel
27.10.2022. Sara Dosas "Fire of Love" über das Vulkanologen-Ehepaar Katia und Maurice Krafft dokumentiert nicht nur die großartigen Aufnahmen der beiden aus dem Inneren der Vulkane, sondern auch eine große Liebesgeschichte, die beim Ausbruch des Vulkans Unzen in Japan ihr Ende fand.


Die Filmgeschichte hat allerhand mal mehr und mal weniger hochtrabende Überlegungen zu bestimmten Bildtypen hervorgebracht. Da gibt es die gerechten Bilder (Godard), die sich verkaufenden Bilder (Daney), die Zeit- und Bewegungsbilder (Deleuze), die sich selbst herstellenden Bilder (Epstein), die Geisterbilder (Perez) und so weiter. Werner Herzog, nie um Solcherlei verlegen, hat sich einen Platz in dieser illustren, zugegeben sehr französischen und noch männlicheren Reihe verdient, weil er wie gewohnt mit dem Unmöglichen spielend von seiner Suche nach den unverbrauchten Bildern berichtete. Damit meint er, verkürzt formuliert, Bilder, die man (so) noch nicht gesehen hat.

In Zeiten, in denen im Sekundentakt Bilder konsumiert werden, ist das mit der Unverbrauchtheit ein schwieriges Unterfangen und wahrscheinlich darf man auch hinterfragen, ob sie wirklich Hauptanliegen eines Filmemachers sein sollte (schließlich hängt sie mit der dubiosen Originalität zusammen). Wird man aber mit Bildern konfrontiert, wie sie im Archiv der beiden Starvulkanologen Katia und Maurice Krafft vorliegen, kommt man wohl nicht umhin, sich mit offenem Mund in diese unfassbar einzigartigen Bilderwelten zu werfen. Das Material ist jedenfalls so begeisternd, dass nicht nur Herzog einen Film ("Die innere Glut - Requiem für Katia und Maurice Krafft", derzeit auf Arte zu sehen) aus ihm filterte, sondern auch die gelernte Anthropologin Sara Dosa. Ihr ist mit "Fire of Love" nicht nur der schönere und umfassendere Film gelungen, sie ist auch dem Phänomen der unverbrauchten Bilder tiefergehend auf die Schliche gekommen.



Die Bilder, von denen hier etwas kryptisch die Rede ist, zeigen hauptsächlich die beiden Forscher in ihrer Begegnung mit Naturgewalten: Lavafontänen, Glutströmen, Aschetürmen oder gefährlich wogenden Wellen. Neben den selbstgedrehten Archivaufnahmen der Kraffts, gibt es deren unterhaltsamen Fernsehauftritte ausschnitthaft zu bewundern. Seit der Lektüre des "WAS IST WAS"-Bandes über Vulkane im Kindesalter, haben mich Bilder dieser zerstörerischen Vorgänge nicht mehr so in den Bann gezogen. Tatsächlich kann man manchmal kaum fassen, was man da sieht und vor allem, wie nah die beiden Forscher an dieses Unfassbare treten. Die Kraffts dokumentierten die Naturerscheinungen und ihre Arbeit, um besser zu verstehen und anschaulicher kommunizieren zu können. Das wird klar in einem in der Originalversion von Miranda July eingesprochenen Voice-Over, der immer so klingt, als würde die Welt gleichzeitig auf- und untergehen.

1991 kam das Paar beim Ausbruch des Vulkans Unzen in Japan ums Leben. Obwohl es dazu keine Bilder gibt, hat dieser verfrühte Tod dazu geführt, dass der Mythos um die beiden, sich kurioserweise wie der Tiefseetaucher Jacques-Yves Cousteau kleidenden Eheleute, weiter wuchs. Dosa gibt sich auf der einen Seite ganz und gar diesem Paar hin, ihr Titel spricht da bereits Bände. Sie erzählt eine große Liebesgeschichte, eine Dreiecksgeschichte strenggenommen, zwischen einer Frau, einem Mann und den Vulkanen. Diesen romantischen Ansatz verbindet sie zum einen mit faszinierenden Einschüben zur Vulkanologie und zum anderen mit einer psychologisch-ästhetischen Analyse der vorliegenden Bilder, die der kindlichen und daher so mitreißenden Unschuld dieser überwältigenden Aufnahmen so manches entgegenstellt. Zum Beispiel ihre professionelle Gemachtheit (Dosa zeigt, wie die Kraffts mehrere Takes von Situationen drehten) oder die Unsicherheiten und Unterschiede zwischen dem Paar. So träumt Maurice wiederholt von Kanufahrten auf Lava, während Katia sich für Frühwarnsysteme einsetzt. Die Recherche Dosas ist nachvollziehbarer als die gewohnt idiosynkratisch nach den Sternen greifenden Assoziationen Herzogs. Letzterer sieht in den Bildern des gewöhnlichen Lebens, die im Archiv der Kraffts neben ihren vulkanlogischen Filmen aufbewahrt werden, einen Beweis dafür, dass es sich bei ihnen um Filmemacher handelt, Filmemacher wie er einer ist selbstverständlich. Bei Dosa heißt es stattdessen, dass diese Aufnahmen entstanden, um Langzeitfolgen von Vulkanausbrüchen sowie das Leben im Schatten der tödlichen Kratergipfel festzuhalten, weil insbesondere Katia sich für die Nachhaltigkeit ihrer auch leicht mit ruhmsüchtigem Todestrieb verwechselbaren Arbeit einsetzte.

Die unverbrauchten Bilder sind so nicht einzig Sache wagemutiger Entdecker, die bis ins Inferno gingen für das, was vor ihnen noch niemand gesehen hat, sie sind auch verantwortliche Bilder, deren Existenz dem Staunen eine Notwendigkeit beimischt. Eine solche Erkenntnis ist wertvoll, zumal in einem nicht kitschbefreiten Liebesstück.

Patrick Holzapfel

Fire of Love - USA 2022 - Regie: Sara Dosa - Laufzeit: 98 Minuten.