Im Kino

Hingehauchte Schlachtenhymne

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
19.11.2014. Francis Lawrences "Mockingjay: Teil 1" ist ein Hunger-Games-Film ohne Hunger Game und weckt vor allem Sehnsucht nach den unheimlichen Gefühlen der "Twilight"-Filme. In Sam Millers Thriller "No Good Deed" gilt alles Interesse dem Hauptdarsteller Idris Elba.

Von ihrer bisherigen Hauptattraktion, von jenen "Hunger Games", in denen jugendliche Kämpfer zur Belustigung der restlichen Weltöffentlichkeit und insbesondere der dekadenten Elite im Capitol sich gegenseitig an die Gurgel gehen, fehlt jede Spur im dritten Teil der Filmserie "Die Tribute von Panem". Statt dessen dominiert in "Mockingjay: Teil 1" ("Mockingjay" bezeichnet einen Fantasievogel, der im Deutschen den unvorteilhaften Namen "Spotttölpel" trägt) eine zumindest für einen Blockbuster erstaunlich konsequent durchgehaltene düstere bis depressive Tonlage: Ein Bürgerkrieg ist ausgebrochen, angeführt von der Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore, wie eine ganze Reihe weiterer großartiger Darstellerinnen und Darsteller an eine hoffnungslos unterkomplexe Rolle verschenkt) lehnen sich die unterdrückten, nicht länger durch blutrünstige Medienspektakel sedierten Stämme Panems gegen eine Zentralregierung auf, die nun nicht mehr mithilfe von Massenseduktion, sondern durch nackte Gewalt herrscht.

Der abschließende dritte Band der von Suzanne Collins verfassten Beststellerserie wurde von den Produzenten der gleichnamigen Filmserie auf zwei Teile gestreckt. Was zur Folge hat, dass zumindest in "Mockingjay: Teil 1" zwar jede Menge Drama simuliert wird, sich an der narrativen Situation aber über den gesamten Film hinweg kaum etwas ändert. Obwohl niemand so recht vom Fleck kommt, gilt es ständig, irgendwo hinzurennen, irgendwo Schutz zu suchen, oder irgendwen zu retten, und sei es nur eine Katze - das ist die dreisteste Szene des Films, weil in ihr sein Hang zur emotionalen Erpressung besonders knallhart durchschlägt; und gleichzeitig vielleicht die schönste, weil man realisiert, dass die Sorge um dieses eine, für die opportunistische, weil absichtsvoll unspezifische politische Allegorie des großen Ganzen unwesentliche Lebewesen das einzige wirklich integre Gefühl ist, für das in der Welt der "Panem"-Filme Platz ist.

Sonst gibt es nicht viel zu sagen über dieses in routinierter Langeweile erstickende Stück Unterhaltungskino. Immerhin interessant ist die monomane Energie, die in die Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence investiert wird. Weiterhin richtet sich alles Interesse innerhalb der fiktionalen Welt, alles Interesse auch des Films auf Lawrences Katniss. Das beginnt bei der Kleidung: Zunächst trägt sie noch wie alle anderen Rebellen eine kulturrevolutionär entsexualisierte Einheitsuniform, bald wird sie in eine - freilich: dezent - körperbetonte, matt glänzende Spezialuniform gesteckt. Motiviert wird das durch eine jener angestrengt selbstreflexiven Pointen, mit deren Hilfe die Filmserie Komplexität simuliert: Die Rebellen wollen Katniss" Popularität zu Propagandazwecken ausbeuten, und sie bemühen sich deshalb, sie als attraktives Gesicht - oder genauer: Körper - der Revolte zu inszenieren. Aber auch die beiden männlichen Hauptfiguren, verkörpert von Josh Hutcherson und Liam Hemsworth, sind offensichtlich nur da, um sich auf jeweils unterschiedliche Art nach Katniss zu sehnen. Die allerdings hat sich und ihre Libido unter Kontrolle, küsst höchstens als Belohnung.


Spätestens bei dem denkbar keuschen Dankbarkeitskuss, den Lawrence Hemsworth gönnt, habe ich mir die pathosgeladenen Liebesschwüre, bebenden Busen und schmachtenden Blicke der "Twilight"-Filme zurück gewünscht. Tatsächlich liegt der Vergleich beider Filmserien nahe (und ist vermutlich interessanter als eine ausführlichere Beschäftigung mit "Mockingjay: Teil 1"): Beide Franchises haben eine weibliche Hauptfigur (und eine Hauptdarstellerin, die in Windeseile zu Weltruhm gelangte), beide basieren auf populären Buchserien aus dem Genre (?) "Young Adult". Tatsächlich hatte 2012/2013 eine Wachablösung stattgefunden: Der erste "Panem"-Film kam lediglich ein paar Monate nach dem "Twilight"-Finale in die Kinos. Beim Publikum waren und sind beide Serien gleichermaßen erfolgreich - und beide zeichnen sich gegenüber anderen Blockbustern dadurch aus, dass sie primär auf ein jugendlich weibliches Publikum zielen. Bei der Kritik allerdings fallen die Reaktionen denkbar unterschiedlich aus: Die "Twilight"-Filme wurden - oft ausgesucht hämisch - in der Luft zerrissen, die "Panem"-Serie hat einen weitgehend guten Ruf. (Gegenstimmen gibt es, aber sie konzentrieren sich zumeist auf einen Vergleich der beiden Protagonistinnen beziehungsweise auf die Frage nach deren vermeintlicher oder tatsächlicher Passivität und treffen damit für meine Begriffe nur einen Teil des Problems).

Auf den ersten Blick ist diese Differenz leicht nachvollziehbar. Zum Beispiel hat die "Panem"-Reihe die besseren Regisseure. Insbesondere der erste, von Gary Ross inszenierte Film zeichnete sich durch eine geradezu filigrane Bildsprache aus. Aber auch Francis Lawrence, der die Fortsetzungen inszeniert, erweist sich, vor allem im jetzt vorliegenden Kapitel, als begabter Stimmungsmaler. Im neuen Film setzt er etwas zu oft auf informationsgesättigte Parallelmontagen, die die Spannung unterlaufen, anstatt sie zu steigern, aber der Wechsel zwischen den beengenden gedeckten Farben in der Unterwelt des Sektor 13, in dem sich die Rebellen verschanzt haben, und dem regelmäßigen Aufatmen im satten Grün der Außenwelt bekommt er ausgezeichnet hin. Besonders gut gefallen hat mit ein öfters wiederkehrender Einstellungstyp: Lawrences Gesicht angeschnitten im Profil am Bildrand, daneben viel freier Platz, der sich zu einem ornamentalen Muster formt, in dem dann zum Beispiel eine hingehauchte Schlachtenhymne einen Resonanzraum findet.


Kurzum: Gerade verglichen mit den exaltiert verkitschten, ihre Groschenheftherkunft nie verleugnenden "Twilight"-Filmen wirkt die "Panem"-Serie wie ein Refugium des guten Geschmacks. Man kann das allerdings noch ein wenig näher qualifizieren (und sich dabei dem Problem der neueren Filme annähern): Der schlechte Geschmack existiert noch, aber nur noch als Feindbild; in den "Twilight"-Filmen sehen alle Figuren, in den "Panem"-Filmen nur die bad guys komisch aus. Auf die damit zusammenhängende homophobe (und in der Fortsetzung faschistoide) Schlagseite der "Panem"-Filme ist schon öfters hingewiesen worden (hier zum Beispiel). Im aktuellen Film mag das weniger stark ins Gewicht fallen, weil die Handlung sich ganz auf die Rebellion konzentriert und die unangenehm effeminierten Fratzen der Macht nur am Rand auftauchen. Umso auffälliger ist diesmal die Entsexualisierung der gesamten filmischen Welt.

Ironischerweise wurde ausgerechnet den "Twilight"-Filmen, in denen sich so manche Figur ob ihrer freidrehenden Libido kaum noch verständlich artikulieren konnte, eine verklemmte Sexualmoral vorgeworfen. Verglichen mit den "Panem"-Filmen waren das schlicht und einfach Pornos. Dass Lawrence nicht als feuchter Männnertraum, sondern alltagsnah, als eine eher schüchterne, dennoch tapfere junge Frau inszeniert wird, darf man den neueren Filmen natürlich zugute halten; aber muss deswegen gleich jede Idee von erotischem Begehren fallen gelassen werden? An einer Stelle fällt einer Figur auf, dass es im Sektor 13 kaum Kinder gibt. Ihr wird dann, glaube ich, irgendetwas über Evakuierungsmaßnahmen erzählt. Naheliegender ist angesichts der grundsätzlichen Abdämpfung alles Begehrens nicht nur innerhalb der zentralen Dreierbeziehung eine andere Erklärung: Für reproduktiven Sex ist einfach keine Zeit angesichts der beständigen, stets absolut gedachten Bedrohung. Und wo schon für reproduktiven Sex keine Zeit ist, ist an jene unheimlicheren Gefühle, von denen "Twilight" kaum sublimiert handelt, erst recht kein Platz mehr. Das Ergebnis ist ein Mädchenblockbuster, der genauso keusch daherkommt wie die Jungsblockbuster aus der Marvelproduktion.

Die in "Twilight" durchschlagende asoziale Dimension romantischer Liebe könnte auch erklären, warum Katniss - außerhalb der Kernzielgruppe - eine unproblematischere Identifikationsfigur ist als Bella. In "Die Tribute von Panem" fällt die individuelle Selbstermächtigung der Hauptfigur praktischerweise in eins mit dem Widerstand gegen eine gleichzeitig absolute und maximal allgemein gehaltene Aggression: Wenn Katniss zu Pfeil und Bogen greift, tut sie das im Namen aller Unterdrückten dieser Erde. "Twilight" dagegen präsentierte das jugendlich-weibliche Begehren Bellas isoliert und ungeschützt: Wenn Bella ihrem Herz folgte, dann tat sie das nur für sich selbst, Komplizen fand sie höchstens in der Dunkelheit der Zuschauerreihen, in den privatesten Gefühlen ihrer Fans. Was das für ein Skandal darstellte, kann man vielleicht erst jetzt ermessen, mit etwas Abstand, und im Abgleich mit einer neuen Erfolgsfilmserie, die alles, was an Bella und "Twilight" eigensinnig und ungebändigt war, gnadenlos sttromlinienförmig macht.

Lukas Foerster

Die Tribute von Panem - Mockingjay: Teil 1 - USA 2014 - Originaltitle: The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 - Regie: Francis Lawrence - Darsteller: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Julianne Moore, Woody Harrelson, Philip Seymour Hoffman, Donald Sutherland, Elizabeth Banks - Laufzeit: 123 Minuten.

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Idris Elba ist der einzige Schauspieler aus dem großartigen Cast der HBO-Serie "The Wire", der seine Rolle - er gab den betriebswirtschaftlich ambitionierten Dealer Stringer Bell - in dauerhaften Starruhm transformieren konnte. Inzwischen taucht er in gefühlt jedem zweiten Blockbuster auf (in den Marvel-Filmen zum Beispiel als Donnergott Heimdall) und hat die Titelrolle in der Krimiserie "Luther" übernommen. Hierzulande eher untergegangen, in den USA aber ebenfalls ungemein erfolgreich war "Obsessed", ein kleinformatiger Thriller, in dem Elba sich der eindeutigen, aber brandgefährlichen Avancen einer kratzbürstigen Ali Larter zu erwehren hatte.

"Keine gute Tat", ein weiterer kleinformatiger, in sympathisch ökonomischen 84 Minuten abgewickelter Thriller, dreht den Spieß jetzt um: Diesmal ist der hühnenhafte Elba der charmante Aggressor. Praktischerweise legt gleich zu Beginn eine Rückblende sein Krankheitsbild offen. Der verurteilte Mörder Colin sei, doziert ein Psychologe, ein "bösartiger Narzisst", der andere Menschen glänzend manipulieren könne, der aber, wenn die Dinge nicht nach Plan laufen, schnell hohldrehe. Damit formuliert der Film nicht nur eine Pathologie, sondern auch eine Schauspielaufgabe für Elba.


Heimgesucht wird Terry, eine praktischerweise sozial und - weniger explizit, aber man muss nur auf die überroutinierte Art und Weise achten, wie sie sich von ihrem Ehemann verabschiedet, um zu erkennen, wie der Hase läuft - sexuell frustrierte Hausfrau und Mutter zweier Kinder (deren älteres dadurch beeindruckt, dass sie noch in den dramatischsten, lebensbedrohlichsten Situationen eine buddhahaft stoische Ruhe bewahrt). Aber obwohl Taraji P. Henson gerade die resolute Mütterlichkeit (den entschlossenen Griff zum Feuerlöscher, um den Angreifer abzuwehren zum Beispiel) gut hinbegekommt, ist der Film ganz auf Elba zugeschnitten - auch zum Beispiel eine reichlich sonderbare Duschszene interessiert sich in erster Linie für seinen durchtrainierten Oberkörper.

Tatsächlich wird der Film, dramaturgisch ganz und gar nicht naheliegend, bis kurz vor Schluss aus seiner Sicht erzählt: Colin entkommt aus einem Gefangenentransport, schaut erst bei einer Ex vorbei, was dieser das Leben und ihn die Contenance kostet. Psychisch schon leicht angekrazt, hat er einen Autounfall und klopft lädiert an Terrys Tür. Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel, das längst nicht so packend ist, wie es hätte sein können, wenn Regisseur Sam Miller auf die simple, effektive Grundsituation vertraut und auf den einen oder anderen dämlichen Plottwist verzichtet hätte (für einen wirklich überzeugenden home-invasion-Thriller siehe zum Beispiel den Ida-Lupino-Film "Beware, My Lovely"). Aber gut unterhalten hat mich der Film durchaus, seine untergründige Hysterie vor allem: Eigentlich hätte er sich dem psychopathischen Charme seiner Hauptfigur nur allzu gerne mit Haut und Haaren ergeben, aber dann muss er ihm eben doch eins mit dem Feuerlöscher überbraten.

Lukas Foerster


No Good Deed - USA 2014 - Regie: Sam Miller - Darsteller: Idris Elba, Taraji P. Henson, Leslie Bibb, Kate del Castillo, Henry Simmons - Laufzeit: 84 Minuten.