Im Kino

Hypnose statt Kohärenz

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Patrick Holzapfel
24.03.2016. Einen Superheldenvergleich stellt Zack Snyder in "Batman v Superman - Dawn of Justice" an. Apichatpong Weerasethakuls soeben auf DVD erschienener erste Langfilm "Mysterious Object at Noon" zeigt durch einen somnambulen Filter die Enstehung von Träumen.


Mathematisch gelesen (soviel Nerdigkeit sollte in einer Kritik zu einer Comicadaption erlaubt sein) bezeichnet das "v" in "Batman v Superman - Dawn of Justice" keine Gegnerschaft, sondern eine nicht-ausschließende Disjunktion. Also nicht "Batman gegen Superman", sondern "Batman und / oder Superman". Tatsächlich geht es in Zack Snyders aktuellem Film vielleicht zuerst darum, dass sich ein Übermensch einem Vergleich, einer Relativierung zu stellen hat. Eine der interessantesten Figuren der breit aufgefächerten Erzählung, die Senatorin Finch (Holly Hunter), drückt das in einer Szene folgendermaßen aus: In einer Demokratie sei das Gute eine Sache von Aushandlungen; der vom Planeten Krypton exilierte, im uramerikanischen Weizenfeld Kansas sozialisierte, flugfähige und vielebärenstarke Außerirdische Superman (Henry Cavill) stehe dagegen für eine "unilaterale", also totalitäre Definition des Guten. Deshalb solle er den staatlichen Institutionen Rede und Antwort stehen.

Der Moment, in dem er das tatsächlich tut, in dem Superman vor einem Untersuchungsausschuss des Senats erscheint, und zwar nicht inkognito als Reporter Clark Kent, sondern in voller ikonischer Heldenmontur, ist eine der stärksten Szenen in "Batman v Superman". Nicht, dass sich der Film komplett auf die Seite der äußerst ambivalent gezeichneten Senatorin schlagen würde. Auf den ersten Blick sogar: ganz im Gegenteil. Hinter ihrem naiven Liberalismus lauert der knallhart populistische Anarchismus des Multimillionärs Lex Luther (Jesse Eisenberg, der die bad-guy-Rolle irgendwo zwischen dem Joker aus Nolans Batman-Filmen und seiner eigenen passiv-agressiven Mark-Zuckerberg-Verkörperung in "The Social Network" anlegt). Dennoch attackiert auch Snyders Film die Einzigartigkeit des Helden.

Der ebenfalls von Snyder inszenierte Vorgänger hatte sich noch ganz der Singularität Supermans verschrieben. Vor allem hatte "Man of Steel" den Namen des Helden für einmal ganz wörtlich genommen und sich so konsequent wie kein Superheldenfilm vorher oder nachher der Phänomenologie des Übermenschlichen gewidmet. Henry Cavills Superman flog nicht, sondern knallte und schoss durch die Gegend, als menschgewordenes Projektil, das nicht nur ganze Großstädte mit links in Schutt und Asche legte, sondern auch die filmische Form instabil werden ließ: Wie seine Hauptfigur hatte "Man of Steel" etwas Unförmiges und Übergriffiges an sich, platzte vor lauter freidrehender Bewegungsenergie aus allen Näten, schien Wahrnehmungsorgane zu adressieren, über die der Großteil des Publikums noch gar nicht verfügt.



Das Sequel sagt allerdings: Es gibt nicht nur Superman, sondern Superman und / oder Batman. Dieser Superheldenvergleich ist einerseits durchaus interessant aufgefaltet: Während Superman endgültig ins Messianisch-Christologische abzudriften droht (der nun, wie einst Jesus, auch noch zu lernen hat, wie man für die Welt blutet), ist Batman geradezu obsessiv diesseitig. Ben Affleck interpretiert die Rolle komplett anders als Christian Bale in den "Dark Knight"-Filmen: Sein Batman ist kein spätromantischer, im Geheimen zivilisationsmüder Melancholiker, sondern ein sich selbst und anderen gegenüber gleichermaßen unnachgiebiger Selbstoptimierer (eine Figur wie aus einem Ayn-Rand-Roman - Snyder arbeitet derzeit an einer Adaption von "The Fountainhead"). Wo Superman, gerade weil er dem Menschlichen von Anfang an enthoben ist, mit offenem Visier kämpfen kann, muss sich Batman seine Menschlichkeit aktiv austreiben, mit immer durchgeknallteren Gefährten durch die Gegend düsen, seinen grobschlächtigen, aber verletzlichen Körper in immer dickere Rüstungen verpacken; auf seine altbekannte Maske hat er sich diesmal eine Zornesfalte aufprägen lassen. Am Ende stolziert er fast wie ein mittelalterlicher Raubritter durch die Gegend.

Andererseits kommt dem neuen Film, gerade weil er sich nicht mehr obsessiv mit einer einzelnen Hauptfigur identifiziert, die manische Energie von "Man of Steel" abhanden. "Batman v Superman" ist zwar noch einmal zehn Minuten länger als der Vorgänger und durchaus mit so manchem Exzess vollgestellt, aber so richtig abheben will er bis zum Schluss nicht. Superman setzt seine Kräfte enttäuschend ökonomisch ein, die einzige urbane Zerstörungsorgie wird gleich zu Beginn abgehandelt, fast wie eine müde Pflichtübung, auch die Terrence-Malick-Allusionen beschränken sich auf ein, zwei Kansas-Postkartenpanoramen. Wahrscheinlich ist es eine vernünftige Entscheidung, dass Snyder nicht versucht, "Man of Steel", diesen filmgewordenen Bewegungsorgasmus, zu überbieten. Aber das heißt eben auch: "Superman v Batman" ist ein vernünftigerer Film als "Man of Steel". Und Vernunft steht weder Snyders megalomanischem Affektkino noch dem Superheldengenre allzu gut.



Freilich ist der Film nur im Vergleich mit anderen Snyder-Filmen und höchstens in der Hinsicht vernünftig, dass er seine Attraktionen halbwegs mundgerecht zu verpacken weiß. Im engen Sinne sinnvoll ist wenig an "Superman v Batman", schon gar nicht das Drehbuch: Das konstruiert in der fast procedural-artig anmutenden ersten Hälfte dank ausdauerndem cross cutting durchaus mit einigem Geschick eine politische Verschwörung; nur um in der zweiten Hälfte die aus Genderparitätsperspektive dringend notwendige, aber leider weitgehend beschäftigungslose Wonder Woman (Gal Gadot), sowie zwei ebenso beknackte wie generische Konflikte aus dem Hut zu zaubern, die alle aufwändig behauptete Komplexität doch wieder auf Mama und (Weltraum-)Monster reduzieren.

Nun mag man einwenden, dass eine an Skriptfeinheiten orientierte Kritik Spektakelkino dieser Art fast schon grundsätzlich verfehlt. Im Fall von "Superman v Batman - Dawn of Justice" allerdings verweisen die diversen kleineren Unstimmigkeiten und größeren Durchhänger auf ein grundlegenderes Problem, das sich ebenfalls bereits im Titel manifestiert: Dessen "Gerechtigkeitsdämmerung" ist nicht bloß Krawallrhetorik, sondern verweist auf zwei weitere Superheldenfilme um eine sogenannte "Justice League", die Snyder in den nächsten Jahren drehen wird und für die das diesjährige Superheldengipfeltreffen nur ein aufgeplusterter Teaser darstellt. Das ist die vielleicht entscheidende Differenz zu Snyders magnum opus: "Man of Steel" war ein Blockbuster nicht nur im ökonomischen, sondern auch im Wortsinn: Kein Block bleibt ungebustet.

Der Nachfolger ist dagegen ein Scharnierfilm, ein Bindeglied, das dabei helfen soll, zwei im Kino bislang isolierte Heldenerzählungen in ein lukrativeres cinematic universe nach Marvel'schem Vorbild zu überführen. In einem solchen cinematic universe werden Figuren und Handlungsstränge nicht mehr als verfügbares Spielmaterial, sondern als geldwerte Anlagen betrachtet, die nicht in einem einzelnen Film verpulvert werden dürfen. In "Superman v Batman" ist, anders als in den Marvelfilmen, noch genug Platz für allerlei Spinnereien zwischendurch, und als fantasmatischer, deutlich erkennbar auf analogem Filmmaterial fotografierter Bilderbogen, der immer wieder, ohne jede Vorankündigung, bizarre Traum- und Traumabilder in die Erzählung einbrechen lässt und in dem aus dem Rauch von Hochhaustrümmern auch schon einmal ein Pferd auftauchen darf, macht das Ganze ohnehin viel Freude. Mittelfristig allerdings könnte im Zuge der allseitigen Superheldenproliferation Snyders auteuristische Singularität auf der Strecke bleiben.

Lukas Foerster

Superman v Batman - Dawn of Justice - USA 2016 - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Ben Affleck, Henry Cavill, Jesse Eisenberg, Amy Adams, Gal Gadot, HollyHunter. Diane Lane - Laufzeit: 153 Minuten.

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"Mysterious Object at Noon", das Langfilmdebüt des thailändischen Filmemachers Apichatpong Weerasethakul, ist eine Großtat des filmischen Konjunktivs. Statt einer Aussage gibt es Zweifel, statt einem singulären Erzähler eine von Orten und Menschen weitergetragene Erzählung und statt Kohärenz Hypnose. Seit seiner Premiere in Rotterdam vor 16 Jahren hat der Film nichts von seiner Faszination verloren. Man möchte fast von einem Wunder sprechen und darf retrospektiv ruhigen Gewissens behaupten, dass Weerasethakul, der kurz nur Joe genannt wird, ein Kino nach Kiarostami gefunden hat.
 
Hauptsächlich liegt das an der Art und Weise, wie eine Narration erzeugt wird und wie dieses Erzeugen zu einem Teil der betörenden Wirkung des Films wird. Basierend auf der Cadavre-exquis-Technik entstehen die Fiktionen und Erzählungen aus einem kollektiven Prozess. In diesem Verfahren der Surrealisten wurden Kunstwerke weitergereicht und fortgeführt, ohne dass es eine große, logische Idee hinter allem gibt. Weerasethakul und seinen Mitarbeitern realisieren das in Form einer Reise vom Norden in den Süden des ländlichen Thailand, in der die Geschichte eines Jungen im Rollstuhl und seiner Lehrerin mit der reichen Imagination der Leute angereichert wird, denen die Filmcrew auf der Reise begegnet. Den Menschen wird mit einem Audiotape vorgespielt, was bislang geschah, dann erfinden sie Fortsetzungen.
 
Dabei steht manchmal die Erzählung im Vordergrund und manchmal die Erzähler. Zudem entsteht eine beständige Verunsicherung durch Zwischentitel ("Es war einmal...") und die Tonebene, die Fiktionen und Begegnungen nicht voneinander unterscheidet und die die Herkunft der vielen Geräusche nicht immer klar verortet. Wie in seinem Kurzfilm "thirdworld", den Weerasethakul eine rekonstruierte Dokumentation nennt, geht es weniger um einen vordefinierten Eindruck oder gar eine Idee, sondern um das, was man sieht, wenn man vor Ort ist. Eine Momentaufnahme durchdrungen vom Prozess ihrer Herstellung. Man kann den Film nicht betrachten ohne zu bedenken, wie er enstanden ist.
 
Das bedeutet, dass sich die Dokumentation des Herstellungsprozess und die Fiktion dessen, was aus ihm entsteht, gegenseitig bedingen. Man kann nicht einfach sagen, dass das eine gestellt ist und das andere nicht. Vielmehr entsteht ein Stimmungsbild, ein Stil, der trotz der offenen Herangehensweise das Bewusstein von Weerasethakul spiegelt. In seinem bis dato letzten Film "Cemetery of Splendour" betrachtet der Filmemacher eskapistische Mechanismen von Träumen, während er in "Mysterious Object at Noon" die Maschinen zeigt, die diese Träume entstehen lassen: Kino, Erzählungen, Theater, Kinderfantasien. Alles wird durch denselben somnabulen Filter betrachtet. Es entsteht ein filmisches Flirren, dass die Verfremdungseffekte so sehr zu einer Einheit formt, dass man kaum mehr an Brecht denkt. Vielmehr löst Weerasethakul die Brüche zwischen den Ebenen auf. Es entstehen sanfte Übergänge der Verunsicherung.
 


Die Abhängigkeit des Gemachten vom Machenden findet sich auch in Weerasethakuls mittellanger Arbeit "Wordly Desires". Da beobachtet der Filmemacher ein fiktives Filmteam bei Dreharbeiten in einem Urwald. Aus der Beobachtung der Herstellung entsteht erst das eigentliche Fieber. Gerade weil die Konstruktion offenbar ist, kann man sich in den Bildern und Stimmungen verlieren. Der filmische Konjunktiv ist also zugleich die Unsicherheit bezüglich der Bilder und Töne, und das Potenzial, das sich dadurch öffnet.
 
Hinzu kommt in "Mysterious Object at Noon" ein äußerst grobkörniges, schwarz-weiß-35mm-Erlebnis (der Film wurde auf 16mm gedreht und dann aufgeblasen), welches das Undefinierbare, das Faszinierende im Material verortet. In seinem kurzen Fundstück "Monsoon" betrachtet Weerasethakul über eine Skype-Kamera die Augen und die Haut seines Gesprächpartners. Auf dessen Hand bewegt sich ein Insekt. Im Material seiner Bilder, egal ob mit einer Skype-Kamera oder auf Film aufgezeichnet, versammeln sich Sehnsüchte und Krankheiten zu einem Gefühl. Der Originaltitel von "Mysterious Object at Noon" übersetzt sich in etwa mit "Himmlische Blume in den Händen des Teufels". Es bleibt einem selbst überlassen, ob der Film die himmlische Blume ist oder die Hände des Teufels. Was man mit Weerasethakul versteht, ist, dass sowohl die himmlische Blume wie die Hände des Teufels im Plural zu denken sind.
 
Der Film erschien im Dezember in der Edition Filmmuseum in einer großartigen Restauration des Österreichischen Filmmuseums und der Film Foundation. Neben dem transparenten und von Weerasethakul betreuten digitalen Restaurationsvorgang, der die Grobkörnigkeit des Ursprungsmaterials so gut es geht erhält, beinhaltet die DVD auch die drei erwähnten kürzeren Arbeiten "Monsoon", "Worldly Desires" und "thirdworld". Außerdem findet sich im ROM-Bereich die inzwischen vergriffene Buchpublikation zum Regisseur von James Quandt. Sie beinhaltet essentielle Texte und Interviews für eine Beschäftigung mit dem anhaltenden Phänomen Weerasethakul. Eine solche DVD ist eine himmlische Blume in den Händen von Engeln.

Patrick Holzapfel

Mysterious Object at Noon - Thailand 2000 - Originaltitel: Dokfa nai meuman - Regie: Apichatpong Weerasethakul - Laufzeit: 83 Minuten.