Im Kino

Shapeshifter

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
27.02.2008. So oscargekrönt, aber auch so noir und so amerikanisch wie in ihrer Cormac McCarthy-Verfilmung "No Country For Old Men" waren die Coen-Brüder noch nie. Todd Haynes dekonstruiert in "I'm Not There" Identitäten und Bob Dylan und das Biopic.
Die Prärie, ein Mann, ein Cowboyhut. Ein Fernglas, ein Gewehr, eine Herde Gabelböcke. Ein Schuss, Treffer! Tödlich ist er nicht, die Beute flieht in Todesangst. Doch dem vergossenen Blut lässt sich leicht folgen.

Spuren zu hinterlassen, sagt diese eine von drei Einführungen, führt unweigerlich zum Tod. Spuren und Zeichen werden in "No Country for Old Men" allenthalben gelesen, gestorben wird viel und blutig. Seit "Blood Simple", ihrem gefeierten Debüt, haben die Coen-Brüder, einstige Filmwunderkinder mit allerdings Karriereknick seit ihren unerträglichen Filmen "Ein (un)möglicher Härtefall" und "Ladykillers", keinen so blutrünstigen und düsteren Film mehr vorgelegt. Jüngst gabs dafür reichlich Oscargold in den wichtigsten Kategorien - zurecht.

Der Jäger, der der Blutspur folgt, um selbst bald eine Fährte aus Blut zu hinterlassen, ist Llewelyn Moss (Josh Brolin). Kein Westernheld, eher White Trash. Eine andere Spur, ein humpelnder Hund, führt ihn zu einem Massaker: Ein geplatzter Drogendeal in der Prärie, Leichen ringsum und schwere Waffen, kiloweise Dope - und ein Koffer mit zwei Millionen. Den nimmt er an sich, für die Drogen kehrt er spätnachts zurück, wird dabei aber überascht und seinerseits zum Gejagten querfeldein, der für den Traum vom Reichtum alles andere - Frau, Zuhause, Lebenswelt - schlagartig verliert. Und er hinterlässt Spuren, an seinem Wagen etwa, den er zurücklassen muss.

An diese heftet sich der kaltblütige Killer Chigurh (Javier Bardem). Leichen pflastern seinen Weg, für ihn kaum mehr als Vieh: Statt einer Schusswaffe führt er einen Schlagbolzen aus dem Schlachthaus bei Fuß. Seine Arbeit verrichtet er mit chirurgischer Präzision: Bevor er einen um sein Leben flehenden Mexikaner unter der Dusche richtet, zieht er wortlos den Vorhang zu, um keine Blutspritzer abzubekommen; einen Kioskinhaber lässt er nach Münzwurf mit dem Leben davonkommen, ohne dass es für die Konfrontation überhaupt einen ersichtlichen Grund gegeben hätte. Ein blutiges Katz-und-Maus-Spiel entfaltet sich, quer durch Texas, nach Mexiko und zurück.

Dessen dritte Partei, eine bloße Beobachterin: Die Provinz-Polizei (Tommy Lee Jones), die ihrerseits den Spuren von Llewelyn und Chigurh folgt, um lediglich die Zeichen der Zeit zu registrieren: Die Brutalisierung des Verbrechens, das in seinen großstädtischen Formen nun - wir befinden uns in den frühen 80ern - auch die Provinz erreicht. Ein schrittweises, lakonisches Verzeichnen der eigenen Antiquiertheit: No Country for Old Men.

Eine souveräne Position hat keiner, allesamt sind sie auf Gedeih und Verderb dem Szenario ausgeliefert. Ein wiederkehrendes Motiv im Werk der Coen-Brüder: Je mehr die Figuren sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf herauszuziehen versuchen, desto tiefer sinken sie hinein - bis zur Katastrophe. Man kann, so man will, darin auch einen zynischen Abgesang auf die Ideale des "American Dream" sehen, der in "No Country for Old Men" mit alttestamentlichem Ingrimm anhebt: So noir, so sehr Western war bislang noch kein Film der beiden Brüder.

Viel von dem, was hier gut ist, ist freilich der literarischen Vorlage, dem Roman von Cormack McCarthy, geschuldet. Die ohnedies wie für die Coens ersonnene Geschichte um unerwarteten Geldsegen, das große Verbrechen, kaum entrinnbare Verstrickungen und alle denkbaren menschlichen Verfehlungen wird von den beiden nahezu wortwörtlich adaptiert, dabei aber kongenial in großartige karge Bilder und wunderbar ausgebreitete, völlig dialoglose Sequenzen übersetzt, in denen das eine das nächste ergibt und alles zum unausweichbaren, mit ungemeiner Raffinesse inszenierten Showdown führt. Eine, wenn einmal in Gang gesetzte, skrupellose, von schicksalshaften Zufällen noch begleitete Maschinerie.

Wie zuletzt der wuchtige "There will be Blood" ist auch "No Country" großes amerikanisches Kino, das immer dann am besten ist, wenn es zu kulturellen Krisen eine Entsprechung sucht. Auch hier sind Gier und Skrupellosigkeit handlungsstiftende Motoren, in ihrer Verschränkung mit jenen ur-amerikanischen Motiven des Film Noir und des Western, aus deren Repertoire die Coens reichlich schöpfen, ergibt sich eine Art andere, grimmige Gründungsmythologie der USA.

Thomas Groh

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Überall und nirgendwo: Bob Dylan, wohin man sieht. Aber Dylan ist nicht Dylan, das Biopic ist kein Biopic, stattdessen die wundersamste Darsteller- und Namensvermehrung. Dylan ist Marcus Carl Franklin ist Woody Guthrie ist Robbie Clark ist Heath Ledger ist Jude Quinn ist Cate Blanchett ist Richard Gere ist Billy the Kid. Dylan ist Ben Wishaw ist Arthur Rimbaud. Dylan ist jung ist alt ist schwarz ist weiß ist männlich ist weiblich. Dylan ist immer ein anderer, Todd Haynes, der Regisseur mit dem Queer- und Gender-Studies-Examen hat ein Leben, eine Identität, einen Superstar gründlich in seine Einzelteile zerlegt. Dazu läuft im Hintergrund Dylan-Musik.



Dylan ist omnipräsent in "I'm Not There", aber er ist, nicht nur als Name, sondern auch im Bild abwesend, nur ein paar Sekunden Echt-Dylan gibt es am Ende, ein fading out in die Schwarzblende, dann folgt der Abspann und der ist ellenlang. Todd Haynes betreibt die filmische Lebensbeschreibung als multiplikatives Verfahren, aus einer geradezu unendlichen Vielzahl von Dylan-Fakten und Dylan-Anekdoten und Dylan-Mythen und Dylan-Imaginationen filtert er eine Dylan-Essenz. Aber diese Essenz hat mit einer Substanz, einem Kern, einer Identität nichts zu tun. Die Dylan-Essenz ist die ständige Transformation oder, um der Sache den angemessen mythischen Namen zu geben: das Shapeshifting.

Shapeshifter sind Figuren in den Fabeln der Völker, von denen man nie weiß, in welcher Gestalt sie erscheinen. Sie sind unheimlich, weil sie wiederkehren, aber mal in dieser, mal in jener Form. So versteht dieser Film den Musiker Dylan, der seit Jahrzehnten ja nun auch auf seiner neverending tour nichts anderes tut, als seine totgesungenen Songs zu zersingen, sie jedesmal so zu singen, als sänge er sie - die jeder kennt, die man kaum mehr erkennt - das erste Mal. "I'm Not There" ist darum der Versuch einer Anverwandlung, auf vielen Ebenen. Einer Anverwandlung, die den Ehrgeiz hat, mit ihrem ungenannten, aus dem Hintergrund aber immerzu in den Film hineinsingenden Gegenstand auf Augenhöhe zu bleiben.



Auch Todd Haynes ist ein Meister des Shapeshifting. In "Far From Heaven" hat er zum Beispiel Douglas Sirk nachgespielt, nicht täuschend echt, denn es gibt, so die tiefe dekonstruktive Überzeugung von Haynes, kein wahres Leben im täuschend Echten des Kinos. Die Wahrheit liegt in der Künstlichkeit und darum ist nichts wahrer als ein künstlicher, ein multiplizierter Dylan, dessen Gestaltwandlungen der Film sich nun, versessen auf lustvolle Künstlichkeit, selbst anverwandelt. Darum hat "I'm Not There" keinen einheitlichen Stil. Darum ist er mal in Farbe, mal in Schwarz-Weiß gedreht, mal ein Fake-Documentary, in dem Julianne Moore als Alice Fabian, die Joan Baez ist und auch nicht, auftritt und sich erinnert, mal eine leicht surreale Western-Reimagination mit Pat Garrett und Billy the Kid und Vietnambildern zwischendurch, mal eine David Lyncheske Zirkusfreaknummer, mal eher Fellini. Du musst immer ein anderer werden, um der zu sein, der du bist. So versteht Todd Haynes seinen Dylan und wahrscheinlich versteht er ihn gar nicht falsch. "I'm Not There" jedenfalls beweist: Da haben sich zwei gefunden, die die Erwartungen nur erfüllen, indem sie sich ihnen immer wieder entziehen.

Ekkehard Knörer

No Country For Old Men. USA 2007 - Regie: Joel Coen, Ethan Coen - Darsteller: Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly MacDonald, Garret Dillahunt, Tess Harper, Barry Corbin

I'm Not There.USA 2007 - Regie: Todd Haynes - Darsteller: Christian Bale, Cate Blanchett, Heath Ledger, Richard Gere, Julianne Moore, Michelle Williams, Ben Whishaw, Charlotte Gainsbourg, Marcus Carl Franklin, David Cross