Im Kino

Summa Comoediae

Die Filmkolumne. Von Ekkehard Knörer, Nikolaus Perneczky
20.07.2011. Nicht weniger als die Komödie, auf die die Welt gewartet hat, ist Kirsten Wiig und Paul Feig mit "Brautalarm" gelungen: Die Männer-Nerd-Welt des Judd-Apatow-Universums bekommt ihr saukomisches weibliches Pendant. Ganz schlauen Horror, der auf subtile Mittel des Schreckens souverän verzichtet, bringt James Wans Geisterbahn des Verdrängten mit dem Titel "Insidious" auf den Tisch.


Vermutlich sollte ich es besser wissen. Aber es versetzt mich noch jedes Mal ins Staunen, wieviel Welt in die konventionalisierten Formen des Genrekinos hineinpasst, wenn sich nur unter den richtigen Umständen die richtigen Köpfe finden, diese Formen auch aufzufüllen. "Bridesmaids" hat von beidem reichlich. Als Produzent fungiert Judd Apatow, den man sich nicht so sehr als Strippen ziehenden Akteur hinter den Kulissen, sondern als gänzlich äußerliche (nach außen gerichtete) Schnittmenge all dessen vorstellen muss, was im Hollywood der Nuller- und, wie es den Anschein hat, auch der Zehnerjahre an wirklich Komischem anfällt. Es soll hier nicht unterstellt werden, die gegenwärtige Hochzeit der amerikanischen Komödie gehe auf einen Einzelnen zurück. Im Gegenteil vermittelt sich die Vortrefflichkeit des Genres zuerst in seinen Figuren-Ensembles und Milieu-Assemblagen, in seiner postklassischen Vielheit mehr als in seiner, in Ansätzen durchaus auch vorhandenen, klassischen Einheit. Paradoxerweise kommt aber der Name Judd Apatows heute genau für das zu stehen, was mit einem Namen eigentlich gar nicht mehr bezeichnet werden kann: für Familienähnlichkeiten, die eine Reihe von Komödien des letzten Jahrzehnts lose untereinander verbinden, ohne dass diese deswegen gleich dieselbe Handschrift oder etwas Ähnliches aufweisen.

Regie bei "Bridesmaids" führte Paul Feig, der davor vornehmlich fürs Fernsehen gearbeitet hat und dort unter anderem für die wunderbare, leider nur eine Staffel zählende Highschool-Serie "Freaks and Geeks" als Creator verantwortlich zeichnete, eine Serie übrigens, in der wir rückblickend deutlich eine der Keimzellen des Apatow-Organismus erkennen können: die Schauspieler James Franco ("Pineapple Express", "Your Highness"), Seth Rogen ("Knocked Up", "Funny People") und Jason Segel ("Forgetting Sarah Marshall", "How I Met Your Mother") standen dort in ihren ersten Rollen vor der Kamera, der Regisseur Jake Kasdan ("Walk Hard: The Dewey Cox Story", "Bad Teacher") und andere, die sich wie Mike White (Schreiber für "Freaks and Geeks", Produzent und Darsteller in Jared Hess? abseitigem "Gentlemen Broncos") nicht ohne weiteres dem einen oder anderen Segment des arbeitsteiligen Produktionsprozesses zuordnen lassen, verdienten damals, Ende der 1990er Jahre, bei "Freaks und Geeks" ihre Sporen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen - aber zurück zu "Bridesmaids", der über seine Hauptdarstellerin und Koautorin Kristen Wiig dann auch noch Verbindungen zur anderen großen amerikanischen Komiker-Talentschmiede, der Satiresendung "Saturday Night Live" unterhält, von wo aus Wiig nach kleineren Engagements den Sprung in die A-Liga schaffte.

Mit einer solchen Genealogie im Rücken nimmt es dann auch nicht wunder, dass "Bridesmaids" in vieler Hinsicht wie eine vorläufige summa comoediae daherkommt. Was dieser Film alles kann; wie viele Register des Komischen er beherrscht, wie viele soziale Milieus er leichthin und wie nebenher streift, wieviel Politisches ihm an jeder Alltagserfahrung aufgeht, ohne diese darum gleich als Problem zu verhandeln - das geht auf keine Kritikerhaut. Und als ob das noch nicht genug wäre, ist "Bridesmaids" dann auch noch derjenige lange antizipierte Film, der das notorisch Bubenhafte der amerikanischen Komödie endlich aufsprengt, um alle Erwartungen, die man in diesen entscheidenden move hin zu weiblichen Autoren, Erfahrungen und Humor investiert hatte, prompt zu erfüllen, ja überzuerfüllen: "Bridesmaids" ist der Film, auf den die Welt gewartet hat. Freilich gab es schon vorher Filme, die sich anschickten, das Genre aus der patriarchalen Umklammerung zu lösen. Keiner tat es indes so programmatisch wie "Bridesmaids". (Das Fernsehen ist dem Kino da sicherlich voraus; vgl. Sarah Silverman, Tina Fey, Amy Poehler et al.)

Es gibt eine Szene, in der Kristen Wiig mit rein mimischen Mitteln ihre Impression eines erigierten Penis wiederzugeben sucht, und es gibt eine Szene, in der ihre entschieden post-feministische Berufung, das Backen ornamentaler Cupcakes, einfach ernst genommen wird - als ob es die unglückliche Assoziation von Frau und Herd nie gegeben hätte. Es gibt eine, mehrere Szenen, in denen Wiig und ihr selbsterklärter "fuck buddy" (John Hamm) Sex haben oder eben noch hatten, Szenen, die großes Elend in sich tragen und trotzdem sehr lustig sind. Es gibt Szenen, die ihren Humor daraus schöpfen, dass sie uns glaubhaft die Privatsprache zweier Jugendfreundinnen zugänglich machen und gleich nebenan solche, die reines, ungeschöntes gross-out mit von einer Lebensmittelvergiftung gemarterten Frauenkörpern betreiben. Es gibt Szenen, die Dialogpointe um Pointe häufen und solche, die sich rein situativ und in einer Weise entfalten, die, womöglich aus der Tradition der Improvisationskomik herkommend, der klassischen Stromlinienform und mit ihr auch einer übergreifenden Erzählökonomie zuwiderläuft.

Das alles geht natürlich nur bedingt zusammen, will gar nicht zusammengehen. Denn wie die besten, jedenfalls aber die erstaunlichsten der neueren amerikanischen Komödien, ist "Bridesmaids" ein unglaublich vielseitiges, aber darum auch unebenes Ding. Nicht ganz so entgrenzt wie Apatows "Funny People" oder Nicholas Stollers "Forgetting Sarah Marshall" behält "Bridesmaids" den Fortgang seiner Erzählung um die Vorbereitungen zu einer Hochzeit und das unvermeidliche Telos der Paarbildung zwar stets im Blick. Das Fleisch des Films ist aber anderswo zu suchen: In der Schilderung von Frauenfreundschaften, welche die primäre Sorge der bro-mance - "Was wird aus der Freundschaft, wenn die Paarbeziehung gelingt?" - unter umgekehrten Geschlechtervorzeichen spiegelt und dabei durchaus ernste, ja dunkle Untertöne anschlägt; Untertöne, die in den Buberl-Varianten desselben Stoffs aus Gründen, die außerhalb des Genres und inmitten der Gesellschaft liegen, nur selten zu vernehmen sind. Ob "Bridesmaids" an die Paarbeziehungen, die sich am Ende herstellen, auch glaubt, ist zumindest zweifelhaft. Der Schaden, den sie den Freundschaften zufügen, der ist jedenfalls echt.

Nikolaus Perneczky

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Den unwillkürlichen Schrecken mit Mitteln des Handwerks willkürlich herbeiführen: darum geht es im Horrorfilm. In einer Hinsicht sind dem Kritiker da auf de einen Seite in der Beurteilung alle Argumente schnell aus den Händen geschlagen: Diese Herbeiführung gelingt im je einzelnen Zuschauerfall oder sie gelingt nicht. Man kann das Handwerk beurteilen, kann im Zweifelsfall aufgrund der unwillkürlichen Reaktionen eines Publikums manchmal nur staunen: In Oren Pelis "Paranormal Activity" etwa, einer mockumentarischen Version nächtlichen Haus-Horrors, haben sich Millionen Menschen furchtbar gegruselt, ich dagegen habe mich schrecklich gelangweilt. Peli hat nun auch James "Saw" Wans unendlich brachialeren - dabei jugendfreien - Schocker "Insidious" koproduziert. Der schrappte, kann ich zum Register unwillkürlicher Schrecken nur sagen, bei mir mit Holter und Polter sehr am Nervenkostüm.

Subtil ist "Insidious" auf einer ersten Ebene nicht. Originell sind die Mittel, mit denen er den Zuschauer, jedenfalls mich, in Angst und Schrecken versetzt, ebenso wenig. Anders gesagt: Man sieht und hört diese Mittel. Sie verstecken sich nicht, ganz im Gegenteil, James Wan stellt sie von Anfang an aus. Wenn etwa im Vorspann schon die Kamera durchs Innere eines Hauses schwebt, ist das ein uralter Trick. Die Grammatik des Kinos sieht als normalen Fall vor, dass die Bewegung der Kamera durch etwas anderes als sich selbst motiviert ist. Etwas bewegt sich im Blickfeld und sie bewegt sich "objektiv" mit. Mit Blendenbewegungen wie "Zooms" (leider etwas aus der Mode gekommen) werden einzelne Dinge unterstrichen und betont. Wenn aber die Kamera sich ohne äußeren Anlass in Bewegung setzt, dann hat das - im Rahmen des Standard-Erzählfilms - stets etwas Unheimliches. Sie scheint so etwas zu sagen und spüren zu machen wie: da ist ein Anlass, nur kennnst Du ihn nicht. Also sieht man Geister.


Sehr oft bewegt sich die Kamera in "Insidious" unmotiviert. Rasche Zufahrten, Schweben und Gleiten, rasant pointierende Bewegungen: auf nichts davon verzichtet James Wan. Dramaturgisch geschickt, aber wiederum alles andere als originell, ist der Film darin, eher ruhig anzufangen. Etabliert wird Kleinfamilienglück im neu bezogenen Haus. Mutter und Kind tragen Schlafanzüge mit identischem Muster, so wird auf etwas übertrieben deutliche (auch: nicht ganz unkomische) Weise schon Nähe und Identifikation hergestellt - und zwischen Mutter-Sohn-Dyade und Vater-Figur bereits eine erste Distanz dargestellt.

Man ahnt auch sogleich: umso heftiger wird der Riss sein, der da entsteht, wo diese Symbiose zerstört wird. Alsbald folgt diese Zerstörung. Sehr genau und bewusst legt der Film dabei Spuren in die Vergangenheit eben des Vaters. Was hier hervortritt, sind Geschehnisse seiner Kindheit, die er verdrängt hat. Die werden nun Horrorgestalt und die doppelte Lesbarkeit von Familie/Haus/Vergangenheit/Horror macht die Schlauheit des Drehbuchs aus. Mit Ruhe in Kleinfamilie und Haus ist dann in der Tat Sense. Durch den Riss dringt eine perhorreszierte Außenwelt ein. Der Film erzählt, wie viele andere auch, die Geschichte von der Störung und (nicht notwendig gelingenden) Wiederherstellung der kleinfamilialen Ordnung und Ruhe. Der Vater muss den Sohn von einem "Irgendwo Anders", das hier als "Further" zum Jenseits diesseitig liegt, holen. So wäre der Frieden wiederhergestellt, das Eindringen der Astralleibverwandtschaft verhindert.



Astralleibverwandtschaft, well, well. Der Hokuspokus feiert ganz schön fröhlichen Urstand. Das Erfreuliche daran ist: Regisseur James Wan weiß das und tut gar nicht erst ernst. Mitten im Film kommt der bis dahin durch vielerlei musikalisch mit Wumms und fanatischem Streichereinsatz ans Ende ihrer nervlichen Belastbarkeit getriebenen Familie ein gar merkwürdiges Team ins Haus. Eine ältere Dame mit Namen Elise sowie ihre zwei bizarr ausgestatteten Ghostbuster-Nerd-Assistenten. Von diesem Auftreten an treibt es "Insidious" toll. Der Film wird zur Geisterbahn und ist auch noch stolz drauf. Aus Türen und Schränken treten aufgedonnerte Leichen und des Vaters Reise durchs Further ist aufs allerdings Schönste von keinem Geringeren als David Lynch (plus kurz und wild mal von der Svankmajer/Quay-Tradition) inspiriert, was dazu führt, dass er den Familienhorror in einer herrlichen Mordinstallation gleich noch einmal redupliziert. Mit seinem Laternchen schleicht der Vater zur Rettung des Sohns durchs Dunkel einer anderen Welt, während das eigene Zuhause längst selbst zum Freak-Kabinett geworfen ist. Man darf das Ende nicht verraten, jedoch sei so viel gesagt: Es ist mehr als ein beliebiger Twist. Die Botschaft des Films nämlich ist, Astralleiber hin, Horrorschrecknisse vertrauter Machart her, eine verdammt schlaue Geisterbahn mit ganz klarer Botschaft: Ist die Haus-Ordnung erst einmal ruiniert, dann kehrt so schnell kein Frieden mehr ein.

Ekkehard Knörer

Brautalarm. USA 2011 - Originaltitel: Bridesmaids - Regie: Paul Feig - Darsteller: Kristen Wiig, Maya Rudolph, Rose Byrne, Wendi McLendon-Covey, Ellie Kemper, Melissa McCarthy, Chris O'Dowd, Matt Lucas, Rebel Wilson, Jill Clayburgh

Insidious. USA 2010 - Regie: James Wan - Darsteller: Patrick Wilson, Rose Byrne, Barbara Hershey, Lin Shaye, Ty Simpkins, Andrew Astor, Angus Sampson, Leigh Whannell, Corbett Tuck, Heather Tocquigny, Ruben Pla

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