Im Kino

Wille zum Scheitern

Die Filmkolumne. Von Thomas Groh, Ekkehard Knörer
27.07.2011. Als Film arg missraten und trotzdem hochinteressant: Aljoscha Pauses Porträt des gescheiterten Fußballtalents Thomas Broich als glücklicher Mensch "Tom Meets Zizou". Verwüstungen in japanischen Schülerseelen schildert in liebreizenden Zeitlupenbildern Tetsuya Nakashimas Rachedrama "Geständnisse".


Wenn in "Tom Meets Zizou" das erste Mal die Stimme des Off-Kommentars erklingt, dann kann man sich zunächst in einem der Filmchen von "Aktenzeichen XY" wähnen. Wasserburg, ein junger Mann steigt in den Wagen und weiß noch nicht, was ihm blüht. Auktorialer Erzähler, deutet voraus, kennt Fakten, hat schon kapiert und blickt auch in den Kopf des Subjekts. Dagegen ist "Golzow"-Junge ja Gold! Anderes enerviert eher noch mehr: Schießen Sie bitte auf das zum Erbrechen wiederholte Klavier-Leitmotiv. Filmemacher Aljoscha Pause liebt das Klischee. Es geht diese Ästhetik aus dem Film auch nicht weg. Das Erstaunliche: Er ist trotzdem hochinteressant.

Die Geschichte als solche ist in wenigen Sätzen erzählt. Thomas Broich ist eines der großen Fußballtalente seiner Generation. In einem frühen Stadium seiner Karriere spielt er auf Augenhöhe mit Schweinsteiger, Lahm und Podolski, ist ihnen in Ballbehandlung und Technik wohl gar voraus. Als lesender und reflektierender und klavierspielender und sein Lesen und Reflektieren und Klavierspielen ausstellender Spieler wird er mit Argwohn betrachtet. Sie nennen ihn Mozart. (Dabei, stellt er richtig, war das, was er da im Auto gehört hat, doch Orff. Klugscheißer.) Für einen begnadeten Techniker wie ihn steht die Schublade "Schönspieler" von Anfang an sehr weit auf. Er hat Pech mit seinen Trainern, stagniert sportlich, es geht bergab. Im Moment der größten Krise, in dem er den Fußball aufgeben will, wagt er den Absprung in die international nicht sehr bedeutende australische Liga und wird mit den Brisbane Roar in diesem Jahr Meister. Von 2003 bis 2011 zeichnet der Film die Stationen des Lebens und der Karriere des Thomas Broich nach. Es ist ein Film übers Scheitern, ein Film über ein großes Fußballtalent, das, da sind sich eigentlich alle Beteiligten einig, sein Potenzial nicht erfüllt hat. "Tom Meets Zizou" ist aber, und das macht die Sache interessant, kein Film über einen gescheiterten Mann.

Man muss Thomas Broich nicht in allen Äußerungen und Selbststilisierungen mögen; er tut es ja hinterher selbst nicht. Im Interview mit Zeit online resümiert er die Lektion für sich selbst bündig: "Der Film macht deutlich, wie man es als Profi nicht machen sollte." Als Profi, das stimmt, sicher nicht. Als Mensch vielleicht aber schon. Um Differenzen dieser Art, Scheitern/Glücken und Profi/Mensch, geht es. Die Klischees zu großen Fragen wie diesen liegen auf der Straße und gerade in der Kommentarspur liest Pauses Film sie auch auf. Was Broich, als Zeuge seiner eigenen Taten, dazu sagt, ist verlässlich differenzierter. Die Moritat vom für die Bundesliga und ihre Mechanismen und Tücken zu sensiblen und intellektuellen Fußballer bricht er selbst auf. Es hätte - den Eindruck gewinnt man - gutgehen können. Fast kann man von etwas wie einem Willen zum Scheitern sprechen, der seinen Antrieb zum Erfolg von Anfang an konterkariert. Michael Oenning, sein Freund und dann Trainer in Nürnberg, ein weiterer sehr kluger Kopf, formuliert das genau so. Broich widerspricht nicht.

Dieser Wille zum Scheitern ist nicht rein destruktiv. Er ist nicht zu unterscheiden vom Willen, ein anderes Leben neben dem Fußball zu haben. Etwas Missionarisches, das Broich dann selbst für seinen arroganten Zug halten wird, kommt hinzu. Er will allen zeigen, dass das doch möglich sein muss: in der Gegenwart des Profisystems ein Kopf mit Ecken und Kanten zu sein. Man kann erkennen: den Kopf selbst finden die meisten seltsam, aber respektabel. Es ist eher die missionarische Zusatzbehauptung, die sie gegen Broich aufbringt. Und das kann man verstehen. Noch besser ist aber Broich zu verstehen. Seine Trotzhaltung gegen Dick Advokaat, den Trainer in Gladbach, seine Skepsis gegen den "Sonnengott" Christoph Daum dann in Köln (später mischt sich in die Ablehnung auch Respekt): das verdient, so sehr es sich destruktiv auswirkt, Sympathie.

Viel ist die Rede von Verantwortungsbewusstsein und Vernunft der aktuellen Lahm-Schweinsteiger-Generation. Im Insistieren Thomas Broichs auf kaum mehr als seinen Eigenheiten (als Spieler und Mensch) liegt dagegen ein Modikum Unvernunft, das aber mit dem großmäuligen "Rebellentum" eines Mario Basler nurmehr wenig zu tun hat. Broich ist eher ein Fall für die postfordistische Managmenttheorie. Im Vergleich zu den anderen wäre Broich als Typus des konstruktiv kritischen Mitdenkers durchaus Avantgarde. Eigentlich wäre auch und gerade im aktuellen Systemfußball einer wie er, der mit der ihm eigenen moderaten Exzentrik in entscheidenden Momenten auf dem Platz das Überraschende tut, der richtige Ort. In einigen Spielen, in denen er den Entfaltungsraum bekommt, den er braucht, zeigt er das auch. Aber das System legt ihm, darin selbst an seinen Modernisierungsansprüchen scheiternd, nahe zu scheitern. So scheitert er auch. Das ist bedauerlich, aber nicht im strengen Sinn tragisch: Es liegt keine Notwendigkeit darin.



Thomas Broich töpfert einen griechischen Tempel. Er macht einen Volkshochschulkurs. Er liebt seine Katzen. Er bekennt sein Unglück. Er sagt: "Mit mir nicht." Er sucht ein Leben mit Freunden in seiner WG. Er büchst aus dem Krankenhaus aus und riskiert damit seine Karriere. Ein Proben von Widerstandsgesten. Er möchte vor allem eins: Mit sich im Reinen sein. Er möchte lernen, so zu leben, mit Scheiterbewusstsein, dass es sich menschlich richtig anfühlt. Oder er möchte den Widerstand und den Erfolg und das Glück unter einen Hut bringen. Wenn er sich der Kamera zuwendet, sogar anvertraut, dann spürt man immer, er spricht zugleich von etwas anderem weg. Er möchte in der anderen Welt, denkt man, so leben, dass da immer zugleich Zu- und Wegwendung ist. Nicht mit Haut und Haar aufgehen in der Erwartung. Noch im Ermüdungsbecken liest er sein Buch. Australische Liga, das Scheitern aus Bundesliga-Perspektive, ein Glück am anderen Ende der Welt.

Ekkehard Knörer

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Sobald das jüngere japanische Kino den Blick auf die Schulkinder seines Landes wirft, wird es mulmig. In der Dystopie "Battle Royale" (2000) mussten die Schüler einer Klasse von Staats wegen einander dezimieren, in "Suicide Club" (2001) geht Sion Sono einem unter Schülern weite Kreise ziehenden Selbstmordclub nach, in "All About Lily Chou-Chou" (2001) vollzieht Shunji Iwai auf intime Weise die Mobbingdynamiken unter Schülern nach. In der Animeserie "Death Note" (2006) schließlich erliegt ein Musterschüler als dunkler Vigilant seiner Hybris. Es rumort in Japans Schulen, hat es den Anschein.

Kaum farbenfroher wird das Bild in Tetsuya Nakashimas in Grau- und Blautönen gehaltenem "Geständnisse", in dem sich eine aus ihrem Beruf scheidende Lehrerin bitter an zwei ihrer Schüler rächt. Die haben zuvor die vierjährige Tochter der alleinerziehenden Lehrerin ermordet. Noch perfider wird die Tat, da sie - wenngleich in ihrer Ausführung unvorgesehen spontan - minutiös geplant und aus einem genauen Absichtsinteresse hervorgegangen war und sich im Nachhinein nicht einfach mit einem Verweis aufs Bestialische wegerklären lässt.

Zwei Kinder als kalkulierende Mörder, eine Mutter als noch präziser kalkulierende, unterkühlte Rächerin. Von diesen Polen her entfaltet "Geständnisse" ein detailreiches Narrativmosaik, in dem einzelne Handlungssplitter erst nach und nach über sich wechselseitig kommentierende und einander ins rechte Licht rückende Geständnisse aller Beteiligten mit Sinn gefüllt werden. Das ist einerseits reizvoll - man denkt mitunter an Kurosawas "Rashomon", auch wenn an dessen Ende, ganz im Gegensatz zu "Geständnisse", ja gerade nicht die sortierte Gesamtschau, sondern allenfalls die Erkenntnis, dass es keine objektive Erkenntnis gib, steht -, andererseits aber auch ziemlicher Budenzauber aus der Virtuosenkiste.



Das Filetstück, an das der Film nie wieder anschließt, ist gleich der Beginn: In einem rund zwanzigminütigen, absolut kontrollierten Monolog schildert die Lehrerin, welcher Verlust ihr widerfahren ist, welche Erkenntnisse sie seitdem zusammengetragen hat und dass, Schock in der Klasse, die Mörder ihrer Tochter sich hier im Raum befinden. Die Schüler toben und simsen einander ihre Spekulationen zu, Ton, Kamera, Montage zergliedern das Geschehen, bereiten es auf, mischen Rückblenden unter und setzen den Rahmen für den vertrackten Erzählmodus, den Tetsuya Nakashima - zuvor als "Tim Burton Japans" eher für schrill überdrehten, bonbonfarbenen Unterhaltungs-Nonsens bekannt - für seinen Film wählt: Die Zergliederung der Chronologie, die Assoziation des Gesagten und seine Re-Kontextualisierung und Ergänzung im Rückblick. Zugleich setzt die Lehrerin eine Entwicklung in Gang, an deren Ende mehrere, allerdings nicht von ihr ermordete Tote zu beklagen sind - vom Pathos der Rache, von affizierender emotionaler Entladung fehlt im streng auf Zeitlupe getakteten "Geständnisse" auch ganz bis zum Schluss jede Spur.

Alles gerinnt dabei zum liebreizenden Bild, dem jedes Leben in technischer Perfektion entzogen ist. Und vielleicht ist das auch das größte Problem von "Geständnisse": Dass sich der Film schlussendlich für die endlosen Dramen und Tragödien aller Beteiligten - es geht um emotionale Vergletscherung genauso wie Empathielosigkeit, zerborstene Familien und mangelnde Anerkennung - im Endeffekt nur soweit interessiert, als es sich im Bild mit Gewinn anordnen oder, noch besser, in Zeitlupe ästhetisieren lässt. Daneben und darunter gelegt ist ein endloser Soundtrack aus mal klirrenden, mal dröhnenden Gitarren oder einlullenden Schlummerpads aus dem Ambient-Folder: Wehmuts-Mixtape aus dem Schüler-MP3-Player, um das Gezeigte ins bitter lyrisch-melancholische, womöglich mit-leidbare zu wenden. Einer der Lehrer trägt denn auch den Spitznamen "Werther".

Thomas Groh

Tom Meets Zizou. Deutschland 2011 - Regie: Aljoscha Pause - Darsteller: (Mitwirkende) Thomas Broich

Geständnisse. Japan 2010 - Originaltitel: Kokuhaku - Regie: Tets­u­ya Na­ka­shi­ma - Darsteller: Takako Matsu, Masaki Okada, Yoshino Kimura, Yukito Nishii, Kaoru Fujiwara, Ai Hashimoto, Hirofumi Arai, Makiya Yamaguchi