Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
27.10.2003. Die New York Review of Books verneigt sich vor Eminem. "Wo sind Kafkas Nachfolger?", fragt Zadie Smith in The New Republic. Das TLS verneigt sich vor der Reaktion, trinkt aber mit dem Sozialismus Champagner. Prospect schildert den Rausch des Neuen in Peking. Umberto Eco rühmt im Espresso die Schönheit der Erkenntnis. Die New York Times ist beeindruckt vom rigorosen Denken des Nobelpreisträgers J. M. Coetzee. Die London Review staunt über die Belesenheit Erich Auerbachs. Der Nouvel Obs stellt Briefe Leon Blums vor, der im Konzentrationslager Buchenwald Furtwängler hörte und den Urfaust las.

New York Review of Books (USA), 06.11.2003

Die New York Review of Books wird vierzig! Zur Geburtstagsfeier hat sie sich glänzend in Schale geworfen und in einer Sonderausgabe all ihre Autorinnen und Autoren von Rang versammelt.

Andrew O' Hagan nimmt den Rapper Eminem vor all den Politikerfrauen in Schutz, die dem Bad Boy am liebsten den Mund mit Seife auswaschen würden: "Eminem hat nicht das Pillen schluckende, Schule schwänzende, frauenhassende, Waffen schwenkende, Schwulen hetzende, Dope rauchende, Knast-freundliche Gangland Amerika erfunden, er macht nur Musik darüber - Lieder, die offensichtlich das Wahrheitsempfinden von Millionen Menschen ansprechen." Der Artikel ist garniert mit einigen gepfefferten lyrics von Eminem.

Es steht nicht gut um die Klassik: CDs müssen die Kosten einspielen, britische Universitätsverlage haben nicht mehr sämtliche Werke von Francis Bacon im Programm und Schweizer Waffenfabrikanten finanzieren nicht mehr die Edition deutscher Klassiker, seufzt Charles Rosen. "Doch nicht nur die Produktion, sondern auch die kritische Interpretation treffen die Gesetze des Marktes. Um Aufmerksamkeit zu erzielen, ist Neuigkeit hilfreich, doch notwendig scheint der Skandal. Wurden einige von Felix Mendelssohns Werken in Wahrheit von Schwester Fanny geschrieben? War Huckleberry Finn schwul? Das sind die großen Fragen, die eine Diskussion provozieren ...."

"Der Krieg bietet reichliche Gelegenheiten für die meisten Varianten der Dummheit. Unter ihnen ist eine Sorte des Wahnsinns, die im Krieg ganz besonders zum Tragen kommt: die Gier nach Ruhm." Steven Weinberg erläutert in einem Essay, der von der Seeschlacht bei Actium über den deutschen U-Boot-Krieg bis zum Raketenschild der USA führt, wie verheerend sich diese Form der "institutionalisierten Prahlerei" auswirkt. Untrügliche Anzeichen sind ihm dabei: "die Bereitschaft, unter ungünstigen Umständen zu kämpfen; die Vorliebe, unabhängig von den Alliierten oder Kollegen zu handeln; eine unvernünftige Neigung zum Angriff statt zur Verteidigung; der Ehrgeiz, eine entscheidende Rolle beim Erreichen des Sieges zu spielen."

Außerdem in dieser Prunk-Ausgabe: Joan Didion hat sich durch sämtliche Bände des fundamentalistischen Megasellers "The Left Behind" gearbeitet. Der Plot klingt toll: Die Rechtgläubigen sind bereits gen Himmel entrückt, nur Anwälte, Journalisten und andere liberale Stanford-Absolventen sind noch auf Erden, jüdische Organisationen halten verdächtig viele Konferenzen ab, und ein rumänischer Pazifist versucht, im Namen der UNO die Völker hinter sich zu scharen... Sage und schreibe 55 Millionen Mal wurden die Bände bereits gekauft - unter anderen von George W. Bush. Weiter schreiben Elisabeth Hardwick über Nathanael West, John Updike über den einzigartigen El Greco, Margaret Atwood über Studs Terkel, Tim Parks über Cesare Pavese, Luc Sante über das New York der Siebziger Jahre, Freeman Dyson über Einstein und Poincare, Ronald Dworkin protestiert einmal mehr gegen die Einschränkung der Bürgerrechte in den USA. Russel Baker huldigt dem New York Times-Kolumnisten Paul Krugman, der sämtliche journalistischen Tabus bricht und die Mitglieder der Regierung Bush als "Lügner" und "Betrüger" entlarvt, wozu er als ehemaliger Wirtschafts-Professor der Ivy League offenbar auch in der Lage ist, und und und.

New Republic (USA), 03.11.2003

Eine höchst interessante und ausführliche Auseinandersetzung mit Kafka legt die Erfolgsautorin Zadie Smith (mehr hier und hier) im liberal-konservativen New Republic vor. Wir zitieren den Anfang: "Kafka ist das schlechte Gewissen des Romans. Sein Werk bezeugt eine Reinheit der Intention, eine Präzision der Sprache und ein metaphysisches Niveau, die zwar in der Regel zu den Fähigkeiten des Genres zählen, die der Roman aber an sich nicht voll entfalten kann ohne aufzuhören, ein Roman zu sein. Darum macht Kafka Romanautoren nervös. Er scheint anders zu schreiben als wir alle. Entweder ist er zu gut für den Roman, oder der Roman ist nicht gut genug für ihn - wie auch immer: Nachahmer sind selten. Warum ist das so? Wo sind Kafkas Nachfolger?"

Archiv: New Republic

Literaturen (Deutschland), 01.11.2003

Vicco von Bülow alias Loriot feiert achtzigsten Geburtstag und bekommt von Literaturen sein Porträt geschenkt. Hat die Wirklichkeit dem "sanften Sofa-Imperator" nachgegeben? Für Frauke Meyer-Gosau steht fest: Der Loriot-Blick ist hochgradig ansteckend und darüberhinaus auch noch unheilbar. Umso überraschender, aus heutiger Sicht, dass sein Debüt in den fünfziger Jahren viel Aufsehen und Protest erregte. Und wer hätte gedacht, dass er es war, der 1969 die erste nackte Frau ins deutsche Fernsehen brachte? Neben vielen herrlichen Zitaten ("Nehmen Sie das eventuell sofort zurück?") findet sich auch dieses schöne Beschreibungskonzentrat des legendären Paares Loriot/Evelyn Hamann: "Seine von gefährlich erhöhtem innerem Druck und erzwungener äußerer Zurückhaltung zeugende Mimik und Gestik riefen alle Klischees des deutschen Spießers auf, dessen Zwanghaftigkeit und wild entschlossene Selbstunterdrückung unweigerlich zu anarchischen Triebentladungen im unpassendsten Moment führten."

Weitere Artikel: Richard David Precht riskiert den Verlust seiner Illusionen: Er schaut sich zum ersten Mal seit seiner Kindheit die Winnetou-Filme an - und stellt fest, dass alte Liebe nicht rostet. Franz Schuh sieht in Arne Dahls "Böses Blut" nicht nur einen der besten Kriminalromane überhaupt, sondern auch den Inbegriff schwedischer Melancholie, in "herrlicher Häufung". Und das liest sich folgendermaßen: " 'Der Tag verging. Der Tag darauf verging. Noch eine Reihe von Tagen verging.' So viel Verginglichkeit war nie." Ob "Bürgerkriegskitsch" oder "symbolische Versöhnung" - Paul Ingendaay liest in der spanischen Gegenwartsliteratur, wie weit die spanische Gesellschaft von einer wirklichen Aufarbeitung des Bürgerkriegs entfernt ist. Und schließlich hat Netz-Spezialist Aram Lintzel seine eigene PISA-Studie durchgeführt, und zwar auf hausarbeiten.de.

Leider nur im Print zu lesen: das Titel-Porträt von Raoul Schrott, der "schillerndsten Figur der jüngeren deutschsprachigen Literatur".
Archiv: Literaturen

Prospect (UK), 01.11.2003

Peking ist die größte Baustelle der Welt. Jedoch nicht als zentralisiertes, womöglich ideologisch linientreues Bauvorhaben, sondern als wahrhaftig chaotische Bauexplosion, die der Architekturkritiker Deyan Sudjic in liebevoller Faszination beschreibt. Die Stadt wächst in immer neuen konzentrischen Ringen, die sie aussehen lassen wie eine "Dartscheibe", ganze Viertel schießen aus dem Boden, in einem Rausch des Neuen, der keinerlei Interesse daran zeigt, "eine Spur der jüngsten Vergangenheit zu bewahren". Fossile sind unerwünscht: "Bei einer Besichtigungstour auf einem Bauplatz zeigte der Entwickler auf einen verblassten Slogan, der auf eins der Lagerhäuser aus Backstein gemalt war, die früher die Anlage überragten: 'Lang lebe die Partei.' Der Abriss ist für nächste Woche geplant."

Weitere Artikel: Die Nachrufe auf den palästinensischen Intellektuellen Edward Said haben gezeigt, wie sehr sich die Geister an ihm scheiden. Jenseits von "Heiligenverehrung" und Nichtigkeitserklärungen versucht sich David Herman an einem Nachruf mit Balance. Colin McGinn rekonstruiert, was aus ihm einen Philosophen machte, und findet dabei heraus, wie ähnlich sich Philosophie und Sport sind. Soll es die EU zukünftig als Pauschalangebot oder "a la carte" geben? Dieser Frage widmen sich eine Reihe von Experten - darunter Charles Grant, Roger Liddle und Gilles Andreani - im Streitgespräch (den vorläufigen Entwurf der europäischen Verfassung kann man hier im pdf-Format herunterladen). Und schließlich berichtet Graham Bowley über Schein und Sein der jüngsten und vielleicht letzten britischen Volkszählung.

Nur im Print zu lesen: Mark Cousins denkt nach über Kinofilme ohne Dialoge.
Archiv: Prospect

Espresso (Italien), 30.10.2003

Umberto Eco verfasst in seiner Bustina eine leidenschaftliche Ode an die Schönheit der Erkenntnis. Von seinen drei Schlussfolgerungen hier die letzte: "Die einzige Antwort besteht darin, dass der Drang nach Wissen Verwandtschaften schafft, Kontinuität, und Verbundenheit, man schafft es, andere Vorfahren kennenzulernen als die eigenen, man lebt mehr, weil man sich nicht nur des eigenen Lebens, sondern auch des Lebens anderer erinnert, es bildet sich ein kontinuierliches Band, das von unserer Jugend (eigentlich von unserer Kindheit) bis heute reicht. Und all das ist sehr schön."

In einem kleinen Dossier behandelt Gigi Riva den "explosiven" Sonderbericht, den der Soziologe Jean Ziegler im Auftrag der UNO über die Hungersnot der Palästinenser angefertigt hat: "Die Ernährungslage in Gaza ist auf dem Stand der ärmsten sub-saharischen Länder, eine absurde Situation in einer so fruchtbaren Region, bewohnt von einem Volk mit einer agrarischen und merkantilen Tradition seit der Antike."

Weiteres: Stefania Rossini parliert mit der Erfolgsautorin und Schauspielerin Margaret Mazzantini über exzessive Selbsterkenntnis, Psychiaterbesuche, das Leben und den ganzen Rest. Im Interview wehrt sich der Regisseur Paolo Virzi ("Caterina geht in die Stadt") standhaft gegen die Unterstellung, seine Filme seien trostlos. Und Cesare Bgalbo freut sich, dass Hollywood das antike Rom wieder entdeckt: eine Welle von Sandalenfilmen kommt auf uns zu.
Archiv: Espresso
Stichwörter: Eco, Umberto, UNO, Ziegler, Jean

Economist (UK), 24.10.2003

Im Pariser Vorort Aubervilliers, berichtet der Economist, sind zwei Mädchen aus dem Gymnasium ausgeschlossen worden, weil sie das Kopftuch streng nach islamischer Vorschrift tragen, so dass nur Gesicht und Hände sichtbar sind. Dieser Vorfall hat eine riesige Debatte über das Prinzip der Laizität in der Schule losgetreten. Wahrscheinlich, vermutet der Economist, weil die traditionell integrative Auffassung der französischen Multikulturalität auf dem Spiel steht. "Muslime sind keine Neuheit in Frankreich. Die Geschichte der nordafrikanischen Einwanderung reicht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Das Neue daran, sagt Nacira Guenif-Souilamas, Soziologin an der Universität Paris XIII, ist, dass Mädchen sich früh dazu entscheiden, das Kopftuch zu tragen, und dies auch im erwachsenen Alter weiterhin tun. Dieser Trend zeigt sich am stärksten bei gebildeten Jugendlichen, deren entnervte Mütter entweder nie den Schleier getragen oder aktiv dafür gekämpft haben, ihn nicht mehr tragen zu müssen. Das sind die 'affektierten jungen Mädchen mit ihren brandneuen Schleiern', wie Chahdortt Djavann sie in ihrem Buch 'Runter mit den Schleiern!' verächtlich nennt."

Weitere Artikel: Im Titel verkündet der Economist das "Ende des Öl-Zeitalters". Es sei an der Zeit, sich vom Öl abzuwenden, nicht weil die Erschöpfung der Ressourcen bevorstehe, sondern weil das Öl-Monopol aufgebrochen und die Umwelt geschützt werden müsse. Aus Großbritannien erfahren wir zweierlei: zum einen, dass die Debatte über die Sicherheit der Londoner U-Bahn nach den zwei Unglücken in an den Haaren herbeigezogen ist, und zum anderen, warum die geplante Anti-Graffiti-Kampagne wohl kaum erfolgreich sein wird. Der neue Gouverneur von Kalifornien hat einen guten Start hingelegt, meint der Economist, doch angesichts der großen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, könnte er die Leinwand bald vermissen. Außerdem hat der Economist drei gute Bücher über berühmt-berüchtigte Kurtisanen (die sogenannten "großen Horizontalen") gelesen. Zuletzt, ein Nachruf auf den bosnischen Separatisten-Führer Alija Izetbegovic.

Nur im Print zu lesen: Wie sehr sich in Europa die Geister über das Kopftuch scheiden, wie das neue koreanische Kino aussieht, und warum Angela Merkel eine Möchtegern-Reformerin ist.
Archiv: Economist

Nouvel Observateur (Frankreich), 23.10.2003

In dieser Woche wird ein Band mit bisher unveröffentlichten Briefen besprochen, die der Politiker, Mitbegründer der Sozialistischen Partei Frankreichs und Führer der "Volksfront" Leon Blum (mehr hier) seinem Sohn aus dem Konzentrationslager Buchenwald geschrieben hat. Blum, zwischen 1943 und 1945 interniert, beschreibt darin unter anderem, wie ihn Musik und Literatur "vor der Hölle gerettet" haben. So schrieb er im November 1943: "Das Leben verläuft immer gleich. Viele Gespräche, die an jedem Tag neue Nahrung liefern. Musik (letzten Sonntag habe ich von Furtwängler eine ziemlich erstaunliche Interpretation der 7. Symphonie gehört). Und Bücher, fast immer dieselben: den Urfaust, den ich lange nicht mehr gelesen habe, schon gar nicht in einem Zuge, und der mich auf eine ziemlich seltsame Weise enttäuscht hat. Dafür habe ich eine heftige Bewunderung für Augustinus entwickelt: Du siehst also, ich bin für künftige Zeiten gerüstet."

Vor dem Hintergrund der auch in Frankreich wieder aufgeflammten Kopftuchdebatte und des streng laizistisch strukturierten Unterrichtssystems informiert ein Artikel über die Gratwanderung zwischen Wissensvermittlung und "Toleranz", in der französische Lehrer neuerdings Religion an den Schulen lehren sollen, um der "religiösen Unkultur" zu begegnen. So sollen sie beispielsweise "zwischen den Tatsachen und dem Glauben" unterscheiden und "nicht sagen: Christus ist auferstanden, sondern: die Christen glauben, dass Christus auferstanden ist". In einem beigestellten kurzen Interview erläutert der Philosoph Regis Debray (mehr hier), weshalb er den neutralen Begriff der "religiöse Tatsachen" den "spirituellen" Begriffen "religiöse Dimension" oder "religiöse Kultur" unbedingt vorzieht.

Eine Reportage führt schließlich "ins Herz der Hamas". Jean-Paul Marie hat sich im Gazastreifen umgesehen und geht in seinem Artikel den Fragen nach, wie die islamische Bewegung im Geheimen operiert, wer die angeworbenen Selbstmordattentäter sind und woher das Geld für die Unterstützung der Familien der "Märtyrer" kommt.

London Review of Books (UK), 23.10.2003

Der britische Theoretiker Terry Eagleton hat sich einen Klassiker der Literaturtheorie vorgenommen: Erich Auerbachs "Mimesis", die jetzt zum 50. Geburtstag der englischen Ausgabe in einer Jubiläumsedition erscheint. Über die ungeheure "Belesenheit" des 1957 gestorbenen deutschen Romanisten könne man nur staunen, findet Eagleton, seinen Überlegungen allerdings liege eine "recht einfache" Polarität zugrunde: "Realismus ist die künstlerische Form, die das Leben der kleinen Leute ernst nimmt, im Gegensatz zur antiken oder neoklassizistischen Kunst, die statisch, hierarchisch, dehistorisiert, überhöht, idealistisch und sozial ausschließend erscheint." Trotzdem bleibe die "Mimesis" ein wirklich wertvolles Dokument, dank ihrer "äußerst bemerkenswerten Verbindung von gelehrter Belesenheit und kritischem Scharfsinn, eine umso bemerkenswertere Verbindung in einer Zeit, da diejenigen, die alles über Bücher wissen, selten gleichzeitig deren schärfste Analysten sind - und umgekehrt."
Mehr über Auerbach im Netz finden Sie hier (Biografie), hier (von Edward Said), hier (Essay von William Calin über die "Mimesis") und hier (ein Auszug aus der "Mimesis" - auf Englisch, versteht sich. Wär ja noch schöner, wenn man einen der größten deutschen Romanisten auf Deutsch im Netz fände). Hingewiesen sei auch noch auf Hans Ulrich Gumbrechts Auerbach-Porträt in seinem wunderbaren Buch "Vom Leben und Sterben der großen Romanisten".

Weitere Artikel: Michael Wood erinnert sich an Edward Said, sein unerschütterliches Engagement und seinen scheinbaren Pessimismus. Für James Wood sind es Dostojewskij und Tolstoij, die bei J. M. Coetzees sicherlich "persönlichstem" Roman "Elizabeth Costello" Pate gestanden haben. In Short Cuts hat Thomas Jones viel Spaß am "Idler Book of Crap Towns", das die 50 britischen Städte vorstellt, in denen das Leben am furchtbarsten ist. Für Nicholas Penny steht fest, dass der Holländer Hendrick Goltzius, dem das Toledo Museum of Art eine Ausstellung widmet, der proteischste Künstler vor Picasso ist.

Nur in der Printausgabe: Eric Foner liest Lincoln-Biografien.

Times Literary Supplement (UK), 24.10.2003

"Selbst zu seinem hundertsten Geburtstag steht sein Name als Synonym für Reaktion, Obskurantismus, Bigotterie und Snobismus, und immer noch ruft er einen fast beeindruckenden persönlichen Abscheu hervor." Die Rede ist von Evelyn Waugh, dem selbst seine beste Biografen nur zubilligen wollten, "als Dichter ein großartiger Stilist" gewesen zu sein, "als Mensch jedoch ein Monster", wie Geoffrey Wheatcroft in seiner eigenen Huldigung schreibt. Angeblich hat Waugh es abgelehnt zu wählen, weil man ja einer Monarchie nicht vorschreiben dürfe, was für ein Parlament sie unter sich zu dulden habe. "Waugh verdient seinen Ruf als pessimistischer Reaktionär, er rechtfertig aber auch David Gilmours eindringliche Worte: 'Pessimisten und Reaktionäre sind die besten Propheten.'"

Weiteres: Ruth Scurr feiert Doris Lessings neue Erzählungen "The Grandmothers", besonders aber das Lachen, das in ihnen "grimmig, sardonisch, tröstlich, zu laut, unkontrolliert, erleichtert unwillig und hysterisch" klingt, aber immer "die Grausamkeiten der Liebe und des Krieges" anzeigt. John Mullan lobt das letzte Werk des britischen Historikers Roy Porter "Flesh in the Age of Reason", in dem Porter gewohnt populistisch erzählt, wie sich das 18. Jahrhundert von der Religion und ihren Priestern abwandte, um ihre Verehrung künftig dem Körper und seinen Ärzten zu widmen. Gut amüsiert hat sich Jeremy Lewis bei den Memoiren "Where There's a Will" des Champagner-Sozialisten, Dramatikers und Anwalts Sir John Mortimer (mehr), der in einigen seiner Fällen die Abgründe der menschlichen Natur kennen lernen musste - nämlich immer dann, wenn sich Erben um ein paar lumpige Schlafzimmermöbel, den alten Bentley und das Set Golfschläger stritten. (Hier eine Geschichte von Mortimer und hier seine Argumente gegen ein Verbot der Fuchsjagd.)

New Yorker (USA), 03.11.2003

In dieser Woche sind vor allem die Buchrezensionen interessant: In einer ausführlichen - und ebenso lehrreichen wie lesenswerten - Besprechung würdigt Jim Holt eine "Geschichte der Unendlichkeit" von David Foster Wallace. Keine Angst: Man brauche, so Holt, keine "speziellen Kenntnisse, um dem Plot zu folgen: Die wichtigsten Entdeckungen können, trotz ihrer Genialität, mit ein paar Strichen auf einer Papierserviette skizziert werden." Das gleiche gilt auch für seine vorzügliche geschriebene Rezension.

Mit kräftigen Worten charakterisiert John Updike zu Beginn seiner - lobenden - Rezension den Autor einer Biografie über Goya (Knopf). Robert Hughes, ursprünglich Australier und bis 2001 oberster Kunstkritiker der Time, sei ein "deftiger, auch lauter Autor", sein Stil erinnert Updike an ein "Fitnessstudio" am Strand von Sidney. Hughes habe sich "mit Workouts in Form gebracht", und wenn er "ein paar Handstände gemacht und ein paar Hänflingen Sand hinterher gekickt" habe, werde Hughes' "Vergnügen an seiner eigenen Stärke und der Geschmeidigkeit seines Denkens und Schreibens" einfach "ansteckend". Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter einer Art Kulturgeschichte eines "Fetischs" der Neuzeit: Sneakers.

Weiteres: Zu lesen ist die Erzählung "Have You Seen the Stolen Girl?" von Tony Earley, Virginia Heffernan porträtiert Tina Fey, die erste weibliche Hauptautorin der Latenight-Show "Saturday Night Life", und Jesse Lichtenstein spielt mit einer Meldung, wonach laut einer Umfrage 33 Prozent der Befragten Amerikaner glauben, dass Jesus keinen Sportwagen fahren würde (29 Prozent sind übrigens vom Gegenteil überzeugt) .

Peter Schjeldahl führt durch eine Retrospektive des russischstämmigen Malers Philip Guston im Metropolitan Museum of Art, und Alex Ross stellt den britischen Violinisten Andrew Manze vor und erklärt, warum nur "Leidenschaft" und nicht "Ehrfurcht" alte Musik "lebendig" werden lasse. John Lahr bespricht das Theaterstück "The Retreat from Moscow? von William Nicholson, Joan Acocella schwärmt von einer neuen Choreografie der inzwischen 84-jährigen Merce Cunningham an der Brooklyn Academy of Music, und Anthony Lane sah zwei neue Filme : "Shattered Glass" von Billy Ray und die Philip-Roth-Verfilmung "The Human Stain" von Robert Benton.

Nur in der Printausgabe: ein Artikel über feindselige Nachbarn, ein Bericht über die Zukunft des Wall Street Journal, eine Reportage über die Jugend der Elfenbeinküste und Lyrik von Grace Paley, C. K. Williams und Campbell McGrath.
Archiv: New Yorker

Spiegel (Deutschland), 27.10.2003

Im Netz zu lesen gibt es einen längeren Beitrag zur Brisanz des geplanten, europäischen Satelliten-Navigationssystem namens "Galileo", einem Konkurrenzunternehmen zum amerikanischen GPS-System. Beide System sind, wie Winfried Didzoleit, Siegesmund von Ilsemann und Dirk Koch berichten, "weit mehr als nur ein System zur weltweiten Ortsbestimmung. Die 28 US-Satelliten, die rund um den Globus mit ihren atomuhrgesteuerten Signalen präzise Orientierung erlauben, sind ein technologisches Fundament der konkurrenzlosen Dominanz der Militärmacht USA." Und so kommen die Autoren zu dem Ergebnis: "Erstmals wird in Umrissen greifbar, was der amerikanische Politologie-Professor Charles Kupchan in seinem Buch über 'Das Ende der amerikanischen Ära' prophezeit: Europa als globaler Herausforderer der Weltmacht Amerika. Mit Galileo fordert Europa die Weltmacht USA nun auf einem Gebiet heraus, auf dem die Supermacht bislang ein unbestrittenes, immens wichtiges Monopol besitzt."

Nur im Print: ein Interview mit der frisch gebackenen Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkewicz - über "ihre neue Rolle im Verlag und ihre Ziele" (siehe unsere Feuilletonrundschau). Eine Polemik des Schriftstellers Günter Franzen, der unter der Überschrift Titel: " Links, wo kein Herz ist" die politisch korrekte Missachtung der deutschen Kriegsopfer beklagt. Ein Artikel über den Erfolg des "umstrittenen Knaben-Malers" Norbert Bisky. Und ein Interview mit Cecilia Bartoli über die Musik des angeblichen Mozart-Mörders Antonio Salieri.

Der Titel widmet sich dem 11. September: Nachdem die beiden "Chefplaner" der Anschläge in US-amerikanischer Haft gestanden haben, berichtet der Spiegel, lasse sich aus den Vernehmungsprotokollen nun auch "ein genaues Bild der Vorgeschichte des Terroranschlags zeichnen".
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 26.10.2003

J. M. Coetzees (mehr) neues Buch "Elizabeth Costello" ist der Aufmacher der NYT Book Review in dieser Woche. Judith Shulevitz kann hat das schmale Bändchen, das mehr eine Sammlung von Geschichten als ein Roman ist, mit Genuss gelesen. Sie kann sich aber kaum entscheiden, für wen sie nun mehr schwärmt. Für die verführerisch widersprüchliche, aber fiktive Universitätsprofessorin oder den Autor. Denn "Coetzee ist berüchtigt für seine Geheimniskrämerei und berühmt für sein rigoroses Denken, und in der blitzgescheiten und nach innen gewandten Heldin 'Elizabeth Costello' scheint er sein Alter Ego gefunden zu haben." Hier ein Auszug aus dem Roman. Dazu gibt es ein Feature über den verschwiegenen Nobelpreisträger. Und hier unseren Link des Tages.

"Brillant und bewegend" findet Geoffrey Moorhouse "The Storyteller's Daughter" (erstes Kapitel), die Erinnerungen der couragierten Exil-Afghanin Saira Shah, die in den USA eine erfolgreiche Fernsehserie über ihre familiären Wurzeln produziert. Das Buch widmet sich ebenfalls diesem Thema. "Obwohl Shah islamisch erzogen wurde und obwohl sie lernte, ihre Herkunft in einem idealistisch-verklärten Licht zu sehe, begriff sie allmählich, dass sie sich nicht mit einem Land oder einem Volk verbunden fühlte, sondern einem Wertekatalog, den viele Muslime einfach nicht anerkennen."

In ihrer Kolumne beschwert sich Margo Jefferson über ihre Mitbürger, die nichtamerikanische Bücher verschmähen. In den übrigen Besprechungen nimmt sich Christopher Dickey die Memoiren dreier Kriegsreporter vor und sieht in allen den Versuch, mit den erlebten Traumata fertig zu werden, Schuldgefühle zu verarbeiten und manchmal auch auf Rache zu sinnen. Max Frankel hält "Winning Modern Wars" (erstes Kapitel), das polemische Buch von Wesley K. Clark, für den offensichtlichen Versuch eines Imagewandels: vom einst verbitterten Krieger und Talkshow-Experten in einen engagierten Präsidentschaftskandidaten. Einen Weg aus dem derzeitigen Dilemma, für das er Bush verantwortlich mache, zeige Clark nicht. D.T. Max hat sich bei Susanna Moores Kostümdrama "One Last Look" (erstes Kapitel) recht gelangweilt. Sein Urteil: "zu viel Kostüm und zu wenig Drama".

"Warum regieren Frauen nicht die Welt? Vielleicht, weil sie es nicht wollen." Im New York Times Magazine versucht Lisa Belkin sich einen Reim darauf zu machen, dass so viele hervorragend qualifizierte Frauen aus ihrem Beruf aussteigen, kurz bevor sie es in die Chefetage schaffen könnten.
Archiv: New York Times