Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
21.06.2004. Al-Ahram führt uns in die schillerndste Bar Kairos. Der New Yorker besucht den Mossad in Kurdistan. In Radar spürt Paul Virilio das Herz des Zerfalls auf. Im Espresso versucht der Architekt Ettore Sottsass dem Tod auszuweichen. Das TLS zeigt, wie man zwölf mal schwanger werden und dabei gute Gedichte schreiben kann. Le Point würdigt den Philosophen Paul Ricoeur. Das New York Times Magazine stellt die kuriose Falluja Brigade der Amerikaner vor.

New Yorker (USA), 28.06.2004

Nach seinen sensationellen Recherchen über die Folterungen in Abu Ghraib, untersucht Seymour M. Hersh jetzt die Rolle und die Interessen Israels im Irakkrieg. Er informiert darüber, dass inzwischen "israelische Agenten des Nachrichtendiensts und des Militärs unauffällig in Kurdistan operieren, die Vorsorge für die Ausbildung kurdischer Einheiten treffen, sowie, aus Israels Sicht am wichtigsten, innerhalb der kurdischen Gebiete im Iran und Syrien verdeckte Operationen durchführen. Israel fühlt sich besonders vom Iran bedroht, dessen Position innerhalb der Region durch den Krieg gestärkt wurde. Zu den israelischen Agenten gehören auch Mitglieder des Mossad, Israels geheimem Spionagedienst, die als Geschäftsmänner getarnt in Kurdistan arbeiten und in einigen Fällen keinen israelischen Pass tragen."

Weiteres: Edmund Morris resümiert das "erstaunliche und geheimnisvolle Leben" von Ronald Reagan. Sasha Frere-Jones hat viel Radio gehört und die diesjährigen Sommerhits ermittelt. Nancy Franklin erregt sich über das neue Programmschema von Fox ("Der Sender streicht unsere Sommerferien!"). Michael Egger berichtet über ein "eigenartiges" asiatisches Filmfestival, das ein New Yorker Filmmaniac organisiert und das sich unter anderem auf bizarre japanische Horrorfilme spezialisiert hat. Bruce McCall zählt den olympischen Countdown mit ("Zeus hat dem Finanzausschuss bisher noch keine Antwort auf dessen dringliches Flehen um Ideen gegeben, wie man an eine weitere Milliarde Drachmen wegen unvorhergesehener Mehrausgaben kommen könnte"). Zu lesen ist schließlich die Erzählung "The Plague of Doves" von Louise Erdrich.

Besprechungen: John Updike rezensiert "The Master", einen historischen Roman des Iren Colm Toibin, in dem Henry James zur Hauptfigur avanciert. Louis Menand schließt nicht aus, dass es sich bei der "pedantischen" Geißelung falscher Zeichensetzung "Eats, Shoots & Leaves: The Zero Tolerance Approach to Punctuation" (Gotham) der britischen Autorin Lynne Truss um einen Fake handelt. Denn schon die Widmung enthalte einen Kommafehler und das Vorwort einen falsch gesetzten Apostroph sowie zwei nicht ordnungsgemäß verwendete Semikolons. In den Kurzbesprechungen geht es unter anderem um eine Studie über bestürzende Zustände und Misshandlungen in amerikanischen Auffanglagern für Asylbewerber ("American Gulag").

"Furchtbar komisch" findet David Denby "Fahrenheit 9/11", Michael Moores "Attacke" auf die Bush-Regierung, allerdings mit Einschränkungen. "Die meisten bedeutenden Dokumentarfilmer bemühen sich zumindest - wie unzulänglich, kompromisshaft oder vergeblich auch immer - um ein vielschichtiges Verständnis einer komplexen Situation. Michael Moore gehört nicht dazu und will es auch gar nicht. (...) Er entlarvt wenig Neues, sondern peppt auf, was er bereits weiß; er fordert den Zuschauer nicht heraus oder überzeugt ihn, sondern amüsiert oder irritiert ihn. Er ist ein viel zu schlampiger Intellektueller, um mehr als die schon längst Überzeugten zu überzeugen, zu eifrig bemüht, das Feuer das berechtigten Zorns mit einem weiteren amüsanten Scheit anzuheizen."

Nur in der Printausgabe: eine Zwischenbilanz von Arnold Schwarzeneggers "supermoderater" Rolle als Gouverneur und Lyrik von Zbigniew Herbert.
Archiv: New Yorker

Al Ahram Weekly (Ägypten), 17.06.2004

Das ägyptische Al Ahram Weekly präsentiert ein Interview mit dem Regisseur Osama Fawzi, dessen Film "Bahib Al-Sima" (I Love Cinema) erfreulicherweise die Zensur passiert hat, obwohl er von einer Familie erzählt, die vom tiefreligiösen Vater Adli tyrannisiert wird. Adli ist ein orthodoxer Kopte, der 200 Tage im Jahr fastet und glaubt, dass in dieser Zeit Gesang, Kino, Malerei und sogar ehelicher Sex Sünde ist. "Dass Adli die islamischen Begriffe halal und haram (erlaubt und verboten) benutzt, um Dinge zu beschreiben, ist vielleicht ein Versuch, aus der sektiererischen Haltung auszubrechen - der Film handelt, wie Fawzi betont, von allen Formen der Unterdrückung - die Weigerung, die koptische Formulierung 'angemessenes und unangemessenes Verhalten für den Gläubigen' zu benutzen, wird so deutlicher."

In einem ausführlichen Interview wird der "libanesisch-ägyptisch-kroatische" Impresario Nicha Sursock vorgestellt. Sursock hat mit seinen Bars und Restaurants das Nachtleben Kairos von der Krawatte befreit und revolutioniert. Hier stellt er sein neustes Projekt vor: Miro's Studio. "'Es geht um einen Mann, einen Künstler, Miro.' Er erzählt von Joan Miro, dem spanischen Maler, der 1983 starb. 'Die Geschichte handelt davon, dass Miro ein Schloss erbt. Eines Tages geht er mit seinen Malutensilien in das Schloss, stellt seine Farben ab, seine Staffelei auf und benutzt es als Studio. Am Sonntag beginnt die Transformation des Schlosses in ein Studio. Wir haben den Ort - das Rive Gauche in Zamalek - und der Designer mit dem ich arbeite, Reesa, geht rein und kreiert den Studiolook ... Es soll so aussehen, als wäre dieser Typ gerade reingekommen, hätte seine Sachen abgestellt und angefangen zu malen. Die Flure, die Wände. Es kommen natürlich ein paar Möbel rein, aber wir benutzen vor allem, was da ist, um Miros Stil zu adoptieren." Darauf einen Gin Tonic!
Archiv: Al Ahram Weekly

Radar (Argentinien), 20.06.2004

Über das Verhältnis von Stadt und Krieg diskutiert Geschwindigkeitsspezialist Paul Virilio in einem langen Interview anlässlich des Erscheinens seines neuesten Buches "Ville panique": "Die Stadt, einst das Herz unserer Zivilisation, ist zum Herzen des Zerfalls, der Auflösung der Menschheit geworden. Von jetzt an sind Krieg und Stadt gleichzusetzen."

Passend dazu eine Kritik Guillermos Piros an W.G. Sebalds Kritik am deutschen Diskurs über den (Luft)Krieg und die deutschen Städte: "Sebalds Buch 'Luftkrieg und Literatur' zeigt nicht so sehr die Unfähigkeit der Deutschen auf, die Verheerungen des Krieges zu beschreiben, als die Unfähigkeit des Autors Sebald, zu begreifen, dass Vergessen und Schweigen nötig sind, um weiterzuleben, oder vielmehr, dass Leben und Schreiben gerade darin bestehen, im richtigen Maße zu erinnern und zu vergessen."

Im richtigen Maße erinnern und vergessen könnte eine der Leistungen des argentinischen Fernsehsenders Canal 7 sein. Zur Zukunft des in peronistischer Zeit gegründeten Staatssenders, der mit einem Zuschaueranteil von zeitweilig unter 1 Prozent bereits kurz vor dem Verschwinden stand, jetzt aber wiederbelebt werden soll, äußern sich sieben argentinische Publizisten. (Die website von Canal 7 ist z. Z. noch "en construccion". Mehr dafür hier.)

Ergänzend hierzu bespricht Leonardo Moledo ein Buch, in dem zweiundzwanzig Intellektuelle sich zum ersten Jahr argentinischer Wiederbelebungsversuche durch die Regierung Kirchner äußern.

Unverändert lebendig wie gewalttätig das Verhältnis zwischen den Anhängern der ewigen Fußball-Rivalen von Buenos Aires Boca Juniors und River Plate. Radar bringt eine Auswahl von Fan-Stimmen, die das letzte Lokalderby kommentieren (mehr davon hier).
Archiv: Radar

Outlook India (Indien), 28.06.2004

"Dev", der neue Film von Govind Nihalani, ist leider ein bisschen zu lang und auch sonst nicht ganz perfekt, findet Smruti Koppikar, doch eines ist er ganz sicher: brisant. "Die Parallelen zur jüngeren Geschichte sind unübersehbar. Ein junger Muslim, der seine Wunden der Demütigung leckt und darauf brennt, an einem Hindu-Polizisten Rache zu nehmen; ein kompromittierender hoher Cop, der seine Zukunft an einen ihm ideologisch nahe stehenden Minister bindet; eine Bombenexplosion nahe eines Ganesha-Tempels; RDX-Sprengstoff, der von jungen Muslimen an einem Motorrad befestigt wird, und nach der Explosion: Ausschreitungen." Das einzige im Film, was nicht der Realität hindu-nationalistischer Arroganz und korrupter Beamtenschaft entlehnt ist, schreibt Koppikar, ist der Titelheld, ein Polizist, der "handelt, wenn seine Stadt brennt", gespielt von Amitabh Bachchan. Eine ungewöhnliche Rolle für das Bollywood-Urgestein, der sich dazu in einem Interview äußert.

In Paris ist gerade die mehrtägige Hochzeit der Tochter eines britisch-indischen Stahlmagnaten (Vanisha Mittal) im Gange. Sanjay Suri hat sich das in Silber gefasste Programm durchgelesen und schämt sich für die Protzerei, die einiges gekostet haben dürfte. ("Denken Sie sich eine sagenhafte Summe und schlagen sie nochmal 25 Prozent drauf" - der Daily Telegraph spricht von 78 Millionen Dollar.) Und das gibt's dafür: Ein eigens für den Anlass geschriebenes Bollywood-Theaterstück im Gardens of Cuiliers, ein Verlobungsbankett im Schloss von Versailles und eine Hochzeit in Vaux le Vicomte - "sechs Tage der gemieteten Eleganz, sechs Abende der geborgten Romantik". Typisch indisch, meint Suri peinlich berührt. "Es gibt noch mehr Millionäre und Milliardäre - französische, amerikanische, japanische, russische -, aber sie machen keine Darbietung aus ihren Hochzeiten." (Leider! Deshalb ist die Klatschpresse so langweilig geworden.)

Außerdem: Ein Profil des neuen Regierungschefs Manmohan Singh, der Sheela Reddy zwar in seiner stillen, unprätentiösen Art der Amtsführung an Nehru erinnert, doch - "trotz aller Zurückhaltung, der bescheidene neue Premierminister meint es ernst". Mit Veränderungen im Regierungsstil nämlich. Maneka Gandhi erklärt, warum die Entscheidung des neuen Eisenbahnministers, nur noch Tongefäße zum Ausschenken von Getränken in Zügen zu verwenden, katastrophale Konsequenzen für viele arme Landbesitzer haben wird. Und Edward Luce weiß nicht, was er mit noch einer Geschichte der britischen Kolonialherrschaft in Indien anfangen soll, zumal Dennis Judds "The Lion and the Tiger" zwar elegant geschrieben sei, ohne dabei aber mit neuen Erkenntnissen aufzuwarten.
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 24.06.2004

"Für wichtige Entscheidungen habe ich früher eine Woche gebraucht, jetzt muss das innerhalb einer E-Mail geschehen", erzählt der Architekt Ettore Sottsass einer ehrfürchtig lauschenden Stefania Rossini. Das Interview gewinnt durch eine erfrischende Respektlosigkeit des Alters. "Gestern wie heute sind die Menschen arme Schweine die sich dauernd furchtbar aufregen, aber wenn sie abends in ihrer hoffnungslosen Nacktheit zu Bett gehen, wissen sie nicht, wer sie sind und was mit ihnen sein wird. Viele der Dinge, die wir machen, vor allem die Kunst, machen wir, um die Zeit anzuhalten und dem Tod auszuweichen."

Außerdem untersucht Luca de Biase, wie das einst als Katalysator für die Demokratie gefeierte Internet zum Nährboden extremistischer und gewalttätiger Gruppen wird. Fundamentalistische Islamisten, Terroristen, die europäischen und amerikanischen Ultrarechten, und natürlich die italienischen Hooligans: Sie alle rufen durch das Netz zu Gewalt auf, organisieren ihre Aktionen und motivieren ihre Sympathisanten. "Während aber die Seiten der radikalen Rechten in Amerika und Europa eine propagandistische Ausrichtung haben und sich an ein vorgebildetes Publikum mit freiem Zugang zum Netz wendet, zielen die islamistischen Terroristen wahrscheinlich eher auf eine Wirkung innerhalb ihrer Organisation."

Ohne einen letzten Seitenhieb will der Kolumnist Paul Krugman (offiziell und inoffiziell gut im Netz vertreten) Ronald Reagan in einem ursprünglich in der New York Times veröffentlichten Kommentar nicht gehen lassen. Vor allem der konservative Mythos, Reagan habe die längste Phase wirtschaftlichen Wachstums überhaupt zu verantworten, ärgert ihn. "Die Wahrheit ist, dass der Boom der Jahre von 1982-1990 an dritter Stelle steht, nach dem direkt darauffolgenden von 1991-2001 und dem vorherigen von 1961-69." Und weiter: "Das Geheimnis des langen Wachstums, das nach 1982 begann, liegt in der Rezession, die davor lag."

Ansonsten weidet sich der Espresso genüsslich an den vier Millionen Stimmen, die Berlusconi bei der Europawahl verloren hat. Claudio Rinaldi zählt im Titel die jüngsten Niederlagen des Cavaliere, Edmondo Berselli hofft dazu, dass der zögerliche Konkurrent Prodi endlich durchstartet.
Archiv: Espresso

Times Literary Supplement (UK), 18.06.2004

Charlotte Smith hatte "zwei stetig sprudelnde Quellen des Unglücks: Geld und Gatte", schreibt Nicola Tott lakonisch über die englische Dichterin, zu und von der gerade eine ganze Reihe von Neuausgaben auf den Markt gekommen ist (eine Biografie von Jacqueline M. Labbe, der Roman "Emmeline" ausgewählte Gedichte und Briefe). Doch Smith' Unglück im Leben war das reinste Glück für die Literatur, findet Tott und erzählt: "Charlotte Smith' Jugend war selbst nach heutigen Standards ziemlich rasant. Sie verlor ihre Mutter im Alter von drei Jahren, die Schule verließ sie mit zwölf, heiratete mit fünfzehn und bekam ihr erstes Kind mit sechzehn in Londons East End. Als sie sich schließlich von Benjamin Smith 1787 trennte, einen Monat vor ihrem achtunddreißigsten Geburtstag, hatte sie zwölf Schwangerschaften hinter sich, einige Zeit mit ihrem Mann im Schuldnergefängnis von King's Bench gesessen und ein Exil in Frankreich gefristet (wo Kind Nummer zwölf von einem örtlichen Priester gestohlen wurde, um es katholisch zu taufen)." Mehr über Charlotte Smith und einige Gedichte finden Sie hier.

Henry Hitching stellt Jonathan Coes großartige Biografie "Like a Fiery Elephant" seines Schriftstellerkollegen B.S. Johnson ("Albert Angelo") vor, der sich, nach jahrzehntelanger Nichtbeachtung durch Kritik und Publikum das Leben genommen hatte. Ein bemerkenswertes Bild hat Coe von Johnson gezeichnet, findet der Rezensent: "didaktisch, abergläubisch, morbide, grausam und übersensibel, aber auch als eine Person von beachtlicher Integrität, großzügig und mutig." Eine weitere Biografie bespricht A. J. Sherman: Sean McMeekins Buch über den roten Millionär Willi Münzenberg.

Keith Brown hat Virginia Woolfs "Mrs. Dalloway" neu gelesen, und zwar nicht vor dem Hintergrund von Bergson und Freud, sondern keltischer Mythologie und deren Pfählungsritualen. Außerdem hat das TLS den wahrscheinlich langweiligsten Brief der Literaturgeschichte ausgegraben, den die sechzehnjährigen Virginia Woolf an ihre Cousine Cordelia Curle schrieb: "Meine liebe Boo, ich weiß gar nicht, warum wir uns nie schreiben. Ich wünschte, Du würdest den Anfang machen. Hier ist alles wie immer..."

Haaretz (Israel), 18.06.2004

Aviv Lavie berichtet in der Titelgeschichte über eine erstaunliche Ausstellung (mehr hier) in Israel. Der junge Ultra-Orthodoxe Yehuda Shaul, der 14 Monate in Hebron seinen Wehrdienst leistete, hat sie organisiert. Gezeigt werden Fotos, die israelische Soldaten während ihres Dienstes in der Westbank selbst aufgenommen haben. Was normalerweise in privaten Fotoalben verschwindet, hat Shaul mühsam zusammengetragen, um es in der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Wir wollten den Stacheldraht, die Kampfanzüge, die kaputten Türen von Hebron nach Tel Aviv zu bringen" sagt Shaul. Besonders geht es ihm um die Auswirkungen der täglichen Gewalt auf die Psyche der israelischen Soldaten, die er selbst erlebte: "Diese Situation macht jeden fertig. Irgendwann überschreiten alle ihre roten Linien... Niemand verlässt die besetzten Gebiete ohne tiefe Spuren und Verstörung."

Weitere Artikel: Ran Reznik beschreibt den doppelten Kampf des Ofer Shahrur. Weil sein Hirntumor von Spezialisten im Ausland behandelt werden musste, weigert sich seine Krankenkasse die immens hohen Kosten zu tragen. Den Kampf gegen die Gesundheitsbürokratie empfindet Shahrur mittlerweile "ärgerlicher, frustrierender und anstrengender" als den Kampf gegen die schwere Krankheit. Trends: Dea Hadar bemerkt, dass in Israel die achtziger Jahre mit einem Breakdance-Revival zurückkommen. Zugleich erfasst die Wellness-Mode das gestresste Land, sagt Danit Nitzan. Uri Klein behauptet, dass interessante Filme heute vor allem in Ostasien gemacht werden. Haaretz präsentiert einen Textauszug von Dan Tsalka (mehr hier und hier), der gerade den renommierten Sapir-Literaturpreis bekommen hat. Doron Rosenblum guckt Orson Wells und denkt an Ariel Sharon. Im wöchentlichen Portrait: Familie Keren aus Bat Yam.
Archiv: Haaretz

Point (Frankreich), 21.06.2004

Mit einem ausführlichen Porträt würdigt Pierre-Henri Tavoillot einen der bekanntesten französischen Philosophen: Paul Ricoeur (mehr). Der inzwischen 91-Jährige legt demnächst zwei neue Bücher vor: "Parcours de la reconnaissance" (Stock) und "Sur la traduction" (Bayard). Der Leitfaden seines vielschichtigen Denkens sei der "Dialog: mit Lebenden und Toten, Philosophen und anderen Gelehrten. (...) Seine Bescheidenheit verhindert dabei nicht Ricoeurs Ehrgeiz: Die Philosophie kann, wenn sie auch nicht auf alles eine Antwort hat, doch einige Antworten geben und eben nicht nur Fragen anhäufen. Deshalb ist sein Werk von der Anmaßung einer Systembildung ebenso weit entfernt wie von der falschen Bescheidenheit der Skepsis. Laut Ricoeur ist der Dialog die letzte Rettung für die Philosophie, aber auch für den modernen Menschen. Diese Überzeugung prägt sein philosophisches Werk und seinen intellektuellen Werdegang."
Archiv: Point
Stichwörter: Ricoeur, Paul

Economist (UK), 18.06.2004

Die arabische Welt ist für die Frau ein Ort der Unterdrückung. Mit derlei klischeehaften Pauschalisierungen will der Economist aufräumen und liefert einen umfassenden Bericht über die Lage der Frau in den arabischen Ländern. Dabei werden sowohl allgemeine Entwicklungen als auch die feinen Unterschiede innerhalb der arabischen Welt deutlich; welche Staaten Vorreiter und welche - wie Saudi-Arabien - Schlusslichter in puncto Frauenrechte sind. Natürlich spiele der Islam - und insbesondere der Koran - eine große Rolle, wenn es darum geht, die Rolle der Frau zu definieren. Allerdings "liegt das Problem, an Orten wie Saudi-Arabien, mehr in der Art und Weise wie die heilige Schrift - sowie die Hadiths, die Prophetensprüche, auf die die Sharia zurückgeht - interpretiert werden. Solche Texte werden oft nicht so sehr interpretiert als vielmehr verdreht, um exisierende Traditionen zu erhalten. Das Fahrverbot zum Beispiel gibt es nur in Saudiarabien. Doch sogar saudischen Geistlichen fällt es schwer, entsprechende Beweise in der heiligen Schrift zu finden. (Ganz davon abgesehen geben laut einer Umfrage 29 Prozent der Frauen zu, dass sie sowieso schon fahren können.)"

Im Aufmacher sorgt sich der Economist um die laxe Geldpolitik der Zentralbanken, die leicht eine globale Inflation, wie es sie in den siebziger Jahren gegeben hat, hervorrufen könnte. Gerade die Zentralbanken müssten sich sowohl ihrer Verantwortung bewusst sein als auch ihre Handlungsmöglichkeiten realistisch einschätzen. Kurz: Sie sollten sich an Paul Volcker (Präsident der US-Notenbank in den Siebzigern) erinnern und sich dessen Einsicht zunutze machen: "Die wahrlich einzige Macht einer Zentralbank ist die Macht, Geld zu erzeugen. Und letztendlich bedeutet die Macht, Geld zu erzeugen, auch die Macht, es zu zerstören."

Soul-Legende Ray Charles ist tot, und der Economist swingt in einem bewundernden Nachruf ein letztes Mal mit ihm mit.

In weiteren Artikel ist zu erfahren, wie die neuen EU-Mitgliedsstaaten bei den Europawahlen gewählt haben, was John Kerry von Bill Clinton lernen könnte (wenn er nur wollte), dass Mehrsprachigkeit geistig fit hält, wer der unsichtbare Mann ist (William Farish, US-Botschafter in London) und warum, und inwiefern die revolutionäre Garde den Reformkurs der iranischen Regierung bedroht.

Themel leider nur im Print: Amerikanische Entschuldigungen gegenüber den Muslimen, die europäische Verfassung und ein nacktes Radrennen in London (wo sonst).
Archiv: Economist

New York Times (USA), 20.06.2004

"Ästhetisch und psychologisch potent", so lautet Daniel Mendelsohn Urteil zu Colm Toibins historischem Roman (erstes Kapitel) mit und über den Schriftstellers Henry James (mehr). "'The Master' ist unzweifelbar die Arbeit eines erstklassigen Romanciers", stellt Mendelsohn fest. Ihn stört aber die Gefühllosigkeit, die von James offensichtlich auf Toibin abgefärbt habe. Toibin selbst beschreibt seinen Protagonisten mit unverhohlener Faszination: "Alles an ihm ist zweideutig. Von allem was er war, war er ebenso das Gegenteil. Er liebte seine Familie, er vermisste sie, er sehnte sich danach, von ihr weg zu sein. Er liebte England, ihn grauste es vor England. Er liebte es, nachts auszugehen, er hasste es, nachts auszugehen. Er liebte Frauen, er liebte Männer. Er liebte die Arbeit, er fürchtete die Arbeit." Letzeres können wir nachvollziehen.

Mit seinem neuen Buch "Dress Your Family in Corduroy and Denim" (erstes Kapitel sowie eine Lesung zum Anhören) hat David Sedaris (mehr auf Deutsch) die "schnelle, saubere und geschwätzige Form des Seelengründelns" perfektioniert, ätzt Stephen Metcalf.

Aus den weiteren Besprechungen: Bryan Burrough notiert erstaunt, wie sehr ihn die Geständnisse des Auftragskillers Frank Sheeran erheitert haben. In "I Heard You Paint Houses" (erstes Kapitel) zitiert der Anwalt Charles Brandt aus den Gesprächen mit seinem langjährigen Klienten, der nicht nur behauptet, den Gewerkschaftler Jimmy Hoffa umgebracht zu haben, sondern auch Plausibles zum Mord an John F. Kennedy zu sagen hat. Niemand beschreibt Schlachten besser als John Keegan, gesteht David Fromkin, ansonsten aber ist ihm Keegan zu altmodisch, um in "The Iraq War" die wirkliche Herausforderung, den Guerrilla-Krieg, adäquat zu beschreiben. Robert J. Richards ist nicht so ganz überzeugt von Niles Eldredge, der in "Why We Do It" den Kampf um Energie und nicht die Verbreitung der Gene als Triebfeder des Lebens bestimmen will. Laura Miller widmet sich in ihrer Last-Word-Kolumne schließlich dem verachteten Genre der Ratgeberliteratur, das sein Goldenes Zeitalter in den Siebzigern erlebte. Ein besonders schönes Exemplar, Thomas Harris' "I'm O.K. - You're O.K." wird demnächst neu aufgelegt.

Im New York Times Magazine berichtet Jeffrey Gettleman aus Falluja, wo er sich die kuriose Truppe ansieht, die für Ruhe, wenn auch nicht für Frieden in der Rebellenhochburg sorgt. Die Falluja-Brigade besteht aus ehemaligen Rebellen und Soldaten der Republikanischen Garde Saddam Husseins, alle vor kurzem noch Feinde der Amerikaner. Gettleman ist mitten drin: "Mein Übersetzer Khalid und ich waren plötzlich allein. Die Offiziere hinter dem Schreibtisch bemerkten mich und warfen stechende Blicke in meine Richtung. Khalid wurde ein wenig unruhig. 'Es ist wie ein Treffen des Generalstabs der Republikanischen Garde', flüsterte er mir zu. 'Diese Leute sind schlecht. Sie hassen Amerikaner. Lass uns von hier verschwinden.'" Zum aktuellen Stand im Irak-Krieg hat die New York Times ein erschöpfendes Dossier eingerichtet.

Außerdem weiß Chuck Klostermann nicht so recht, ob er lachen oder weinen soll, wenn er sieht, wie Metallica (Bilder) mit Hilfe eines Therapeuten den Rock aus ihrem Leben zu bannen versuchen. Im Aufmacher staunt Paul Tough über den Plan des Reformers Geoffrey Canada von der Harlem's Children Zone, der die Zukunft der Kinder von Harlem ändern möchte, nicht Stück für Stück wie bisher, sondern in einem großen Schwung. Hier erklärt er sein ambitioniertes Projekt selbst.
Archiv: New York Times