Magazinrundschau
Ständige Verwirrung
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
17.01.2012. Im Guardian blicken arabische Autoren nach vorn. The Atlantic betrachtet eine Jammergestalt im Chanelkostüm. In Nepszabadsag erkennt der Dramatiker György Spiro im heutigen Ungarn das Frankreich des 19. Jahrhunderts. In Open Democracy wünschen sich Boris Akunin und Alexej Nawalnyj, Russland hätte die gleiche Anziehungskraft wie Amerika - oder China. Businessweek findet Microsofts Steve Ballmer nicht so irrelevant wie Steve Jobs. The Awl verkündet das grünste Ding in Sachen Bestattung.
Guardian (UK), 14.01.2012
Im Guardian erklären arabische Autorinnen und Autoren, wie sie das letzte Jahr erlebt haben, was ihre Hoffnungen sind.
Der Libyer Hisham Matar kann es immer noch nicht glauben, dass sich in seinem Land dieser Chor erhoben hat, so "so lebendig und farbenfroh und wahr, dass man ihn mit dem Frühling vergleichen kann. Er hat uns von Selbstmitleid und Verzweiflung befreit. Die Veränderung unserer Psychologie ist fundamental. Der Ort, an dem wir uns jetzt wiederfinden, ist ein Zustand der Erinnerung, als ob der Nebel sich gehoben und eine neue, aber irgendwie vertraute Landschaft enthüllt hätte. Wir lernen, praktisch zu denken. Wir haben eine neue Leidenschaft für Details. Wir sind hoffnungsfroh, aber wir leben nicht länger in der Hoffnung. Wir sind ängstlich, aber haben keine Angst. Wir sehen nicht mehr über unsere Schulter. Die Straße vor uns verlangt all unsere Aufmerksamkeit."
Die Libanesin Joumana Haddad fragt zornig: "Was für Revolten sind das, wenn Frauen damit zufrieden sind, je nach Bedarf als Bauern 'mobilisiert' zu werden und bei Entscheidungen nicht beachtet werden?" Und der Ägypter Alaa Abd El Fattah sieht nach den jüngsten Ereignissen eine Veränderung in seinem Land, die noch größer ist als zu Beginn der Revolution: "Auch wenn viele Menschen immer noch Lippenbekenntnisse ablegen zur Bedeutung des Staates und den Streitkräften als Säule des Staates, bestehen sie doch darauf, die Ziele der Revolution zu erreichen. ... Ich bin optimistisch."
Der Libyer Hisham Matar kann es immer noch nicht glauben, dass sich in seinem Land dieser Chor erhoben hat, so "so lebendig und farbenfroh und wahr, dass man ihn mit dem Frühling vergleichen kann. Er hat uns von Selbstmitleid und Verzweiflung befreit. Die Veränderung unserer Psychologie ist fundamental. Der Ort, an dem wir uns jetzt wiederfinden, ist ein Zustand der Erinnerung, als ob der Nebel sich gehoben und eine neue, aber irgendwie vertraute Landschaft enthüllt hätte. Wir lernen, praktisch zu denken. Wir haben eine neue Leidenschaft für Details. Wir sind hoffnungsfroh, aber wir leben nicht länger in der Hoffnung. Wir sind ängstlich, aber haben keine Angst. Wir sehen nicht mehr über unsere Schulter. Die Straße vor uns verlangt all unsere Aufmerksamkeit."
Die Libanesin Joumana Haddad fragt zornig: "Was für Revolten sind das, wenn Frauen damit zufrieden sind, je nach Bedarf als Bauern 'mobilisiert' zu werden und bei Entscheidungen nicht beachtet werden?" Und der Ägypter Alaa Abd El Fattah sieht nach den jüngsten Ereignissen eine Veränderung in seinem Land, die noch größer ist als zu Beginn der Revolution: "Auch wenn viele Menschen immer noch Lippenbekenntnisse ablegen zur Bedeutung des Staates und den Streitkräften als Säule des Staates, bestehen sie doch darauf, die Ziele der Revolution zu erreichen. ... Ich bin optimistisch."
Nepszabadsag (Ungarn), 14.01.2012

Open Democracy (UK), 11.01.2012

Akunin: "Ich vermisse die Sowjetunion nicht als nukleare Supermacht, die ein sechstel der Erdmasse beherrscht; ich habe keine nostalgischen Gefühle für das militärisch-bürokratische Empire. Aber ich muss zugeben, dass ich ein Imperialist in kulturell-wirtschaftlichem Sinne bin. Es würde mir sehr gefallen, wenn die Anziehungskraft unserer Kultur, die Macht unserer Wirtschaft und unser beneidenswerter Lebensstandard die Sehnsucht in unseren Nachbarn erwecken würde, sich uns in einer freiwilligen Staatengemeinschaft anzuschließen. Mir gefällt die Idee, eine russische wirtschaftliche und kulturelle Einflusssphäre wiederherzustellen."
Nawalnyj: "Wir sehen wir unsere ehemaligen sowjetischen Nachbarn - angetrieben von ökonomischen Gründen - sich Richtung China orientieren. Wir sollten keine vorsätzlichen Pläne für eine Expansion schmieden. Unsere Aufgabe ist es, stark zu werden, und dann werden unsere Nachbarn Teil unserer Einflusszone; sie werden keine andere Wahl haben."
The Atlantic (USA), 29.02.2012

In einer Art Liebeserklärung an die Joan Didion ihrer Teenagerzeit erinnert sich Caitlin Flanagan, wie Didion eines Tages zum Abendessen ins Haus ihrer Eltern eingeladen wurde. Flanagans Vater war Professor in Berkely, Flanagan selbst war damals Vierzehn: "Es war alles wie immer - bis sie eintraf. Selbst für eine Vierzehnjährige machte sie den offenkundigen Eindruck einer Jammergestalt. Ich hatte einmal einen koreanischen Studenten bei einer Dinnerparty der Fakultät erlebt, der vor Angst fast zu implodieren schien. Aber verglichen mit Didion hatte er die Cocktailparty-Selbstsicherheit eines Noel Coward. Zunächst mal: Was hatte sie an? Ein Chanelkostüm, informierte mich meine Mutter (beeindruckt und amüsiert zugleich) am nächsten Tag. Es war so ganz klar der falsche Aufzug für eine Fakultäts-Dinnerparty in den frühen 70ern, so ganz klar ein Hinweis darauf, dass sie versucht hatte, angesichts dieser angsteinflößenden ehemaligen Professoren ihr erwachsenes Bestes zu gebenihr erwachsenes Bestes zu geben, was den Eindruck von ihrer katastrophalen Unsicherheit noch verstärkte."
Letras Libres (Spanien / Mexiko), 14.01.2012
Angel Jaramillo unterhält sich mit dem legendären New Yorker Journalisten und Schriftsteller Pete Hamill, der lange Zeit in Mexiko City gelebt hat: "Man darf die zivilisatorische Wirkung von Tragödien nicht unterschätzen: Seit dem 11. September 2001 sind die Leute in New York nach meinem Eindruck viel freundlicher geworden. Und auch die Gewalt hat seither deutlich abgenommen. (?) Was zurzeit in Mexiko passiert, wirkt allerdings, als wäre der Marquis de Sade dabei, einen Mafiafilm zu drehen. Schlimm ist aber auch, was es über unsere beiden Gesellschaften sagt: Ich finde es unerträglich, dass bloß damit Charlie Sheen oder Paris Hilton immer genug Kokain zur Verfügung haben, so viele Unschuldige auf der anderen Seite der Grenze sterben müssen. Alle, die hier in den USA immer damit angeben, wie viel Kokain sie konsumieren, sollten - und das meine ich nur teilweise als Witz - nach Mexiko geschickt und dort wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden. Und trotzdem wäre es grundfalsch, angesichts der Exzesse des Drogenkriegs zu übersehen, dass es in Mexiko einen großen gesellschaftlichen Fortschritt gibt und auch die Demokratie dort stärker wird. Mexiko ist sicher nicht vollkommen, aber dennoch besser denn je."
Monde (Frankreich), 14.01.2012

Economist (UK), 14.01.2012

Weiteres: Ein Artikel befasst sich mit Möglichkeiten, Herausforderungen und Risiken von viralem Smartphone-Videojournalismus bei Protesten. Von den Herausforderungen, eine Ausstellung über den Haddsch im British Museum zu organisieren, erfährt man hier. Ein Artikel begibt sich auf Ursachenforschung für den Niedergang der einstigen Film- und Fotopioniere von Kodak, die, ganz im Gegensatz zum japanischen Konkurrenten Fujifilm, vor dem wirtschaftlichen Aus stehen. Ein Nachruf würdigt den Karikaturisten Ronald Searle.
Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 13.01.2012

Peter Pomerantsev beleuchtet die Rolle des obersten Kreml-Spindoctors Wladislaw Surkow, der in Moskau eine Kombination aus Despotismus und Postmodernismus pflegt: "Im heutigen Russland kommt ständig etwas Neues auf die Bühne: am Morgen eine Diktatur, gegen Mittag eine Demokratie, am Abend eine Oligarchie, derweil hinter der Bühne Ölkonzerne enteignet, Journalisten umgebracht und Milliarden beiseitegeschafft werden. Und im Mittelpunkt der Show steht mit Wladislaw Surkow ein Mann, der an einem Tag nationalistische Skinheads finanziert und am nächsten Menschenrechtsgruppen unterstützt. Diese Strategie setzt darauf, jede denkbare Opposition in ständiger Verwirrung zu halten."
Caffe Europa (Italien), 10.01.2012
Besser spät als nie: Twitter hat Italien erfasst, sagt Caffe Europa. Die Zahl der Twitternden hat sich 2011 auf drei Millionen verdoppelt. Ein guter Grund, eine Diskussionsrunde zum Thema einzuberufen, mit Politikern, Journalisten, Soziologen und so fort. "Mit meinen Tweets aus dem Parlamentssaal habe ich die Nachrichtenagenturen und Fernsehsender ausgeschaltet", meint etwa der Journalist und Abgeordnete der Demokratischen Partei Andrea Sarubbi. "Im Plenarsaal sind auch die Anwesenheiten und Abwesenheiten von Politikern eine Nachricht. Nehmen wir ein Beispiel: Die Szene in der Maroni [es war Tremonti, Anm. des Übers.] Calderoli fragt, wo denn Bossi sei, und seine Antwort impliziert, dass Bossi gerade ein Nickerchen hält. Das ist eine Nachricht die keine Agentur jemals bringt. Die Möglichkeit, Nachrichten aus erster Hand zu bekommen, ist eine Revolution in der Welt der Information. Qualitativ jedenfalls ist das schon passiert. Was Marina Petrillo im Radio Popolare über den Tahrir Platz gemacht hat oder Claudia Vago über die Revolution von unten, das war schon eine schwere Schlappe für die traditionellen Medien."
Bloomberg Businessweek (USA), 12.01.2012

Außerdem: Bob Parks erzählt die Geschichte des Schuhkonstrukteurs Lenn Rockford Hann, der einen besonders guten Laufschuh entwickelt hat - und dennoch bei den großen Konzernen nicht auf Gegenliebe stieß.
Elet es Irodalom (Ungarn), 13.01.2012

Awl (USA), 11.01.2012

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