Im Kino

Der Puls der Industrienation

Die Filmkolumne. Von Karsten Munt
08.06.2023. Würde Gewalt den Kampf gegen den Klimawandel stärken oder diskreditieren? Darüber diskutieren eine Gruppe linker Aktivisten in Daniel Goldhabers Film "How to Blow Up a Pipeline". Und ihre Antwort scheint eindeutig.


Der erste Drehbuchentwurf zu "Star Wars" stamme von Umweltaktivistinnen, heißt es in einem Vortrag des in der radikalen amerikanischen Linken breit rezipierten Autors Derrick Jensen. Der Arbeitstitel habe eben nicht "Star Wars" gelautet, sondern "Star non violent disobedience". Die Rebellen hätten nicht vorgehabt, die gigantische Weltenvernichtungsmaschine des Imperiums zu sprengen. Man habe lieber argumentiert, dass die anvisierten Planeten einen ökonomischen Wert für das Imperium haben könnten, habe es mit Gerichtsverfahren versucht, eine Menschenkette auf einem der todgeweihten Planeten gestartet, sich selbst am Todesstern festgekettet, etc.

Der munter ausufernde Witz des Umweltaktivisten und Autors berührt den neuralgischen Punkt der Klimaschutz-Bewegung, die, trotz ihres gewaltigen Momentums, zusieht, wie die Welt weiter auf den Klimakollaps zusteuert, während sie an der Gewaltlosigkeit ihres Widerstands festhält. Der Aktivismus der respektvollen vorgetragenen Appelle, sorgsamen Petitionen und fröhlichen, familientauglichen Demonstrationen ist in "How to Blow Up a Pipeline" längst Vergangenheit. Der Film beginnt buchstäblich mit dem Messer in der Hand. "If the law will not punish you, then we will", steht auf dem Pamphlet, das Xochitl (Ariela Barer) an die Windschutzscheibe des SUVs klemmt, dessen Reifen sie soeben mit besagtem Messer aufgeschlitzt hat. Sie ist Teil einer jungen, diversen Gruppe, die den gewaltfreien Widerstand aufgeben hat. Ihr Kampf um Gaia wird mit Sabotageakten geführt. Ihr Ziel ist die titelgebende Pipeline in West Texas. Das Ammoniumnitrat ist gekauft, die Treffpunkte sind arrangiert. Wenig später liegt Xochitls Hand auf der Rohrleitung, fühlt noch einmal den Puls der Industrienation, bevor die selbstgebaute Bombe deren Adern öffnen soll.



Anders als Andreas Malms Sachbuchvorlage, die ausschweifend die Entwicklungen innerhalb der Klimaschutz-Bewegung nachzeichnet und deren aktivistischen Positionen reflektiert, ist die Filmadaption in erster Linie am Sabotageakt selbst interessiert. "How to Blow Up a Pipeline" ist ein Thriller, ein Caper Movie in primärfarbenfeindlichen Bildern und arbeitet, begleitet vom nervösen Wummern und Grollen der Filmmusik auf einen großen Knall. Die Fortschritte der Kommunikationstechnologie gepaart mit der Verwundbarkeit der modernen Infrastrukturen machen die Sprengung einer Pipeline nicht einfach, aber machbar. Gute Laune gibt es zwischen selbstgebastelten Bomben und notdürftigen Wüstenquartieren selten. Einzig das Pärchen Rowan & Logan (Kristine Froseth & Lukas Gage) versucht sich an einer sexy Punkrock-Widerstands-Nummer, die zwischen dem grimmigen Eifer ihrer Mitverschwörer aus der Zeit gefallen wirkt.

Wer die Menschen sind, die ihre Freiheit aufs Spiel setzen, um den aus ihrer Sicht notwendigen Widerstand zu leisten, ergründet der Film in kurzen Rückblenden, die wie Atempausen zwischen den Hauptplot gesetzt sind. Die Mini-Biografien entwerfen keine komplexen psychologischen Hintergründe, sondern Archetypen des Zorns. Die Fossilindustrie lauert wie ein Monster im Hintergrund ihrer Lebensentwürfe: als Raffinerie, die sich bis an den Vorgarten des Familienhauses herangepirscht hat; als Pipeline, die das eigene Grundstück und damit das Leben der Familie zerschneidet; oder als chemisches Nebenprodukt, das den tödlichen Krebs entstehen lässt, der Aktivistin Theo (Sasha Lane) töten wird. "How to Blow Up a Pipeline" weiß den Zorn dieser Generation geschickt in seine Genre-Mechanik zu bündeln. Gleichzeitig ist er als Film über die große Frage unserer Zeit nicht frei von den dazugehörigen Ärgernissen: Betont beiläufig finden die Klimakatastrophen der jüngsten Jahre in den Film. Der brennende Regenwald beim Doomscrolling auf dem Laptop-Bildschirm, die Flutkatastrophe in Pakistan auf dem Fernsehbildschirm: Die Gegenwart schreit sich leise in den Film hinein.

Als Anfang-vom-Ende-der-Welt-Thriller, der die Diskussion um die Rechtfertigung von Gewalt im Kampf gegen den drohenden Klima- und Zivilisationsationskollaps längst für abgeschlossen erklärt hat, ist "How to Blow Up a Pipeline" auch ein interessantes Gegenstück zu Kelly Reichardts "Night Moves", der zwar auch als Thriller durchgeht, dessen sehr ähnliches ökoterroristisches Centerpiece jedoch sowohl visuell als auch moralisch deutlich opaker bleibt. Wo es Reichardt um Ungewissheit geht, geht es Goldhaber um Entschlossenheit. Das lässt sich zeitpolitisch begründen: Zwischen beiden Filmen liegen immerhin knapp zehn Jahre "weiter so". Zugleich ist es aber auch eine ästhetische Entscheidung: Wer den Widerstand auf die Leinwand bringt, sollte auch bereit sein, den Todesstern in die Luft zu jagen.

Karsten Munt

How to Blow Up a Pipeline - USA 2022 - Regie: Daniel Goldhaber - Darsteller: Ariela Barer, Kristine Froseth, Lukas Gage, Forrest Goodluck, Sasha Lane, Jayme Lawson - Laufzeit: 104 Minuten.