Im Kino

Nichtkanalisierte Energien

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
07.09.2011. In "Tournee" begleitet ein enthusiastischer Mathieu Amalric als Regisseur und Hauptdarsteller amerikanische Burlesque-Tänzerinnen auf ihrem Weg durch die französische Provinz. In Marcus Nispels Neufassung des archaischen Fantasystreifens "Conan" wird der Held auf dem Schlachtfeld geboren.


Eine Gruppe von Amerikanerinnen mittleren Alters, größtenteils wohlgenährt, zieht durch die französische Provinz. Die Frauen, (verkörpert von Schauspielerinnen, die auch im echten Leben Burlesque-Tänzerinnen sind), möchten selbstbestimmt tanzen, leben und lieben und sie fordern dies immer wieder lautstark ein: "Es ist unsere Show - nicht Deine!". Das geht an die Adresse von Joachim Zand (Mathieu Amalric), einem Kulturimpressario, der den Damen das Ticket für die Reise nach Frankreich bezahlt hat und nun versucht, die Rundreise einer Show zu managen, von deren Stars er immer wieder zu hören bekommt, dass er keine Ansprüche an sie geltend machen kann, weder als Mann noch als Arbeitgeber. Joachim Zand hat schon körperlich einen schweren Stand gegen die robusten, willensstarken Damen: ein nervöser, schlanker Typ, schon irgendwie charmant aber durch und durch unsouverän, einer, der sich in alles, was er macht, in jeden Tag, in jede Begegnung, in jedes Gespräch, mit Haut und Haaren hineinwirft, ohne Rückversicherung, die einzige Form der Distanzierung sein ewiges, unsicheres, etwas entrücktes Lächeln.

Eine Tournee durch Frankreich beschreibt der Film, aber eine, die sich am Rand des Landes entlang bewegt. Zand macht sich irgendwann in Richtung Hauptstadt auf (auf dem Weg dahin, eine der schönsten Szenen des Films, ein flüchtiger Flirt mit einer Tankstellenbedienung), seine Schützlinge bleiben in der Provinz, während er versucht, seine Familienangelegenheiten zu managen, auch das aus einer alles andere als souveränen Position heraus. Die Ex-Frau, die ihre Brüste amputieren lassen musste (aber ihr bleibt noch ihr Arsch), der Bruder, der vor allem Kontrahent ist, der hysterische Vater, der einer griechischen Tragödie entstiegen scheint, die beiden Söhne, deren Geburtsjahre er sich nicht merken kann; wirklich zu Hause ist Joachim Zand in ihrer Mitte nicht, aber irgendwie muss man miteinander klar kommen: Direkt nach einem besonders wüsten Streit mit dem Bruder stellt er sich neben ihn an die Bar, als sei nichts gewesen und bestellt einen Whiskey. Und die Söhne nimmt er schließlich mit zu seinen Tänzerinnen.



Mathieu Amalric übernimmt nicht nur die Hauptrolle, er führt auch Regie. Und gelegentlich kommt es einem so vor, als habe der Regisseur Amalric zu seinem Film ein ähnliches Verhältnis wie Zand zu seiner Burlesque-Show: nicht das eines Chefs, der ordnet und anordnet, eher das eines halbprofessionellen Enthusiasten, der Energien zwar bündelt, aber nicht kanalisiert, weil er ständig selbst von ihnen mitgerissen wird.

Der Film springt unvermittelt von Szene zu Szene, von Stimmung zu Stimmung, Figuren tauchen plötzlich auf und sind ebenso plötzlich wieder weg, kippen aus dem vorwärts drängenden Film, als könnten sie den Fliehkräften der um Paris kreisenden Tournee nicht wiederstehen. In der Hotellobby reden manche französisch, manche englisch und alle durcheinander, nicht jeder versteht jeden, einer sorgt sich um seine Uniform, aber die Crew zieht weiter. Im Zug ein kurzer Blick aus dem Fenster, auf die vorbeiziehende Landschaft, die dem Film äußerlich bleibt, dann klingelt schon wieder das Handy, der Zug fährt in einen Tunnel, für ein paar Sekunden bleibt das Bild ganz schwarz, trotzdem muss der nächste Gig organisiert werden. Der Film funktioniert wie der Fernseher in der übernächsten Hotelbar: der läuft einfach immer weiter und zwar mit voller Lautstärke, dafür ist er konstruiert und Amalric kann dagegen nichts ausrichten, egal, wie lange er mit dem Hotelpagen streitet.

Die Burlesque-Auftritte selbst, die in diesem an continuity nicht allzu sehr interessierten Film immer wieder eingeschoben werden wie als zusätzliche Einheizer, haben mit dem Plot wenig am Hut, sind sich selbst Schauwert genug und tatsächlich auch wundervoll vulgär. Eine Blondine in stars-?n-stripes-Bikini verspeist Dollarscheine, eine andere fingert sich mit einer künstlichen Hand, der einzige männliche Tänzer der Truppe, der im Film sonst eher untergeht, hat einen großartigen Auftritt als Ludwig XIV. und legt einen königlichen Strip hin.

Ob die sprunghafte Ästhetik auf einen tatsächlichen Kontrollverlust am Set zurückzuführen ist, oder - deutlich wahrscheinlicher - als Effekt minutiöser Planung entstand, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass "Tournee" die offene Form dazu nutzt, die Eigenarten, den Eigensinn, die Körperlichkeit der Darstellerinnen in einer Art zur Geltung kommen zu lassen, wie dies in engmaschigeren Filmen kaum möglich gewesen wäre. Die energiegeladenen Tänzerinnen treten nicht nur Joachim Zand, sondern dem ganzen Film entgegen als eigensinnige Subjekte, die sich nichts vorschreiben lassen.

Fast schon programmatisch ist "Tournee" kein Film über Ausbeutung und Voyeurismus, in gewisser Weise ein Gegenbild zu Paul Verhoevens "Showgirls", wo Frauenkörper zugerichtet, Brustwarzen mit Eiswürfeln gestählt wurden. Ein naives, postsexistisches Märchen erzählt Amalric deswegen noch lange nicht; die Selbstermächtigung der Tänzerinnen mündet nicht - wie zuletzt im dämlichen Christina-Aguilera-Vehikel "Burlesque" - in der systemkonformen Utopie des profitablen Kleinunternehmens, sondern in einer durch und durch prekären Existenz. Ein griffiger Slogan ("the new Burlesque: women doing shows for women") ergibt noch kein Geschäftsmodell, noch nicht einmal einen Modus der Kommunikation. Wie die Landschaft spielt auch das Publikum im Film keine Rolle, kaum einmal taucht es im Bild auf und wenn doch, dann bleibt es im Unschärfebereich. Nur einmal im Supermarkt spricht eine Kassiererin, die die Show gesehen hat, eine der Tänzerinnen und den Manager an, aber die Begegnung geht gründlich schief und endet im Eklat. Selbstbild und Projektion passen nicht zusammen, der Überschlag von der Bühne ins Leben misslingt. In dieser Szene wird deutlich, dass "Tournee" auch ein Film über Isolation ist, über eine euphorische Isolation fernab der Heimat, in Hotelzimmern, Zugabteilen und Variete-Bühnen; und ein Film über einen überforderten Mittler, einen Anker in der Welt, der hin- und hergeschleudert wird bei seinen Versuchen, Kunst und Leben in einem schiefen Grinsen zu vereinen.

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Auf dem Schlachtfeld ist er geboren, der sterbenden Mutter mit dem Messer aus dem Leib geschnitten. In seiner Jugend hat Conan dann mitansehen müssen, wie die Armee des dunklen Fürsten Khalar Zym sein Heimatdorf Cimmeria vernichtete und seine Familie ermordete. Er selber ist entkommen, und als der Film ihn nach dem martialischen Vorspann wiederfindet, steht er an irgendeiner mediterranen Küste und lässt den Sand der Zeit durch die Finger fließen. Ein anarchistischer Freibeuter, der asiatischen und anderen Despoten zusetzt und leichtbekleideten Sklavenmädchen die Freiheit schenkt. Doch sucht sein Widersacher Zym derweil die Überreste einer magischen Maske und außerdem die Priesterschülerin Tamara (Rachel Nichols), denn die hat "reines Blut". Was auch immer das heißen mag. Der Film möchte das nicht so genau wissen; ist wahrscheinlich besser so. Maske plus reines Blut ergibt zumindest Weltherrschaft, Zym möchte außerdem seine verstorbene Gattin wiederbeleben und mit ihrer Hilfe eine Art Matriarchat errichten. Der echte Kerl Conan hat was dagegen.

Regisseur Marcus Nispel, ein in Deutschland geborener Michael-Bay-Protege mit wuchernder Gesichtsbehaarung, ist, seinem schlechten Ruf in einschlägigen Netzdiskussionen zum Trotz, alles andere als talentfrei. Nur sucht er sich einerseits nicht unbedingt die allerinteressantesten Projekte aus: alle seine bisherigen Kinofilme sind Remakes, deren Ambitionen sich darauf beschränken, bewährte Stoffe in technischer Hinsicht auf den Stand der Zeit zu befördern. Und andererseits merkt man ihm seine Vergangenheit als Musikvideofilmer an: in seinen Filmen finden sich jede Menge großartige Einstellungen - im Erstling "The Texas Chainsaw Massacre" lies er die Kamera schon mal, der Gewehrkugel hinterher, durch einen durchschossenen Kopf hindurch rasen - und auch jedesmal einige herausragende Montagefolgen, aber vom Ganzen, oder auch nur von längeren Abschnitten her betrachtet funktionieren sie weitaus schlechter.



"Conan" ist ein in kräftigen, dunklen Farben leuchtender, schnell erzählter B-Film, der sich eher an der literarischen Vorlage - einer Serie pulpiger Abenteuererzählungen des Low-Fantasy-Meisters und Lovecraft-Kumpels Robert E. Howard - als an der düsteren, verhältnismäßig ernsthaften ersten Verfilmung aus den Achtziger Jahren mit Arnold Schwarzenegger orientiert. Die Fronten sind von Anfang an klar, die Bösewichter erkennt man an ihren Kinnbärten, zwischen den ziemlich rüden Actionsequenzen gibt es schamlos verkitschten Weichzeichnersex in der warmen, dunklen Grotte. Die Schauplätze entfalten sich adrett als dreidimensional animierte CGI-Panoramen, wechseln sich allerdings so schnell ab, dass keiner nennenswerten Eigenwert gewinnen kann.

Toll sind in "Conan" vor allem die Verfolgungsjagden: elegant gegeneinandergeschnittene Bewegungsvektoren, die sich so lange gegenseitig erhitzen, bis irgendwann ein Baum im Weg steht, oder eben Conans Faust. Auch der Hauptdarsteller, der hawaiianische Newcomer Jason Momoa, bisher hauptsächlich in kleineren Rollen in diversen Fernsehserien gesichtet, gefällt. Das harte Lächeln, das um seine Mundwinkel auch dann spielt, wenn er einen Sklaventreiber dem Plebs zum Fraß vorwirft, passt gut zu der unironischen - und schon auch ein wenig faschistoiden - Pulp-Mechanik eines Films, in dem, um ein Menschenopfer zu verhindern, ohne allzu viel Aufhebens ganze Hundertschaften mit Elan in die ewigen Jagdgründe befördert werden.

Tournee - Frankreich 2010 - Regie: Mathieu Amalric - Darsteller: Mathieu Amalric, Mimi Le Meaux, Dirty Martini, Roky Roulette, Kitten on the Keys, Evie Lovelle, Julie Atlas Muz, Angela De Lorenzo, Alexander Craven, Damien Odoul - Länge: 111 min.

Conan - USA 2011 - Originaltitel: Conan the Barbarian 3D - Regie: Marcus Nispel - Darsteller: Jason Momoa, Rachel Nichols, Stephen Lang, Rose McGowan, Said Taghmaoui, Ron Perlman, Leo Howard - Länge: 112 min.