Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
27.05.2002. Prospect und Economist befürchten den Kollaps aller Werte nicht durch die Bio-, sondern durch die Neurotechnik. Outlook India fragt, ob es Krieg zwischen Indien und Pakistan geben wird. In der NY Review of Books streiten Ehud Barak, Hussein Agha und Robert Malley über Camp David. L'Express erklärt, warum die kubanischen Kommunisten Jerome Savary feiern. Im Spiegel feuert Henryk M. Broder auf Jürgen Möllemann. Profil stellt eine amerikanische Thomas-Bernhard-Biografie vor und die NYT Book Review eine Neil-Young-Biografie.

Prospect (UK), 01.06.2002

Den "Kollaps aller Werte" nicht durch die Bio-, sondern durch die Neurotechnik erwägt Paul Broks in einem denkwürdigen Artikel über das merkwürdige gallertartige Organ in unserem Kopf: "Perhaps Neuroscience will despoil the last refuge of the myth of selfhood. Our ethics and systems of justice, our entire moral order, are founded on the notion of society as a collective of individual selves-autonomous, introspective, accountable agents. If this moral agent is revealed to be illusory, what then? Perhaps by using the weapons of neuroscience to explode the self we run the risk of splitting a social atom and releasing forces beyond our present comprehension."

Außerdem dikutieren Francis Fukuyama und Gregory Stock, ob sich die böse Biotechnologie durch Gesetze bezähmen ließe. Den Wortwechsel, den Prospect nur im Print veröffentlicht, der aber auf den Internetseiten des Cato-Instituts und des Reason-Magzins nachzulesen und -zuhören ist (hier und hier), ergänzt ein Artikel von Geoff Mulgan, der die evolutionären Chancen der Biotechnik gegen die in Fukuyamas neuem Buch "Das Ende des Menschen" formulierten Thesen ausspielt. Mit keinem Wort, kritisiert Mulgan, gehe Fukuyama auf die bedeutendste, implizite Behauptung der Biotechnologen ein: "If we could - and it is a big 'if' - change the behaviour and characteristics of some human populations in ways that were widely accepted as morally advantageous (perhaps with more optimistic, cooperative and less impulsive people on average) would this be a bad thing? After all, our inherited natures were shaped in a radically different environment, and have left us often ill-suited for modern life. There are many reasons for being nervous about any serious attempt to change our nature. But to defend our inherited makeup as the last word in evolution is just dogmatic."

Kate Kellaway untersucht, welcher Dichter-Witwer am selbstlosesten in Versen seine Frau betrauert: John Milton, Thomas Hardy, Douglas Dunn oder Ted Hughes. John Lloyd erkundet die 90.000 Seelen-Gemeinde Burnley, wo die British National Party (BNP) auf 11 Prozent kam. Und Mark Cousins überlegt, ob das Kino die Wahrheit sagen sollte und mit welchen Mitteln.
Archiv: Prospect

Economist (UK), 25.05.2002

Angst vor der Gentechnik? Es gibt Schlimmeres, meint der Economist in seiner Titelstory. Die Neurotechnik zum Beispiel "stellt nicht nur eine größere und unmittelbarere Bedrohung für die menschliche Natur dar, sie spielt in der öffentlichen Diskussion auch praktisch keine Rolle". Dieser Vermutung liegt die schlagende Beobachtung zugrunde, dass die "Wirkung" eines Gens noch immer über das Gehirn vermittelt wird. Ein Organ, mit dem fleißig experimentiert wird: "Over the course of the next decade, scientists may be able to predict, by examining a scan of a person's brain, not only whether he will tend to mental sickness or health, but also whether he will tend to depression or violence. Neural implants may within a few years be able to increase intelligence or to speed up reflexes. Drug companies are hunting for molecules to assuage brain-related ills, from paralysis to shyness." Ein weiterer Artikel zum Thema bekräftigt diese Aussichten, räumt aber ein, die Neurotechnik sei mitnichten soweit, eine "post-humane Zukunft" (Francis Fukuyama) einzuläuten. Zu flüchtig ist die menschliche Seele - was immer das auch sein mag.

Einen anderen Beiträger beschäftigt die heiße Frage, was Bush über 09/11 nicht wußte und wieso. Wie kann jemand wie Condoleezza Rice jetzt behaupten, Jets als Raketen seien nicht vorstellbar gewesen, wo doch Pläne bekannt waren, auf ebendiese Weise den Eiffelturm zu attackieren? Die Vermutung liegt nahe, dass der Wurm im FBI steckt. "Before September 11th, Mr Mueller (FBI-Chef Robert Mueller) promised to shake up the FBI's bureaucratic secrecy. Clearly, that is needed ... Whatever kind of body emerges, its task will be to assign blame. That may be a good thing. Heads have not rolled at either the CIA or the FBI; the only 'punishment' has been a lot more money. A little clearing of the air would be good, and might even prompt a reorganisation of the whole intelligence apparatus."

Ein Special Report setzt sich mit den Vor- und Nachteilen großer Media-Konglomerate wie Bertelsmann und Co. auseinander, und "Books and Arts" verreißt die Studie "The World We're In" des britischen Journalisten Will Hutton als antiamerikanische Kampfschrift, die sich liest wie Sowjetpropaganda der 50er und 60er: "a collection of mostly accurate facts put together in such a way as to yield a wholly misleading conclusion."
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 03.06.2002

Wird es Krieg geben? Im Titeldossier des Magazins entlarvt Nitin A. Gokhale die Drohungen von Seiten Indiens als "rhetorisch", weil "Krieg im konventionellen Sinne niemals die erste Option war". Es sei unwahrscheinlich, dass eine "ausgewachsene Offensive" den "Cross-Border-Terrorismus" in Kaschmir beenden würde. "Moreover, political and diplomatic assessments suggest that India's image of a restrained, mature country will be tarnished if it initiated hostilities across the Line of Control (LoC) and the International Border (IB). In that, it would lose much of its diplomatic advantage. Finally, the army was told that the primary objective as of now was to hold peaceful and fair elections in Jammu and Kashmir."

Bleibt die Möglichkeit eines "begrenzten Krieges" - wenn es so etwas gibt. Anita Pratap hat so ihre Zweifel: "If it's war, it cannot be limited. If it is limited, it's not war. And limited for whom? They tell us India will limit her punitive strike against Pakistan by attacking jehadi camps in PoK. But will Pakistan's response to this attack be limited?" Und die Effektivität? Gleichfalls fragwürdig, meint Pratap in ihrem Beitrag: "Undoubtedly, Pakistan harboured, trained, armed and funded these jehadis. But are we absolutely certain that Musharraf still exercises complete control over these bigoted madmen? ... If jehadis have now acquired a momentum of their own, would punishing Pakistan solve our terrorist problem?"

Im Kulturteil gibt es ein flammendes Lob auf Sanjay Leela Bhansalis in Cannes präsentierten Film "Devdas" (nach einem Roman von Sarat Chandra Chattopadhyay), der durch eine gefühlige Liebesgeschichte und "hypnotische Üppigkeit" besticht. Und Lektüreempfehlungen zu Amit Chaudhuris Debütband "Real Time" - Erzählungen, in denen es u.a. um die Bedingungen von Kunst und Kunstschaffenden geht, und zu einem hagiographischen Buch über den indischen Cricketstar Sachin Tendulkar, das der "gebeutelten indischen Moral" aufhelfen soll.
Archiv: Outlook India

New York Review of Books (USA), 13.06.2002

Woran scheiterte der Nahost-Gipfel in Camp David (mehr z.B. hier) vor zwei Jahren? Oder vielmehr an wem? Die New York Review lässt Ehud Barak mit Hussein Agha und Robert Malley diskutieren: Israels früherer Ministerpräsident erklärt, Arafat hätte überhaupt kein Interesse daran gezeigt, ein Friedensabkommen zu erreichen: "He did not negotiate in good faith, indeed, he did not negotiate at all. He just kept saying 'no' to every offer, never making any counterproposals of his own ? What they [Arafat and his colleagues] want is a Palestinian state in all of Palestine. What we see as self-evident, two states for two peoples, they reject ? Arafat sees himself as a reborn Saladin and Israel as just another, ephemeral Crusader state."

Dagegen halten die beiden Autoren Agha und Malley (der als amerikanischer Unterhändler ebenfalls am Gipfel teilnahm): "The Palestinians can be criticized for not having presented detailed proposals at Camp David; but it would be inaccurate to say they had no positions ... True, the Palestinians rejected the version of the two-state solution that was put to them. But it could also be said that Israel rejected the unprecedented two-state solution put to them by the Palestinians from Camp David onward."

Garry Wills beschäftigt sich mit dem Missbrauch von Jugendlichen durch amerikanische Priester und den Reaktionen der katholischen Kirche: "The current scandal is not a sex scandal. It is a dishonesty scandal." James McPherson betrachtet Neuerscheinungen zum amerikanischen Bürgerkrieg, die von der dem inneren Frieden dienenden Sicht abrücken, der Süden hätte tapfer gekämpft und nur verloren, weil er dem Norden militärisch unterlegen war, und nicht, weil etwa die Führung der Konföderation heillos unfähig war.

Geoffrey O'Brian klagt anlässlich des neuesten Blockbusters "Spider-Man", dass Marvel Comics heutzutage dazu dienten, Kinofilme aus ihnen zu machen, während sie früher Anlass waren, über Sex, Ästhetik oder Jungianische Psychologie zu diskutieren.

Besprechungen widmen sich zwei Büchern der britischen Literaturkritikerin Lorna Sage sowie die Memoiren des demokratischen Politikers Bob Kerrey.

New Yorker (USA), 27.05.2002

Viel zu lesen in dieser Nummer, zumindest theoretisch. Denn bis Redaktionsschluss leider nur als tiefschwarze Fläche abrufbar sind ein Bericht von Seymour M. Hersh über ein Vorhaben des FBI, das es selber durchkreuzte, und Philip Gourevitchs "Letter from Zimbabwe" über Mugabes Gewaltregime. Vielversprechend startet ein "intimate portrait" von Christopher Buckley über "J.F.K., Jr., and Me": "I first met John Kennedy - it must have been sometime in the nineties. He was walking up Madison Avenue, naked from the waist up?" Eher unheimlich dagegen beginnt eine Erzählung von A.S. Byatt: "There were once two little girls who saw, or believed they saw, a thing in a forest."

Nancy Franklin stellt einen Dokumentarfilm von Barbara Kopple über das social life in den Hamptons vor. Obgleich für das US-Fernsehen produziert und hierzulande möglicherweise nicht zu sehen, erfährt man zumindest aus dem Text doch einiges über jenen exklusiven Ort und "what the people who have made it in Hollywood and Manhattan fantasize about". Außerdem bespricht Franklin zwei Stücke von Alan Ayckbourn im Manhattan Theatre Club (mehr hier). Elizabeth Kolbert rezensiert ein Buch des ehemaligen Senators Bob Kerrey über die Vietnam-Jahre seines Onkels John, der an einem Massaker beteiligt war. Peter Schjeldahl weist auf zwei Ausstellungen mit abstrakter Malerei und Papierarbeiten von Brice Marden hin, und David Denby kritisiert die Tom-Clancy-Verfilmung "The Sum of All Fears" sowie "About a Boy" nach dem Roman von Nick Hornby mit dem "ewigen englischen Junggesellen" Hugh Grant in der Hauptrolle.

Nur in der Printausgabe: Berichte über eine Katze, die ein Leben veränderte, und über Toni Curtis' Rückkehr ins Show Business, außerdem Lyrik von Dana Goodyear, Philip Levine und Sharon Olds.
Archiv: New Yorker

Express (Frankreich), 23.05.2002

Jerome Savary lässt mal wieder die Puppen tanzen. Sein neues Spekakel "Chano Pozo" ist eine musikalische und tänzerische Hommage an den gleichnamigen Schlagzeuger. Schauplatz ist Kuba, wie schon 1997 in der Inszenierung des "Bourgeois gentilhomme". Savary mischte die Dialoge von Moliere mit Salsaklängen. Die neue "Comedie musicale" hat Savary wie immer mit seiner "Theaterfamilie" und geladenen Gästen auf die Beine gestellt, doch auch diesmal lässt er sich nicht lumpen: Einen Teil der französisch-kubanischen Koproduktion bezahlt die kubanische Regierung. Granma, das offizielle Organ der kommunistischen Partei Kubas, bringt Savary zu Ehren eine lange Reportage. Zu sehen ist das Stück in der Opera Comique in Paris vom 24. Mai bis 29. Juni. 

Weitere Artikel: Maurice Bejart spricht im Interview über Diaghilews "Ballets russes", die Einführung des Tanzes auf dem Festival d'Avignon, die Bedeutung des Spiegels, die Quellen seiner Inspiration und die philosophischen Gespräche, denen er als Kind auf einem Diwan liegend in einer kleinen Wohnung in Marseille zuhörte. Anlässlich der 55. Filmfestspiele in Cannes haben Sophie Grassin und Eric Libiot mit Gaspar Noe, dem Regisseur von "Irreversible" gesprochen. Der Film erzählt in schockierenden Bildern die Geschichte eines Mannes, der seine vergewaltigte Frau rächt. Für das französische Kino rollt Eric Libiot den roten Teppich aus und zieht Bilanz über die letzten Publikumserfolge.

Außerdem: Francois Busnel hat ein "Queneaurama" verfasst. Daniel Rondeau stellt Dominique Villepins Buch "Le cri de la Gargouille" vor, eine aktuelle, politische Diagnose Frankreichs. Besprochen werden "Avant de tout oublier", ein Buch von Alain Marsaud, einem Abgeordneten der RPR, (lesen Sie hier) und "Ils ont assassine Massoud" von Marc Epstein und Jean-Marie Ponteau, das spannend wie ein Roman geschrieben ist (lesen Sie hier).
Archiv: Express

Espresso (Italien), 27.05.2002

Vor zehn Jahren ermordete die Mafia den sizilianischen Richter Paolo Borsellino. In einem Exklusiv-Interview mit Espresso (ihrem allerersten überhaupt) bedauert Borsellinos Tochter Lucia das Nachlassen des öffentlichen Interesses an der Mafia und an den Protagonisten ihrer Bekämpfung. Heute heißt zwar der Flughafen von Palermo "Falcone-Borsellino", es fehle aber, so Lucia Borsellino, "eine kulturelle Bewegung, die als Förderin der Legalität agiert". Soll heißen: Wenn es schon keine politische tut.

Anknüpfend an einen älteren Artikel, in dem er den Tod des großen Romans, wie ihn das 20. Jahrhundert hervorbrachte, proklamierte, erklärt Eugenio Scalfari in seiner Kolumne, wie es um den großen Roman des 21. Jahrhunderts bestellt ist. Ganz einfach, meint Scalfari: Es gibt ihn nicht. Die neue Individual-Gesellschaft (post-aristokratisch, post-bürgerlich) habe bisher weder zu einer ihr gemäßen Sprache noch zu einem eigenen "großen Stil" gefunden. In den USA gebe es De Lillo und Roth, Europa aber habe nichts Vergleichbares vorzuweisen, keinen neuen Roman weit und breit. Stattdessen verkauften Tageszeitungen wie La Repubblica und Corriere della Sera die Romane des 20. Jahrhunderts noch immer wie warme Semmeln. - Und Handke, Rushdie, Houellebecq? Sind die nicht übersetzt?
Archiv: Espresso
Stichwörter: Mafia, Palermo, Falco, La Repubblica

Profil (Österreich), 26.05.2002

Ein kosmopolitischer Snob? Ein Dandy als Landwirt? Ein potenzieller Selbstmörder und ein königlicher Narr? War das Thomas Bernhard? Die Literaturprofessorin an der Arizona State University Gitta Honegger hat nun in ihrer Biografie "Thomas Bernhard - The Making of an Austrian" "eine originelle Neudeutung seines Lebens und Werks" geliefert. Das meint zumindest der Wiener Kulturwissenschaftler und Bernhard-Kenner Alfred Pfabigan (mehr hier) im neuen profil-Heft. Ihr Buch räume mit Tabus auf, die zuvor totgeschwiegen wurden - "gleichsam korrespondierend zu Bernhards Zentralthema, der belasteten österreichischen Zeitgeschichte". Die Stärke dieser Biografie liege darin, "dass sie Bekanntes zusammenzieht, präzise auf den Punkt bringt". Unter anderem Bernhards verschlüsselte Bemerkungen in seinem soeben von Reich-Ranicki in seinem "Kanon" geadelten Roman "Holzfällen" ließen darauf schließen, dass es in "Bernhards Triebleben eine homosexuelle Komponente gab". Er sei "mehr Homo als mit Frauen gewesen". Ungeachtet dessen sei er aber sehr anziehend für Frauen gewesen, und er habe diese "mit rücksichtsloser Intensität ausgenützt". Auf Skandal ist Honegger Biografie aber zum Glück nicht aus: "Honeggers Bernhard ist hingegen - im Doppelsinn des Wortes - ein 'Theatermacher', also einer, der lebenslang 'Theater gemacht hat', und zugleich eine theatralische Existenz, die alle Lebensumstände ästhetisiert hat."
Archiv: Profil

Spiegel (Deutschland), 27.05.2002

Nicht eben fein, wie der Spiegel der Queen zum goldenen Thronjubiläum gratuliert. Im Titeldossier kommen zu Wort: Christopher Hitchens (über die absurde Königsliebe seiner alten Heimat) und der Historiker Norman Davies (über Britanniens angeschlagenes Herrscherhaus).

Der Antisemitismus geht mit der Zeit, erklärt Henryk M. Broder in einer Polemik gegen Jürgen Möllemann. Was dieser in der Auseinandersetzung mit dem jüdischen Zentralratsmitglied Michel Friedmann so zu Gehör gebracht hat, entspricht für Broder dem Bild des "modernen Antisemiten": "Der verurteilt zuerst 'die Verbrechen der Nazis', distanziert sich vom 'Rassismus jeder Art', um anschließend zu fragen, warum denn die Juden beziehungsweise die Israelis aus der Geschichte nichts gelernt hätten. Der aufgeklärte Antisemit hat ein großes Anliegen an die Juden: dass sie endlich aufhören, sich danebenzubenehmen. Sonst muss er nämlich böse werden." Ein Platz in der "Hall of Fame des Antisemitismus", meint Broder, ist Möllemann sicher.

Ein anderer Beitrag befasst sich mit der losen Arbeitsmoral amerikanischer Geheimdienste vor dem 11. September und erklärt: "Ihr Versagen verschuldete Amerikas größte Katastrophe seit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor." Angelpunkt der Versäumnisse ist ein Dossier des FBI-Beamten Kenneth Williams. Dieser hatte vor verdächtigen Flugschülern aus Nahost gewarnt und eine Überprüfung von Flugschulen empfohlen - ohne nennenswertes Echo bei seinen Kollegen.

Außerdem straft der Spiegel das diesjährige Filmfest in Cannes wegen seiner Wirklichkeitsnähe und der ach so wenig unterhaltsamen Neigung, "umstandslos auf die Geschicke der Elenden und Armen dieser Welt" draufzuhalten. Matthias Matussek erzählt von der unglaublichen Karriere des brasilianischen Pianisten Joao Carlos Martins. Und nur im Print sagt uns der Schriftsteller Leon de Winter seine Meinung über Marcel Reich-Ranickis Roman-Kanon.
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 26.05.2002

"Erschöpfend, streitsüchtig und manchmal unerträglich" findet Rick Moody Jimmy McDonoughs Biografie über Neil Young (Leseprobe "Shakey"). Das Buch befasst sich in der Hauptsache mit Youngs musikalisch produktivster Zeit zwischen dem ersten Buffalo Springfield Album von 1966 und "Rust Never Sleeps" von 1979 und wird unerträglich immer dann, wenn dem Autor die Musik aus dem Blick gerät und er sich in Details oder endlosen Interviews (insgesamt um die 50 Stunden!) verliert. Ebendies mache den Unterschied aus "zwischen der leichten, eingängigen Biografie, die wir hätten haben können, und der langatmigen vorliegenden". Kurzweilig ist dafür das Audiopaket zur Besprechung: Clips von Neil Young, kommentiert vom Rezensenten!

Die NYT bespricht das Buch eines Arabisten und Politikwissenschaftlers, das den Spuren des politischen Islam folgt. "Jihad" von Gilles Kepel, schreibt Robin Wright, "will be a welcome respite for anyone who fears the fury associated with militant Islam. Despite the terrorist attacks of Sept. 11 and the Palestinian suicide bombings in Israel, Gilles Kepel argues that the trend is, in fact, now on its last legs. The violence is merely a reflection of the movement's failure, not its success". Eher schwach findet Wright die Ausrichtung der Arbeit ("in its detail and scope") auf den spezialisierten Leser, zu kurz komme das "größere Bild". Und dass die Bewegung bereits am Ende ist, möchte er auch nicht glauben: "Islam is now just beginning to struggle with its own reformation, a process of reinterpreting the Koran and blending religious traditions with modern society. The past quarter century of militancy is a part of this broader process -- a phase of history that is definitely not over."

Mit einer eher ungewöhnlichen Bemerkung beginnt Gillian Tindall seine Besprechung der Flaubert-Biografie aus der Feder von Geoffrey Wall. "Ich wünschte, das Buch gefiele mir besser", schreibt er. Der Autor habe zwar "Madame Bovary" übersetzt, wisse eine Menge über Flaubert und verehre ihn auch wirklich, aber literarische Sensibilität und die Fähigkeit zu schreiben seien nun mal zwei Paar Schuh. Flauberts Geschichte sei einfach zu außergewöhnlich ("such richness of human themes on the one hand, such emotional anorexia on the other"), als dass man sie derart "spielend und schwatzend" erobern dürfe. Hier ein geschwätziger Auszug aus "Flaubert".
Archiv: New York Times

Times Literary Supplement (UK), 26.05.2002

Für das Times Literary Supplement bespricht Jonathan Mirsky ein Buch über die Bedingungen eines anspruchsvollen Journalismus im heutigen Amerika von Leonard Downie Junior und Robert G. Kaiser: "The News about the News - American Journalism in Peril". Unter Einbeziehung von Interviews, unter anderem mit Dan Rather vom CBS, kommen die beiden Autoren, die ihr Metier bei der Washington Post betreiben, zu dem Schluss, dass der Kampf um Einschaltquoten zu Unrecht auf Kosten guter Berichterstattung geht: "Die Angst verleitet die Manager auf Statistiken zu vertrauen, die ihnen diese Angst nur bestätigen." Mirsky ist da mit den Autoren des Buchs einer Meinung: Die Marktforschungsinstitute erschüttern das Vertrauen der Medien in den Journalismus. Und so wird "Berichterstattung, die einst als ein Service betrachtet wurde, der auch Gewinn bringen kann, nun als Vehikel beutzt, um Publikum anzuziehen und Werbeplatz zu verkaufen."

Weitere Besprechungen widmen sich einer aufschlussreichen Ausstellung in der Royal Academy of Arts über buddhistische Skulpturen aus dem 6. Jahrhundert, die 1996 im Osten Chinas gefunden wurden und einer Biografie Rosamond Lehmann von Selina Hastings.