Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
14.06.2005. Le Monde diplomatique bezweifelt die Demokratiebegeisterung der libanesischen Zedernrevolution. Al Ahram wünscht sich ein Museum für Abu Ghraib. In Le Point kritisiert Peter Sloterdijk das französische Nein als Heldentum von verwöhnten Kindern. Reportajes analysiert den Machtkampf in Bolivien. Im Nouvel Obs erklärt Emmanuel Todd den Zusammenhang zwischen EU, Deutschland und Osteuropa. In Plus-Minus fordert Julia Tymoschenko die Europäer auf: Zahlt Steuern! In der New York Times plädiert Joseph Lelyveld für ein kleines bisschen Folter.

Elet es Irodalom (Ungarn), 10.06.2005

Istvan Eörsi analysiert am Beispiel der Autobiografie des renommierten ungarischen Wirtschaftsexperten Janos Kornai das Verhältnis der Intellektuellen zur Macht: "Ich glaube nicht, dass nur diejenigen sich moralisch einwandfrei benommen haben, die auf die Möglichkeit legalen Publizierens gänzlich verzichteten, um der Zensur auszuweichen. Auch solche Autoren gab es, die ihre Bücher legal publizierten, um sie mehr Lesern zugänglich zu machen, aber deshalb aus der Sicht der Zensur uninteressante Themen wählten oder brisante Themen verkleideten, dass sie sich doch durch den offiziellen Filter schleppten."

Weiteres: Kritiken über die große Gesamtausgabe der Werke des ungarischen Romanciers Gyula Krudy in fünfzig Bänden (Kalligram Verlag, Bratislava) und über die autobiografischen Schriften von Ilona Harmos, der Witwe des in Deutschland gerade wieder entdeckten Dezsö Kosztolanyi (mehr hier), die den Zweiten Weltkrieg als Jüdin überlebte.

Le Monde diplomatique (Deutschland / Frankreich), 13.06.2005

Die sogenannte "Zedernrevolution" im Libanon war nie von einem gemeinsamen Demokratiegedanken beseelt, stellt Alain Gresh in einem ausführlichen Lagebericht fest. Den diversen Demonstrantengruppen ging es immer um höchst partikuläre Interessen. Nun wird Saad Hariri, der Sohn des ermordeten Exministerpräsidenten Rafik Hariri, seinen Vater beerben. Und die traditionellen Seilschaften wenden die üblichen Verdrängungsmethoden an. "Sie setzen einfach auf die Losung 'Syrien ist an allem schuld'. Alle Mittel sind ihnen recht, selbst das absurde Gerücht, dass 80.000 syrische Haushalte kostenlos Strom aus dem libanesischen Elektrizitätsnetz beziehen. Und die Korruption? 'Dafür machen wir einfach die Syrer verantwortlich', erklärt ein Wirtschaftswissenschaftler."

Denis Duclos und Valerie Jacq machen im Kino der Gegenwart einen Drang zur Wirklichkeit aus. Der Zuschauer ist für das Inszenierte einfach zu medienbewusst geworden, in allen Genres. "Im Kult der Wahrheit können das Spiel mit der Virtualität und das Bemühen um Realismus zum gleichen Ergebnis führen: Im Dokumentarfilm wie im Spielfilm fehlen der Autor, der eine eigene Fantasiewelt erschafft, der Schauspieler, der diese Vorstellung verkörpern will, und der Zuschauer, der sich in dieser Vorstellung wiedererkennen kann. In Zukunft beherrscht das Reale die siebente Kunst, deren Protagonisten sich auf ein- und derselben Stufe wiederfinden."

Außerdem spießt Mathieu Rigouste die vorurteilsbeladene Berichterstattung über erfolgreiche Immigranten in den französischen Medien auf, und Jean-Marie Chauvier erinnert an den Beginn der Perestroika vor zwanzig Jahren.

Al Ahram Weekly (Ägypten), 09.06.2005

Wie soll sich die arabische Welt an Abu Ghraib erinnern? Welche Rolle kann die "perverse Pornografie des Krieges? in der kollektiven Imagination - falls es so etwas geben kann - spielen, während sich alle Welt mediale Bilder von den "Arabern" macht? Rania Gaafar plädiert für die Offensive und die Umwandlung der Folterstätte in ein Museum: "Die Traumata der irakischen Folteropfer von Abu Ghraib und in anderen okkupierten Gebieten scheinen eine mysteriöse negative Energie zu erzeugen: Erinnerung als Energiequelle. (...) Symbolismus tut not - Araber können nicht bei dekonstruktivistischen Theorien beginnen, wenn gar keine Konstruktionen vorhanden sind. Und dieser Symbolismus kann nur daraus erwachsen, dass man sich die Erlaubnis zur Erzählung erteilt, zur Bewahrung der Stätten von Krieg und Mord. So, wie es die Länder des Westens tun."

Außerdem porträtiert Rasha Kassir den libanesischen Politaktivisten, Historiker und Journalisten Samir Kassir, Mitbegründer der Bewegung der Demokratischen Linken, der am 2. Juni einem Attentat zum Opfer fiel. Und Lubna Abdel-Aziz kündigt einen neuen Boxerfilm-Klassiker an, "The Cinderella Man" von Ron Howard, und klärt darüber auf, dass der Sport selber - zwei Männer, die sich vor Publikum schlagen, bis einer umfällt - nicht weniger als 5000 Jahre älter ist als Hollywood.
Archiv: Al Ahram Weekly

Point (Frankreich), 09.06.2005

In einem Interview zeigt sich der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk reichlich wütend über den "infantilen Narzissmus" des französischen Neins zur europäischen Verfassung. "Eigentlich muss man zwei Nein erklären. Das niederländische Nein ist ein Nein des Misstrauens, einer kleinbürgerlichen Empfindlichkeit und ganz schlicht der Angst. Das französische Nein hat eine ganz andere Tonart: es ist bestrafend, triumphierend und gibt vor, eine Wiederholung der Französischen Revolution mit den Mitteln des allgemeinen Wahlrechts zu sein. Dieses Nein hält sich für heldenhaft, aber es ist das Heldentum von verwöhnten Kindern." Erstmals halte damit die Fremdenfeindlichkeit "die Fahne des Stolzes" hoch.

Berichtet wird außerdem über die anhaltende Tendenz von Restaurantchefs, die ihre Michelin-Sterne zurückgeben, weil ihnen Aufwand und Kosten wegen der damit verknüpften Erwartungen schlicht zu hoch sind.
Archiv: Point

Nouvel Observateur (Frankreich), 09.06.2005

Die Anhänger des "Nein" haben Europa vorgeworfen, im Namen der Globalisierung zu agieren, während die eigentliche Herausforderung außerhalb Europas, nämlich in Asien liegt, sagt der Demograph Emmanuel Todd, der Europa als einzigen Rahmen eines möglichen, von ihm persönlich befürworteten Protektionismus sieht. "Europa muss eine Macht werden. Angesichts des Aufstiegs der chinesischen Konkurrenz wird der Druck des Freihandels derart unerträglich, dass eine europäische Form des Protekionismus als unausweichlich erscheinen wird." Schon darum dürfe man Osteuropa nicht ausschließen wollen, so Todd weiter. Denn die wichtigste Wirtschaftsmacht in Europa sei nun mal Deutschland, und Deutschland brauche Osteuropa als Markt. "Für Deutschland ist Westeuropa zu klein."

Boston Globe (USA), 12.06.2005

Im Wochenendmagazin des Boston Globe weist Wesley Yang auf ein Buch hin, das Michel Foucaults Artikel zur islamistischen Revolution im Iran auf englisch versammelt und interpretiert: Kevin Andersons und Janet Afarys "Foucault and the Iranian Revolution" (University of Chicago Press, mehr hier, und hier ein Auszug). Yang resümiert: "Es gibt eine lange Tradition westlicher Intellektueller, die in ferne Länder reisen, um das Hohelied dortiger Revolutionen zu singen und die in diesen Revolutionen eigene Hoffnungen erfüllt sehen. Die Ironie von Foucaults Feier der Iranischen Revolution liegt darin, dass frühere Intellektuelle das Lob von Tyrannen im Namen absoluter Wahrheiten - wie dem Marxismus, dem Humanismus, der Vernunft - sangen, die Foucault in seinem Lebenswerk überwinden wollte. Er selbst wollte dagegen den Stimmen revoltierender Randfiguren lauschen und sie durch seinen Diskurs sprechen lassen. In der Praxis machte das keinen Unterschied."
Archiv: Boston Globe

Gazeta Wyborcza (Polen), 11.06.2005

"Polen hat jetzt eine große Chance, die Zukunft der EU mitzubestimmen - vorausgesetzt, wir sagen Ja zur Verfassung" meint im Interview mit der Tageszeitung der polnische Außenminister Adam Rotfeld. Da internationale Abkommen in gutem Glauben geschlossen werden, ist jeder einzelne für die Ratifizierung verantwortlich, ohne sich nach anderen umzuschauen, erklärt der Diplomat. Die Frage, ob Europa nun das amerikanische Wirtschaftsmodell annehmen wird, beantwortet Rotfeld: "Ich glaube, Europa wird nie das amerikanische Modell annehmen. Früher oder später werden eher die USA das europäische Modell übernehmen, das viel näher an den Bedürfnissen der Menschen dran ist." Der Außenminister hält auch an dem Plan fest, Ende 2005 die polnischen Truppen aus dem Irak abzuziehen und auf Wunsch der dortigen Regierung lediglich militärische Berater und Trainer im Land zu belassen.

Das Augenmerk der Polen richtet sich auf Weißrussland. Nach der in Warschau mehr als wohlwollend betrachteten ukrainischen Revolution rückt "die letzte Diktatur Europas" in den Mittelpunkt des Interesses. Zumal der autoritär regierende Präsident Lukaschenko in der letzten Zeit den Staatsapparat gegen den Verband der polnischen Minderheit einsetzt - immerhin die größte NGO im Lande. Der weißrussische Publizist Alexandr Fieduta glaubt allerdings nicht an einen raschen demokratischen Umsturz in Minsk: "Weißrussland ist nicht die Ukraine. Hier werden Gehälter und Pensionen gezahlt, von denen man leben kann. Es gibt hier keine großen Wirtschaftsakteure, die an demokratischen Institutionen interessiert sind - hier gedeihen nur Firmen, die sich mit dem Regime arrangiert haben. Es gibt hier keine unabhängigen Fernseh- und Radiosender und fast keine Presse - die existierenden oppositionellen Zeitungen werden vor den Augen aller beseitigt. Und: in Weißrussland ist der russische Einfluss sehr stark". Fieduta glaubt nicht an einen Umsturz bei den Wahlen 2006. "Lukaschenko ist wie eine Krankheit. Aber das weißrussische Volk wird nicht daran sterben. Es wird genesen - früher oder später."
Archiv: Gazeta Wyborcza
Stichwörter: Irak, Minsk, Weißrussland, Ngos, Ngo, Das Minsk

Plus - Minus (Polen), 11.06.2005

Im Magazin der polnischen Rzeczpospolita erzählt die ukrainische Premierministerin Julia Tymoschenko, dass das Land trotz der EU-Krise an seinen europäischen Ambitionen festhält. Allerdings stocke momentan die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, insbesondere in Sachen Freihandelszone. Auf die Frage nach Abschaffung der Privilegien für ausländische Investoren in zahlreichen Sonderwirtschaftszonen, die viele polnische Unternehmen getroffen hat, antwortet die Politikerin: "Die Ukraine wird westlichen Investitionen die günstigsten Bedingungen schaffen, mit der Bedingung, dass sie Steuern zahlen. Wir öffnen euch Tor und Tür und Fenster und rollen den Teppich aus. Aber zahlt Steuern."

Weiteres: Elzbieta Sawicka begeistert sich für die Ausstellung "Brücke. Geburt des deutschen Expressionismus", die momentan in Barcelona zu sehen ist und im Herbst nach Berlin kommt. "Man kann den Expressionismus mögen oder nicht, aber man muss zugeben, dass er die Basis der Ästhetik des 20. Jahrhunderts war. Dieses deutsch-spanische Ausstellungsprojekt zur Dresdner Künstlergruppe ist das größte seit 1952." Abgedruckt ist schließlich ein Kapitel aus dem neuen Buch des Schriftstellers Stefan Chwin, "Die Frau des Präsidenten".
Archiv: Plus - Minus

Espresso (Italien), 16.06.2005

Der Espresso wirft für die Abstimmung um das Gesetz zur künstlichen Befruchtung noch einmal das Gewicht des ganzen progressiven Italiens in die Waagschale und lässt hundert Prominente schreiben, warum sie für eine Liberalisierung der restriktiven Bestimmungen votieren. Der hierzulande eher unbekannte Cisko Bellotti, Sänger der Modena City Ramblers, fasst das Credo aller recht griffig zusammen. "Ich werde mehr als einmal mit Ja stimmen. Es ist falsch, dass die Kirche sich so stark einmischt und für Enthaltung plädiert. Dazu aufzufordern, nicht teilzunehmen, ist ein Zeichen der Unzivilisiertheit."

Im Kulturteil krönt Alberto Dentice einige kreolisch beeinflusste Bands zu den neuen Trendsettern auf dem italienischen Musikmarkt. Paul Krugman warnt vor einer amerikanischen Immobilienblase, die bald platzen und zu einer Rezession führen könnte.
Archiv: Espresso

Guardian (UK), 11.06.2005

Aida Edemariam stellt die britisch-ägyptische Schriftstellerin Ahdaf Soueif vor, die mit ihren pro-palästinensischen Tönen in England zwischen allen Stühlen sitzt (aber trotzdem für den Booker Preis nominiert wurde). "Jüdische Friedensaktivisten haben sich beschwert, dass sie ihre Anstrengungen herunterspielt, und es gibt Palästinenser, die es lieber sehen sähen, wenn sie ihre Energie woanders hinlenken würde. 'Sie ist eine typische arabische Intellektuelle', meint der palästinensische Exilautor Samir el-Youssef. 'Nichts ist einfacher als Israel anzugreifen. Aber bist du bereit, den Blick auf die eigene Gesellschaft zu lenken? Das ist die wahre Herausforderung!'"

In einem netten Stück schildert der Autor Gordon Burn, wie er im Alter von sechzehn Jahren durch die unkonventionellen literarischen Happenings in Mordern Tower geprägt wurde. Gegründet wurde der Veranstaltungsort von dem Ehepaar Pickard. Er "bot eine Alternative zur offiziellen Kultur, zur Mystik und zur snobbistischen Aura, die mit den Künsten assoziiert wurde. 'Das ist kein verdammtes Leichenschauhaus hier', Tom Pickards automatisch gebellte Reaktion auf die Aufforderung, seine Stimme in den bürgerlichen Zitadellen der Kultur zu senken, hätte das Motto sein können."

Weiteres: James Wood grübelt in einem Essay, warum Bücher selten befriedigend enden. "Man könnte sagen, dass der Roman eine Form ist, die nicht enden will, und sich deshalb normalerweise zu einen unnatürlichen Abschluss hin verdreht." Und zwei Besprechungen: Christopher Priest feiert Chuck Palahniuks Roman "Haunted", der aus 23 miteinander verbundenen Erzählungen besteht, schon mal als das originellste literarische Werk des Jahres. Zartbesaiteten rät er allerdings von der Lektüre ab. "Ich wurde zwar nicht ohnmächtig, aber auf das Mittagessen hatte ich auch keine Lust mehr." Und Melissa Benn lässt sich von Michael Ardittis politischem Roman "Unity" fesseln, in dem er rund um das Deutschland der Siebziger, die RAF, den repressiven Staat und ein tragisch gescheitertes Filmprojekt eine Geschichte spinnt, deren grundsätzliche Fragen die Rezensentin noch immer zu beschäftigen scheinen.
Archiv: Guardian

Reportajes (Chile), 12.06.2005

Alvaro Vargas Llosa analysiert den Machtkampf in Bolivien: "Das Land ist zum Schauplatz einer bedeutenden ideologisch-politischen Auseinandersetzung innerhalb der westlichen Hemisphäre geworden. Bis jetzt richtete sich die Aufmerksamkeit vorrangig auf den innerstaatlichen Konflikt zwischen dem Ostteil des Landes - mit mehrheitlich indigener und sehr armer Bevölkerung - und dem 'weißeren', wirtschaftlich stärker entwickelten Südwesten und dessen separatistischen Bestrebungen. Aber dahinter steckt eine sehr viel weiter reichende Auseinandersetzung zwischen den USA nahestehenden Mächten und Feinden Washingtons - der Achse Havanna-Caracas - , die Bolivien zum Experimentierfeld für den Kampf zwischen Globalisierung und Populismus macht: Washington und Hugo Chavez stoßen in La Paz aufeinander."

Auf ganz andere Paradoxien der Globalisierung stößt Vater Mario Vargas Llosa in London, "einer Stadt, die mir wie keine andere dieser Welt dem so schwer greifbaren Begriff der 'Zivilisation' nahezukommen scheint." Wie Vargas Llosa berichtet, häufen sich hier mittlerweile erschreckende Erkenntnisse über grausame exorzistische Praktiken, denen regelmäßig Kinder afrikanischer Herkunft zum Opfer fallen - gewalttätige Rituale, deren Urspung jedoch keineswegs in den "barbarischen" Heimatländern der Täter, sprich: zumeist Eltern dieser Kinder zu suchen sei, sondern in synkretistischen Vorstellungen fundamentalistisch-evangelikaler Sekten, die sich ihre Anhänger unter den Migranten suchen.
Archiv: Reportajes

Economist (UK), 10.06.2005

Er wurde von der medizinischen Geschichtsschreibung vergessen, weil er bei seiner chirurgischen Pionierleistung als schwarzer Südafrikaner gegen geltendes Recht verstoßen hatte. Die Rede ist von Hamilton Naki, dem Mann, der maßgeblich an der ersten Herztransplantation beteiligt war, und dem der Economist in seinem Nachruf die ihm gebührende Ehre erweist. "Naki hätte diesen Körper eigentlich nicht berühren dürfen. Die junge Frau, Denise Darvall, war weiß, und er war schwarz. Die Regeln des Krankenhauses sowie die Apartheid-Gesetze des Landes untersagten es ihm, einen weißen Operationssaal zu betreten, weißes Fleisch zu schneiden, oder mit weißem Blut in Berührung zu kommen. Doch für Naki hatte das Groote Schuur Krankenhaus eine geheime Ausnahme gemacht. Dieser schwarze Mann mit seinen ruhigen, geschickten Händen und seinem rasiermesserscharfen Verstand war einfach zu begabt für die heikle, blutige Arbeit der Organtransplantation. Der Chefchirurg für Transplantationen, der junge, gutaussehende, berüchtigt temperamentvolle Christiaan Barnard, hatte ihn für sein Team angefordert. Das Krankenhaus hatte zugestimmt und - wie Naki sich erinnerte - gesagt: 'Schauen Sie, wir erlauben Ihnen, das hier zu tun, aber Sie müssen wissen, dass Sie schwarz sind, und dass dies das Blut einer Weißen ist. Niemand darf davon erfahren.' Und in der Tat - niemand erfuhr davon."

Außerdem zu lesen: Welches kuriose und irritierende Verhältnis zwischen amerikanischer und ausländischer Gesetzsprechung besteht, warum man sich über das Schweizer Ja zum Schengener Abkommen nicht zu früh freuen sollte, welche neuen Bücher sich mit dem globalen Aufstieg Asiens beschäftigen, warum die Briten sich eher von Cherie Blair trennen möchten als vom fundamentalistischen muslimischen Geistlichen Abu Hamza mit seiner eigentlich unschlagbaren Kombination von Glasauge und Haken, dass sich Pornografie im Internet zukünftig auf .xxx-Domänen abspielen soll, ob der blutige Krieg im Kongo nun endlich vorbei ist, warum sich der Aufschub der palästinensischen Parlamentswahlen zugunsten der Hamas auswirken wird, und was der neueste Stand in der Biomimetik ist.

3, 2, 1... meins! Im Aufmacher gratuliert der Economist eBay zum 10. Geburtstag und beschreibt die heikle Beziehung zwischen Online-Firmen und ihren Kunden. Der Special eBay-Report darf allerdings nur im Print gelesen werden.
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 20.06.2005

Ein Mann allein, das sagen alle in den Filmstudios von Tollygunge, und das schreibt auch Sudha G. Tilak, ist verantwortlich für die Wiederbelebung des bengalischen Kinos. Sein Name: Prosenjit Chatterjee. Eigentlich ist er Schauspieler (450 Filme in 18 Jahren!), aber er betätigt sich auch als Skriptdoktor, Musikdirektor, Regisseur-hinter-den-Kulissen, Berater in allen Lebenslagen. Plakate entwirft er auch. Noch was? Aber ja: "Prosenjit wird außerdem das Verdienst für die Einführung des Cinemascope-Formats im bengalischen Film angerechnet. Er stellte kurzerhand das regionale Satelliten-TV-Network auf die Beine, führte den nonlinearen Schnitt ein und plant im Moment die Eroberung des Marktes in Übersee." Das einzige, was er scheinbar nicht macht, ist essen. Er ist, mit anderen Worten, zugleich Pate und hardest working man. Und: "Er redet nicht über Bergman oder Ghatak", sondern bekennt sich zum Kitsch im Serienformat. Trotzdem findet er neuerdings sogar bei der bengalischen Intelligentsia Anerkennung. Das Portät einer Ein-Mann-Industrie.

"Indische Geschichte wird meistens als Moralstück geschrieben", klagt Swapan Dasgupta und fährt fort: "Es ist schrecklich angesagt, die gesamte koloniale Erfahrung durch das Prisma heutiger politischer Korrektheit zu betrachten." Umso mehr freut er sich über ein Buch, von dem sich die "die postkolonialen Fundamentalisten möglicherweise angegriffen fühlen" werden: Mike Dashs Geschichte der Räuberbanden des 18. und 19. Jahrhunderts. Das ist noch gutes altes historiographisches Handwerk, schwärmt der Rezensent: "Solide, empirisch, erzählend".

Außerdem: Chander Suta Dogra über die Metamorphose der punjabischen Stadt Chandigarh, die vor einem halben Jahrhundert von Le Corbusier entworfen wurde, deren heutiger Anblick ihm aber wahrscheinlich Alpträume bereiten würde.
Archiv: Outlook India

New York Times (USA), 12.06.2005

Orhan Pamuks (noch nicht auf Deutsch erschienene) Erinnerungen von "Istanbul" enden für Christopher de Bellaigue viel zu früh. Er hätte in seiner Besprechung gerne gewusst, was der Schriftsteller von der aktuellen Annäherung an Europa hält (Wir empfehlen ihm ein aktuelles Interview auf unserer englischsprachigen Schwesterseite). "Für viele säkulare Türken hat das Wort 'Nachahmung' einen unguten Klang. Natürlich schäumen sie, wenn es heißt, ihr Streben nach einer europäischen Identität sei Nachäfferei. Pamuk ist eine Ausnahme, ein säkularer Türke, der zu integer ist, die Authentizität in einer derart gekünstelten nationalen Mission zu suchen - die er exemplarisch in seinem Elternhaus besichtigen kann, wo das Klavier unberührt da steht, das Porzellan nur zur Show vorhanden ist und der Art Nouveau-Wandschirm nichts zu verbergen hat. Wieder wendet er sich auf der Suche nach Sinn den heruntergekommenen Außenbezirken Istanbuls und dem Fotografen Ara Guler zu, dessen Bilder Istanbul illustrieren und der Pamuks Faszination für Verfall und für Schnee teilt."

Weitere Artikel: In einem Essay skizziert Lila Azam Zanganeh die Entwicklung der frühen französischsprachigen afrikanischen Literatur, die - natürlich - in Paris ihren Ausgang genommen hat. James Shapiro preist die gesammelten Essays des Literaturkritikers John Bayley, der Lesen immer für eine Talentsache gehalten hat. "Alleine was Bayley über Philip Larkin und Isaac Babel zu sagen hat, und besonders sein unvergessliches Stück über Paul Celan rechtfertigt den Preis dieses Buches". Niall Ferguson stellt zwei neue Bücher über Stalin vor, in denen untersucht wird, warum das Unternehmen Barbarossa die Sowjetunion trotz eindeutiger Agentenberichte so überrascht hat. Der Aufmacher ist John F. Harris' Biografie "The Survivor" gewidmet, in der Bill Clinton laut Alan Ehrenhalt hart aber fair behandelt wird. Fürs europäische Ego kränkend kurz besprochen werden Umberto Ecos "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana", das Thomas Mallon überdies zu hermetisch findet, und Nick Hornbys "A Long Way Down", das Chris Heath immerhin als "spielerisch" klassifiziert.

Brauchen wir die Folter, fragt sich Joseph Lelyveld in einem langen Essay im New York Times Magazine. In Anbetracht der Tatsache, dass ein Verbot in Krisenzeiten offensichtlich illusorisch ist, tendiert Lelyveld zur "Folter light" mit strengen gesetzlichen Auflagen. Die könnte so aussehen, wie es etwa bei einem libyschen Agenten in den Achtzigern funktioniert hat. "Alles was es brauchte war die vollständige, schrittweise Dekonstruktion des Weltbilds, das der Gefangene hatte. Dazu wurde ihm in unvorhersagbaren Abständen ein Blick in arabische Zeitungen gewährt, die von Unruhen und irgendwann einer Revolte in Tripolis berichteten, um schließlich auf der Titelseite den Tod Ghaddafis und den Kollaps des Regimes anzuzeigen. Der Gefangene konnte nicht wissen, dass die Zeitungen von der CIA nur für ihn gedruckt wurden. Also zog er die gewünschte Schlussfolgerung, dass er niemandem mehr Gefolgschaft schuldete außer seinem freundlichen Vernehmungsbeamten. Von Anfang bis Ende zog sich die Befragung ein knappes Jahr hin, wie mir erzählt wurde."

Deborah Solomon erfährt im Interview vom Maler Ed Ruscha, der die USA auf der Biennale in Venedig vertritt (im Gegensatz zu den afghanischen Kollegen aber leider nicht im Netz vertreten ist), wie Autos die amerikanische Kunst beeinflusst haben. Und Jon Gertner zweifelt, ob die Erfindung eines gesunden Zigarettenfilters so positiv ist.
Archiv: New York Times