Im Kino

Unmögliche Suche nach Glück

Die Filmkolumne. Von Michael Kienzl
19.05.2023. Ulrich Seidls "Sparta" erzählt vom Drama eines Pädophilen, der kleinen Jungen aus armen Familien erstmals eine weiche Männlichkeit vermittelt, bei der aber immer unklar bleibt, wann sie in Missbrauch umschlägt.


Eigentlich scheint es bei Ewald (Georg Friedrich) ganz gut zu laufen. Der Österreicher arbeitet als Ingenieur in einem rumänischen Kraftwerk und ist mit einer einheimischen Kellnerin (Florentina Elena Pop) liiert. Nicht nur seinem leeren, freudlosen Gesicht merkt man jedoch an, wie wenig ihm sein Leben behagt. Der eingeforderte Sex etwa wird zum regelmäßigen Spießrutenlauf. Mal versteckt sich Ewald im Klo, bis seine Freundin eingeschlafen ist, mal lässt er sie widerwillig ran, kriegt aber keinen hoch. Und als die Freundin während eines Spaziergangs ein Hochzeitskleid anprobieren will, sieht man seiner panischen Unruhe an, dass er gerade einfach nur weg will.

Nach dem Schlagersänger Richie Bravo (Michael Thomas) aus "Rimini" widmet sich Ulrich Seidl in "Sparta" dessen jüngerem Bruder. Wieder geht es um einen Mann und seine unmögliche Suche nach Glück; um seine Träume, Lebenslügen und Einsamkeit. Die auch eigenständig funktionierenden Filme sind so unterschiedlich wie ihre Figuren. Setzte "Rimini" mit seinem Rampensau-Helden, den schmetternden Musikdarbietungen und betont hässlichen Sex-Szenen mehr auf Schauwerte, wirkt "Sparta" zunächst so unscheinbar, trostlos und leise wie sein introvertierter, mit Fistelstimme sprechender Protagonist.

Bald flieht Ewald Hals über Kopf aus seinem Gefängnis aus grauen Plattenbauten und monotonen Alltagsritualen in Richtung Provinz. Dort zieht er in ein leerstehendes Schulgebäude und will den Jungen aus der Gegend Judo beibringen. Es wird Sommer und Ewalds Gesicht freundlicher, aber sein Befreiungsschlag hat einen schalen Beigeschmack. Denn zu diesem Zeitpunkt ist aufgrund seiner Faszination für Spiel- und Fußballplätze längst klar, dass er pädophil ist. "Sparta" hat Züge einer Schelmengeschichte, weil sein Protagonist vorgibt, wohltätig zu handeln, während er in Wahrheit Nutzen aus der Situation zieht. Als Zuschauer sind wir gewissermaßen seine Komplizen, auch wenn Seidl uns durch weitgehende Close-Up-Verweigerung und zurückhaltende Psychologisierung wie gewohnt keinen klassischen Sympathieträger präsentiert.



Anders als in vielen anderen Filmen des Regisseurs findet man hier kaum die streng symmetrischen Bildkompositionen, in denen die Figuren wie in einem Schaukasten präsentiert werden. Sobald "Sparta" sich aufs Land begibt, durchweht den Film gar ein Hauch anarchischer Freiheit. Ewald nutzt das Niemandsland, um sich seine eigene kleine Utopie zu basteln. Um die Schule baut er einen blickgeschützten Holzzaun und ein Tor mit der Aufschrift "Sparta". Die Dorfbuben können ausgelassen spielen, in einem Wasserbottich baden oder mit ihrem "Lehrer" antike Schlachten austragen. Auch Ewald selbst darf hier, jenseits von gesellschaftlichen Erwartungen, wieder Kind sein. Noch in Österreich haben wir gesehen, wie er sich zu seinem dementen Nazi-Vater (Hans-Michael Rehberg) ins Bett gekuschelt hat.

Ewalds Dilemma besteht darin, dass seine Erfüllung zwangsläufig im Missbrauch enden muss. Seine Taktik ist es deshalb, die Nähe zu den Kindern auszukosten, ohne wirklich übergriffig zu werden. Für kurze Momente wirkt dieses Projekt fast wie eine Win-win-Situation, in der auch die gelangweilten, aus armen Bauersfamilien stammenden Jungen endlich etwas geboten bekommen. "Sparta" betont freilich immer wieder die Zerbrechlichkeit der Situation, wenn harmlose Spielereien plötzlich beklemmend werden. Seidl arbeitet viel mit der Körpersprache seiner Darsteller. Hat sich Ewald seiner Freundin noch mit verkrampften Bewegungen entzogen, ist er bei den Kindern sanft und zugewandt. Oft sind seine Gesten väterlich und kumpelhaft, werden aber unangemessen, sobald er einen Blick oder eine Berührung zu lange hält. Manchmal ist es nur das Wissen um Ewalds Begehren, das einen Schatten auf sonst harmlose Momente wirft.

"Sparta" bewegt sich überwiegend in einem Schwellenbereich, in dem vieles uneindeutig und widersprüchlich bleibt. So wird ausgerechnet Ewald mit seinen unlauteren Beweggründen zum alternativen Role Model, das den Jungen eine weiche Männlichkeit, fernab der groben schnapsgeschwängerten Kraftmeierei ihrer Väter zeigt. Vor allem der sensible und ernst dreinschauende Octavian (Octavian-Nicolae Cocis) entwickelt einen besonderen Draht zu dem Fremden. Als er einmal bei Ewald übernachtet, spielt Georg Friedrich diese Szene mit einer zerrissenen Bewegung, die eine Handlung andeutet und sie zugleich zu vermeiden versucht. Während er seinen Kopf an den schlafenden Jungen schmiegt, streichelt er nicht Octavian, sondern nur seinen eigenen Oberschenkel. Aus seinem falschen bürgerlichen Leben mag sich Ewald befreit haben, in sich selbst gefangen muss er bleiben.

Michael Kienzl

Sparta - Österreich 2022 - Regie: Ulrich Seidl - Darsteller: Georg Friedrich, Hans-Micahel Rehberg, Florentina Elena Pop, Octavian-Nicolae Cocis u.a. - Laufzeit: 101 Minuten.