Im Kino

Kreuz vor breiter Brust

Die Filmkolumne. Von Nicolai Bühnemann, Katrin Doerksen
12.04.2017. In F. Gary Grays Blockbuster "Fast and Furious 8" wird die Familie gegen ungreifbare Drohungen ins Feld geführt. Als Wiederaufführung gelangt "Battle Royale" ins Kino, Kinji Fukasakus eigenwilliges Konglomerat aus Actionfilm, Noir und Coming of Age-Erzählung.


2001 fingen sie als Ladenbesitzer, als Autoschrauber und kleinkriminelle Rennfahrer in Los Angeles an - 2017 stecken sie mitten in einem Agentenfilm. Der ehemalige Untergrund arbeitet mit dem Geheimdienst zusammen und verhindert den Dritten Weltkrieg. Keine schlechte Karriere. "Fast & Furious 8" beginnt auf Kuba, wo die Probleme noch von der übersichtlichen Sorte sind: Unstimmigkeiten werden auf die gute alte Art geklärt, durch Autorennen. Die Sonne bescheint aber nur im Prolog den Malecón, glänzende Motorhauben und unzählige Frauen in wirklich sehr kurzen Hosen. Sobald die Sonne sinkt, dominieren in Marvel-Manier die kühlen Töne, legt sich ein melancholischer Schleier über den achten Teil des Franchises. Kein optimistischer Neustart, nachdem die Existenz der Reihe durch den Tod des Hauptdarstellers Paul Walker 2013 kurzzeitig in Frage gestellt war und "Fast & Furious 7" seine plötzliche Abwesenheit verwalten musste.

Stattdessen stören Vorkommnisse die kubanische Idylle, die das alte Team an die ehemaligen Schauplätze des Kalten Krieges führen. Explosionen in Berlin, ein groß angelegter Überfall in New York City, eine Militärbasis in der russischen Eiswüste. Heroischer oder zumindest euphorischer Weltrettungsethos will sich dabei nicht so recht einstellen: zusammengearbeitet wird nur aus Zwang. Dass alles danach aussieht, als sei Dom (Vin Diesel) zum Feind übergelaufen, verfinstert die Stimmung zusätzlich. Nicht nur seine und Lettys (Michelle Rodriguez) Flitterwochen werden gestört, überhaupt ist in "Fast & Furious 8" der Friede nie von langer Dauer. In New York City preschen Autos durch Blumenläden und über Flohmärkte; wie gewohnt gilt dabei den beiläufig umgemähten Statisten kein gesteigertes Interesse.

Die brachiale Gewalt unzähliger Pferdestärken kommt über Orte, an denen der Otto Normalverbraucher typischerweise Abstand vom überfrachteten Alltag sucht, das Handgemachte und Nachhaltige entdeckt und nicht daran denken will, dass ein paar Straßen weiter die Polizei einen russischen Minister eskortiert, in seinem silbernen Köfferchen die atomaren Abschusscodes. Kein Mensch sitzt in den Autos, die wie eine lackglänzende Meute motorisierter Lemminge dem Korso mit den Atomcodes entgegenstreben. Von der Cyberterroristin Cipher (Charlize Theron) gehackt, setzen sie sich in Bewegung, stürzen sich sogar aus Parkhäusern auf die Straße. Die fremdgesteuerte Herdendynamik macht aus dem Riesencrash in den Häuserschluchten Manhattans eine der spektakulärsten Szenen.



Dabei hätte alles so schön sein können: unfallfreies Gasgeben durch zweckdienliche Fahrzeugsoftware, die ruhelosen Rennfahrer zu guter Letzt eingelaufen in den Hafen der Ehe, Party in Havanna. Überhaupt wurde Kuba als Drehort erst infolge des politischen Tauwetters unter Barack Obama ermöglicht - "Fast & Furious 8" erhielt dort als erster großer Film eines US-Studios seit der Lockerung des Embargos der Vereinigten Staaten eine Drehgenehmigung. Aber plötzlich reden zwei Supermächte nicht mehr miteinander und in den Händen einer Größenwahnsinnigen, die die digitale Infrastruktur in ihre Gewalt bringt und mit Atomwaffen Exempel zu statuieren droht, wird der technische Fortschritt vom Segen zum Fluch.

"Fast & Furious 8" selbst scheint angesichts dieser Zeitgeistschwelle nicht so recht zu wissen wohin mit sich: erst nach anfänglichem Holterdiepolter findet Regisseur F. Gary Gray ein passendes Tempo. Das klassische Autorennen taugt nur noch als Reminiszenz an die gute alte Zeit, da muss heute mindestens ein Panzer mitfahren. Ein durch Eisschollen brechendes U-Boot beschwört Albtraumfantasien von Unterseemonstern herauf. Und der virtuelle Showdown zweier Hackerinnen findet sein physisches Gegenstück in den Gefängniszellen sprengenden Körpern von Dwayne Johnson und Jason Statham. Wenn die sich in neonleuchtenden Anzügen aus dem Knast herausprügeln, erinnert ihre ausgeklügelte Choreografie an Tanzfilme.

Unwillkürlich muss man daran denken, wie Lady Gaga 2010 im Video zu "Telephone" einen kargen Gefängnisgang entlang steppte, nur trug sie damals Nietenbikini und neongelbes Tape anstelle des üblichen Orange. Und ihr Tanz war tatsächlich ein Befreiungsschlag. Hier lenkt die Bildgewalt hingegen nicht vom Zwang ab, dem "Fast & Furious 8" wie sämtliche Teile der Reihe unterliegt: all seine Vorgänger übertrumpfen zu müssen. Aufgefahren wird dafür nicht nur das visuelle Spektakel, sondern vor allem auch Gesellschaftskritik und politische Aktualität. Cyberkriminalität und Terrorismus, die Größenwahnsinnigen, die ungreifbaren Bedrohungen werden gebraucht, um unter großen Gesten die Familie gegen sie ins Feld zu führen. Eine Kreuzkette baumelt als Symbol unumstößlicher Rechtschaffenheit vor Doms breiter Brust, und alles endet mit einem Tischgebet. "Fast & Furious 9" kommt im April 2019.

Katrin Doerksen

Fast and Furious 8 - USA 2017 - OT: The Fate of the Furious - Regie: F. Gary Gray - Darsteller: Vin Diesel, Dwayne Johnson, Charlize Theron, Michelle Rodriguez, Jason Statham, Scott Eastwood, Kurt Russell - Laufzeit: 136 Minuten.

--



Die Regeln des Spiels sind denkbar einfach, eigentlich gibt es nur eine einzige. Die besagt, dass es am Ende nur eine/n Überlebende/n geben darf. Um das Spiel in Gang zu setzen, wird eine Schulklasse beim gemeinsamen Ausflug im Bus betäubt, entführt und auf eine einsame Insel verfrachtet. Jeder bekommt als Ausrüstung eine Waffe, wobei sich die Ausrüster nicht nur in ihrer starken militärischen Präsenz als Schicksalsmacht generieren, sondern auch dadurch, dass sie entscheiden, ob man oder frau sich mit einer vollautomatischen Maschinenpistole, einer Sichel oder doch nur einem Fernglas beziehungsweise einem Topfdeckel in den Kampf stürzen kann. Nun heißt es jeder gegen jede - gleich zu Beginn demonstriert Oberlehrer (Takeshi) Kitano seine Macht und seine kaltblütige Entschlossenheit, indem er die Schülerzahl von 42 auf 40 dezimiert

Das Motiv der Menschenjagd ist alt. Im Kino findet es sich spätestens seit der frühen Tonfilmzeit. Prominent etwa in "The Most Dangerous Game" von 1932, der von den "King Kong"-Machern Ernest B. Schoedsack (Regie) und Merian C. Cooper (Produktion) stammt, und auf einer 1924 erstveröffentlichten Kurzgeschichte beruht. Seitdem ist die Menschenjagd längst ein Stück Populärkultur geworden, das von Autoren wie Stephen King, Regisseuren wie John Woo, jüngst von den "Hunger Games", aber zum Beispiel auch von so unterschiedlichen Erfolgs-Fernsehserien wie "Buffy" oder den "Simpsons" aufgegriffen wird.

Die Insel, auf der "Battle Royale" die Schulklasse gegeneinander aufhetzt, spiegelt die, auf der Graf Zaroff bei Schoedsack und Cooper seine Menschenjagd abhielt, wobei an die Stelle des aristokratischen Souveräns mit seinen kolonialistischen Wurzeln eine Regierungsorganisation tritt, die das "Spiel" minuziös plant und ausführt und gewissermaßen als pädagogische Maßnahme gegenüber der respektlosen Schülerschaft auffasst. An die Stelle des sadistischen Einzelnen in den Dreißigern ist zur Jahrtausendwende ein, nun ja, System getreten, das von der adoleszenten Grausamkeit zehrt oder zumindest: von ihr zu zehren versucht.



"Battle Royale" ist in vielerlei Hinsicht ein finaler Film, ein Abgesang - auf die Jugend, das Leben, das Kino. Es ist der einundsechzigste und letzte vollendete Kinofilm von Filmemacher, Produzent und Drehbuchautor Kinji Fukasaku. Auch Kitano gibt seine Figur mit der Müdigkeit eines Mannes, der immer schon mit allem abgeschlossen hat, von der Welt nichts mehr zu erwarten hat außer den Tod. Und keiner stirbt auf der Leinwand so eindrucksvoll, so überlebensgroß und dabei dennoch so banal wie er, nicht nur, aber eben ganz besonders in diesem Film.

Darüber hinaus ist die Insel ein Ort, an dem viele Traditionslinien des internationalen (Genre-)Kinos zusammen laufen. Fukasaku überführt etwa den Zynismus eines Paul Verhoeven in eine ganz eigene Form von radikalem Humanismus, der sich in einer bedingungslosen Parteinahme des Films für die jeweils Schwächeren gegenüber den Stärkeren, den Opfern gegenüber den Tätern, den Gepeinigten gegenüber ihren Peinigern niederschlägt. Nicht zuletzt erzählt "Battle Royale" auch vom Triumph der Geeks über die Jocks, der Emos über die Brutalos. Es gibt zwischen den Schülern etwas, das es in der Welt Verhoevens nicht (mehr) geben kann: Solidarität. Viele von ihnen wählen den Freitod als Ausweg, um bei dem grausamen Spiel nicht mitmachen zu müssen. Die Jugend, die der Film porträtiert, ist eindeutig besser als ihr Ruf.

Das heißt freilich nicht, dass Fukasaku Kunst als Mittel zum Zweck der Bebilderung soziologischer Thesen auffasst. "Battle Royale" ist ordentlich zupackendes Splatter-Kino, dem man (nicht nur) in den brillant choreografierten shoot outs die Könnerschaft des alten Meisters mit vierzig Jahren Erfahrung in der Filmindustrie ansieht. Auch ist der Film aufgebaut wie eine Zwiebel, bei der aus dem vermeintlich typisch Japanischen, einer speziellen Form der Überzeichnung, der Komik, des over acting auch, Schicht für Schicht allgemein menschliche Tragödien und Traumata geschält werden. Es geht um Verrat, Freundschaft, zärtlich gewachsene Liebe und grausam erwachendes Begehren, peer pressure, Cliquenbildung, soziale Segregation und - natürlich - den (viel zu frühen) Tod. "Battle Royale" ist ein sonderbares, eigensinniges Konglomerat aus Actionfilm, Noir und Coming of Age-Geschichte, das eindrucksvoll vorführt, dass fliegende Kugeln kein Alter, keine sozialen Klassen, keine Nationalitäten kennen. Frei nach dem alten Revolverslogan: "God made men, but an Uzi makes them equal".

Nicolai Bühnemann

Battle Royale - Japan 2000 - OT: Batoru rowaiaru - Regie: Kinji Fukasaku - Darsteller: Takeshi Kitano, Tatsuya Fujiwara, Aki Maeda, Chiaki Kuriyama - Laufzeit: 114 Minuten.

"Battle Royale" war in Deutschland ursprünglich nur auf DVD erschienen, und wurde im Jahr 2006 von der Budesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Dieser Entscheid ist 2017 aufgehoben worden - wodurch eine neue Heimmedienveröffentlichung und auch ein kleiner Kinostart möglich wurde.