Im Kino

Zwei Welten

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster
29.09.2010. Apichatpong Weerasethakuls Onkel Boonmee hat zu viele Kommunisten umgebracht und muss, umringt von Geistern aus der Vergangenheit, bald sterben. Steve Pinks therapeutische Komödie "Hot Tub Time Machine" versucht eine Männergruppe mit ihrem Mannsein zu versöhnen, indem er sie in das Jahr 1986 zurückschickt.

Onkel Boonmee ist ein alter Mann, der weiß, dass er bald sterben wird. Er habe zu viele Kommunisten umgebracht, erzählt er irgendwann in der Mitte des Films seiner Schwester, und dafür werde er jetzt bestraft. Vorher schon sitzt er mit der Schwester und einem Neffen beim Abendessen. Die drei drängen sich um den rechten Teil des Tisches und der unbewegten, langen Einstellung. Den linken Teil haben sie - und hat der Regisseur Apichatpong Weerasethakul - freigehalten, für die Geister. Es dauert denn auch nicht lange, bis auf einem der unbesetzten Stühle eine schemenhafte Gestalt sichtbar wird, die sich als Boonmees lang verstorbene Frau zu erkennen gibt. Und die Komposition ist erst vollständig, wenn auch noch der verschollene Sohn in Affengestalt auftaucht. Der erzählt, wie er damals, nachdem er auf einer Fotografie eine dunkle Gestalt entdeckt hatte, loszog, um den Affengeist zu finden. Aber danach sieht sich die in verschiedene spirituelle Aggregatzustände versprengte Familie erst einmal gemeinsam ganz gewöhnliche, alte Familienfotos an.

"Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives" ist Teil und Endpunkt eines größeren Projekts namens "Primitive". Im Zentrum steht das Heimatdorf des Regisseurs Apichatpong Weerasethakul, Nabua, eine kleine Ortschaft nahe der laotischen Grenze, die von den sechziger bis in die achtziger Jahren von der thailändischen Armee im Zuge ihrer Jagd auf kommunistische Guerillakämpfer besetzt worden war. Das ganze Projekt beschäftigt sich mit den Wunden, die die nicht aufgearbeitete Vergangenheit geschlagen hat. Neben dem Spielfilm gehören zu "Primitive" außerdem eine Videoinstallation und die beiden Kurzfilme "Phantoms of Nabua" und "A Letter to Uncle Boonmee". In ersterem spielen junge Männer inmitten einer elektrifizierten Videoinstallation mit einem brennenden Fußball und versengen am Ende eine auf dem Feld aufgespannte Leinwand. Letzterer ist die Verfilmung eines fiktiven Briefs, den ein Filmemacher an Boonmee, den Protagonisten seines damals noch zukünftigen Films schreibt.


Außerdem klingen in "Uncle Boonmee..." deutlich die älteren Spielfilme Weerasethakuls nach. Der Dschungel, den es in allen seinen Filmen gibt und den niemand so souverän mystifiziert wie der Thailänder, die Höhle, die so glitzert, wie in "Tropical Malady" ein Baum geglitzert hatte, die Tiere (ein Wasserbüffel, der stoisch im Bild herumstehend auf den Film einstimmt), die Autofahrten, die naiven Mythen (vor allem die viel kommentierte Szene mit der Prinzessin, die im sanft fluoreszierenden Teich Sex mit einem Wels hat, aber auch wieder viel oral history, ein Fabulieren, das gleichberechtigt neben dem steht, was tatsächlich im Film sichtbar wird) und die noch naivere Popmusik am Ende, all das ist erkennbar Teil eines in sich kohärenten Werkzusammenhangs.

Man kann fast jedes Bild des Films in seine intertextuellen, historischen oder auch mythologischen Verästelungen verfolgen. Solche Kontextualisierungen können natürlich auch den Eindruck intensivieren, den der Film hinterlässt, etwa, weil die Soldaten, deren Fotografien in einer entscheidenden Bruchstelle des Films auftauchen, dann nicht mehr beliebige Marker sind, sondern zu Chiffren eines realen politischen Traumas werden. Man kann "Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives" aber auch guten Gewissens für sich selbst nehmen und wirken lassen. Wie die vorherigen Weerasethakul-Filme geht es auch diesem zuerst um die Konstruktion von Wahrnehmungsräumen, um sinnliche Affizierung, freilich nicht durch Bombardement und Überwältigung, sondern durch Freistellung, durch Intensivierung konkreter Ton-Bild-Konfigurationen in ihrer bloßen Dauer.


Immer noch ist das vielleicht größte Wunder des Kinos Weerasethakuls dabei seine vermeintliche Schlichtheit, seine unbedingte Verankerung im Profilmischen (dem, was sich vor der Kamera befindet), in den unbehauenen Geräuschen der Welt, in den Tiere, Menschen, Pflanzen und Steine die gleichberechtigten Objekte der Aufmerksamkeit werden. Wenn Boonmee mit seiner Schwester schließlich in eine Höhle hinabsteigt, macht sich der Film für eine Weile eins mit einer tastenden Welterkundung, für die eine fotogene Ansicht des Mondes durch einen Steinspalt genauso wichtig ist wie eine Gruppe kleiner Fische in einer jämmerlichen Pfütze.

Zwar gibt es einige, im Werk des Regisseurs (sieht man vom campigen "The Adventures of Iron Pussy" ab, einem sonderbaren Bastard in der Filmografie Weerasethakuls) ungewohnt artifiziell anmutende Passagen. Schon das erwähnte Abendessen mit seiner Studiobeleuchtung, erst recht die Episode mit der Prinzessin und dem Wels, die sich in Bildern wie aus alten Märchenfilmen auffächert. Aber auch diese Szenen reduziert Weerasethakul schnell wieder auf einfache, sinnliche Gesten. Die Schwester setzt sich auf eine Bank am Rand der Veranda und schlägt die Beine übereinander, die Prinzessin schiebt den Schleier vor ihrer Sänfte beiseite und streichelt einem Sklaven übers Haar.

Natürlich sind auch Geistererscheinungen in "Uncle Boonmee..." nichts anderes als simple Überblendungen. Zwei Welten überlagern sich punktuell und driften wieder auseinander. Das Unheimliche als Disruption, als Metaphysik, die sich gegen die materielle Welt stellt, ist diesem Kino zutiefst fremd. Bei Weerasethakul sind die Geister, menschliche wie tierische, einfach nur da, dauerhaft kopräsent. Wenn die Geister etwas Aggressives haben, dann richtet sich ihre Aggression gegen die Materialität des filmischen Bilds selbst. Denn genau wie die brennenden Fußbälle in "Phatoms of Nabua" Löcher in eine aufgespannte Leinwand brannten, scheinen die roten, leuchtenden Augen der Affengeister die Texturen des Zelluloidbilds zu durchbrechen.


***


Ein Genre scheint sehr gut zu gehen in Hollywood zur Zeit: die therapeutische Komödie. Therapiert wird in den Filmen der Mann, genauer: der Mann in Bezug auf seine Maskulinität. Die ist, so lautet die Diagnose, beschädigt, schuld daran ist ein meist eher unterbestimmter Komplex aus postfordistischer Arbeitswelt, Feminismus und political correctness. Damit der Mann wieder Mann sein kann, muss er sich von seinen Routinen lösen, am besten in der Gruppe.

Es gibt schöne, entspannte therapeutische Komödien, wie zuletzt das Adam-Sandler-Vehikel "Kindsköpfe", Filme, in denen der zeitlich begrenzte Ausstieg aus dem eigenen Leben (als "sabbatical" selbst Teil neoliberaler Arbeitsorganisation) einen analytischen Blick auf die Voraussetzungen des Alltags zumindest simuliert. Die weniger schönen therapeutischen Komödien - "The Hangover" aus 2009 zum Beispiel - sind dagegen nichts weiter als pubertäre Machofantasien. "Hot Tub Time Machine" landet, trotz einiger interessanter Ansätze, tendenziell leider eher auf dieser zweiten Seite.

Der Clou des Films ist, dass sich die Männer für ihre Therapie nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit isolieren. Aber am Anfang stehen jede Menge weinerlicher Macho-Miserabilismen. Adam (John Cusack) hat eine unschöne Scheidung hinter sich und steht alleine in der leeren Wohnung. Nick (Craig Robinson) wird an seine Rockstarvergangenheit erinnert, während er einen Autoschlüssel aus einem Hundeanus pult. Adams Neffe Jacob (Clark Duke) ist ein hoffnungsloser Nerd, der selbst in Second Life keinen Spaß zu haben versteht. Und der ewige Proll Lou (Rob Corddry) unternimmt gar einen Selbstmordversuch.


Letzterer ist Auslöser der Therapie, geheilt werden am Ende aber selbstverständlich alle vier. Zuerst ziehen sie sich in eine Skihütte zurück, nach einem Saufgelage in deren Hot Tub wachen sie - das muss der Zuschauer halt hinnehmen - im Jahr 1986 wieder auf. (Nebenbei ist auch das ein Zeichen des Älterwerdens: Zeitreisefilme springen nicht einmal mehr hinter das eigene Geburtsjahr zurück.) Maskuline Neurosen mit der restaurativen Reagan-Ära zu konfrontieren ist eigentlich keine schlechte Idee. Leider interessiert sich der Film für das Jahrzehnt ausschließlich aus mode- und musikhistorischer Perspektive. Inmitten grellbunter Winterjacken und finsterstem Hair-Metal (Mötley Crüe, Poison) haben Adam, Nick und Lou dann die Chance, die Fehler ihrer Jugend wieder gut zu machen - oder auch nicht, der Film ist da nicht so konsequent. Nur der ewig quengelnde Jacob, dessen Funktion in dieser Konstellation sich nicht so recht erschließen will, kann sich immer noch nicht entspannen. Wenn es am Ende wieder in Richtung Gegenwart geht, ist dort, wie nicht anders zu erwarten, wieder alles in heteronormativer Butter. Sogar Nicks effeminierender Doppelnachname ist verschwunden.

Darsteller John Cusack, der auch mitproduziert hat, wurde in den achtziger Jahren selbst durch Teenie-Komödien bekannt, durch Streifen, die oft kaum weniger krude waren als "Hot Tub Time Machine". Cusacks Spiel hat eine zerbrechliche, latent masochistische Note und ist der einzige echte Grund, sich den Film anzusehen. Ansonsten lassen sich die gelungenen Pointen eher an einer, denn an zwei Händen abzählen und auch auf slicke Party-Montagesequenzen, die noch die wenigen Momente subtiler Figurezeichnung im banalen "Hell yeah!" verdunsten lassen, möchte der nicht wirklich talentierte Regisseur Steve Pink nicht verzichten.

Die nostalgische Natur der Unternehmung zeigt auch, von Cusack abgesehen, bereits ein Blick auf die Besetzungsliste. Der auf gute Art schlecht gealterte Chevy Chase gibt überzeugend einen grumpy old man, während Crispin Glover (Michael J. Fox? Vater im quintessentiellen Teenie-Zeitreisefilm "Back to the Future") einem doch eher Leid tun muss: Ein running gag dreht sich um die Frage, auf welche Weise er seinen linken Arm verlieren wird. Als der Arm dann endlich ab ist, kennt das Gejohle keine Grenzen. Es sind eher schenkelklopfende Zynismen wie dieser, die den Film seiner in Details durchaus vorhandenen Reize berauben. Die leicht durchschaubare, teilweise fast rührend hilflos anmutende Macho-Attitüde geht dagegen fast schon als Selbstparodie durch.

Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben. Regie: Apichatpong Weerasethakul - Darsteller: Thanapat Saisaymar - Thailand / Großbritannien / Deutschland / Frankreich / Spanien 2010 - Länge: 113 Minuten

Hot Tub Time Machine. Regie: Steve Pink - Darsteller: John Cusack, Rob Corddry, Craig Robinson, Clark Duke, Chevy Chase, Crispin Glover, Collette Wolfe, Lizzy Caplan, Lyndsy Fonseca, Sebastian Stan - Kanada / USA - Länge: 93 Minuten