Magazinrundschau

Bringt mir die Kosmologen!

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.02.2013. In La vie des idées erklärt Timothy Snyder den Historikerstreit für erledigt. In The New Republic fragt Ian McEwan, warum er sich für irgendeinen Henry interessieren soll. Die Global Mail beschreibt die grauenvollen Hexenjagden in Papua-Neuguinea. In Syrien macht jeder seinen eigenen Aufstand, seufzt die LRB. Gibt's diesmal auch Frauen, fragt Wired angesichts der geplanten neuen Star-Wars-Folgen. Bloomberg warnt vor chinesischen Hackern. Im Espresso geißelt Roberto Saviano die italienischen Konservativen. In der NYT lassen junge Republikaner aus ähnlichen Gründen die Köpfe hängen.

La vie des idees (Frankreich), 15.02.2013

La Vie des idees präsentiert ein höchst interessantes Dossier über Timothy Snyder und die Rezeption seines Buchs "Bloodlands", das inzwischen in viele - auch osteuropäische - Sprachen übersetzt ist. Jacques Semlin beschreibt die zahlreichen Reaktionen bekannter Historiker auf das Buch - kaum jemand hat nicht dazu geschrieben, und kaum jemand, so scheint es, lässt ein gutes Haar daran. Offenbar ein prägendes Buch! Einer der Gründe ist wohl, dass er von keiner nationalen Perspektive zu vereinnahmen ist: "Snyder gelingt diese intellektuelle und moralische Leistung, weil er viele osteuropäische Sprachen beherrscht und somit aus den Arbeiten von neuen Historikern dieser Länder schöpfen konnte, die nicht ins Englische übersetzt sind. Snyder ist also ein Wissensvermittler, ein außergewöhnlicher 'Weitererzähler' dieser Massenhinrichtungen. Er schafft eine neue erzählerische Synthese, daher der Eindruck des 'Neuen' bei seinen Lesern - auch solchen, die glaubten, mit diesen Tragödien vertraut zu sein."

Im Interview mit Thomas Grillot und Jacques Semlin geht Snyder ausführlich auf die Kritiken ein und findet auch viele kritische Worte für deutsche Historiker, die seiner Meinung nach viel zu oft nicht in der Lage sind, die Quellen im Original zu lesen. Den Historikerstreit sieht er unter anderem durch sein Buch als erledigt an: "Es war eine nationalistische Debatte, in der Nolte nach einer Entschuldigung für Deutschland suchte; aber die Leute auf der Gegenseite waren oftmals auch sehr nationalistisch, auch wenn sie in einem anderen Ton sprachen. Habermas' Position war: Wie auch immer die historische Wirklichkeit aussieht - und er kannte sie schlecht - das Ziel der Geschichte ist es, das deutsche Volk von heute zu belehren. Das hieß, dass er als Intellektueller die Macht hatte zu sagen, welche Geschichte nützlich sei und welche nicht."

New Republic (USA), 25.02.2013

Dann und wann, genauer: immer zwischen zwei Büchern, verliert Ian McEwan den Glauben an die Literatur. Warum, fragt er sich dann, soll er sich für die Gefühle und Kämpfe irgendeines erfundenen Henry interessieren? "In diesen Momenten denke ich, ich werde sterben ohne Anna Karenina zum fünften Mal gelesen zu haben oder Madame Bovary zum vierten Mal. Ich bin 64. Wenn ich Glück habe, bleiben mir noch zwanzig gute Lesejahre. Lehrt mich etwas über die Welt! Bringt mir die Kosmologen, die über die Erfindung der Zeit schrieben, die Chronisten des Holocaust, den Philosophen, der sich den Neurowissenschaften zugewendet hat, den Mathematiker, der einem Strohkopf die Schönheit der Zahlen beschreiben kann, den Forscher über Entstehung und Fall von Imperien, die Kenner des Englischen Bürgerkriegs. Abgesehen von einigen weit auseinanderliegenden Vergnügungen, was habe ich oder weiß ich am Ende eines weiteren Romans über Henrys Reue oder Triumpf?" Schade, dass McEwan die Frage nicht weiterdenkt, sondern dann doch schnell in die Kuhwärme der Literatur zurückflüchtet.

Fast dreißig Jahre, nachdem Philip Larkin den Tod des Essays verkündet hatte, erscheinen mehr Essaybände als je zuvor. Aber sind es wirklich Essays? Adam Kirsch beugt sich kritisch über die neuen Bücher von Davy Rothbart, Sloane Crosley und ihr Vorbild David Sedaris und stellt fest, dass sie eher Humoristen sind, die "kurze, lustige Klatschgeschichten darüber erzählen, was ihnen alles für merkwürdige Dinge passiert" sind. Dafür erfinden sie, so Kirsch, ein fiktionales Alter Ego, das ihren Namen trägt und sich nett idiotisch benimmt. Kirsch geht das auf die Nerven. Er empfiehlt als Antidot Sheila Hetis Roman How Should a Person Be?: "Wo die neuen Essayisten die Realität fiktionalisieren, um ein Image aufzubauen, benutzt Heti angeblich reale Menschen und sogar Dokumente - Emails, mitgeschnittene Unterhaltungen - um das klassische fiktionale Projekt des Bildungsromans, die Bildung eines genuinen Selbsts, zu forcieren. Die Ernsthaftigkeit ihrer Suche wird belegt durch ihre Bereitschaft, ihrer Romanfigur 'Sheila Heti' zu erlauben, wirklich - nicht lustig - grandios, dumm und narzisstisch zu sein, wie es ein konventioneller Essayist sich niemals trauen würde."

Außerdem: David Thomson verreißt "Side Effects", den letzten Film von Steven Soderbergh, den er generell völlig überschätzt findet. In der Titelgeschichte "The Republicans. Party of White People" blickt Sam Tenenhaus zurück auf eine Zeit, als die Republikaner größere Anhänger von affirmative action für Minderheiten waren (das schließt den Bürgerkrieg ein) als die Demokraten und damit auch erfolgreicher.
Archiv: New Republic

Elet es Irodalom (Ungarn), 15.02.2013

In den vergangenen zwei Jahren ist das System der "checks and balances" in Ungarn von der Regierung erheblich geschwächt worden. Bürgerrechtsinitiativen und andere Organisationen wandten sich daher verstärkt an internationale Foren wie an die EU und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dem auch materielle Sanktionen gegen ein Land offen stehen - wie etwa im Fall der (politisch bedingten) Massenentlassung von ungarischen Richtern. Allerdings kann das Individualbeschwerdeverfahren des EGMR lediglich individuelle Rechte garantieren, nicht aber ein demokratisches Funktionieren des Staatssystems der Mitgliedsländer einfordern. Dennoch hält der Rechtsanwalt und Leiter des ungarischen Helsinki-Komitees, András Kristóf Kádár, die Urteile des EGMR für ein nützliches Mittel im Kampf gegen den Abbau des Rechtsstaats: "Ob es sinnvoll war, in diesen Angelegenheiten den EGMR anzurufen - wenn man doch wusste, dass die größeren gesellschaftlichen und rechtspolitischen Zusammenhänge dieser Entlassungswelle in der Entscheidung des Gerichts nicht angesprochen werden können? Meine Antwort ist: Ja. Denn darüber hinaus, dass das individuelle Recht von Opfern eines vermutlich politisch bedingten, massenhaften Grundrechteverstoßes auch unabhängig vom weiteren Kontext geltend gemacht werden muss, hat der juristische Vorstoß auch eine symbolische Bedeutung. Er macht der Öffentlichkeit bewusst, dass die Entlassungen unrechtmäßig waren, und er vermittelt den Eindruck, dass sich der Einzelne auch in solch einer asymmetrischen Situation für sein Recht einsetzen kann, was sich wiederum positiv auf das Ethos der im öffentlichen Dienst verbleibenden Mitarbeiter auswirken und den zerstörerischen Effekt der Massenentlassung ein wenig abmildern kann."

Global Mail (Australien), 15.02.2013

Jo Chandler beschreibt die absolut grauenvollen Hexenjagden, die seit einiger Zeit in Papua-Neuguinea zunehmen und denen zumeist Frauen zum Opfer fallen: "Der Anthropologe Dr. Richard Eves von der National Universität Australien ist ein Spezialist für Papua Neuguinea, der im Juni eine Konferenz zu dem Thema in Canberra veranstalten wird. Es ist ein Glaubenssatz in der anthropologischen Literatur, sagt er, dass Verfolgungen wegen Zauberei und Hexerei in einer Gesellschaft abnehmen, je moderner sie wird. So war es in Europa und Nordamerika. Aber in Melanesien, und besonders in Papua-Neuguinea, scheint das nicht der Fall zu sein. Statt dessen weisen Berichte darauf hin, dass an einigen Orten Traditionen in etwas Bösartigeres, Sadistischeres, Voyeuristischeres ausarten: Angefacht durch ein starkes Gebräu aus Alkohol und Drogen, durch die wütende Verzweiflung der verlorenen Jugend, durch den Umbruch der sozialen Ordnung im Gefolge schneller Entwicklung und durch die aufgeladenen Unternehmen, die Bodenschätze erschließen; durch die Ankunft einer Geldwährung und die Eifersüchteleien, die damit einhergehen; durch die ländliche Verzweiflung über brache Straßen, durch Schulen und Gesundheitssysteme, die Frauen aus ihrem traditionellen Schweigen reißen, und durch Männer, oft bitter, brutal, gekränkt, die versuchen, ihren Platz in einer sich ändernden Welt zu finden." (Der Artikel ist mit entsetzlichen Fotos von misshandelten Frauen bebildert.)
Archiv: Global Mail

Magyar Narancs (Ungarn), 31.01.2013

Die ungarische Debatte über den Nutzen einer zeitgenössischen politische Dichtung im vergangenen Jahr hielt der Dichter, Dramatiker und Schriftsteller János Térey für unproduktiv und langweilig (mehr dazu hier und hier). György Vári fragte ihn, weshalb er sich mit der politischen Lyrik (oder mit diesem Begriff) schwer tut, wo sich doch in seinen Werken zahlreiche Hinweise auf tagespolitische Ereignisse finden lassen: "Ich kann keine einzige Zeile nur deshalb schreiben, weil ich diese oder jene Partei mag oder verabscheue, oder weil ich meine Kollegen oder Gesinnungsgenossen zufriedenstellen will. Wenn einem Schriftsteller sein Ministerpräsident sehr wichtig ist, so sollte er ein Buch über ihn schreiben. ... Ich halte es jedoch für durchaus denkbar, dass die Karriere des [jetzigen Ministerpräsidenten] Viktor Orbán zu einem der größten Themen der ungarischen Dramenliteratur werden wird. Was derzeit mit uns geschieht, hat womöglich eine ziemlich große Bedeutung. Bei ihm sind großes Format und wichtige Handlungen gegeben, gleichzeitig aber auch deren umstrittene Beurteilung, Konflikte, Sieg, Scheitern und erneuter Aufstieg."
Archiv: Magyar Narancs
Stichwörter: Orban, Viktor

New Yorker (USA), 25.02.2013

In einem hochamüsanten und informativen Artikel schreibt Lauren Collins über den Streit Depardieus mit seinen Landsleuten und über das zwiespältige Verhältnis der Franzosen zu Kapitalisten: Auch oder gerade die egalitär Denkenden unter ihnen haben mehr Sympathie für den Erben als für den Unternehmer, der sich aus eigener Kraft von ganz unten nach oben gearbeitet hat. Wie Depardieu, der aus Wut über die angekündigte Steuererhöhung für Einkommen über 1 Million seine Flucht nach Belgien angekündigt hatte. "Minable", erbärmlich, nannte das Premierminister Jean-Marc Ayrault. "Laut Nouvel Observateur war minable ein 'Schlag ins Gesicht' - 'ein Wort, das ganz allein' alle Unsicherheiten Depardieus erweckte und ihn von einem Nationaldenkmal zurückverwandelte in den Pétarou (kleinen Knallfrosch), den Sohn eines 'analphabetischen Proleten' aus dem Hinterland von Chateauroux, bekannt für seine 'Fürze, seine Kopfnüsse, seine Kleinkriminalität.' Das Magazin weiter: 'Minable. Damit wurde alles ignoriert, was er aufgebaut hat, allein, mit eigener Hand, seine hundertsiebzig Filme und Meisterwerke, sein ständig wachsendes Imperium aus Imobilien, Statuen, Kunstwerken, Weingütern, Geschäften, Bistros ... Es machte vergessen, was all das stützte, seine Kultur, gespeist aus dem Hunger für Literatur, seine leidenschaftlichen Freundschaften mit Barbara, Jean Carmet, Françoise Sagan, Marguerite Duras und den Latinisten André Mandouze, der ihn St. Augustin entdecken ließ.'"
Archiv: New Yorker

London Review of Books (UK), 21.02.2013

"Wir im Nahen Osten hatten schon immer eine deutliche Neigung zu internen Grabenkämpfen", seufzt Ghaith Abdul-Ahad in seiner Reportage aus Syrien, wo der Aufbau einer nicht nur formal, sondern wirklich geschlossenen Armee gegen Assad eine Sache der Unmöglichkeit scheint: "Selbst noch gemessen an vorherigen Bürgerkriegen im Nahen Osten haben die Syrer diesbezüglich ein neues Niveau erreicht." In Syrien hätte die Autoritäten "in jeder Hinsicht Macht über das Leben der Menschen ausgeübt. Man verbrachte sein ganzes Leben damit, von ihnen nicht gedemütigt (oder festgenommen, gefoltert und entführt) zu werden, während man sie gleichzeitig umschmeichelte, bestach und sie um das Notwendigste anbettelte ... Und als dieses Kontrollsystem kollabierte, explodierte etwas in den Köpfen der Leute, ein lang verdrängter Sinn für den Individualismus. Warum sollte ich mich deiner Autorität als Kommandeur beugen, wenn ich mein eigener Kommandeur sein und meinen eigenen Aufstand ausfechten kann? Viele der über die syrische Provinz verstreuten Bataillone bestehen aus gerade einmal einem Mann mit einer Verbindung zu einem Finanzier, dazu noch ein paar Cousins und Sippenangehörige."

Bookerpreisgewinnerin Hilary Mantel denkt über königliche Körper nach und zielt dabei geradezu vernichtend gegen Kate Middleton, die sie "schmerzhaft dünn" findet, mit einem "perfekten Plastiklächeln", "entworfen, um manierlich zu gebären".

Außerdem: Michael Wood schaut Kathryn Bigelows umstrittenen Film "Zero Dark Thirty", den er als "Geschichte einer Frau in einer Männerwelt" deutet: "Visuell kommt Bigelow immer wieder auf die Genderstruktur dieser Welt zurück: Die zierliche, rothaarige Frau inmitten einer Menge von Männern in Hemd und Krawatte - und später inmitten einer Meute vierschrötiger Navy Seals, die ihre Macho-Selbstporträts besonders dick auftragen." David Runciman liest ein neues Buch über die Profumo-Affäre in den frühen 60ern und Julian besucht eine Manet-Ausstellung in der Royal Academy (im Bild: "Madame Manet im Konservatorium", 1879).

Wired (USA), 12.02.2013

Nach den Nachrichten, dass Disney "Star Wars" übernimmt und J.J. Abrams den ersten Film der neuen Reihe drehen wird, sind die Geeks von Wired ganz und gar dem Sternenfieber verfallen und widmen einen großen, kurzweilig nerdigen Themenschwerpunkt George Lucas' Space Opera. Laura Hudson bringt immerhin eine kritische Notiz unter: Wie kann es sein, dass sich in der klassischen Filmtrilogie mit Prinzessin Leia nur eine einzige Frauenfigur von Belang (sonst gibt es nur Kurzauftritte zweier weiterer Frauen, die überhaupt Text haben) findet? "Wenn einem die Abwesenheit von Frauen in 'Star Wars' (oder in Filmen überhaupt) niemals aufgefallen ist, ist man selbst der beste lebende Beweis, dass die begrenzenden Narrative in Kultur und Medien unsere Erwartungshaltung bis auf einen Punkt runterkochen können, dass einem schon die Präsenz einer einzigen Frau inmitten eines Ensembles von einem Dutzend männlicher, denkwürdiger Figuren wie perfekte Gleichberechtigung erscheint. Nach einer Studie des Zentrums für Frauenstudien in Film und Fernsehen kommen Frauen bloß auf 33 Prozent der Rollen in den Top 100 Hollywoodfilmen des Jahres 2011. Wenn es um Hauptfiguren geht, sind Frauen sogar noch um einiges deutlicher unterrepräsentiert: Hier kommen sie auf gerade einmal 11 Prozent." Hoffnungen setzt sie immerhin darauf, dass die neuen Filme Impulse aus dem "erweiterten Universum" aufgreifen, das sich in zahlreichen Büchern, Comics und Computerspielen um "Star Wars" gebildet hat und in dem es vor starken Frauenfiguren nur so wimmelt. Außerdem erfahren wir von Spencer Ackerman, warum sich die Schlacht um Hoth aus "Das Imperium schlägt zurück" nur als militärisch peinliches Debakel zu begreifen ist, wofür er an dieser Stelle reichlich Widerspruch erntet.

Abseits der Galaxie "far, far away": Neal Pollack hat die Zukunft des Fernsehens entdeckt - und zwar in den Videos von Machinima-Netzwerk, das ursprünglich ästhetisch modifizierbare Computerspiele und deren Gameplay-Aufnahmefunktion dafür nutzte, um kollaborativ kleine und größere Spielfilme zu drehen (hier ein Beispiel für einen deutschsprachigen, mit "World of Warcraft" gedrehten Fantasyfilm), und mittlerweile auch mit echten Darstellern dreht. Daniel Engber gruselt sich im Plastinarium des Dr. von Hagen und Jeff Howe spricht mit Clayton Christensen über Dilemma und Zukunftspotenzial des Kapitalismus (das dieser bereits in den New York Times angesprochen hat).
Archiv: Wired

Espresso (Italien), 14.02.2013

Roberto Saviano denkt in seiner immer wieder lesenswerten Kolumne in L'Espresso über die Tabus des italienischen Wahlkampfs nach. "Nach Frankreich hat auch das britische Parlament Ja zur Schwulenehe gesagt. Auch wichtige Exponenten der Tories haben dem Gesetzesvorschlag zugestimmt. Da stellt sich natürlich die Frage, wann denn die italienischen Konservativen so liberal sein werden. Hier ist in den Wahldebatten weder von Schwulenehe, noch von Kindesoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare, noch von Adoptionen durch Singles die Rede gewesen. Auch über Sterbehilfe, die Zustände in den Gefängnissen und Legalisierung von Drogen wurde nicht gesprochen. Als sei die Eroberung 'neuer' Rechte weniger fundamental als die ökonomischen Themen. Aber das ist falsch."
Archiv: Espresso

Bloomberg Businessweek (USA), 14.02.2013

Spätestens seit den Ende Januar bekannt gewordenen Angriffen auf die New York Times, die Washington Post und Twitter sind chinesische Hacker ein Thema. Dune Lawrence und Michael Riley lassen sich von dem Malware-Spezialisten Joe Stewart über das Ausmaß der Attacken aufklären: "Ermittler vermuten, dass viele, wenn nicht sogar die meisten der Hacker dem Militär angehören oder ihre Befehle von den zahlreichen chinesischen Geheim- und Überwachungsdiensten beziehen. Grundsätzlich, sagen sie, seien die Angriffe zu organisiert und aufwendig um das Werk von Selbständigen zu sein. Von WikiLeaks veröffentlichte Diplomaten-Depeschen verknüpfen die Hacker-Attacke auf Google mit Funktionären des Politbüros, und der US-Regierung liegen schon lange Hinweise für eine Verbindung der Hacker mit der Volksbefreiungsarmee vor. Diese Beweise sind jedoch nicht öffentlich, und die chinesischen Behörden bestreiten seit Jahren jegliche Beteiligung."
Stichwörter: Washington, Washington Post

El Pais Semanal (Spanien), 17.02.2013

Auch Javier Cercas hat den Eindruck, dass sich in Spanien jetzt ganz schnell grundlegend etwas ändern muss: "Ich bin jetzt 50 Jahre alt und gehöre zu einer Generation, die die Franco-Diktatur noch erlebt hat und genau weiß, wonach die roch, denn das vergisst man nicht: Nach Kacke. Deshalb hat unsereins auch Lust, wenn mal wieder irgendein Schlaumeier behauptet, es gebe keinen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie, den Betreffenden mit einem Tritt in den Hintern nach Pjöngjang zu befördern. Soll heißen: Wer wie wir unter einer Diktatur geboren wurde, wird leicht zu einem fundamentalistischen Demokratie-Dschihadisten. Unser größtes Laster dabei ist unsere Neigung, das Funktionieren der Demokratie schon für Demokratie zu halten. Weshalb viele auch mit krampfhaftem Zweckoptimismus behaupten, dass die Medien regelmäßig Skandale aufdecken, beweise doch, dass wir in einer Demokratie leben. Aber inzwischen wirkt das irgendwie lächerlich: Ja, wir wissen, dass es Korruption gibt - aber keineswegs, wie weit diese tatsächlich reicht, wie viele Politiker wirklich darin verwickelt sind, und so weiter. Letztlich ist es jedenfalls mittlerweile so weit, dass es hierzulande durchaus wieder nach Kacke riecht."
Archiv: El Pais Semanal

New Inquiry (USA), 13.02.2013

Es ist schon seltsam, meint Adrien Chen, der einige gute Freunde im Internet kennengelernt hat, wie anrüchig diese Art von Freundschaften heute erscheint. Wer will schon Fremde kennenlernen? Die kennt man doch gar nicht! Das können nur Perverse oder "Ersatzfreunde" sein. Facebook wollte dieses Problem lösen, indem es seinen Nutzern Austausch nur im vertrauten Kreise erlaubt. Aber das ist gerade nicht der Sinn des Internets, meint Chen. "Der Computerwissenschaftler J.C.R. Licklider sagte 1968 zusammen mit Robert W. Taylor in einem Papier das Internet voraus: 'Der Computer als Kommunikationsmittel'. Er stellte sich für die Zukunft vor, dass Kommunikation in einem Netzwerk von lose verknüpften 'interaktiven online-Communities' stattfinden würde. Aber er sagte auch voraus, dass 'das Leben des Online-Individuums glücklicher sein würde, weil es diejenigen, mit denen es kommuniziert, viel stärker wegen gemeinsamer Interessen und Ziele aussuchen würde und nicht durch Zufall oder Nähe.' Die Möglichkeit, sich online mit denen zu verbinden, die man besonders anregend findet, würde zu echteren Banden führen als in Beziehungen in der realen Welt, die durch Nachbarschaft und soziale Klasse vorherbestimmt sind."
Archiv: New Inquiry
Stichwörter: Online-Communities

New York Times (USA), 18.02.2013

In einer lebendigen Reportage für's NYT Magazine erzählt Robert Draper, wie deprimiert die Stimmung nach der verlorenen Wahl bei jungen Republikanern ist. Nicht nur, weil keiner der Alten kapiert, wie vorsintflutlich ihr Wahlkampf war, der die digitalen Medien ignorierte: "Viele digitale Spezialisten der GOP erzählten mir, dass es schwierig sei, überhaupt technisches Talent zu rekrutieren wegen der Werte, die die Partei vertritt. 'Ich kenne eine Menge Leute, die mit Technologie ihren Lebensunterhalt verdienen', sagt Turk. 'Und praktisch alle haben sie eine libertäre Ader - Information soll frei sein, mach dein eigenes Ding und lass mich meins machen, diese Art von Denken. Genau so, wie das Internet eben auch ist. Und fast jeder, mit dem ich gesprochen habe, sagt: 'Yeah, ich würde vielleicht die Republikaner wählen, aber ich komme einfach nicht über dieses Nein zur Schwulenehe, ihre Einstellung zu Abtreibung und all diese sozialen Streitpunkte.' Fast durch die Bank weg sehen sie eine Zukunft voraus, in der man mehr Wahlmöglichkeiten haben wird, nicht weniger. Diskussionen darüber, ob man die Person heiraten können soll, die man heiraten möchte, schlagen dieser Zukunft ins Gesicht."

Außerdem: Emily Earkin schreibt über den umstrittenen amerikanischen Anthropologen Napoleon Chagnon. In der Book Review gehts u.a. um das neue Buch von Chagnon, "Noble Savage", Bücher über die amerikanischen Präsidenten Lincoln, Coolidge und Nixon, eine Jane-Austen-Biografie von Paula Byrne und Kurzgeschichten von Ludmilla Petruschewskaja.
Archiv: New York Times