Heute in den Feuilletons

Obwohl wir doch nur Tiere sind

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.03.2009. In der taz wendet sich der  Doch-Nicht-Verfassungsrichter Horst Dreier gegen die Dampfmichel in den Feuilletons und ihre Einstellung zur Selbstbestimmung. In der Berliner Zeitung warnt Timothy Garton Ash vor der roten Erika. In der Welt erklärt Rolando Villazon, warum er gerne auch mal einen Spitzenton von Händel singt. Die Blogs fragen sich, warum die Mainstreammedien nichts gegen die Internetzensur der Bundesregierung unternehmen. Die FR sucht nach Überbleibseln der DDR in der Literatur.

Aus den Blogs, 28.03.2009


(Via Gawker.) Die New York Times hat ihren Mitarbeitern in einem Memo eine fünfprozentige Kürzung der Gehälter ab April angekündigt, berichtet Nicholas Carlson im Silicon Alley Insider. Außerdem müssen sie in diesem Jahr 10 Tage unbezahlten Urlaub nehmen. Er hat auch das Memo von "Arthur" [Sulzberger] und "Janet" [Robinson] veröffentlicht. In einem zweiten Memo, das Gawker veröffentlicht hat, informieren "Scott, Bill, Martin & Andy" die Redaktion außerdem, dass 100 Angestellte on the business side of The Times entlassen werden. Nach Ansicht von Carlson ist das bei weitem nicht genug: Die Times müsste ihre Redaktion um 30 Prozent reduzieren, um wenigstens eine Weile kostendeckend arbeiten zu können. Aber wie lange? Wenn man sich die finanzielle Entwicklung der NYT anguckt und die Entwicklung ihrer Aktien (siehe Grafik), wird einem richtig schlecht. Das ist kein Niedergang, das ist ein Sturzflug. Der Times gönnt man das wirklich nicht. Während die Medien hierzulande den Kopf in den Kopf in den Sand stecken, hat die NYT wirklich was ausprobiert im Netz, auch wenn man das nicht alles so positiv beurteilen muss wie Stefan Winterbauer.

Am Dienstag, den 24.3., gab's eine Hausdurchsuchung beim Inhaber der Domain Wikileaks.de in Jena. Die Webseite soll auf kinderpornografische Seite verlinkt haben, indem sie auf wikileaks.org verlinkte, die wiederum auf australische Zensurlisten verlinkt haben, die ihrerseits auf besagte kinderpornografische Seiten verlinkten. Die Verlinkung auf die Zensurlisten sollte laut wikileak.org zeigen, dass von einer Sperre auch viele unbescholtene Angebote betroffen wären. Gestern kritisierte Ralf Schwartz in mediaclinique die Berichterstattung der "Qualitätsmedien" über den Fall. "Warum liest man nichts von ihnen? Sind sie nicht in Google gelistet unter den ersten 200 Treffern? Nach 60 Stunden? Wer hat da kein Interesse? Die Menschen oder die Presse? (Ich denke, ich muß hier nicht explizit erwähnen, daß die übrigen 196 Ergebnisse aus Blogs, etc. resultieren.)" Udo Vetter, der den Beschuldigten verteidigt, erklärt im law blog: "Theodor R. wird vorgeworfen, Beihilfe zum Vertreiben von kinderpornografischen Schriften zu leisten. Und zwar dadurch, dass er seine Domain wikileaks.de schlicht und einfach auf die Internetseite wikileaks.org umleitet. Die Begründung: Auf der verlinkten Startseite von wikileaks.org findet sich unter anderem ein Link zu einer australischen Sperrliste. Diese Sperrliste ist auf Wikileaks nicht nur zum Download als reiner Text verfügbar (Download-Bereich im oberen Teil). Sondern die Liste ist auf der verlinkten Seite im unteren Bereich nochmals wiedergegeben. Mit einem Unterschied: Die gesperrten Internetseiten sind dort per Hyperlink verknüpft." Die Frage ist jetzt: Bis ins wievielte Verlinkungsglied ist man verantwortlich?

Welt, 28.03.2009

Im Gespräch mit Manuel Brug erklärt der Tenor Rolando Villazon, der gerade eine Händel-Platte aufgenommen hat, warum er neben Verdi und Puccini, auch so gerne Barockmusik singt - weil das da mit den hohen Tönen so anders ist: "In der Romantik beginnt die Stimme ein Duett mit dem Instrumentalpart, im Barock liegt sie wie Öl im Wasser, zwei separate Welten, die sich aber gut vertragen. Anderseits sind die hohen Noten hier eben nur Noten, sie kommen oft und über viele Seiten, sind nicht die Klimax, sondern Teil einer ganzen Phrase. Es führt nicht alles so auf den einen Spitzenton hin wie etwa bei Donizetti, Verdi oder Puccini."

Weitere Artikel im Feuilleton: Hendrik Werner hat das neueste Kochbuch von Jamie Oliver gelesen, das leichte Küche für schwere Zeiten bietet. Eckhard Fuhr schreibt eine Glosse über Frank-Walter Steinmeier und Angela Merkel und Steinmeiers höhere Sensiblität, wenn es gilt, dem kulturellen Lokalstolz deutscher Städte zu schmeicheln, indem er bei Festival-Eröffnungen zugegen ist. Felix Müller erinnert an die Prägung des Worts "Nibelungentreue" durch Kanzler Bernhard von Bülow vor genau hundert Jahren, das dann direktemang in die Katastrophe führte. Gerhard Midding bezweifelt, dass die Cahiers du cinema in den Händen des Phaidon Verlags, an den sie von Le Monde verkauft wurden, überleben wird.

Besprochen werden eine Ausstellung über den Jazz in der Kunst in Paris und Dorota Maslowskas neues Stück an der Berliner Schaubühne.

In der Literarischen Welt schreibt Michael Kleeberg eine Hommage zum 200. Geburtstag Nikolaj Gogols. Jacques Schuster rät Suhrkamp dringend von dem geplanten neuen Domizil in der tristen Berliner Brüderstraße ab. Götz Aly bespricht, sehr positiv, Archie Browns Buch über "Aufstieg und Fall des Kommunismus". Und Matthias Heine gratuliert dem "kleinen Nick" zum Fünfzigsten.

FR, 28.03.2009

In einem Schwerpunkt geht es darum, was von der DDR-Literatur übrig geblieben ist. Wobei Ines Wilke eigentlich schon die Fragestellung für falsch hält: "Vielleicht einmal probehalber auf die Festlegung 'DDR-Literatur' verzichten. Brasch und Brinkmann, Wolf und Weiss, Hilbig und Hildesheimer, Jirgl und Jandl als die lesen, die sie auch und vor allem sind: Schriftsteller, Sprachspieler. Ihr Material ist die deutsche Sprache, sie verbindet der Versuch, diese aus der Floskel zu befreien - in unterschiedlichsten Formen und vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts."

Jörg Plath betrachtet die Reste der DDR-Verlagslandschaft: "Statt jährlich etwa 4500 Buchtitel zu DDR-Zeiten werden heute in den fünf neuen Bundesländern nur noch 2098 Titel verlegt - die übrigen 93.000 kommen aus den alten Ländern sowie (Ganz-) Berlin. Die ostdeutschen Verlage erwirtschaften 0,9 Prozent des 10,7 Milliarden Euro starken Gesamtumsatzes der Branche"

Weitere Artikel: Der Militärhistoriker Klaus Naumann informiert über zunehmende Fälle Posttraumatischer Belastungsstörungen bei deutschen Afghanistan-Soldaten - und denkt über Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft nach. Vom Berliner "maerzmusik"-Festival berichtet Jürgen Otten. Thomas Winkler porträtiert die erfolgreichen Mittelalter-Rocker Subway to Sally. In Marcia Pallys US-Kolumne geht es darum, dass in Zeiten der Wirtschaftskrise jetzt wieder Rinder gestohlen werden. Ina Hartwig widmet einem Erinnerungsaufsatz Thomas Karlaufs in Sinn und Form, in dem es um Stefan George und Joints geht, eine Times Mager.

Besprochen wird Nina Könnemanns Ausstellung "Free Mumia" im Frankfurter Portikus.

Tagesspiegel, 28.03.2009

Frederik Hansen geht gleich in zwei Artikeln (hier und hier) scharf mit dem Deutschen Symphonie-Orchester (DSO) und seinem Chefdirigenten Ingo Metzmacher ins Gericht. Metzmacher hatte öffentlich angekündigt, seinen Vertrag nach 2010 nicht verlängern zu wollen, aus Protest gegen eine geplante Stellenreduzierung beim Orchester. Hintergrund, so Hansen, ist, dass das DSO total beleidigt war, dass Marek Janowskis Rundfunk-Sinfonieorchester (RSB) erstmals genauso viel Geld wie sie erhalten sollte. Daraufhin "zog sich das DSO in den Schmollwinkel zurück. Und erklärte Ingo Metzmacher, man sei gerne bereit, mit ihm weiterhin zusammenzuarbeiten, wenn es ihm gelänge, diese himmelschreiende Gleichbehandlung der beiden Orchester rückgängig zu machen. Nichts anderes steckt hinter der Forderung, alle vakanten Solo-Stellen beim DSO besetzen zu dürfen."

TAZ, 28.03.2009

Im Aufmacher des taz-mag-Dossiers unterhält sich Jan Feddersen mit dem Juristen und Doch-Nicht-Verfassungsrichter Horst Dreier allgemein über das Grundgesetz, aber auch konkret über die Patientenverfügung: "Jeder Dampfmichel, in unzähligen Artikeln zum Beispiel in der FAZ oder SZ, erklärt uns immer wieder, man müsse die Selbstbestimmung gegen den Lebensschutz abwägen. Aber hier richtet sich die Selbstbestimmung auf den eigenen Körper, das eigene Leben! Wenn ich als Ausdruck meiner Selbstbestimmung sage: diese Operation will ich nicht, kann man nicht mit dem abstrakten Gedanken des Lebensschutzes kommen und ihn gegen mich, mein Leben und meine körperliche Unversehrtheit, ausspielen. Das geht nicht, das ist völlig absurd."

Christiane Kühl hat die Berliner Inszenierung des neuen Stücks "Wir kommen gut mit uns klar" der polnischen Erfolgsautorin Dorota Maslowska gesehen, die an ihrer Heimat kaum ein gutes Haar zu lassen scheint: "Seit der Bombardierung Warschaus stolpern die Polen anscheinend wie Zombies durch Europa. Maslowska beschreibt die Situation mit engagiertem Zynismus: Aus der aktuellen Stagnation helfe nur eine Ganzkörpertransplantation bis in die vierte Generation, inkl. Änderung des Geburtsorts."

Weitere Artikel: Sebastian Moll denkt mit Hilfe der Vanity Fair darüber nach, wie Barack Obama den Amerikanischen Traum wieder mit anderen Inhalten als bloß dem Gedanken an Reichtum zu füllen versucht. Helmut Höge war bei einem Berliner Vortrag des Naturhistorikers David Blackbourn. Eva Christina Meier liest die autobiografischen Fragmente des chilenischen Autors Roberto Bolano, der in den USA postum sehr gefeiert wird. Im taz mag denkt Michael Rutschky über die Sakralisierung von Bäumen und Stadtschlössern nach.

Und Tom.

NZZ, 28.03.2009

Andreas Breitenstein hat für die Beilage Literatur und Kunst den bosnisch-amerikanischen Schriftsteller Aleksandar Hemon getroffen, dessen Einwanderungsroman "Lazarus" von der Literaturkritik enthusiastisch gefeiert wurde (hier eine Leseprobe). "Hemon indes sieht sich nicht als Mensch zwischen, sondern als Mensch vieler Kulturen. Kulturen durchdrängen sich, es gebe keine wirklichen Abgrenzungen, meint er. Gerade sei ihm, auf Lesereise in Deutschland, bewusst geworden, wie sehr die bosnische Sprache von deutschen Wörtern durchsetzt sei. Überall gebe es Symbiosen, in seinem Fall zwischen dem Bosnischen und dem Amerikanischen. Im Gegensatz zu seinen Protagonisten, Brik und Averbuch, sind ihm die USA nicht zum Trauma geworden."

Außerdem: Urs Heftrich schreibt zum 200. Geburtstag von Nikolai Gogol. Roman Hollenstein erinnert an das Bauhaus und die künstlerisch-architektonische Tradition von Weimar. Besprochen werden Bücher, darunter Arkadi Babtschenkos Erzählung über den Tschetschenienkrieg "Ein guter Ort zum Sterben" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Im Feuilleton informiert uns Aldo Keel über den Wandel nordischer Begräbnissitten, der einige Probleme verursacht: "In Stockholm verstreichen zwischen Tod und Bestattung durchschnittlich 28 Tage. 'Früher galt es als Ehrensache, die Verstorbenen so schnell wie möglich zu beerdigen. Heute liegen die Prioritäten anders', klagt der Sprecher eines Begräbnisinstituts. Keine Terminnot leidet, wer seine Toten an einem Dienstag bestatten will. Weil aber die meisten Hinterbliebenen den Freitag vorziehen, bildet sich ein Leichenstau."

Weiteres: Navid Kermani schildert die Aufräumarbeiten in den Ruinen des Kölner Stadtarchivs: "Wie eine Operation sieht es aus, eine Operation am offenen Herzen." Marc Zitzmann gratuliert dem kleinen Nick zum Fünfzigsten. Besprochen werden eine Ausstellung der Schiller-Schätze aus eigenen Beständen im Marbacher Literaturmuseum der Moderne.

Berliner Zeitung, 28.03.2009

Im Magazin spricht Timothy Garton Ash im Interview über 1989, die Stasi und die Zukunft. Das Jahr 2009, vermutet er, wird das Jahr der "roten Erika": "Das ist eine Studentenführerin, die eine stark radikale anti-kapitalistische Ideologie vertritt und den Protest organisieren und auf die Straße tragen wird. Ich sage nicht, dass das gut ist, aber es könnte in diesem Jahr geschehen. Es wird unruhig werden. Eric Hobsbawm, der große marxistische Historiker, hat gesagt: Wenn der Kapitalismus in die Krise gerät, dann gibt es wieder die Faschismus-Gefahr, den Feind, der rechts steht. Ich sehe das im Moment nicht. Ich vermute, es wird eher eine links-populistische als eine rechts-faschistische Bewegung geben."

Auf der Medienseite schildert Eva Schweitzer die jüngsten Auswüchse der amerikanischen Pressekrise, vor allem auf die New York Times und die Washington Post: "Die Washington Post hat angekündigt, sie werde Angestellten eine freiwillige Abfindung anbieten. Wenn das nicht ausreiche, werde es Entlassungen geben, sagte Verlegerin Katharine Weymouth. Auch eine Druckerei werde geschlossen. Die Washington Post hat im letzten Jahr 193 Millionen Dollar verloren, 100 Angestellte waren gegangen."

Im Feuilleton schimpft Akademiepräsident Klaus Staeck auf das Privatfernsehen. Dann mogelt er sich vorbei an der Frage, ob die Talkshows und Reality-Formate nicht gerade den einfachen Leuten, die Staeck so am Herzen liegen, einen eigenen Sendeplatz bieten. Und flüchtet schließlich auf sicheres Gebiet: "Diese Vertrauenskrise trifft unvorbereitet auf eine völlig entpolitisierte Bevölkerung. Alles Politische wurde uns doch systematisch abtrainiert. Ich frage mich, wer stößt in diese Lücke? Denken Sie an die Kassiererin, die wegen Pfandbons von 1,30 Euro ihren Job verlor, während Leute, die Schäden in Milliardenhöhe angerichtet haben, die Frechheit besitzen, ihre Boni einzuklagen. Eine Gesellschaft, die das für 'normal' hält, ist völlig aus den Fugen geraten. Die Privatsender tun nichts dafür, um wieder Maßstäbe zu setzen. Das läge aber in ihrer Verantwortung. Für mich ist das Mediengeschäft immer noch etwas anderes, als Klamotten zu verkaufen."

SZ, 28.03.2009

Alex Rühle schickt einen höchst lesenswerten Stimmungsbericht aus dem zentralafrikanischen Malawi. Er kommt dabei aber auch auf ein gesamtafrikanisches Phänomen zu sprechen: "Kürzlich ging die dritte Staffel von 'Big Brother Africa' zu Ende. BBA wie es überall nur heißt, ist das erfolgreichste Sendeformat der afrikanischen Geschichte. Was auch daran liegen dürfte, dass es ein wenig so funktioniert wie bei uns der Grand Prix; man wird als Gesandter seines Landes geschickt, die malawische Bright Hazel Warren musste gegen Kandidaten aus Botswana, Südafrika, Kenia, Uganda, Angola, Zimbabwe und sechs anderen Ländern antreten. Die meisten Kandidaten sind Studenten und kommen aus reichem Elternhaus - weshalb sie meist nicht gerade repräsentativ sind für ihr jeweiliges Land. Und sie wohnen während der 97 Tage in Johannesburg in einem Haus, das den meisten Zuschauern wie eine Fata Morgana vorkommen muss, Whirlpool, Garten, loftartige Küche. Dennoch oder gerade deshalb identifizieren sich die Zuschauer enorm mit ihren jeweiligen Vertretern."

Weitere Artikel: Henrik Bork informiert über ein immens erfolgreiches chinesisches Pamphlet gegen den Westen, gemeinsam verfasst von fünf nationalistisch ausgerichteten Autoren: "Es ist eine 296 Seiten lange Schimpftirade auf den Westen, seine dekadenten Medien, alle Freunde des Dalai Lama allgemein und Nicolas Sarkozy und die Franzosen im Besonderen sowie alle liberalen 'Verräter' in China selbst." Petra Steinberger befasst sich mit Geschichte und Gegenwart von Theorie und Praxis des Populismus. Klaus Dermutz hat anlässlich der Berliner Aufführung ihres neuen Stücks "Wir kommen gut klar mit uns" die in Berlin lebende junge polnische Autorin Dorota Maslowska getroffen. Johannes Willms informiert über Pariser Pläne für eine "Cite de Defense". Fritz Göttler gratuliert Terence Hill zum Siebzigsten, Johann Schloeman dem Historiker Gerhard A. Ritter zum Achtzigsten. Auf der Literaturseite würdigt Michael Diers die Buchhandlung Walther König, die ihr vierzigjähriges Bestehen feiert.

Besprochen werden die "Wunschbilder"-Ausstellung in der Dresdner Gemäldegalerie, ein Münchner Konzert des Pianisten Olli Mustonen und Bücher, darunter Colm Toibins neuer Erzählungsband "Mütter und Söhne" (mehr dazu in der Bücherschau des Tages ab 14 Uhr).

Im Aufmacher der SZ am Wochenende wirft sich nun auch Konzertveranstalter Marek Lieberberg, ausgerüstet mit sämtlichen verfügbaren Vorurteilen, in die Schlacht um Urheberrecht und geistiges Eigentum: "Die Unterschiede zwischen ausgebildeten Experten und einfältigen Laien verwischen, weil jeder Narr einen Blog oder ein Video ins Netz stellen, Einträge abändern oder austauschen kann. Zwar wird so gut wie nichts davon angesehen oder gelesen, aber der Lärm des Ganzen ist ohrenbetäubend, das ist das eine - das andere ist, dass auch der Amoklauf von Winnenden gezeigt hat, wie schnell die Öffentlichkeit samt Politik und hochseriösen Blättern den Falschinformationen von flinken Netz-Desperados aufsitzen." (Früher hat man immer gesagt: die Franzosen sind schuld!)

Außerdem: Johan Schloemann denkt vor Ort über die Uni Cambridge als Produktionsort britischer Comedy-Eliten nach. Sara Mously stellt das Wanderkino des Holger Kraus vor. Hilmar Klute informiert über eine Sprachschule für Wienerisch und Schwyzerdütsch. Harald Hordych analysiert das Wohnzimmer von Marilyn Monroe. Auf der Historienseite erklärt Tobias Matern, wie es zur Grenzziehung zwischen Pakistan und Afghanistan kam. Im Interview spricht die Künstlerin Cindy Sherman unter anderem über einen Sammler, der eines ihrer "Sex Pictures" überm Bett hängen hat: "Die 'Sex Pictures' sind wirklich grauenhaft, eklig. Und der findet das auch noch sexy! Ich denke dann so bei mir: Das erzählt mir mehr über dich, als ich wissen will."

FAZ, 28.03.2009

In London droht die Revolution! Allerlei Aktionsgruppen rufen anlässlich des G-20-Gipfels zum Kampf gegen den Kapitalismus auf, berichtet Gina Thomas. "Chris Knight, ein marxistischer Anthropologie-Professor der University of East London, der zu den Köpfen einer der größten Dachorgansationen des Protests gehört, hat in einem Rundfunkgespräch mitgeteilt, er hoffe zwar, es werde bei abschreckenden Trockenübungen bleiben, aber, 'um ehrlich zu sein, wenn er (Sir Fred) uns weiter auf die Palme bringt, werden leibhaftige Banker von den Laternenpfählen hängen'." (Mehr dazu im Handelsblatt, im Time Magazine, im Guardian und in der Times)

"Unbarmherziger und intoleranter als die Kirche" findet Jürg Altwegg die Reaktionen in Frankreich auf die päpstliche Kondomkritik: "Die öffentlich-rechtlichen Medien zelebrieren Widerstand. Während der Messe, die im Fernsehen übertragen wurde, wurde das Logo der Aids-Hilfe eingeblendet. Die Ministerin Christine Boutin, die das Wort des Papstes ein bisschen relativieren und erläutern wollte, wurde vom Moderator einer TV-Sendung richtiggehend angepöbelt."

In Deutschland macht man es sich dagegen gemütlich: Edo Reents fährt eine ganze Seite Opel und schwelgt in Erinnerungen an die Siebziger. Jan Grossarth besucht die European Business School, wo der "Managing Director International Haircare" das Unternehmen Henkel vorstellte: "Henkel plant, in seinem Werk in Düsseldorf bis Juni kurzarbeiten zu lassen, jeden sechsten Euro verdient der Konzern in Osteuropa, wo die Schuldenkrise verheerend durchschlägt. Aber darüber fällt in seinem Vortrag kein Wort, und kein Student fragt nach der Krise."

Weitere Artikel: In der Leitglosse zwingt Oliver Jungen Goethe und den "CSS Naked-Day" zusammen. Ingeborg Harms wirft einen Blick in deutsche Zeitschriften. Vor 50 Jahren erschien die erste Geschichte des "kleinen Nick" und tob. hofft, dass neue "Kinder mit schmutzigen Knien wie Max" ihn entdecken. In Dresden streitet man sich um ein neues Konzerthaus, berichtet Michael Ernst. Auf der Medienseite erklärt Jury-Mitglied Ulrich Wickert, warum der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus ausgezeichnet wird: "Er erhält ihn für seine Haltung."

Besprochen werden György Ligetis Oper "Le Grand Macabre" am Brüsseler Theatre de la Monnaie mit La Fura dels Baus, die Ausstellung "Der Mond" im Kölner Wallraf-Richartz-Museum und Bücher, darunter Peter von Matts "Wörterleuchten" (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der Schallplatten- und Phono-Seite unterhält sich Simon Rattle mit Eleonore Büning angeregt über französische Musik, Wagner und Haydn. Aber zuerst mal platzt ihm was zur Krise heraus: "Mir kommt es so vor, als wäre es neuerdings viel einfacher, in klaren Worten über Musik zu reden als über Wirtschaftsfragen. Dabei weiß doch jeder, dass man über Musik in Worten gar nichts Vernünftiges sagen kann." Besprochen werden CDs von Selig und Nora Thiele und die Compilation "Fly Girls! B-Boys Beware: Revenge Of The Super Female Rappers!"

In Bilder und Zeiten erinnert Golo-Mann-Biograf Tilmann Lahme zum hundertsten Geburtstag von Golo Mann daran, wie Adorno (den Mann schon 1952 in einem Brief als "wichtigtuerisches Ekel" bezeichnet hatte) Manns Berufung an die Universität Frankfurt hintertrieb (Auch Harry Nutt schrieb darüber gestern in der FR). Jörg Becker untersucht den Einfluss westlicher Popkultur auf die Chinesen. Tilman Spreckelsen spielt mit Rotraut Susanne Berners Spielkarten. Und der amerikanische Filmregisseur Jonathan Demme stellt seinem Interviewpartner Marco Schmidt die leicht bedrohlich klingende Frage: "Ist es nicht großartig, dass wir beide uns hier so freundlich unterhalten, obwohl wir doch im Prinzip nur Tiere sind und uns eigentlich gegenseitig zerfleischen müssten?"