Im Kino

Pistolenhochzeit

Die Filmkolumne. Von Lukas Foerster, Thomas Groh
14.03.2012. Djo Mungas "Viva Riva" schöpft aus dem Fundus des Gangster- und Mafiafilms viele kleine Kinomomente und ist in den gesellschaftlichen Krisen seines Herkunftslands - des Kongo - getränkt. Bereits seit letzter Woche läuft Cheryl Dunyes "Mommy is Coming" in den deutschen Kinos; zumindest in denen, die sich trauen, einen lesbischen Hardcoreporno mit Inzestpointe in ihr Programm aufzunehmen.


Benzin ist das Schmieröl in den Zahnrädern einer Metropole. Ohne kommt das Leben stickig zum Erliegen, wie die eindrucksvoll gefilmte und montierte erste Sequenz von "Viva Riva" am Beispiel von Kinshasa in Kongo zeigt: Eine Stadt die an Benzinmangel leidet, bis zum Infarkt in sich verklumpt. Kein Wunder, dass hier ein gemachter Mann ist, wer über entsprechende Vorräte verfügt - und diese vielleicht sogar noch ein bisschen zurückhält, bis die Preise verkäuferseitig noch ein wenig vorteilhafter sind: An den knitterigen Geldscheinen, die in "Viva Riva" oft den Besitzer wechseln, kleben nicht nur Spuren von Sprit, sondern auch die Träume und Hoffnungen jener, die im Überlebenskampf blutig auf der Strecke bleiben.

Eigentlich ist Riva (Patsha Bay) als Lebemann für die harten Deals eine Spur zu naiv: Nach zehn Jahren kehrt er aus Angola nach Kinshasa zurück, ein große Ladung - schlechterdings geklautes - Benzin dürfte ihm bald jenes Leben in Saus und Braus ermöglichen, auf das ihm der erste Vorschuss schon einen großzügigen Blick gewährt: Das Geld fliegt ihm aus dem braunen Umschlag, als hätte es nie ein Ende damit. Bei einer Party verschwendet er sich mit Haut und Haar an die mit knallig roten Haaren brandgefährlich wirkende Nora (Manie Malone), die aber zum brutalen Kingpin Azor (Diplome Amekindra) gehört. Unterdessen kommt auch Rivas ehemaliger Boss, der sadistische César (Hoji Fortuna), aus Angola samt Schlägertruppe in Kongo an, um nach dem Verbleib seines Benzins - und nach Riva - zu suchen.



Eigentlich kaum zu glauben, dass dieser Film nicht nur das Langfilmdebüt seines Regisseurs darstellt, sondern zugleich auch mehr oder weniger die Grundsteinlegung einer möglichen kongolesischen Filmindustrie ist: "Viva Riva" ist exakt inszeniertes, vielleicht hier und da dramaturgisch etwas uneben geratenes, nichtsdestotrotz aber enorm mitreißendes Kino, das sich der Begrenztheit seiner Mittel zwar bewusst bleibt, aber stets in Sichtweite zu diesen Grenzen und mit diesen arbeitet; und dabei auch noch ungeheuer gut, jedenfalls um ein vielfaches besser aussieht als der kaum überschaubare Output der prosperierenden nigerianischen Videoindustrie, der derzeit oft mit dem afrikanischen Kino - wie man spätestens hier sieht: viel zu voreilig - gleichgesetzt wird. Insbesondere die geschmeidigen Bewegungsabläufe der Darsteller - einmal wirft Riva mit atemberaubender Lässigkeit und Treffsicherheit eine Jacke über die Frontscheibe eines Cabriolets auf dessen Rücksitzbank - im Zusammenspiel mit der Montage, die immer wieder in eine Bewegung schneidet, um sie in der folgenden Einstellung sich nahtlos fortsetzen zu lassen, zeitigen zahlreiche reine, kleine Kinomomente. Dem gegenüber steht das faszinierend linkische Körperspiel Césars, der sich gedrungen und mit den Füßen wie ein Reptil vorwärtstastend durch die Welt bewegt.

"Viva Riva" schöpft zwar aus dem Fundus des Gangster- und Mafiafilms, ist auf einen bloßen Trivial-Genrefilm aber nicht zu reduzieren: Eher wirkt "Genre" hier wie eine Methode, ein Brennpunkt, in dem sich soziale - und in diesem Fall: brutale - Realität mit dem Kino zu einer Einheit verdichtet. Methodisch, keineswegs ästhetisch, lässt dies zuweilen an die rauen italienischen Thriller der 70er Jahre denken, deren Regie-Mavericks ihre Filme im Stoff der gesellschaftlichen Krisen ihres Landes regelrecht tränkten.

"Dieses Land ist noch nicht gefilmt", sagte Christian Petzold kürzlich in einem Interview über die Bundesrepublik. Und auch mit "Viva Riva" ist das Filmbild Kongos noch nicht völlig ausbuchstabiert: Doch sind darin erste Partikel bereits angelegt. Unbedingt zu hoffen bleibt, dass dies Projekt fortgesetzt wird.

Thomas Groh

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Mit einer Pistole verschafft sich Claudia, eine dunkelhäutige Frau in Männerkleidung, mit Glatze und später auch mit angeklebtem Schnurrbart, Zugang in ein Taxi. Während der anschließenden Fahrt durch Berlin Mitte kommt die Pistole gleich noch einmal zum Einsatz: Claudia hat mit dem regulären Fahrgast, der Blondine Dylan, angebandelt und masturbiert sie mit der (kondomgeschützten) Waffe auf dem Rücksitz. Die Pistolenhochzeit mündet in einer kurzen, heftigen Beziehung, die dann aber in die Brüche geht, weil Dylan mehr Sex will und Claudia mehr als Sex. Vielleicht will sie auch, ohne es zu wissen, einfach nur anderen Sex, nämlich den, den sie bald darauf in einem Berliner Undergroundclub kennen lernt. Ziemlich rau geht es da zu, besonders in einer Szene, in der eine Peitschendame sich über Dylan hermacht, während ihr im Mundwinkel eine Zigarette klebt; aus dieser Szene wieder in den Modus der romantischen Komödie zu finden, ist kein kleines Kunststück - Cheryl Dunyes "Mommy is Coming" gelingt es.

Bald taucht noch eine dritte Frau auf: Helen, Dylans Mutter, hat genug von ihrem verklemmten Ehemann (Wieland Speck, der Chef der Panorama-Sektion der Berlinale, in einem reichlich unnötigen Gastauftritt), sucht in Berlin das Abenteuer, landet im selben Taxi, in dem ihre Tochter die Pistole zu spüren bekommen hatte und später folgerichtigerweise ebenfalls in Claudias Bett - die letzte Pointe kann man sich dann fast schon denken.



Cheryl Dunye ist eine afroamerikanische Regisseurin, die seit ihrem Debüt "The Watermelon Woman" mit bewundernswerter Hartnäckigkeit feministisches, schwarzes, lesbisches Kino in einem Markt unterzubringen versucht, auf dem eigentlich jedes der drei Attribute alleine schon ein potentieller Karrierekiller ist. Ihren neuen Film hat sie in Berlin verwirklichen können, gemeinsam mit dem Produzenten Jürgen Brüning, der unter anderem auch mit Bruce LaBruce zusammenarbeitet.

"Mommy is Coming" verfährt mit der Romkom auf ähnliche Weise wie LaBruces "Otto; or, Up with Dead People" und "L.A. Zombie" mit dem Horrorfilm verfahren. Dunyes erster Porno kommt dabei allerdings deutlich leichtfüßiger daher; vielleicht verträgt sich Pornografie tatsächlich besser mit komödiantischen Formen - die im Lachen eine temporäre Distanzierung ermöglichen und damit vielleicht erst die Voraussetzungen schaffen, dass ein Film wie dieser auch im Kino funktioniert - als mit dem "Körpergenre" Horror und dessen konkurrierenden Erregungsmustern. "Mommy is Coming" zumindest ist ein lustiger, kleiner Film, der expliziten und auch weitgehend pornoindustriell ausgeleuchteten Sex zusammenbringt mit einer verspielt-hahnebüchenen Story und dokumentarischen Passagen, in denen die Darstellerinnen aus ihren Rollen treten (in denen sie ohnehin nie zu fest verankert waren, auch da gehorcht Dunyes Film den eigenen Regeln des Pornofilms, der sich mit allzu aufwändiger Fiktionalisierung nie so recht vertragen hat) und vom freien, aufregenden Leben in der queeren Szene Berlins schwärmen.

Lukas Foerster

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Außerdem diese Woche neu: "The Turin Horse" von Bela Tarr. Hier unsere Kritik von der Berlinale 2011.

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Viva Riva - Demokratische Republik Kongo / Frankreich / Belgien 2010 - Regie: Djo Tunda wa Munga - Darsteller: Patsha Bay Mukuna, Manie Malone, Hoji Fortuna, Marlene Longage, Alex Herabo - Länge: 98 min.

Mommy is Coming - USA / Deutschland 2012 - Regie: Cheryl Dunye - Darsteller: Papí Coxxx, Lil Harlow, Maggie Tapert, Wieland Speck, Cheryl Dunye, Stefan Kuschner, Jiz Lee, Judy Minx, Océan LeRoy, Sadie Lune, Kay Garnellen, Mad Kate - Länge: 68 min.