Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.04.2004. Lecturas Dominicales erzählt die Geschichte der Leidy Tabares, deren Leben aus dem Ghetto von Medellin nach Cannes und zurück in den Knast führte. Der Spiegel besucht New London in einer 5,8 Quadratmeter großen Wohnung. Die Kommune wünscht sich "eine Landung der neuen Welt-Geschichte am Omaha Beach". Der Economist analysiert den spirituellen Zustand des gebrochenen Herzens. Outlook India fragt, wo die indischen Grenzen der Vernunft liegen. Im Espresso beschwört Bruce Sterling die Cyber-Rebellen der Zukunft. Der New Yorker präsentiert einen Gelehrten für schmutzige Witze.

Lecturas Dominicales (Kolumbien), 11.04.2004

Eine wahrlich erschütternde Reportage veröffentlicht Lecturas Dominicales, die Kulturbeilage der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo. Es geht um Leidy Tabares, jenes Straßenkind, das 1998 als Rosenverkäuferin in dem gleichnamigem Film von Victor Gaviria über den roten Teppich in Cannes schwebte. Aufgeschrieben hat ihre Geschichte John Carlin, Reporter der spanischen Tageszeitung El Pais. Der ist schon auf allerlei Kriegsschauplätzen gewesen, aber eine derartige Tragödie war ihm noch nicht untergekommen: "Ich hatte das Gefühl, ich könnte ihr nichts erzählen, was sie überraschen könnte. In Sachen Gewalt und städtischer Verzweiflung wird die Welt, in der sie lebt, immer das letzte Wort behalten, eine Million Kilometer entfernt von den Sorgen um Cholesterin oder Handy-Klingeltöne, die unsere bequemen westeuropäischen Existenzen erschüttern". Leidy Tabares ist in der kolumbianischen Großstadt Medellin aufgewachsen, wo sich Jugendbanden, Polizei, Drogenhändler, Armee, Guerilla und Paramilitärs schon seit mehr als zwei Jahrzehnten gegenseitig niedermetzeln. Cannes verhalf der damals 14-Jährigen, zu einem gewissen Ruhm, und doch musste sie sich bald wieder als Rosenverkäuferin durchschlagen. Sie verliebte sich in einen jungen Pistolero, Ferney, und bekam ein Kind von ihm. Ferney aber wurde erschossen, und wenig später nahm auch sie an einem Überfall teil, bei dem ein Taxifahrer ermordet wurde. Kurz nachdem Carlin mit der mittlerweile 21-jährigen sprach, musste sie ihre Haftstrafe antreten. Sie ist wegen Mordes zu 26 Jahren verurteilt worden.

Weiterhin bringt Lecturas Dominicales einen Vorabdruck aus "Delirio", dem neuen Roman der Kolumbianerin Laura Restrepo. "Ich merkte, das etwas für immer zerbrochen war, als mir ein Mann die Tür jenes Hotelzimmers öffnete und ich im Hintergrund meine Frau sitzen sah, die auf eine sehr merkwürdige Art und Weise aus dem Fenster schaute", heißt es dort. Erzählt wird die Geschichte von Aguilar, einem Literaturdozenten, und seiner Frau Agustina, die aus anfangs unerfindlichen Gründen wahnsinnig geworden ist. Schauplatz ist auch hier das heutige Kolumbien. "Delirio" ist in Spanien mit dem diesjährigen Alfaguara-Preis des gleichnamigen Verlagshauses bedacht worden (also 175.000 US-Dollar, hier das Pressedossier). Auf Deutsch sind von Laura Restrepo bislang die gleichfalls empfehlenswerten "Der Engel an meiner Seite", "Die dunkle Braut" und "Der Leopard in der Sonne" erschienen.

Außerdem in dieser Beilage und dieser Zeitung: ein Interview mit dem kürzlich verstorbenen kolumbianischen Maler Enrique Grau sowie eine ausführliche Berichterstattung über das am Sonntag zu Ende gegangene internationale Theaterfestival, das alle zwei Jahre die Hauptstadt Bogota in Aufruhr versetzt. Viel Applaus ernteten dort auch die deutschen Inszenierungen der "Emilia Galotti" vom Deutschen Theater sowie "Bernarda Albas Haus" vom Thalia Theater.

Spiegel (Deutschland), 12.04.2004

"Die Wohnung liegt günstig, im Zentrum, schräg gegenüber von Harrods mit seinen prächtigen Konsumgrotten, auch wenn man es nicht sieht, weil sie in den Hinterhof hinausgeht. Sie ist ziemlich schnell besichtigt. Sie hat 5,8 Quadratmeter und kostet umgerechnet 186.000 Euro." Matthias Matussek hat einen glänzenden Reportage-Essay geschrieben: Sieben Stücke über für das gegenwärtige Großbritannien nach sieben Jahren New-Labour-Neoliberalismus. Da ist etwa der Psychiater Anthony Daniels, der kürzlich im Spectator unter dem Nom de guerre Theodore Dalymple seiner Wut auf die britische Gesellschaft Luft machte (Artikel kostenlos zugänglich nach Registrierung): "Für Paris, meint Dr. Daniels, spreche zum Beispiel, dass dort der Mob in die Satellitengürtel abgedrängt sei und dass ein paar quer gestellte Panzer genügten, um die Einfallstraßen abzuriegeln. 'Im Ernstfall', sagt er. Er ist entschlossen, Haltung zu bewahren. Er trägt auch im Wohnzimmer Blazer und Krawatte. 'Natürlich wird der Ernstfall bald eintreten.' Er gießt Earl Grey Tea nach. Die ganze Welt ist bedroht. Nicht vom Terror, sondern vom Trash. In Birmingham sind sie überall. Kein Entrinnen vor diesen 'brutalen und brutalisierten Visagen'. Vor den Trinkern und Pitbull-Besitzern, den Arbeitsverweigerern und Junk-Food vertilgenden Wohlfahrtsmüttern, die auf dem Cover-Cartoon des Magazins Spectator abgebildet sind, in dem Daniels begründete, warum er nach Frankreich auswandern wird."

Das Titelthema zu Ostern beschäftigt sich mit den Gründen für den Erfolg von Mel Gibsons Jesus-Film. Es wird auch eine ziemlich innovative Idee für ein Drehbuch zum Gegenfilm angeboten: "In der Bibel der Muslime, dem Koran, wird das Jesus-Drama anders erzählt."
Archiv: Spiegel

Kommune (Deutschland), 01.04.2004

In einem furiosen Beitrag fordert Karl H. Klein-Rusteberg die Europäer auf, sich endlich der totalitären Herausforderung des islamistischen Terrors zu stellen. "Was Deutschland und die Länder Kerneuropas nach 1989 und nach dem 11. September benötigen, ist keine Selbstbestätigung in ihren Erfolgen, 'richtige' moralische Konsequenzen aus der eigenen Geschichte gezogen zu haben. Ein Neubeginn des Politischen, eine Landung der neuen Welt-Geschichte am Omaha Beach des politischen Lernens wird zur großen Herausforderung, weil die Vorgeschichte totaler Herrschaft in Gestalt des islamistischen Terrors unsere Gegenwart ist. Diese Zeit hat ihren 'D-Day' in den nunmehr alten, europäischen Mittelmächten Deutschland und Frankreich noch nicht erlebt. Es wird eine Landung in der eigenen Gegenwart sein müssen, die nur transatlantisch zu bestehen sein wird. Ob wir an den Illusionen des goldenen Zeitalters identitär-selbstbezogen hängen bleiben oder der Gegenwart gerecht werden, hieran entscheidet sich, ob wir uns erneut in die totalitäre Versuchung führen lassen."

In einem weiteren Highlight wirft Raja Menons (mehr hier) einen Blick auf Mittelasien, von wo richtiger Ärger zu drohen scheint: "Die Umgebung des erweiterten Mittelasiens ist ideal für die Zwecke von al-Qaida und andere radikale islamistische Bewegungen. Die unerfreulichen sozialen und wirtschaftlichen Transformationen, die auf den Zusammenbruch der Sowjetunion folgten, haben überall Armut und Arbeitslosigkeit hervorgebracht.... Außerdem ist Mittelasien eine Region der Instabilität und der allgegenwärtigen Korruption. Diese Bedingungen machen es leicht, Geld zu waschen, Waffen zu schmuggeln und sich durch den Drogenhandel Geld zu verschaffen. Und das gilt vor allem, weil die Regierungen in Mittelasien, obwohl zumeist autoritär, schwach sind und, was ihre Stabilität betrifft, von Führern abhängig sind, deren Nachfolge alles andere als vorhersehbar oder durchsichtig ist."

In weiteren Artikel: Thomas Heberer blickt auf 25 Jahre ökonomischen und politischen Wandels in China zurück und hält fest: " Was wir in China beobachten können, ist eine Verbesserung von Governance, das heißt eine Effektivierung und Rationalisierung der Tätigkeiten des Staates und der Partei, um das Gesamtsystem transparenter zu gestalten, Korruption zu mindern und den Partizipationsgrad zu erhöhen." Mit einer Demokratisierung sollte man dies nicht verwechseln. Jörg-Michael Vogl fürchtet, dass die Politik in Zeiten der kontinuierlichen Ökonomisierung zur bloßer Vollzieherin des Notwendigen verkommt. Otto Singer beobachtet mentale Wachstumsblockaden im Auslaufmodell Deutschland. Und Evelyn Hanzig-Bätzing bedauert die neuesten Erfolge der Stammzellenforschung.
Archiv: Kommune

Economist (UK), 09.04.2004

Der Economist nimmt das Osterfest zum Anlass, um sich über das in Mode gekommene Schlagwort "jüdisch-christlich" und "die Hassliebe zwischen Juden und Christen" klarzuwerden. Dabei kommt ein wirklich interessantes Panorama zustande, zwischen Säkularismus, Orthodoxie und internationaler Politik. Und bei allen Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Missverständnissen hat der Economist schließlich doch einen grundsätzlichen Berührungspunkt gefunden, aus dem ein fruchtbarer Dialog erwachsen könnte: "In den mystischen Traditionen sowohl des Christentums als auch des Judentums (aber auch des Islam) wird sehr viel über das Prinzip des 'gebrochenen Herzens' nachgedacht. Dies ist aber nicht im gewöhnlichen Sinn von Traurigkeit und Verzweiflung gemeint. Es handelt sich um einen spirituellen Zustand, in dem die harte Schale der Arroganz und Egozentrik, das sich um das menschliche Herz gelegt hat, auf irgendeine Art zerschmilzt, damit das Licht der göttlichen Liebe hineinströmen kann."

Passend dazu verdeutlicht das kleine Porträt einer russischen Familie, wie eng der atheistische Kommunismus Judentum und Christentum miteinander verschlungen hat.

In weiteren Artikeln ist zu lesen, dass der Bush-Regierung verstärkt vorgeworfen wird, erheblichen Einfluss auf die Welt der wissenschaftlichen Forschung zu nehmen, warum der im Irak andauernde Konflikt kein zweites Vietnam ist, wie es zum 100. Geburtstag der Entente Cordiale um die europäischen Freundschaften steht (mittelprächtig), welche neuen Töne aus den Reihen der Hamas zu vernehmen sind, und dass die ultimative Biografie des Kult-Kinderbuchautors und Wortschöpfers Theodor Seuss Geisel noch aussteht (Philip Nels Buch "Dr. Seuss: American Icon" ist dem Economist zwar genehm, aber eigentlich zu unkritisch). Angesichts der Debatte um die freie Wahl der Krankenversicherung und der Schulen hat der Economist eine Umfrage in Auftrag gegeben, die erforschen soll, was die Briten bevorzugen: Wenige Wahlmöglichkeiten zu haben oder viele. Fazit der Umfrage: Wenn sie die Wahl hätten, hätten sie lieber weniger Wahlmöglichkeiten.
Archiv: Economist

Outlook India (Indien), 19.04.2004

Mark Tully geht hart mit Pavan Varma ins Gericht, der in seinem Buch "Being Indian" mit den besten Absichten nach einem neuen nationalen Selbstverständnis sucht, aber nach Ansicht des Rezensenten an den falschen Stellen. Wer nämlich Spiritualität entwerte und dafür Materialismus und Diesseitigkeit als indische Stärken proklamiere, wer die Existenz einer indischen Tradition der Moral abstreite, der ersetze alte Stereotypen durch neue, gefährlichere, findet Tully. Schuld sei die traditionalistische - und ergo unindische, meint Tully - Herangehensweise des Autors: "Indien hat immer die Grenzen der Vernunft verstanden. Mit seinen groben Vereinfachungen legt Vama nahe, dass Indischsein darin besteht, vieles von dem über Bord zu werfen, was für mich - indisch ist."

Weitere Artikel: Sugata Srinivasaraju und Savitri Choudhury haben nach brandheißen Meinungsumfragen in drei Bundesstaaten schlechte Nachrichten für die Kongresspartei. Arvind Krishna Mehrotra verweist auf eine postume Sammlung von Gedichten Agha Shahid Alis, der 2001 für den National Book Award nominiert war. Und Vaishna Roy ist ganz beschwipst, dass in Indien jetzt auch Wein angebaut wird.

Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 15.04.2004

Der Fantasy-Autor Bruce Sterling (sein Blog und seine Fans) unterhält sich auf einer Tagung zur Roboterethik recht kohärent mit Francesca Tarissi. Es geht um die Rebellen der Zukunft und Sterlings Zeit als Cyberpunk. "Oh, ich würde sagen, die Namen und Definitionen sind doch nicht wichtig. Sie wechseln ständig: Bohemien, Flapper, Hippie, Punk, Raver, Dissident. Es gibt immer eine junge unzufriedene Minderheit. Der wahre Sieg besteht nicht darin, dass ich vorhergesagt habe, was jetzt eingetroffen ist, sondern dass wir jetzt alle cyber sind. Ich bin ein Cyberpunk, aber es gibt eine Cyberarmee, eine Cyberakademie, eine Cyberregierung, eine Cyberpost...". Die Cyberpresseschau nicht vergessen, bitte!

Andre Glucksmanns Polemik gegen das vom Terrorismus eingeschüchterte Europa scheint europaweit gefragt. Nach der FAZ (siehe Feuilletonrundschau vom 7. April) wettert er nun auch im anderen politischen Lager gegen den Kotau vor den Bombenlegern. "Das Schicksal hat zwei Mal zugeschlagen: September 2001, das zahlenmäßig bedeutendste Terrorattentat der Menschheitsgeschichte. März 2004, das qualitativ wirksamste Attentat gegen die Demokratie. Eine mit Pendlern besetzte Waggons fliegen in die Luft, und siehe da, drei Tage später dreht sich das Wahlergebnis, entgegen aller Vorhersagen. Wie regulär und vorbehaltlos legal der Ausgang des Urnengangs auch sein mag, versucht nun noch einmal den Attentätern zu erklären, sie hätten keinen Einfluss gehabt!"

In der Dienstleistungsgesellschaft kommen nur Bücklinge nach vorne, schimpft Giorgio Bocca, "all diese unbekannten aber empfohlenen Inkompetenten". Im Aufmacher veröffentlicht der Espresso das Tagebuch des Stefano Tanzi, Juniorchef des skandalträchtigen Parmalatkonzerns. "Ohne Datum: Ronaldo 5 1/2 Millionen im Jahr. Chile 10% weniger Budget. Kolumbien: in Dollars Februar 11 Prozent runter und 17 in lokaler Währung." Ein fußballliebender Entscheider, ohne Zweifel.

Leider nur im Print fordert Enzo Bianco eine Superprocura zur Terroristenbekämpfung und Naomi Klein fragt sich vor Ort, ob die USA im Irak nach einem Plan handeln.
Archiv: Espresso

New Yorker (USA), 26.04.2004

Ziemlich viel Lesestoff, aber schließlich hat man für diese Doppelnummer des New Yorker auch zwei Wochen Zeit. In einer wunderbaren Rezension setzt sich Jim Holt mit einer Geschichte der Witzesammler und ihrer Produkte auseinander. Angesichts der Todesanzeige eines "autodidaktischen Gelehrten für schmutige Witze" stellt er einleitend fest: "Es mag den Anschein haben, dass dem Titel 'Gelehrter für schmutzige Witze' ein gewisse Albernheit anhaftet. Ist das wirklich ein Gebiet, auf dem Gelehrsamkeit angebracht oder lohnend ist? Nun, Witze fallen in den Bereich der Folklore, gemeinsam mit Mythen, Sprichwörtern, Sagen, Kinderreimen, Rätseln und Aberglaube. Und ein gehöriger Anteil dieser Witze dreht sich um Sex oder Fäkalien. Wenn die Geschichte der Folklore anstrebt, eine Geschichte des menschlichen Denkens zu sein - worauf einige ihrer Vertreter bestehen -, dann muss eben irgendwer die lästige Aufgabe übernehmen, obszöne, geschmacklose und blasphemische Witze zu sammeln und sie zwischen zwei Buchdeckel zu bringen."

Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem Romandebüts und einer Studie über Ratten, deren Autor die Tiere "für ein Spiegelbild der menschlichen Rasse" hält.

In einem kleinen Film- und Hollywood-Schwerpunk erklärt Tad Friend, warum die Filme des Drehbuchautors und Regisseurs Harold Ramis ("Und täglich grüßt das Murmeltier", mehr hier) schon seit 25 Jahren erfolgreich komisch sind. Elizabeth Kolbert fragt sich, warum Politiker in Talk Shows auftreten. Und Ian Parker stellt ein Projekt der Farrelly-Brüder vor, die "The Three Stooges", die Helden einer bis in die fünfziger Jahre erfolg- und umfangreichen Kurzfilmreihe von Columbia (mehr hier und hier), wieder zum Leben erwecken wollen.

Weiteres: Ben McGrath porträtiert den schwarzen Cartoonisten Aaron McGruder und untersucht, warum Zeitungsverleger dessen beliebte, aber eben auch scharfe Polit-Cartoonserie "The Boondocks" zunehmend von ihren bunten Seiten verbannen. David Remnick kommentiert den sich ausweitenden Krieg im Irak, und Joshua Kurlantzick erklärt, was an John Kerrys gutem Französisch dann doch schlecht ist. Ian Frazier liefert eine hübsche allegorische Glosse über den Alltag eines Mörders ("Heute wünscht er sich, er hätte mehr Leute umgebracht, als er noch jung genug war"). Zu lesen ist außerdem die Erzählung "Cat ' n ' Mouse" von Steven Millhauser.

Besprechungen: Nancy Franklin stellt die TV-Serie "Showbiz Moms & Dads" über die elterlichen Manager von Kindern im Showgeschäft vor. John Lahr bespricht die Theaterproduktionen "Intimate Apparel" und "Match", Alex Ross schwärmt von einem "ausgelassenen" Schubert-Abend des Pianisten Leon Fleischer in der Carnegie Hall, und David Denby sah den zweiten Teil von Quentin Tarantinos "Kill Bill".

Nur in der Printausgabe: Eine Analyse des Lustigkeitswerts von Hallmark-Grußkarten, ein Bericht, wie man Komiker am Times Square wird, die Reportage über eine Haussuche in Europa, der Versuch einer Beantwortung der Frage, ob man den Schriftsteller und Verfasser humoristischer Bücher P. G. Wodehouse (mehr hier und hier) zu sehr lieben kann, und Lyrik von Gerald Stern und Charles Simic.
Archiv: New Yorker

Times Literary Supplement (UK), 09.04.2004

Nach Christopher Hitchens im Atlantic Monthly (hier) wirft sich im TLS nun Susan Sontag für den immer wieder entdeckten und immer wieder vergessenen Victor Serge ins Zeug, den Bolschewik, Trotzkisten, Antikommunisten und Autor des Romans "Der Fall Tulajew". Sie hält ihn für "einen der bezwingendsten ethischen und literarischen Helden des zwanzigsten Jahrhunderts": "Es gab nichts Triumphales in seinem Leben, das ebenso das eines ewig armen Studenten war wie das eines Militanten auf der Flucht - ausgenommen den Triumph, als Schriftsteller ungeheuer begabt und produktiv zu sein; den Triumph, prinzipienfest und scharfsinnig zu sein - und damit unfähig, den Treugläubigen, den ängstlich Leichtgläubigen oder den einfach Hoffnungsvollen Gesellschaft zu leisten; den Triumph, mutig und nicht korrumpierbar zu sein, und deshalb einen anderen, einsameren Weg einzuschlagen als die Lügner, Speichellecker und Karrieristen; der Triumph, zumindest nach den frühen zwanziger Jahren, Recht zu haben" (Hitchens Eloge auf Serge findet sich hier).

Weiteres: Richard Vinen schickt verspätete und recht giftige Glückwünsche nach Paris, zum dreißigsten Jubiläum der Liberation: "Wie es sich für eine talentierte und verdorbene Jugend gehört, profitierte sie von einem gehörigen Maß an Nachsichtigkeit." Den Geburtstagsband lobt er gemeinerweise als schönes Coffeetable-Buch.

D.J. Taylor stellt eine Reihe von Neuerscheinungen über den Autor George Gissing vor (mehr hier), der an seinem Sterbebett behauptet hat, H.G. Well hätte ihn vergiftet. Besprochen werden außerdem Alan Hollinghursts neuer Roman "The Line of Beauty" und Iain Bamforths Anthologie "The Body in the Library", die - von Dickens über Tschechow bis Benn - Texte von Medizinern versammelt, die sich als Schriftsteller hervorgetan haben.

New York Times (USA), 11.04.2004

Viel ist schon zu lesen gewesen über "Against All Enemies", Richard Clarkes Attacke gegen die Terrorismusbekämpfung des Weißen Hauses, jetzt hat James Risen sich das Werk (Auszug) vorgenommen und platzt bald vor Lob. "Eine Rarität unter all den Washington-Insider-Memoiren - es liest sich wirklich hervorragend". Das erste Kapitel, in dem der langjährige Sicherheitsberater Clarke die turbulenten Tage nach dem 11. September rekapituliert, sei zugleich das beste, schwärmt Risen. "Ich hoffe, Clark hat die Rechte nach Hollywood verkauft, denn ich würde bezahlen, um diesen Film zu sehen." (Schon passiert, wie die FAZ heute meldete.) "In der Nacht des 12. September wanderte der Präsident alleine durch den Situation Room, als er inne hielt und Clarke und einigen Beratern sagte: 'Gehen Sie noch einmal alles durch, alles. Ich will wissen, ob Saddam das getan hat.' Clarke war 'düpiert, ungläubig'. Er sagte dem Präsidenten: 'Al Qaida hat das getan.' 'Ich weiß, ich weiß, aber ich will wissen, ob Saddam involviert war. Ich will jeden Fetzen sehen.' Nachdem der Präsident gegangen war, sagte einer von Clarkes Mitarbeitern: 'Wolfowitz hat ihn.'" Lob auch für Steve Colls Vorgeschichte des 11. September, die "beste bisher" (erstes Kapitel).

Weitere Artikel: Fareed Zakaria weiß nach Hans Blix' Erinnerungen (erstes Kapitel) über seine Zeit als UN-Waffeninspektor im Irak nun, dass Washington "mit ein wenig Anstrengung" seine Ziele im Irak auch durch internationale Strukturen und Institutionen erreicht hätte. Wer Mary Stuart wirklich kennenlernen möchte, dem empfiehlt Gerard Kilroy John Guys skrupulöse Biografie der tragischen Königin. Erstmals seien die verschiedenen Versionen der Geschichte unter einem Buchdeckel versammelt. Und Richard Eder mag den "halluzinatorischen, widersprüchlichen, erratischen Realismus", mit dem der somalische Autor Nuruddin Farah in seinem Roman "Links" die lange Phase der Gewalt und der Clankriege seines Landes schildert.

In ihrer Kolumne plädiert Margo Jefferson für das schamlose Kopieren von Passagen, die uns etwas sagen. Mit der Zeit entstehe so ein informelles Logbuch der Lektüre und der Befindlichkeiten. Jefferson notierte sich 1971 eine bitterschöne Zeile von W.E.B. Du Bois. "Was wir fürchten ist, dass unsere Unzulänglichkeiten mehr sind als nur allzumenschliche Schwächen."

Im New York Times Magazine plädiert James Traub in einem dieser endlos-kundigen Artikel für das harte Geschäft des Nation Building. Zufrieden mit seiner von kurzfristigen Jahresbudgets bestimmten Regierung ist er nicht. "Die Größe des Ziels zeigt nur die intellektuelle Armut und die ideologische Selbstversenkung der Nachkriegsplanung."

Außerdem porträtiert Herbert Muschamp Miuccia Prada, die als Kunstmäzenin ebenso "bilderstürmerisch" agiert wie als Modeschöpferin. Und Tina Rosenberg wirbt für das in Verruf geratene Pestizid DDT, das in der Dritten Welt noch gute Dienste leisten könnte.
Archiv: New York Times