Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
28.04.2003. Der Spiegel findet im Irak Elektroschocker made in Germany. Ein Ohrenarzt erklärt dem New Yorker, warum er Saddam nie widersprochen hat. Outlook India meldet, dass Ehebruch jetzt auch von der Mittelschicht praktiziert wird. Literaturen widmet sich der Bücherverbrennung. Das TLS ärgert sich über Jörg Friedrichs "Der Brand". Im Nouvel Obs erklärt Bernard-Henri Levy, warum ihn der Mörder des Journalisten Daniel Pearl so interessiert. In der NY Review of Books warnt Ronald Dworkin vor einem Ende der affirmative action.

Spiegel (Deutschland), 28.04.2003

Alexander Smoltczyk hat Saddam-City besucht, ein Viertel im Nordosten Bagdads, das vor allem von Schiiten bewohnt wird. Hier leben viele Folteropfer Saddams. Doch verhasst ist hier nicht nur der irakische Führer oder die Amerikaner: "Dass seine Besucher aus Deutschland kommen, macht die Sache nicht besser. Im Gegenteil: 'Raus! Gehen Sie! Deutschland hat Saddam unterstützt, raus! Ich weiß sehr gut, was gespielt wird. Ich habe die Demonstrationen im Fernsehen gesehen.' Der Scheich ist kaum zu beruhigen. Aus dem, was der Dolmetscher in dem Gerangel noch übersetzen kann, ergibt sich, dass er gefoltert worden sei: 'Ich habe gesehen, was auf dem Elektroschocker stand: made in Germany. Ich habe es noch gesehen, bevor sie ihn mir hinten reingeschoben haben.'"

Weitere Artikel: Lars Olav Beier und Martin Wolf erklären, warum die deutsche Filmbranche sich nicht grämt, obwohl auch in diesem Jahr wieder kein deutscher Film im Wettbewerb von Cannes läuft. Und Günther Stockinger rezensiert Robert Jüttes "Lust ohne Last". Der Medizinhistoriker liefere in seiner neuen Kulturgeschichte der Empfängnisverhütung, glaubt Stockinger, vor allem mit einer Erkenntnis "Sprengstoff": Mit Hilfe des Coitus interruptus, behaupte Jütte, hätten nämlich "jahrhundertelang hauptsächlich die Männer bei der Familienplanung das Heft in die Hand genommen." Erich Follath glaubt in einem Debattenbeitrag, dass die Chancen für eine Demokratie in der arabischen Welt gar nicht so schlecht stehen - vorausgesetzt es findet sich ein weiser Saladin, "der - ohne Aufgabe seiner Identität - auch seine Gegner zu verstehen versuchte, kulturell den Kreuzrittern weit überlegen" war. (Hm, Udai Hussein? Bashar el-Assad? ein saudischer Kronprinz?)

Nur im Print: Ein Gespräch mit dem marokkanischen Autor Tahar Ben Jelloun über den drohenden Kulturkampf nach dem Irak-Krieg. Ein Gespräch mit dem Gedächtnisforscher Eric Kandel "über die Entdeckung des Unbewussten" und "die Moleküle der Erinnerung"; Polens Präsident Aleksander Kwasniewski über seine Rolle im Krieg gegen den Irak und den Streit zwischen "alten" und "neuen" Europäern; ein Artikel zu der Frage "Wie viel staatlichen Einfluss verträgt das deutsche Zeitungsgeschäft?" und ein Nachruf auf Herbert Riehl-Heyse. Der Titel widmet sich einem Jubiläum: Vor fünfzig Jahren wurde der Mount Everest zum ersten Mal bezwungen.
Archiv: Spiegel

New Yorker (USA), 05.05.2003

In seinem "Brief aus Bagdad" fragt sich Jon Lee Anderson, wie man eigentlich mit der Bewunderung für einen Diktator umgehen soll. In seinem "Saddams Ohr" überschriebenen Text erzählt er die Geschichte von Dr. Ala Bashir, einem Arzt von Saddam Hussein, der eine "einzigartige Rolle in dessen Leben spielte". In der titelgebenden Szene berichtet Bashir, wie er in einem Gespräch mit Saddam einmal dessen Aussage zugestimmt habe, wonach die "Leute im Süden keine wahren Gläubigen" seien. "Ich konnte nicht sagen, 'Sie irren sich!' Ich weiß noch, während er sprach, betrachtete ich sein Ohr. Die Sonne schien direkt durch es hindurch, und es sah aus wie aus Wachs. Deshalb habe ich ihm nicht richtig zugehört und mich nicht darauf konzentriert, was er sagte." Anderson bohrt nach: "Warum haben Sie nicht einfach gesagt: 'Sie irren sich'?" Bashir: "Ich dachte, er sei nicht in Stimmung für Widerspruch."

Adam Gopnik erzählt in einem wunderbaren Text, warum er so gerne Bus in Manhattan fährt - nachdem er lange auf Kriegsfuß damit gestanden hatte. "Der Bus hat eine Ordnung, wie wir sie aus den verschwindenden, partriarchalischen Familien kennen, eine erkennbare Ordnung, die von einem reizbaren Oberhaupt aufrecht erhalten wird. Der Fahrer hat nicht nur die Kontrolle über seine Welt, sondern auch das Vergnügen, willkürlich Autorität ausüben zu können - wie ein französischer Bürokrat."

Außerdem zu lesen: Die Erzählung "Dick" von Antonya Nelson und Besprechungen. So rezensiert Joan Acocella eine Studie, die amerikanische Erziehungsberater der letzten 100 Jahre analysiert. Das Buch sei "an der Oberfläche" als eine Geschichte dieser Sparte zu lesen, aber "dahinter steckt eine Geschichte elterlicher Angst im 20. Jahrhundert" - nämlich die, nur ja auch alles "richtig" zu machen. Peter Schjeldahl schreibt über die "erschreckende" Kunst von Adolf Wölfli (mehr hier; Text bis Redaktionsschluss leider noch nicht verfügbar). Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, in dieser Woche ausnahmslos von neuer Lyrik.

Nancy Franklin widmet sich zwei TV-Produktionen, "Wanda at Large" und "Mr. Personality", und John Lahr war im Kino und sah den in Cannes und Venedig 2002 ausgezeichneten Film "The Dancer Upstairs" von John Malkovich und die Musikkomödie "A Mighty Wind" von Christopher Guest.

Nur in der Printausgabe: ein Porträt von Slavoj Zizek (mehr hier), das sich mit der Frage beschäftigt, ob der slowenische Philosoph nun ein Akademiker oder eine Komiker sei, eine Reportage über "verzweifelte Maßnahmen" beziehungsweise einen Arzt, der alles versuchen würde, und Lyrik von Peter Everwine und Rosanna Warren.
Archiv: New Yorker

Literaturen (Deutschland), 01.05.2003

Literaturen begrüßt die längst überfällige Neu-Übersetzung von Louis-Ferdinand Celines "Reise ans Ende der Nacht" und befasst sich sozusagen ex negativo mit der "Macht der Bücher", nämlich mit Indexierung und Bücherverbrennung - leider unter Ausschluss der Internet-Leser.

Nur im Print zu lesen also: Sigrid Löfflers Streifzug durch zwei Jahrtausende Verbot und Verbrennung, Hubert Lebers Bericht über das Archiv eines Privatmannes, der es sich zur Aufgabe machte, verbotene Bücher zu retten, Hans Ulrich Gumbrechts Porträt des genialen Rassisten Louis-Ferdinand Celine und Kiran Nagarkars tragikomische Erfahrungen mit der indischen Buchzensur.

Mehr als nur entschädigt werden wir allerdings durch Hanna Leitgebs Lobeshymne auf "Eine Frau in Berlin", die anonymen Tagebuchaufzeichnungen einer Frau, die den Einmarsch der sowjetischen Besatzer miterlebte, die Massenvergewaltigungen, die zum Luxus werdende Moral und die Entfremdung der Geschlechter im "Arrangement des Überlebens". Für Hanna Leitgeb gehören diese Aufzeichnungen ohne jeden Zweifel in den Kanon der NS-Quellentexte, den sie um eine "dezidiert weibliche Perspektive" erweitern. "Das unglaubliche Sprachgefühl, der Sinn für Pointen, der unprätentiöse Gebrauch von Bildung, die genaue Beobachtungsgabe, die Dichte der Beschreibung, der intellektuelle Feinsinn, das klare Urteil - man möchte nicht aufhören, dieses Buch zu loben und für seine Lektüre zu werben. Es ist das einzigartige Zeugnis eines Opfers von Gewalt, das seine Souveränität bewahrt und sich seiner historischen Situation bewusst ist. Es bietet Geschichte aus erster Hand,verdeutlicht nachdrücklich die Traumatisierung einer ganzen Gesellschaft: in seiner Menschlichkeit und Reife ein erschütterndes und aufbauendes Dokument von Grausamkeit und Schamgefühl, Überlebenswillen und Selbstbehauptung, in dem die deutsche Wirklichkeit des Dritten Reichs in einem neuen Licht gebrochen erscheint."

Weitere Artikel: Für Richard David Precht ist es kein Zufall, dass es unter den heutigen Schulkindern nur so vor Lisas, Lenas und Oles wimmelt, schließlich träumten ihre Eltern als Kinder den Traum von Astrid Lindgrens Bullerbü. Für Henning Klüver verrät ein Blick auf die italienische Bestseller-Liste, dass Komik gerade in schweren Zeiten hoch im Kurs steht. Und Aram Lintzel hat sich im Netz auf Prominentenjagd begeben - doch im Zeitalter der zahllosen Eintagsfliegen-Stars bleibt die schwierige Frage: "Wenn es zu viele Prominente gibt, kann es dann noch Prominenz geben?"
Archiv: Literaturen

Economist (UK), 25.04.2003

Der Economist macht sich Gedanken über den wachsenden Einfluss der sogenannten Neo-Konservativen innerhalb der amerikanischen Regierung und fragt sich, ob es sinnvoll ist, von einer jüdischen Kabale zu sprechen, die eine ideologische Geiselnahme der amerikanischen Politik zustande gebracht habe. "Manche Europäer scheinen zu glauben, dass der Einfluss der Neo-Konservativen eine direkte Folge von George Bushs Unfähigkeit ist, grundlegende außenpolitische Prinzipien zu begreifen. Die jüngste Entwicklung der amerikanischen Politik bestätigt diese herablassende Theorie jedoch nicht. Diese neue politische Richtung wurde als Antwort auf eine Katastrophe eingeschlagen. Sie wird auf fast allen Regierungsebenen unterstützt, auch im Kongress (nennenswerte Ausnahmen sind das Auswärtige Amt und dienende Offiziere der Streitkräfte). Vor allem aber wird die neue Politik vom Präsidenten selbst bestimmt. Die neo-konservative Clique ist von Bush abhängig, nicht anders herum."

Weitere Artikel: Die SARS-Epidemie könnte zu Chinas Tschernobyl werden. Dass die Regierung jetzt reagiert, so der Economist, hat jedoch weniger mit der Sorge um die öffentliche Gesundheit zu tun als mit der Angst vor internationalem Gesichtsverlust. Ebenfalls besorgniserregend findet der Economist Nordkoreas Ankündigung, es befinde sich bereits im Besitz von Nuklearwaffen.

Außerdem erfahren wir, warum Valery Giscard d'Estaings Vorschlag zur EU-Reform auf heftigen Protest von Seiten der Kommission und des Parlaments gestoßen ist, dass mit der Verhaftung des ehemaligen irakischen Premierministers Tariq Aziz die Koalition einen neuen Schritt in Richtung irakische Regierungsbildung gemacht hat, dass die Irakis es gerne sehen würden, wenn die Amerikaner das Land verlassen, und wie die neue palästinensische Regierung aussieht.

Weiter kann man in Esteban Buchs Buch "Beethoven's Ninth: A Political History" nachlesen, was Beethovens Neunte zum Politikum macht. Und zuletzt ein Nachruf auf Leonard Tose, einen pathologischen Spieler - mit Klasse.
Archiv: Economist

New York Review of Books (USA), 15.05.2003

Reporter Tim Judah tut, was er nur kann, um mit zweiwöchentlichen Berichten aus dem Irak halbwegs aktuell zu bleiben. Trotzdem hat er gerade mal den 10. April verarbeitet, und damit den Fall von Bagdad: "An diesem Tag waren die meisten Menschen in Bagdad völlig perplex. Tagelang hatte die Regierung lautstark den glorreichen Sieg über die Amerikaner angekündigt, und dann waren plötzlich die Amerikaner hier und die irakischen Streitkräfte verschwunden. Am Morgen des 9. April, erzählte mir ein Mann, konnte man über Saddam Hussein 'noch nicht einmal einen schlechten Traum träumen', ohne Gefängnis oder Schlimmeres zu riskieren, und am Nachmittag war schon alles vorbei. Im einem Moment schien es, als würden die Menschen die Amerikaner begrüßen, und im nächsten wurden sie schon ängstlich und verärgert, weil die Amerikaner nicht die Plünderer stoppten."

Ronald Dworkin befasst sich mit der anstehenden Entscheidung des US Supreme Courts zu den affirmative actions. Verhandelt werden zwei unterschiedlich strenge Reglements, die die Universität von Michigan für ihre Colleges und für ihre juristische Fakultät gefunden hat. "Eine geteilte Entscheidung wäre keine Katastrophe für die affirmative-actions-Programme, denn Universitäten, die ein (personenunabhängiges) Punktesystem nutzen, könnten zu flexibleren Plänen übergehen wie dem der juristischen Fakultät. Aber wenn das Gericht auch dieses Programm als verfassungswidrig einstufen sollte, würde dies das Ende effektiver affirmative-actions-Programme an amerikanischen Colleges und Universitäten bedeuten - und deutlich weniger Schwarze und andere Angehörige von Minderheiten in Positionen mit Prestige und Einfluss. Dann würde sich die Entscheidung als die unglücklichste und teuerste erweisen, die der Supreme Court jemals getroffen hat."

Der Diplomat Brady Kiesling, der aus Protest gegen den Irakkrieg seinen Posten in Griechenland aufgegeben hat, bemerkt, dass von den Straßen Athens aus die Welt ein kälterer und weniger hoffnungsvoller Ort geworden ist. Peter Singer blickt gar nicht so unzufrieden auf den dreißigjährigen Kampf seiner Organisation Animal Liberation zurück. Immerhin werde er jetzt halbwegs ernst genommen: Damals sei "das Wohl von Tieren eine Sache für Katzen- und Hundeliebhaber" gewesen, "bestenfalls ignoriert von den Leuten, die über wichtigere Dinge zu schreiben hatten".

Besprochen werden Vaclav Smils Studie "The Earth's Biosphere: Evolution, Dynamics, and Change" und Aryeh Neiers Rückblick "Taking Liberties: Four Decades in the Struggle for Rights".

Outlook India (Indien), 05.05.2003

Indische Frauen, verkündet Outlook India in der Titelgeschichte, meistern eine weitere männliche Spezialität: die außereheliche Affäre. Die Götter - nicht nur Krishna, sondern auch Radha - haben es schließlich vorgemacht. Soutik Biswas berichtet von gelangweilten Ehefrauen, die sich holen, was sie wollen, und von "Cyberwitwern", die den Treulosen Detektive an die Fersen heften; von den Segnungen der neuen Technologien und der Lust auf besseren Sex. Fremdgehen, meint er, ist nicht mehr, was es mal war: "Ehebruch 2003 - das steht dafür, dass Frauen vorangehen. Außerdem ist der Ehebruch in der Mittelklasse angelangt, zu einer alltäglichen und sogar faden Angelegenheit geworden. Die liaison dangereuse war einmal der Aristokratie und dem Pöbel vorbehalten. Für alle dazwischen, für die Mittelschichten, gab es den moralischen Keuschheitsgürtel - nur ihre Fantasien konnten frei umherwandern. Oder sie blieben in der Familie, die außerehelichen Tändeleien. Jetzt verbleicht der scharlachrote Buchstabe mit großer Geschwindigkeit: Das Stigma wird zunehmend passe und für immer mehr Menschen sind Schuldgefühle nicht mehr als ein leichtes Zucken."

Weitere Artikel: Sheela Reddy klärt Hinduisten auf, dass ihr wichtigstes religiöses Symbol - Trishul, der Dreizack Shivas (mehr hier) - im vedischen Indien nicht bekannt war, dafür jedoch umso besser im antiken Griechenland. Seema Sirohi stellt Fareed Zakaria (mehr hier) vor: in Indien geboren, in den Vereinigten Staaten zu großem Einfluss als Intellektueller und politischer Kommentator gelangt, laut Esquire "einer der 21 wichtigsten Menschen des 21. Jahrhunderts". Und nach Meinung vieler Experten und Bewunderer zukünftig der erste muslimische Außenminister Amerikas. Und abschließend noch ein gepflegter Boulevard-Spaziergang: Manu Joseph nimmt den indischen Liebhaber der Schauspielerin Elizabeth Hurley (mehr hier) unter die Lupe.
Archiv: Outlook India

Times Literary Supplement (UK), 25.04.2003

Einen interessanten Zusammenhang zwischen der deutschen Haltung zum Irakkrieg und Jörg Friedrichs Erfolgsbuch "Der Brand" macht Daniel Johnson aus (der den implizierten Gleichsetzungen von britischem Bombardement und Holocaust im übrigen wenig abgewinnen kann): "Es ist keine Übertreibung zu sagen, das Jörg Friedrich einen noch größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung in Deutschland hatte als vor sieben Jahren Daniel Goldhagens 'Hitlers willige Vollstrecker'. Goldhagen trug zu einem Klima bei, in dem Deutschland keine andere Wahl hatte, als die Zwangsarbeiter zu entschädigen. Indem Friedrich die öffentliche Meinung gegen anglo-amerikanische Bombardements mobilisierte, trug er zu einem Klima bei, das es Kanzler Schröder leichter machte, den letzten Rest von Zurückhaltung unter den Deutschen zu überwinden, sich von ihren Nachkriegs-Alliierten zu distanzieren." Und noch einen Hieb versetzt Johnson Schröders Deutschland: "Heute gilt der moralische Imperativ, die Vergangenheit nicht mehr zu unterdrücken, sondern die Unterdrückung anzuprangen, auch wenn sich von eben diesem Unterdrückten herausstellt, dass es eine Mischung aus Selbstmitleid und Ressentiments gegen frühere Opfer und Gegner ist."

Frederic Raphael zieht den Hut vor Hollywood-Legende Sam Spiegel, über den Natasha Fraser-Cavassonis eine Biografie geschrieben hat, die laut Raphael ihrem Sujet nur im Umfang gerecht wird. Raphael selbst fasst seine Bewunderung für den Produzenten so zusammen: "Descartes sagte, dass das Efeu nicht über den Baum hinauswachsen könne; doch Spiegel schaffte es als Parasit, diejenigen zu überragen, von denen er abhing. David Lean hat es Spiegel nie verziehen, dass er seinen Namen - solus rex - über den Titel seines Films 'Die Brücke am Kwai' setzte."

Mit großem Vergnügen hat John Maddox Richard Dawkins' Essays "A Devil's Chaplain" über Moral und Wissenschaft gelesen, schließlich verdankt er "Großbritanniens bekanntestem Atheisten seit dem Tode Bertrand Russels" Einsichten wie "Wir geben zu, dass wir wie Affen sind, aber wir begreifen nur selten, dass wir Affen sind". Und Michael Ward erkennt in den Narnia-Romanen des Mediävisten und Fantasten C.S. Lewis eine ganze Galaxie kosmischer Wahrheit.

Espresso (Italien), 01.05.2003

Schurkenstaaten, überall Schurkenstaaten! Michele Serra erleichtert den Vereinigten Staaten schon mal die Auswahl des nächsten Angriffsziels und trägt belastende Beweise zusammen, nicht nur zu Syrien und Nordkorea.
"Frankreich: Eine verrottete Nation wie wenige andere, süchtig nach Sex, Pernod und Ballspielen mitten auf der Straße.
Vatikan: Das Staatsoberhaupt ist nicht nur nicht demokratisch gewählt, sondern behauptet auch, der Repräsentant Gottes auf Erden zu sein, er lehnt sich aus einem Fenster, zu dem die Menge emporjubelt und läuft herum mit einer Kappe ohne Markennamen, typisch anti-global.
Südkorea: Verbreiten im ganzen Okzident Autos mit verrückten Namen (Sorrento, Korando, Musso, Placenta, Popeya) mit der Absicht, die Familienväter, die sie fahren, zu beleidigen.
Schweiz: die Schweizer wollten nie in die Nato, machen nicht mit bei der Europäischen Union und beteiligen sich nur widerwillig an Spielen ohne Grenzen. Massenvernichtungswaffen: Ski-Lifte, die bisher mehr Tote gefordert haben als der Zweite Weltkrieg.
Italien: voll von Arabern, wird Italien von einem Tapetenverkäufer angeführt, der die Fussballiga direkt kontrolliert, seine Ehefrau in einer Bunkervilla einsperrt und Videokassetten an Fernsehsender schickt wie Bin Laden."

Schaut her, wir haben gewonnen, wir hatten Recht! Umberto Eco kann die triumphalen Siegeshymnen nicht mehr hören. Denn nie hätte jemand den Sieg der Amerikaner bezweifelt, schreibt er in seiner Bustina. Gerechtfertigt war der Krieg trotzdem nicht. "Die Spötter auf den Fernsehschirmen müssten folgendes sagen: 'Ihr habt gesagt, dass der Krieg die terroristische Gefahr nicht bändigt, wie ihr seht, hat er aber genau das geschafft.' Aber das ist die einzige Sache, die sie nicht sagen können, denn es gibt noch keinerlei Hinweis darauf, ob dem so ist. (...) Na ja, das einzige offensichtliche Resultat dieses Krieges waren die Brigaden potenzieller Kamikazekrieger, die aus Ägypten, Syrien und Saudi-arabien in die Schützengräben Bagdads aufgebrochen waren."

Weiteres: Carla Tallone berichtet aus dem krisengeschüttelten Argentinien, wo das Volk zur Wahl aufgerufen ist. "Favoriten sind die peronistischen Kandidaten", schreibt Tallone in seiner Reportage, "man munkelt aber schon von Wahlmanipulation". Außerdem druckt der Espresso einen langen Grundsatzartikel über Popdiva Madonna ab, geschrieben von Paul Rees für das Q Magazine. "Zwei bevorzugte Beschäftigungen von Madonna sind: ihrem Sohn zuzuschauen, wenn er nackt tanzt, und bis drei Uhr nachts aufzubleiben und mit ihrem Mann über 'das Leben und all die Sachen' zu reden."
Archiv: Espresso

Nouvel Observateur (Frankreich), 24.04.2003

Der Philosoph und Schriftsteller Bernard-Henri Levy (mehr hier) hat ein Buch über die Ermordung des amerikanischen Journalisten Daniel Pearl (mehr hier) geschrieben, der im Februar 2002 in Pakistan entführt und getötet wurde (erstes Kapitel). Levy, der die Hintergründe für "Qui a tue Daniel Pearl?" (Grasset) in Pakistan recherchiert hat, erklärt in einem Interview, warum ihn besonders die Person des Mörders, Omar Sheikh, interessierte: ein junger Mann aus einer wohlhabenden anglo-pakistanischen Familie, der in England studiert hatte und zum islamistischen Extremisten wurde. "Omar ist interessant, weil er in hohem Maße die Züge so rätselhafter Persönlichkeiten wie Osama bin Laden oder Mohammed Atta trägt. Warum wenden sich junge Muslime, die in der westlichen Welt aufgewachsen sind, plötzlich dem finstersten Fanatismus zu? (...) Alles an ihm ist europäisch. Er ist ein Engländer, ein Typ Dodi al-Fayed, der Verlobte von Lady Di. Außer, dass er zu einer Art 'Lieblingssohn' von bin Laden wurde und seine Frau unter einer Burka einschließt."

Olivier Toscer informiert über neue Winkelzüge bei der Errichtung des Megabuchkonzerns "Super-Hachette". Danach versuchen derzeit die Hachette-Gruppe und die franzöische Regierung, mit Andeutungen, die Buchpreisbindung sei in Gefahr, Streit unter den Verlegern zu säen.

Besprochen wird der dritte Band einer Ausgabe mit den Romanen von Aragon (Pleiade), außerdem der neue Film von Takeshi Kitano, "Dolls". In einem Interview stellt Pavel Lounguine seinen als Thriller avisierten Film "Un nouveau Russe" vor, durch den sich der Interviewer stellenweise an Leones "Es war einmal in Amerika" erinnert fühlt. Hingewiesen wird schließlich noch auf eine Ausstellung über den Fotografen Henri Cartier-Bresson (mehr hier) in der Pariser Bibliotheque nationale.

New York Times (USA), 27.04.2003

Ein neuer Marquez? Ein neuer Fuentes? Gut möglich, findet Barry Unsworth in seiner begeisterten Besprechung zu Ignacio Padilla (mehr hier), einem Schriftsteller mit "außergewöhnlichem Talent". Padillas ebenso außergewöhnlicher Roman "Shadow Without a Name" ist jetzt als erstes seiner Bücher ins Englische übersetzt worden. Die Geschichte dreht sich um ein Schachbrett, an dem über das 20. Jahrhundert hinweg rätsel- und schicksalhafte Partien gespielt werden. Das erste Spiel - zwei Österreicher im ersten Weltkrieg 1916, der Verlierer muss an die Front oder sofort sterben - setzt eine "außerordentliche und in ihrer Komplexität faszinierende" Reihe von Partien in Gang, bei denen Identitäten und ganze Leben gefälscht und vertauscht werden. "Die Erzählung birst vor Alternativen, sie hängt an Begegnungen, die üblicherweise nicht klar gesehen werden, im Nebel oder Zwielicht stattfinden", schreibt Unsworth weiter. "Der Roman fesselt wie ein Krimi und schafft es, zugleich nüchtern und verspielt und manchmal wunderbar finster zu sein, er hat etwas von der drohenden Groteske des deutschen expressionistischen Kinos." (Hier liest Padilla einen Auszug aus seinem Roman.)

Was haben 100 Jahre Erziehungslehre gebracht? Ann Hulbert beantwortet diese nicht so einfache Frage mit "Raising America" (erstes Kapitel), einem gelungenen Überblick über die Früchte der Pädagogik des 20. Jahrhunderts. "Hulbert könnte sich kaum etwas Ehrgeizigeres vorgenommen haben, und zum größten Teil erfüllt sie ihre Aufgabe wunderbar", lobt Stacy Schiff. Rigider Behaviourismus in den Zwanzigern, ruhiger, undogmatischer Pop-Freudianismus eine Generation danach: "Dieses Hin und Her sagt eine Menge aus über diese düstere Wissenschaft, die nach Hulberts Auffassung nicht nur zwischen Disziplin und Selbstbestimmung schwankt, sondern auch zwischen Wissenschaft und Geschwätz."

Aus den weiteren Besprechungen: Sam Lipsyte hat sich in "101 Reykjavic" verliebt, den "wunderbar schrägen, manchmal brillianten, und oft auch frustrierenden" Roman von Hallgrimur Helgason. Die Geschichte des arktischen Bummelanten Hlynur ist für Lipsyte der "verzweifelte Ruf aus einer Zwischenzeit in einem Zwischenland" und zu Recht verfilmt worden. Paul Gray bezeichnet "Good Faith" (erstes Kapitel) als typischen Jane-Smiley-Roman (Audio-Lesung), was durchaus als Lob zu verstehen ist. Smiley schaffe es mit Leichtigkeit, wie Gray notiert, sogar dem eher beschaulichen Sujet der Immobilienbranche noch eine spannende Geschichte zu entlocken.Sherwin B. Nuland würdigt Philip J. Hilts gründlich recherchierten Band über ein Jahrhundert der staatlichen Nahrungsmittel- und Medikamentenkontrolle. Wissenschaftlich sauber und zugleich journalistisch spannend schildert Hilts in "Protecting America's Health" (erstes Kapitel) den Spagat der Behörde zwischen den verschiedenen Bedürfnissen von Industrie und Verbrauchern. "Crabwalk" (erstes Kapitel) ist Günter Grass' bestes Buch seit langem, freut sich Jeremy Adler und preist des deutschen Nobelpreisträgers bestechende Analyse der Vergangenheit ebenso wie dessen nüchtern-abgeklärten Hinweise für die Zukunft. Zum Vergleich die deutschen Rezensionen.
Archiv: New York Times