Magazinrundschau

Dieser Ahhhhhhh-Moment

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
16.09.2014. In El Pais Semanal erklärt Javier Cercas, warum Katalonien nicht Schottland ist. Im Guardian lehnt Howard Jacobson den totalen Sieg im Diskurs ab. Mehr erhabene Kunst fordert in Nepszabadsag der neue Direktor der Budapester Kunsthalle. Der New Statesman porträtiert den Bürger als Kriegsberichterstatter. The Atlantic besucht einen afghanischen Jungen, der ein Mädchen ist. Die Hudson Review trauert mit Berlioz um Hamlet. Der New Yorker sucht Wonder Women.

El Pais Semanal (Spanien), 14.09.2014

"Schottland und wir." Der spanisch-katalanische Autor Javier Cercas benennt zahlreiche Unterschiede zwischen der Situation in Schottland und der in Katalonien. Mit am wichtigsten scheint ihm, dass "Schottland seit Beginn der Thatcher-Ära eine eigene politische Kultur aufgebaut hat: Während in England, auch unter Tony Blair, der Neoliberalismus bestimmend war, herrschte in Schottland die Sozialdemokratie - inzwischen spielen die Konservativen im dortigen Parlament kaum noch eine Rolle. Die politische Kultur Schottlands ist ausgesprochen proeuropäisch und neigt dem skandinavischen Modell zu, während die immer europaskeptischere politische Kultur Englands dem nordamerikanischen Modell zuneigt - vielen Schotten erscheint die Unabhängigkeit also als Möglichkeit, tatsächlich ein anderes, besseres Land aufzubauen. Gilt das auch für Katalonien? Haben wir hier eine andere, bessere politische Kultur aufgebaut? Nein, die politische Kultur Kataloniens ist identisch mit der Spaniens, mit kleinen Abänderungen wie auch Zuspitzungen. Ist es möglich, mit einer identischen politischen Kultur ein anderes, besseres Land aufzubauen? Entscheiden Sie selbst."
Archiv: El Pais Semanal

Gentlemen's Quarterly (USA), 16.09.2014

Die epidemische Zahl der Vergewaltigungen an amerikanischen Colleges (jede fünfte Frau ist betroffen) hat die Obama-Regierung jetzt veranlasst, Richtlinien für den Umgang mit den Opfern aufzustellen, die von den Colleges oft genug nicht für voll genommen werden. Noch tabuisierter als die Gewalt gegen Frauen ist die gegen Männer. Beim Militär machen sie mehr als die Hälfte der Opfer von sexueller Gewalt aus. Die wenigsten von ihnen melden die Vorfälle, berichtet Nathaniel Penn in GQ und enthüllt das systemische Versagen von Militär und Behörden: "Scham ist nicht der einzige Grund, warum diese Männer nichts sagen. Ein anderer ist Angst - vor Vergeltung, beruflichem Ruin, sozialem Stigma. Untersuchungen legen nahe, dass hochrangige Militärs illegalerweise veranlassen, Opfer sexueller Gewalt auszumustern, indem sie bei ihnen Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren lassen. Zwischen 2001 und 2010 wurden 31000 Dienende aufgrund von Persönlichkeitsstörungen unfreiwillig ausgemustert. Es liegt nahe, dass es in vielen dieser Fälle darum ging, Opfer sexueller Gewalt loszuwerden. Diese Diagnosen sparen dem Kriegsveteranenministerium (VA) auch die Kosten der Nachsorge".

Nepszabadsag (Ungarn), 12.09.2014

Letzte Woche hat die umstrittene Ungarische Kunst-Akademie (MMA) György Szegö als neuen Direktor der Budapester Kunsthalle vorgestellt. Szegö präsentierte seine Pläne für die Zukunft des Hauses und löste damit gleich Proteste aus. Nach seinen Ausführungen soll künftig die "erhabene" Kunst gegenüber der "kritischen" den Vorzug erhalten. Religionskritik wird nicht mehr toleriert. Im Interview mit Lajos Csordás erklärt Szegö seine Politik: "Die (ungarische) Künstlerszene versuchte nach der Wende, in den westlichen Kunstkanon zu gelangen. Das war über Österreich hinaus nicht erfolgreich. Nach 25 Jahren müssen wir das einsehen und etwas anderes versuchen. Die Blase der vom Markt diktierten Qualität scheint jetzt zu platzen. Von der Peripherie aus kann ich das ohnehin nicht beeinflussen. Darum fiel wohl auch die Entscheidung der MMA auf mich. Die Presse stellt dies als Entzug der Freiheit dar, doch es geht nur darum, den bisher gültigen Tendenzen weniger Raum zu geben." Mehr zur "Orbanisierung der ungarischen Kultur" beim Deutschlandfunk.
Archiv: Nepszabadsag

Guardian (UK), 13.09.2014

Howard Jacobson wurde mit seinem Roman "Die Finkler-Frage", der den Booker-Preis erhalten hat, auch einem breiteren deutschen Publikum bekannt. Nun ist er mit seinem neuen Roman "J" zum zweiten Mal für den Preis nominiert. Vanessa Thorpe berichtet für den Guardian, dass Jacobson hier den auch in Großbritanien wachsenden Antisemitismus reflektiert: "Das neue Buch handelt von der Vernichtung einer Gruppe "Anderer", sagt Jacobson. "Juden sind die Gruppe, die ich am besten kenne, darum bildet Antisemitismus den Hintergrund, aber der Piunkt ist: Wenn du "die Anderen" loswerden willst, dann hast du eine Absenz, eine Abwesenheit von Ironie, von Streit. Nie sollte ein Argument total siegen." Diese Regel dehnt Jacobson sogar auf Holocaust-Leugner aus. Er erinnert sich an ein flaues Gefühl, als die Theorien des Historikers David Irving vor Gericht zerschmettert wurden. "Er selbst ist mir egal, aber wenn eine Seite die andere total besiegt, kostet das einen schrecklichen Preis.""

Michael Stipe ist restlos fasziniert von Douglas Couplands Op-Art-Bildern, die sich mit 9/11 und den Folgen auseinandersetzen: "Couplands auf den ersten Blick offenbar Op Art Gemälde sind nichts als schwarze Punkte - abstrakt, seltsam vertraut. Aber wenn man sie auf seinem Iphone betrachtet (weil man ein Foto macht und es postet - dies ist schließlich 2014) hat man diesen Ahhhhhhh-Moment. Ein Schauer läuft einem über den Rücken und man kapiert, das sind sie: die Springer. Das ist er: der Buhmann. Doug lässt uns die Wahl diese tief internalisierten Bilder zu sehen oder nicht. Nur weil wir diese Wahl haben, können wir von Tag zu Tag überleben, ohne durchzudrehen. [...] Indem er Erinnerungen erweckt, die nicht durch bewusste Ignoranz oder Überabstraktion gelöscht werden können, erinnert uns Coupland daran, dass wir alle einige nicht abschließbare Türen in unserem Kopf haben und durch diese geöffneten Türen marschieren - fast cartoongleich - jetzt die NSA, Google, Geister, Schattenregierungen, eine verlorene, jämmerliche vierte Gewalt, verschwendete militärische Macht und ein ungezügelter, erschreckender Nationalismus. Und während diese Prozession andauert, scheinen wir mit den Schultern zu zucken und zu sagen: "Was solls, ich bin immer noch hier. Mir geht"s gut. Lasst uns einfach weitermachen.""
Archiv: Guardian

Film Comment (USA), 01.10.2014

Anlässlich des New Yorker Kinostarts von Lisandro Alonsos neuem Spielfilm "Jauja" führt Quintín im Film Comment durch das bisherige filmische Schaffen des lange Zeit nur cinephilen Insidern bekannten, argentinischen Auteurs: "Alle seine fünf Spielfilme befassen sich mit vereinzelten Männern in desolaten Regionen, auch wenn die versteckte Dynamik zwischen einer majestätischen Landschaft und einer Gesellschaft außerhalb des Bildes die Spannung jeder Geschichte bedingt. Alonsos Erzählungen beziehen eine Gegenposition zu jenen, die sich mit den Mitteln eines herkömmlichen Drehbuchs artikulieren. Immer schon ist es ihm schwer gefallen, einen ersten Entwurf zu verfassen, die geradezu obligatorische Voraussetzung dafür, um Finanzmittel einzuholen und sicherzustellen, dass aus einem Projekt ein Film entsteht. Bis "Jauja" hatten seine Filme praktisch keinen Dialog, geschweige denn solchen, der den Plot vorangetrieben oder die Figuren definiert hätte. Die grundlegenden Bedürfnisse seiner Figuren - Essen, Sex, Bewegungsfreiheit, Familie - werden zwar im vollen Umfang gezeigt, doch ihre innere Welt ist selbst dem Filmemacher nicht einsichtig und dieser Aspekt ist es, der diesen anscheinend so simplen und doch so schwer zu interpretierenden Filmen ihre Atmosphäre verleiht." (Über "Jauja" haben auch schon Cristina Nord - in der taz - und Michael Kienzl - auf critic.de - geschrieben.)

Außerdem: Amy Taubin spricht mit David Fincher über dessen neuen Film "Gone Girl". Und Robert Koehler führt durch das Werk von Joseph L. Mankiewicz.
Archiv: Film Comment

Eurozine (Österreich), 15.09.2014

Sehr überzeugend leitet der Rechtsextremismus-Experte Anton Shekhovtsov die Doktrinen von Wladimir Putins Lieblingsdenker Alexander Dugin aus der Geschichte des europäischen Faschismus ab. Als Einflüsse benennt er den französischen Autor René Guénon und den italienischen Faschisten Julius Evola und vor allem die "Neue Rechte". Und dann ist da schließlich der belgische Kollaborateur Jean-François Thiriart: "1939 pries er den Molotow-Ribbentrop-Pakt, weil er die Allianz von Sowjets und Nazis als starke Gegenkraft zu den Vereinigten Staaten sah. Auch für Dugin ist die Berlin-Moskau-Achse entscheidend für sein eurasisches Reich. Hier sind Moskau und Berlin Symbole zweier geopolitischer Machtzentren. Moskau ist das Zentrum des Russland-dominierten Raums mit Russland, dem nördlichen Balkan, Moldawien, Ukraine (außer der Westukraine), Weißrussland, Zentralasien und Mongolei. Berlin ist das Zentrum eines Deutschland-dominierten Raums namens "Mitteleuropa", das Deutschland, Italien und die meisten Gebiete des ehemaligen Österreich-Ungarn einschließt."
Archiv: Eurozine

Hudson Review (USA), 15.09.2014

Sehr gelehrt, aber wunderbar lesbar begibt sich der Musikwissenschaftler Peter Bloom auf die Spur von Hector Berlioz" Liebe zu Shakespeare, die sich in einigen Werken, aber auch in einer Parodie des Hamlet-Monologs artikulierte, in der sich Berlioz über das damals entstehende musikalische Starsystem mokierte. "An anderer Stelle beklagt er die Dumpfheit des Publikums. In der Grabszene, dem fantasievollsten Moment in seiner Oper nach "Romeo und Julia", hält er in einer Notiz in der Partitur fest: "Das Publikum hat keine Fantasie. Werke, die sich allein an die Fantasie richten, haben also kein Publikum." Er fordert dazu auf, die Szene nur dann zu spielen, wenn sich im Publikum einige sensible Hörer und Leser des Stücks befinden. Mit anderen Worten: "In 99 Prozent der Fälle sollte auf sie verzichtet werden.""

Hier Berlioz" wegen schwieriger Besetzung (ein im Hintergrund vokalisierender Chor) selten aufgeführter Trauermarsch für Hamlet:



Noch ein Artikel für Musikinteressierte: Carol J. Oja bespricht im TLS David C. Pauls Studie "Charles Ives in the Mirror" über die Ives-Rezeption in den USA.
Archiv: Hudson Review

New Statesman (UK), 11.09.2014

Kriegsberichterstattung verändert sich durch einen neuartigen Bürgerjournalismus, schreibt Ian Steadman und stellt zwei Protagonisten einer Bewegung vor, die per Crowdsourcing Licht in strittige Fragen bringen will. Einer davon ist Eliot Higgins, der auf seiner Website bellingcat Material zum Absturz des Flugs MH17 in der Ukraine sammelte und mit seiner "open source investigation", an der jeder teilnehmen kann, ziemlich lückenlos nachweisen kann, dass das Flugzeug tatsächlich von den Separatisten abgeschossen wurde: "Der unter Verdacht stehende Buk-Raketenwerfer wurde am Tag des Abschusses an verschiedenen Tageszeiten von Menschen aus der Region aufgenommen. Higgins rekonstruierte seinen Weg und konnte mit einer Karte zeigen, dass das Flugzeug zur Zeit des Abschusses in seiner Reichweite war." Der israelische Architekt Eyal Weizman versucht in seinem Projekt "Forensis" mit ähnlichen Mitteln, den kontrollierenden Blick des Staates auf die Bürger mit dessen eigenen Mitteln zu bekämpfen.

Weitere Artikel: Der 1961 geborene Will Self beklagt den "grässlichen Kult um talentlose Hipster", den seine Generation angezettelt hat. Judith Shulevitz und Rebecca Traister diskutieren in einem langen Briefwechsel, wie es mit dem Feminismus weitergeht.
Archiv: New Statesman

The Atlantic (USA), 08.09.2014

In Afghanistan gibt es Familien, in denen eins der Mädchen als Junge aufwächst: Sie kann mit den Jungs zur Schule gehen oder als Aushilfe arbeiten, bis sie in die Pubertät kommt. Dann muss sie sich allerdings wieder in ein Mädchen verwandeln, erzählt Jenny Nordberg in einer Reportage. Die Gründe für diese Verwandlung sind unterschiedlich, aber sie kommen in reichen und armen Familien vor. Das kleine Mädchen Mahnoush zum Beispiel wurde mit sieben zu Mehran: "Mehran scheint sich gut an seine neue Rolle gewöhnt zu haben. Sie nimmt jede Gelegenheit waren, den Menschen um sie herum mitzuteilen, dass sie ein Junge ist. Sie weigert sich zu nähen oder mit Puppen zu spielen. Lieber fährt sie Rad, spielt Fußball oder rennt. Die Lehrer spielen alle mit und helfen ihr, in der Schule ihr Geheimnis zu wahren, indem sie sie ihre Kleider wenn nötig in einem separaten Raum wechseln lassen. "Also ist das alles normal für Sie? Ganz gewöhnlich", frage ich die Lehrerin Miss Momand. "Das vielleicht nicht gerade, aber es ist auch kein Problem.""
Archiv: The Atlantic

Les inrockuptibles (Frankreich), 12.09.2014

Noch nie zuvor sei unsere Gesellschaft so politisiert gewesen, erklärt der Soziologe Albert Ogien in einem Gespräch mit Jean-Marie Durand über das Buch "Le Principe démocratie", das er gemeinsam mit der Philosophin Sandra Laugier verfasst hat. Sie untersuchen darin den weltweiten Anstieg an Protestbewegungen, von Tunis 2011 bis hin zu derzeit Katalonien, und gehen der Grundsatzfrage nach: Wie lässt sich Politik neu denken in Hinblick auf jene Bürger, die von einer anderen Sozialordnung träumen? "Die Politik konzentriert sich zu sehr auf das Spiel der Institutionen. Diese extreme Fokussierung auf das Handeln der Regierungen und das Leben ihrer Führer macht ein wenig blind für Veränderungen, die die Gesellschaften in der Tiefe anregen. Das Politische reduziert sich nicht auf Politik. Es besteht auch in der Ordnung der gewöhnlichen sozialen Beziehungen, die Menschen untereinander pflegen."

New Yorker (USA), 22.09.2014

Style Issue im New Yorker. Bedeutender als Stil scheint Jill Lepore allerdings die, wenngleich zaghafte, Wiederkehr von Wonder Woman, einer 1941 als Projektionsfigur des utopischen Feminismus entstandenen Comicfigur, inspiriert durch die Frauenaktivistin Margaret Sanger und dem Ideal der freien Liebe. Die Amazone soll demnächst an der Seite von Superman und Batman zu sehen sein, als - ja, was eigentlich? Dass die Rolle eher marginal ausfallen wird, hat laut Lepore nicht so sehr mit Wonder Womans vergleichsweise geringem Bekanntheitsgrad zu tun (die letzte TV-Serie wurde 1975 nach drei Staffeln eingestellt), sondern mit Politik: "Superman kommt vom Science Fiction, Batman aus der "hardboiled" Detektivstory. Wonder Woman jedoch kommt direkt aus dem Feminismus. Sie ist das fehlende Glied in einer Ereigniskette, die mit den Sufragetten der 1910er beginnt und mit der schwierigen Situation endet, in der sich der Feminismus 100 Jahre später befindet. Wonder Woman tut sich so schwer im Film, weil der Kampf um die Rechte der Frau ins Abseits geraten ist."

Außerdem: Rivka Galchen porträtiert die Ballerina Misty Copeland. Lizzie Widdicombe besucht eine Modenschau für Übergrößen. Adam Gopnik berichtet, wie Zelda und F. Scott Fitzgerald als "Legenden des Westens" weiterhin die Literatur inspirieren. Sasha Frere-Jones stellt das neue Album von Mike Hadreas alias Perfume Genius vor. Peter Schjeldahl besucht Ausstellungen der Maler Helen Frankenthaler und Morris Louis. Und Anthony Lane stellt Terry Gilliams neuen Film "The Zero Theorem" vor, in dem Christoph Waltz ein Computergenie spielt, das für einen orwellschen Konzern arbeitet.
Archiv: New Yorker

HVG (Ungarn), 03.09.2014

Der Budapester Schauspieler Géza D. Hegedüs, gerade für den Preis der Theaterkritiker nominiert, unterhält sich mit Rita Szentgyörgyi über die Nationwerdung der Ungarn: "Eine Gesellschaft wird dann erwachsen, wenn sie über langfristige Selbstkenntnis verfügt. Nach Antal Szerb gibt es Völker wie die Franzosen und die Engländer, die durch ihr politisches Handeln schrittweise zu Nationen wurden. Aber die Ungarn wurden durch ihre Dichtung zur Nation. (...) Ungarn wird dann erwachsen werden, wenn jedes Individuum sich selbst sieht und wagt, sich selbst kritisch und ironisch zu betrachten, sich selbst zu akzeptieren und auch auszulachen. Wenn es begreift, dass der andere Mensch vielleicht wichtiger ist als er selbst."
Archiv: HVG
Stichwörter: Theaterkritik, Ungarn, Hvg

New York Times (USA), 13.09.2014

In der aktuellen Ausgabe des New York Times Magazine erklärt A. O. Scott, wie der Typ des Patriarchen in der amerikanischen Kultur zu Grabe getragen wird und welche Folgen das hat: "In den letzten 10 Jahren ist im Fernsehen eine Art finale Abrechnung zu beobachten. Die Ära der Verrückten (mad men), Traurigen (sad men) und Bösen (bad men). Don Draper (aus "Mad Men") ist Nachfolger und Vorgänger von Tony Soprano, dieser Inkarnation männlichen Vorrechts, die ihren ererbten Alpha-Status verteidigt. Walter White von "Breaking Bad", kämpfte von Anbeginn gegen seine Entmannung und behauptete die ihm von der Welt streitig gemachte Herrschaft triumphierend (und mit soziopathischer Energie). Die Monstrosität dieser Männer ist untrennbar von ihrem Charisma, und es war nie sicher, ob wir sie lieben oder fürchten sollten. Es war an uns, an ihren Selbsttäuschungen teilzuhaben und sie zu durchschauen, die Maske männlichen Könnens zu bestaunen, auch wenn sie mal verrutschte oder hässlich war. Der Tod dieser Männer ist Höhepunkt und Abschluss zugleich: Tony, Walter und Don sind die letzten Patriarchen … Sieht man sich diese Figuren und ihre jüngsten Nachfahren an, wird klar, dass ein erwachsener Amerikaner zu sein, immer auch hieß, eine symbolische Rolle im Bildungsroman eines anderen zu spielen. Eine Art moralische Kapitulation in einer Kultur, die jugendliche Selbsterfindung für das höchste Gut hält. Damit ist nun Schluss. Der Sieg individueller Likes und Dislikes über den kritischen Diskurs und der unaufhaltsame Aufstieg des Fans haben uns alle zu Kindern gemacht, mit Lieblingsbüchern, -games, -filmen und -songs, die uns trösten, fordern oder erleuchten."
Archiv: New York Times