Magazinrundschau

Freak der Freaks

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
21.11.2017. In der NYRB empfiehlt Timothy Garton Ash den Deutschen, mit ihren Rechten zu reden. Im New Yorker erklärt Peter Schjeldahl seine Frustration mit Leonardo da Vinci. Im New York Magazine überlegt Rebecca Traister, wo genau wir in der Missbrauchs-Debatte gerade stehen. In Eurozine zupft Maurice Earls den Briten schon die Mohnblume aus dem Knopfloch. Micromega beglückwünscht den Zentralrat der Ex-Muslime. Gentlemen's Quarterly erzählt, warum Putin William Browder hasst.

New York Review of Books (USA), 07.12.2017

Timothy Garton Ash erklärt dem internationalen Publikum den Erfolg der Rechtspopulisten in Deutschland und stellt die Führungsriege der AfD vor: die "schrille und unangenehme" Beatrix von Storch, die in der Schweiz residierende Bankerin Alice Weidel, und den Altkonservativen Alexander Gauland, der in seinen Tweed-Jackets "so englisch aussieht, dass er einfach deutsch sein muss". Anders als in den USA und Großbritannien geht es hier nicht um ökonomische Ungleichheit, meint Garton Ash, sondern um eine Ungleichheit der Aufmerksamkeit. "Es ist die Kultur, nicht die Ökonomie, Flachkopf!" Und dann kommt er auch auf Rolf Peter Sieferles Buch "Finis Germania" zusprechen: "Dass der Spiegel Sieferles Buch einfach von seiner Bestseller-Liste verschwinden ließ, ist das extreme Beispiel eines im zeitgenössischen Deutschland verbreiteten Vorgehens. Wer einen bestimmten Punkt überschreitet, der als rechts oder antisemitisch angesehen werden könnte, wird aus der respektablen Gesellschaft ausgeschlossen und mit einem leuchtend roten - oder eher braunen - Buchstaben gebrandmarkt. Nazi-Insignien, Holocaust-Leugnung und Volksverhetzung sind gesetzlich verboten (was Facebook gerade erfahren muss), aber es gibt auch eine breitere gesellschaftliche, kulturelle und politische Durchsetzung von Tabus. Viele würden sagen, dass dies entscheidend zu einer Politik der Mitte und zivilisierten Debatte in Deutschland beigetragen hat. Ich weiß, dass viele junge Deutsche diesen Ansatz aus vollem Herzen unterstützen. Fände es der Rest der Welt etwa besser, wenn Deutschland nicht jedes Anzeichen einer Wiederkehr des Schlimmsten, was die moderne Menschheit hervorgebracht hat, mit einem Tabu belegte? Doch dieser Ansatz fordert seinen Preis, und der Wahlerfolg der AfD zeigt, dass der Preis steigt. Sieferles 'Finis Germania' ist das späte, unbedeutende Werk eines traurigen, verwirrten und doch unbestreitbar großen Geistes. Nur zu sagen: 'Rechts, antisemitisch, revisionistisch - fort mit Dir, Satan, und raus aus der Bestseller-Liste!', ist eine beklagenswert unzulängliche Reaktion. Sieferle mit einem Tabu zu belegen, bestätigte tatsächlich seine Behauptung, dass es dieses Tabu gibt, also etwas, das außerhalb des rationalen Diskurses gestellt wird."

Besprochen werden außerdem Masha Gessens Russland-Buch "The Future Is History" (dem Robert Cottrell allerdings einen etwas lockeren Gebrauch des Totalitarismus-Begriffs vorwirft) und Karl Ove Knausgards Kataloge und Essays für Munch-Ausstellungen in Oslo, San Francisco und New York .

La vie des idees (Frankreich), 18.11.2017

In einem Essay setzt sich Mathieu Ferry mit dem Vorwurf des "Terrorismus gegen die heilige Kuh" in Indien auseinander. Seit ihrer späten Erfindung im Mittelalter und dem damit verbundenen Verbot, ihr Fleisch zu essen, seien dies starke treibende Kräfte der hinduistischen Gemeinschaft gewesen. Bis heute würden sie von der nationalistischen extremen Rechten instrumentalisiert, was eine neue Welle von Lynchmorden belege, die wegen "Terrorismus gegen Kühe" - sprich: dem Verzehr ihres Fleisches - seit 2010 begangen wurden. Ferry erzählt die lange Geschichte dieses Verbots, das in jüngster Vergangenheit teilweise gelockert wurde - allerdings nur in bestimmten sozialen Schichten beziehungsweise Kasten. "Die wirtschaftliche Frustration der herrschenden Kasten gegenüber den niedrigen Kasten und den Muslimen bildet den Kontext, in dem die Zielscheiben der Aggressionen stehen. Die Lynchjustiz ahndet einen wirtschaftlichen Aufstieg, der zwar relativ ist, doch das Überlegenheitsgefühl der herrschenden Kasten bedroht. Die an die Opfer gerichtete Botschaft lautete daher gleichermaßen, kein Rindfleisch zu essen, wie ihren untergeordneten Rang in der sozialen Hierarchie beizubehalten."

New York Magazine (USA), 20.11.2017

Tausende von Frauen sprechen plötzlich offen über sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt. Ist das jetzt ein Moment, in dem die gesellschaftlichen Regeln geändert werden? Oder serviert man den Frauen mit Weinstein und Co ein paar Bauernopfer, in der Hoffnung, danach zum status quo ante zurückkehren zu können? Rebecca Traister versucht in ihrem Essay den Punkt zu bestimmen, an dem wir gerade stehen. Sie spricht dabei auch über die Komplizenschaft von Frauen, die nicht erst beginnt, wenn sie sich vom Boss hofieren lassen oder schweigen, wenn der zu ihnen so reizende Vorgesetzte andere Frauen mit Verachtung behandelt. Denn auch sie sind Teil einer Welt, die Männer in einer Art bevorzugt, "die so selbstverständlich langweilig, unsichtbar und vorhersehbar ist", dass selbst Ausgestoßene wie Weinstein oder Wieseltier oder Spacey eines Tages rehabilitiert werden könnten. "Das kann geschehen, weil wir in Männern - selbst in den miesen - das Talent sehen können. Wir können über ihre Fehler und sexuellen Belästigungen hinwegsehen, weil sie der Welt auch etwas Postives geben. Das ist genau das Gegenteil zu der Art, wie wir Frauen beurteilen, deren Erfolge immer noch munter der Tatsache zugeschrieben werden können, dass der Boss sie gern ficken würde."

MicroMega (Italien), 18.11.2017

Kein deutsches Medium (mit Ausnahme des Humanistischen Pressedienstes, hier) hat über dieses Jubiläum berichtet: Der Zentralrat der Ex-Muslime, der von der Deutschen Mina Ahadi gegründet wurde, feierte letzte Woche sein zehnjähriges Jubiläum - inzwischen hat die Organisation mit Maryam Namazie auch in Großbritannien eine prominente Sprecherin, berichtet Cinzia Sciuto in Micromega: "Eines der Ziele der Bewegung, die in zehn Jahren enorm gewachsen ist und heute Dutzende Vereine in verschiedenen Ländern hat,  besteht darin, der westlichen Öffentlichkeit und insbesondere der Linken zu zeigen, dass die Trennung zwischen Religion und Staat, Säkularismus - mit allen sich daraus ergebenden Rechten, vor allem der Meinungsfreiheit - kein westliches Vorrecht ist, sondern ein universeller Wert, für den in vielen Ländern mit muslimischer Mehrheit heute Hunderte Aktivisten ihr Leben riskieren: Niemand kennt den Wert des Säkularismus besser als jene, die in theokratischen Regimes leben', erklärt Namazie."
Archiv: MicroMega

HVG (Ungarn), 15.11.2017

Man zahlt einen Preis für Widerstand, aber es lohnt sich, meint der Schriftsteller und Dramatiker Mihály Kornis, eine bedeutende Figur schon der ungarischen Samisdat-Literatur, im Gespräch mit Sándor Révész: "In gewissen Momenten muss man auch öffentlich zu seiner Überzeugung stehen. Die Politik redete oft in mein Leben rein und es kann nicht behauptet werden, dass ich nicht erwidert hätte. Ich habe mich oft gegen die Macht gestellt, manchmal sogar gegen die öffentliche Meinung. So erhielt ich auch keine staatlichen Auszeichnungen und ich stehe auch nicht dort, wo ich meiner Meinung nach stehen sollte. Doch langfristig wird es besser für mich sein, dass mich diese heutige Welt ausspuckte."
Archiv: HVG

New Yorker (USA), 27.11.2017

In der aktuellen Ausgabe des New Yorker hinterfragt Peter Schjeldahl den Hype um westliche Kunst am Beispiel von Leonardos "Salvator Mundi" und versucht, dessen Geheimnis zu ergründen: "Ein Grund ist die Vorliebe asiatischer Käufer. Mit Blick auf China spielte [das Auktionshaus] Christie's das christliche Thema des Bildes herunter, indem es ihm den Titel 'männliche Mona Lisa' gab: Vergiss Religion, das hier ist der Superstar der Renaissance! Ein grundsätzlicherer Aspekt des Hypes liegt in der weltweiten Vernarrtheit in die Technik als Quell neuen Reichtums. Leonardo war ein exzentrischer Künstler und ein Bastler ohne Gleichen. Das Geheimnis seiner Bilder gründet in seinen Experimenten mit Chiaoscuro-Glasur. Die Unerforschlichkeit der Mona Lisa übergeht schlicht die Frage, ob es da eigentlich jemals etwas zu erforschen gab. Es handelt sich um ein Kunststück, ein sublimes. Leonardos Hauptqualität des Affekts, kühl kalkuliert, macht ihn zum Freak der Freaks aller Zeiten. Ihn umgibt die Aura des ewigen zwölfjährigen Wunderkinds, geschlagen mit Krieg, Katastrophen und fantastischer Erfindungsgabe. Sein rasender Verstand entwarf dauernd großartige Projekte, die sein unreifer Wille wieder fallen ließ. Er hörte nie auf zu denken, und zwar brillant. An welcher Stelle in Leonardos Werk 'Salvator Mundi' rangiert, muss der Betrachter selbst entscheiden. Für mich bleibt es unklar. Was war Jesus für einer? Einer für alle, glauben die Gläubigen. Einem mehrdeutigen Charakter einen mehrdeutigen Ausdruck zu verleihen, scheint mir nicht so innovativ. Es ist der gleiche Trick wie bei der Mona Lisa: Man verleihe dem Mund und den Augen einen unterschiedlichen Ausdruck. Schaut man auf einen, verändert sich der Seitenblick auf den anderen und umgekehrt. Man versucht, die Eindrücke zu vereinen. Die daraus resultierende Frustration mündet in Ehrfurcht."

Außerdem: Carrie Battan hört Taylor Swifts neues Album "Reputation" und James Wood liest Jon McGregors jüngsten Roman "Reservoir 13".
Archiv: New Yorker

Ceska pozice (Tschechien), 17.11.2017

Přemysl Houda unterhält sich mit dem amerikanischen Philosophen Timothy Morton über globale Erwärmung, Hyperobjekte und den Begriff des Anthropozän. Letzterer beschreibe gerade nicht, so Morton, die Herrschaft des Menschen über die Erde, sondern sei im Grunde "das erste post- oder sogar antianthropozentrische Konzept. Denn es erzählt von Folgen, die der Mensch weder bedenkt noch sich überhaupt vorstellen kann, obwohl sie bereits im Gange sind." Und Morton zitiert den Marx-Ausspruch: "Sie wissen nicht, was sie tun, aber sie tun es." Der Interviewer hält mit Sloterdijk dagegen: "Sie wissen sehr gut, was sie tun, und tun es dennoch!", gerade im Hinblick auf die globale Erwärmung. Doch Morton bleibt hier bei Marx: Unbeherrschbare Phänome wie die Erderwärmung zeigten, dass es absolute Grenzen der Wissenschaft und der menschlichen Erkenntnis gebe. Dennoch plädiert Morton für einen verordneten Willensoptimismus: "Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Fragilität ist der Grund dafür, dass Dinge geschehen. Alles auf der Welt ist fragil. Haben wir keine Angst davor!"
Archiv: Ceska pozice

London Review of Books (UK), 16.11.2017

Hochfrequenzhandel, Landwirtschaft, Wettervorhersage und Erdbebenwarnung stützen sich heute alle auf GPS-Systeme. Thomas Jones liest in Greg Milners spannendem Buch "Pinpoint" die Geschichte der Satellitennavigation nach, die möglich wurde, als das amerikanische Militär in den achtziger Jahren 31 Satelliten in den Orbit schoss: "Lange gab es zwei verschiedene GPS-Signale: ein Hochpräzisionssignal, das nur militärische Empfangsgeräte decodieren konnten, und ein absichtlich beeinträchtigtes Signal für den zivilen Gebrauch, das die eigene Position nur auf ungefähr hundert Meter genau angab. Als sich die amerikanischen Truppen im August 1990, nach Saddam Husseins Invasion in Kuwait, auf den Weg Richtung Golf machten, hatten sie nur dreizehn tragbare GPS-Empfänger der Marke Manpack dabei. Jeder einzelne kostete 40.000 Dollar und wog zwölf Kilo. Das Verteidigungsministerium orderte schnell Tausende Trimpacks, tragbare Empfänger, die der ehemalige Hewlett-Packard-Ingenieur Charlie Trimble entwickelt hatte. Aber das reichte immer noch nicht, weswegen viele Soldaten auf eigene Kosten für 1.000 Dollar den massengefertigten Magellan-Receiver kauften. Die Magellans waren von Ed Tuck entwickelt, einem Venture-Kapitalisten aus der Tech-Industrie mit militärischem Hintergrund. Er wollte billige GPS-Empfänger (für weniger als 300 Dollar) an mittelalte Männer verkaufen, die nicht nach der Richtung fragen oder zugeben wollten, dass sich sich verfahren hatten. Viele seiner frühen Kunden waren allerdings Leute mit einem Boot vor der Küste von Florida - Drogen- und Menschenschmuggler."

Schön gruselig ist die Vorstellung, was Donald Trump mit seinem Atomwaffenarsenal alles anrichten kann, auch Adam Shatz fragt sich, ob man dem narzisstsichen Clown nicht die Macht über die Bombe entziehen müsste. Aber: "Ganz klar, Trump erhöhte das Risiko einer atomaren Konfrontation auf eine Art und Weise, die seine Vorgänger peinlichst zu vermeiden suchten. Aber die Probleme reichen tiefer als Trump, der das groteske Symptom einer nationalen Malaise ist. Eines dieser Probleme ist der dysfunktionale Zustand der amerikanischen Demokratie, die eigentlich einen Politiker verhindern muss, der die Atomwaffen missbrauchen könnte. Ein anderes Problem ist der Fortbestand eines Systems, das auf einer weltpolitischen Führerschaft und einer erklärten Erstschlagsfähigkeit gründet."

Comercio (Peru), 20.11.2017

Der Journalist Renzo Giner Vásquez interviewt den peruanischen Fotografen Javier Gamboa, der innerhalb von vier Jahren auf eigene Faust 70.000 Bücher in die Heimatregion seiner Eltern, die peruanische Provinz Sucre, transportiert und damit die Gründung von inzwischen 33 Bibliotheken initiiert hat. Auslöser war der Besuch einer Dorfschule und ihrer Bibliothek, "ein kleines eineinhalb Meter hohes Regal mit einer Handvoll Büchern. 'Ich bringe dir tausend Bücher, und zwar in einem Monat', sagte ich zu dem Lehrer. Jedem Kind, das eins dieser Bücher bekam, versprach ich ein Geschenk, wenn es das Buch bis zu meinem nächsten Besuch gelesen hätte.' Von den Kindern wiederum kam die Idee, das Projekt auf umliegende Dörfer auszudehnen. 'Wie haben Sie das alles geschafft?' 'Facebook ist einfach unglaublich. In kürzester Zeit findest du tausend Leute, die dir helfen.' Viele der Schüler studieren mittlerweile Jura oder Umwelttechnik an der Universität, mehrere sind sogar in das staatliche Begabtenförderungsprogramm Beca 18 aufgenommen worden."
Archiv: Comercio
Stichwörter: Peru, Faust

Eurozine (Österreich), 17.11.2017

Maurice Earls gibt in der Dublin Review of Books (online in Eurozine) seiner herzlichen Schadenfreude über den Brexit-Schlamassel Ausdruck. Als Ire sieht er natürlich den Anti-Katholizismus als einen Faktor des britischen Exzeptionalismus. Sein Spott konzentriert sich dann ganz auf die Mohnblume im Knopfloch, mit der die Briten ihrer Veteranen, aber auch vergangener Größe gedenken: "David Cameron und Michael Gove waren bei einem Besuch in China einige Jahre nach der Rückgabe Hongkongs empört, dass man sie bat, ihre Mohnblumen zu entfernen, die in diesem Land als ein Symbol der nationalen Erniedrigung während der Opiumkriege angesehen werden. Sie sagten nein und beriefen sich auf ihre politische Freiheit. Damals glaubte der Westen noch, dass Kapitalismus nicht ohne parlamentarische Demokratie funktionieren könne. Nach dem Brexit wird das Vereinigte Königreich, oder was davon geblieben sein wird, Handelsbeziehungen mit der massiven chinesischen Wirtschaft suchen, und seine Repräsentanten könnten sich veranlasst sehen, die Mohnblume wegzustecken. Das Problem mit den Chinesen ist allerdings, dass sie ein gutes Gedächtnis haben. Und sie sind nicht die einzigen: Die Inder sind auch ein bisschen so."
Archiv: Eurozine

Caravan (Indien), 01.11.2017

Gurinder Chadhas Historiendrama "Viceroy's House" über Louis Mountbatten, den letzten britischen Vizekönig Indiens, sorgt für Kontroversen. Die Filmemacherin fühlt sich von der Kritik missverstanden und ist der Ansicht, einen in alle Richtungen ausgewogenen Film gedreht zu haben, was wiederum Manik Shamira so nicht stehen lassen kann: Historische Details seien falsch perspektiviert oder würden als neue Erkenntnis lauwarm präsentiert, obwohl sie von der Geschichtsschreibung seit Jahrzehnten diskutiert werden. Nicht zuletzt schmeichle die Regisseurin der historischen Figur - und geht ihr damit auf den Leim: "Vermutlich versehentlich setzt der Film damit ein Projekt zur Mythenbildung fort, das Mountbatten selbst einst lanciert hat. Zahlreiche Forscher haben darauf hingewiesen, dass Mountbatten dazu neigte, die öffentliche Wahrnehmung seiner Taten und des Erbes der Raj gezielt zu steuern. Der Historiker Ramachandra Guha nannte Mountbatten einst 'einen Pionier der Meinungsmache und des Image-Managements'. ...  Zum Vorteil für Mountbatten ist die Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung mit dem Durchbruch des Films um ein gehöriges Stück einfacher geworden. In der Welt des Kinos, des Fernsehens und der Nachrichten entwickelte er einiges an Schlagkraft - und zwar so sehr, dass seine Auftritte in der BBC zu Glanzzeiten von gut zehn Millionen Leuten verfolgt wurden. Nur die Auftritte der Queen waren noch erfolgreicher. Mountbatten fand viel Gefallen am Kino und lieferte sich mit dem vorletzten Vizekönig, Lord Wavell, Gefechte darüber, ob Kino über der Literatur stehe. Sein ganzes Leben lang trug er in Indien und jenseits davon zu Propaganda-Filmen, Dokumentationen und Spielfilmen bei. Die Manipulationen, die er während seiner Amtszeit in Indien vorantrieb, zählen zu seinen erfolgreichsten und durchschlagendsten. Er hinterließ damit bleibende Verzerrungen in der Geschichtsschreibung des Subkontinents, des Britischen Empires und von seiner Person selbst."

Außerdem: In einer epischen, fast schon Buchlänge erreichenden Reportage schreibt Anna MM Vetticad über die von zahlreichen Skandalen gesäumte Karriere des indischen Schauspielers Salman Khan, der im großen indischen Film-Triumvirat der Khans (neben Aamir und Shah Ruhk Khan) den kontroversen Part übernimmt.
Archiv: Caravan

Slate.fr (Frankreich), 18.11.2017

Slate.fr stellt in Auszügen ein Buch über die Bewegung Young Lords vor, die in den Siebzigern in den USA aktiv war. Es handelte sich um eine Gruppe junger puertoamerikanischer Nationalisten, die sowohl für die Unabhängigkeit ihres Landes als auch gegen jedwede Diskriminierung eintrat. Das Buch rekonstruiert in Erzählungen ehemaliger Aktivisten die vergessene Geschichte dieser "lateinamerikanischen Black Panther", die auch feministisch und schwulenfreundlich waren. Eine von ihnen beschreibt die notwendige Abgrenzung zum Feminismus weißer Frauen: "In der weißen Frauenbewegung hatten viele eine separatistische oder bourgeoise Einstellung und sagten: 'Die Frauen sind unterdrückt, weil sie daheimbleiben müssen und nicht arbeiten dürfen.' … Wir kamen aber aus einer Gesellschaft, in der Frauen fast immer schon gearbeitet haben. In puncto Privilegien und sozialer Klasse haben wir sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten. [...] Einige Frauen haben uns gesagt. 'Ihr müsst eure Männer verlassen.' Aber für uns kam das, trotz unserer Problemen mit Machismus oder Patriarchat, nicht in Frage. Wir wollten in unserer Gemeinschaft bleiben, und dort gab es Männer, Frauen, alte, Junge und Kinder. Wir wollten mit allen reden. Für uns bestand die Antwort auf den Sexismus nicht nur darin, dass sich die Frauen zusammentun und dagegen wehren, sondern auch im Aufbau von Männergruppen, in denen sich Männer mit ihrem eigenen Machismus konfrontieren konnten."
Archiv: Slate.fr

Pandaemonium (Großbritannien), 15.11.2017

Doch, es gibt noch Fairplay in Britannien. Der Runnymede Trust half 1997 mit seinem Bericht "Islamophobia: A Challenge for Us All", den Begriff der "Islamophobie" einzuführen, der dann nach dem 11. September eine ungeahnten Aufstieg erlebte. Nun legt die Organisation eine neue Fassung des Berichts vor - und bat Malik, in einem Kapitel seine Kritik an diesem Begriff zusammenzufassen. Dieses Kapitel veröffentlicht er in seinem Blog. Er betont wie schon so oft, dass "Fanatismus und Hate Speech bekämpft werden müssen, aber vor allem auf einer politischen und moralischen Ebene, und nicht durch eine Gesetzgebung, die die Redefreiheit einschränkt". Gegen die auch von immer mehr Linken geforderten Sprechverbote setzt er die Erfahrung, dass Verbote meist auf eine Macht verweisen: "'Du darfst das nicht sagen' ist allzu häufig die Antwort der Machthabenden auf jene, die sie in Frage stellen. Zu akzeptieren, dass bestimmte Dinge nicht gesagt werden dürfen, heißt zu akzeptieren, dass bestimmte Formationen der Macht nicht in Frage gestellt werden dürfen. Die Bedeutung der Redefreiheit liegt gerade darin, dass sie die Idee von Tabuzonen in Frage stellt. Darum ist sie nicht nur in der Praxis der Demokratie wesentlich, sondern gerade für Gruppen, die an dem demokratischen Prozess bisher nicht teil hatten und deren Stimmen zum Beispiel aus Rassismus zum Schweigen gebracht wurden."
Archiv: Pandaemonium

Hospodarske noviny (Tschechien), 16.11.2017

Anlässlich des hundertsten Jahrestags der Oktoberrevolution bemerkt der Ökonom Tomáš Sedláček in seiner Kolumne: "Wenn man sich Marx' Ziele anschaut, die er im Kommunistischen Manifest formulierte (kostenfreie Gesundheitsfürsorge, kostenfreie Bildung, Schutz der Arbeitenden), so wurden diese eher vom Kapitalismus realisiert als durch die von ihm vorgeschlagenen Methoden. Der demokratische Kapitalismus hat also den Kommunismus mit seinen eigenen Waffen geschlagen - er konnte dessen Träume erfüllen, ohne seine Methoden zu übernehmen. Ist der demokratische Kapitalismus fehlerlos und nicht zu verbessern? Natürlich nicht! Aber wer möchte heute schon nach Nordkorea emigrieren? Nicht einmal Marx würde es wollen, wenn er noch lebte."

Gentlemen's Quarterly (USA), 01.12.2017

Sean Flynn erzählt die Geschichte des amerikanischen Geschäftsmanns William Browder, der in Russland einen Hedge Fonds managte, bis sein Steueranwalt Sergej Magnitsky in einem russischen Gefängnis zu Tode gefoltert wurde, nachdem er einen Steuerbetrug russischer Gangster aufgedeckt hatte. Browder, der die Verantwortlichen bestraft sehen wollte, kehrte in die USA zurück und machte so lange Stunk, bis 2012 der "Magnitzky Act" erlassen wurde, den Diktatoren überall auf der Welt hassen. Denn unter diesem Gesetz können ihre Gelder eingefroren und Einreiseverbote für die USA verhängt werden. Die Russen versuchen alles, dieses Gesetz zu kippen. Inzwischen wird Browder sogar beschuldigt, Magnitsky selbst ermordet zu haben. Umso bestürzender für ihn als er erfuhr, dass Donald Trump Jr. sich während des US-Wahlkampfs mit einer russischen Anwältin getroffen hat, die im Auftrag ihrer Regierung den "Magnitzky Act" zu Fall bringen soll. Die Russen versuchen gleichzeitig immer wieder, Browders Auslieferung durchzusetzen, zuletzt in Britannien. "Am Ende war es für Browder nur eine Unbequemlichkeit. Aber was, wenn er in Finnland gewesen wäre? Die Finnen sind gute Leute, aber sie haben auch eine 500 Meilen lange Grenze mit Russland. Würde ihnen Bowder einen internationalen Konflikt mit einem größeren, aggressiveren Nachbarn wert sein? Er kann vernünftigerweise sagen, dass er das nicht wert wäre. 'Ich bin sehr realistisch, wer zu meiner Verteidigung käme', sagt er. 'Ich bin meine Verteidigung.'"