Magazinrundschau

Die Schurken waren die Präsidenten

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
31.07.2018. Die New York Review of Books sucht den tiefen Staat und findet ihn im Weißen Haus. Silicon Valley rückt nach links und frönt nach dem Libertarismus jetzt dem Liberaltarianismus, informiert Wired. Ludwig Erhard wäre begeistert. Bei Lidovky empfiehlt der türkische Autor Murat Uyurkulak seinen ungeduldigen Kollegen, sich ein Beispiel an Homer zu nehmen. Die London Review liest die beste de-Gaulle-Biografie, die selbstverständlich aus England kommt. Die New York Times erzählt, wie man mit Yoga, Nationalismus und Religion zum Milliardär wird.

New York Review of Books (USA), 16.08.2018

Wenn #MeToo bisher vor allem auf die glamouröse Sphäre von Film und Medien beschränkt war, dann schafft Bernice Yeung mit ihrem Buch "In a Day's Work" ein gutes Gegengewicht, finden Alissa Quart und Barbara Ehrenreich: Die Journalistin recherchiert seit etlichen Jahren zu Ausbeutung und Missbrauch von armen Frauen, von Haushaltshilfen, Putzfrauen und Erntehelferinnen, die stets um ihre Existenz bangen müssen, ihre Rechte nicht kennen oder im Falle von Migrantinnen die Abschiebung fürchten müssen: "'In a Days's Work' bietet zahlreiche Beispiele von Frauen aus der Arbeiterklasse, die nur ein bisschen Ermutigung bräuchten, um ihre Rechte zu verteidigen. Georgina Hernández, Hotel-Putzfrau und Vergewaltigungsopfer, machte ihre Fall öffentlich, nachdem sie die Arbeitsaktivistin Vicky Márquez getroffen hatte, die sie überzeugte, dass eine Klage ihr bereits schwieriges Leben nicht noch härter machen würde. Nach dem ersten Schritt war sie 'stolz, dass sie ihre Ängste überwunden und dem, was ihr widerfahren war, etwas entgegensetzt hatte'. Yeungs Buch macht vor allem deutlich, dass Feministinnen nicht zuerst ein politisches Programm brauchen. Wir brauchen zuallererst Einigkeit oder, wie wir früher sagten, Schwesterlichkeit."

Mit den früheren CIA-, NSA- und FBI-Chefs Robert Mueller, Michael Hayden, John Brennan und James Comey hat Donald Trump unangenehme Gegner bekommen. Sie verabscheuen den lügenden und irrlichternden Präsidenten zutiefst und wissen, wie man eine Anklage eintütet. Auch wenn Tim Weiner als Autor kritischer Geheimdienstbücher kein Freund dieser eitlen, machtbewussten und durchaus konservativen Männer ist, nimmt er sie vor dem Vorwurf in Schutz, einen tiefen Staat zu bilden. Den habe es überhaupt nie gegeben, meint Weiner, nicht einmal unter J. Edgar Hoover: "Nach Watergate enthüllte die Untersuchung von Senator Church etliche Fälle von Amtsmissbrauch durch FBI, CIA und NSA. Berühmt ist sein Ausspruch, dass sich die CIA wie 'ein wildgewordener Elefant' aufführte. Doch dies verfehlte den bedeutendsten und verstörendsten Punkt in einer bis dahin unbekannten Geschichte. Es brauchte Jahre, um die harten Fakten zu erkennen: Bis auf sehr wenige Ausnahmen, führten die Herren der Nationalen Sicherheit Befehle aus dem Weißen Haus aus. Präsident Franklin D. Roosevelt hatte Hoover heimlich Überwachungen ohne richterlichen Beschluss erlaubt und damit ein klares Urteil des Obersten Gerichts von 1940 missachtet; Hoover behielt das Papier mit der Anordnung sein Leben lang in seiner Schublade. Von Eisenhower bis Nixon brachten Präsidenten das FBI, die CIA und die NSA dazu, Amerikaner und ihre politischen Gegner auszuspionieren. Die Schurken waren die Präsidenten, nicht die Nachrichtendienste."

HVG (Ungarn), 21.07.2018

In der vergangenen Woche verstärkte sich die in Regierungskreisen geführte Debatte über die grundlegende Änderung der Kulturpolitik hin zu einem markanten rechten Kurs in den Film- und Theaterkünsten sowie in der Literatur. Der vorläufige Höhenpunkt wurde letzten Samstag im rumänischen Tusnad erreicht, wo der ungarische Ministerpräsident bei seiner jährlichen Ansprache vor den dort lebenden Ungarn umwälzende Veränderungen im Bereich der Kultur ankündigte, ohne näher auf Einzelheiten einzugehen. "Die neuen Angriffe passen in den Zeitgeist, der in Ermangelung eines besseren Begriffs mit dem Namen Trump beschrieben werden kann", kommentiert Péter Hamvay. "Der konservative ungarische Magen muss es noch verdauen, dass die Angelegenheiten der Welt nunmehr von Milo Yiannopulos gedeutet werden. Aus dieser Sicht sind der bereits zur Seite gedrängte ehemalige Kulturminister Géza Szőcs, die aufs Abstellgleis geschobene ehemalige Direktorin des Balassi Instituts Judit Hammerstein oder der Direktor des Petőfi Literaturmuseums Gergely Prőhle so unerwünschte, 'obsolete' Figuren, wie alle linksliberalen Intellektuellen. Viktor Orbán muss sich lediglich zurücklehnen und zugucken, wie die Intelligenzija in diesem Kulturkampf verblutet, damit ihr Platz von Publizisten, welche 'die Sprache des Volkes' besser verstehen, übernommen werden kann."
Archiv: HVG
Stichwörter: Ungarn, Orban, Viktor, Kulturkampf, Hvg

Wired (USA), 24.07.2018

Die libertäre Staatsskepsis, die in den Neunzigern im Silicon Valley und im frühen World Wide Web noch allgegenwärtig war, hat sich gewandelt: Auf den ersten Blick ist der Tech-Sektor in zahlreichen politischen Fragen nach links gerückt und unterstützt gesellschaftspoltische Forderungen, die nur mit einem starken und nicht mit einem nach libertären Vorstellungen abgeschwächten Staat zu meistern sind, erklärt Steven Johnson. Doch hat eine große Umfrage nun auch ergeben, dass diese Positionen keineswegs konsequent im Sinne einer orthodox linken Weltsicht formuliert werden, sondern sich insbesondere dann eine bemerkenswerte Elastizität in politischen Fragen zeigt, sobald die eigene Branche betroffen ist: "Die Tech-Elite wünscht sich zwar eine aktivistische Regierung, möchte aber nicht, dass die Regierung sie aktiv beschränkt (62 Prozent der Befragten erklärten den Stanford-Forschern, dass die Regierung Unternehmen nicht engmaschig regulieren, sondern lieber die Reichen besteuern solle, um soziale Programme zu finanzieren). Wenn es um die Umverteilung des Wohlstands und soziale Sicherheiten geht, klingen sie wie nordeuropäische Progressive. Fragt man sie nach Gewerkschaften oder Regulierungen, klingen sie wie die Koch Brothers. ... Doch den Forschern Brink Lindsey und Steven Teles zufolge ist der Tech-Sektor tatsächlich in eine Position gestolpert, deren Ideologie sich als kohärenter erweist als man zuerst vermuten würde. Sie nennen sie 'Liberatarianismus'. Lindsey, Vizepräsident des Niskanen Zentrums in politischen Fragen, einem Think Tank, der liberaltäre Positionen unterstützt, beschreibt die Ideologie als belebt von der 'Idee der freien Marktwirtschaft innerhalb eines Wohlfahrtstaats. Manche sehen darin einen Widerspruch in sich, für uns stellt sich so aber eine gute, dem 21. Jahrhundert gemäße Regierungspolitik dar: Sie kombiniert einschneidende Umverteilungen und soziale Ausgaben mit hippem Marktwettbewerb.'" Ach ja? Wir nennen das soziale Marktwirtschaft, und das schon ziemlich lange.
Archiv: Wired

Lidove noviny (Tschechien), 27.07.2018

Schon zum achtzehnten Mal findet dieses Jahr der "Monat der Autorenlesungen" statt, das größte mitteleuropäische Literaturfestival, das zeitgleich Lesungen in den Städten Brno und Ostrava (Tschechien), Košice (Slowakei), Wrocław (Polen) und Lwiw (Ukraine) bietet - diesmal mit dem Gastland Türkei und zahlreichen türkischen Autoren. Bei dieser Gelegenheit hat sich Radim Kopáč mit dem türkischen Schriftsteller Murat Uyurkulak unterhalten, der wegen seiner Unterstützung der kurdisch-türkischen Zeitung Özgür Gündem letztes Jahr zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten mit Strafaufschub verurteilt wurde. Die Zeitung wurde 2016 verboten, aber Uyurkulak berichtet von dem Nachfolgeprojekt Yeni Yaşam (Neues Leben), das seit zwei Monaten online aktiv sei und wo auch er eine Rubrik habe. "Ich tue das, damit die Kurdenfrage durch den Weg der Versöhnung gelöst wird, und nicht durch Gewalt." Daneben kann er immer noch Romane publizieren. Aber ob er an die Kraft der Literatur glaubt? "Die Literatur sollte man nicht auf eine politische Mission schicken. Und sie nicht als eine Anleitung zur Weltverbesserung betrachten. Literatur ist ein langsamer Prozess. Dort, wo sie heute ist, ist sie dank Homer - und was hat Homer in seiner Zeit verändert? Eigentlich nichts." In der gegenwärtigen türkischen Literatur beobachte er - in Gedichten, Erzählungen, Romanen - eine sehr starke junge Autorengeneration. "Falls westliche Verleger sie entdecken, würde ich ihnen allerdings empfehlen, nicht immer nur Moscheen und Halbmonde auf den Umschlägen abzubilden - sie sollten auf diesen klischeehaften Orientalismus verzichten."
Archiv: Lidove noviny

London Review of Books (UK), 02.08.2018

Als Meisterwerk feiert Ferdinand Mount "A Certain Idea of France", eine Biografie des unvergleichlichen Charles de Gaulle, die der britische Historiker Julian Jackson vorgelegt hat. Klar und geistreich sei sie, aber auch deutlich kritischer als bisherige Bücher über den General, unter dem Politik zum permanenten Staatsstreich wurde und der es einfach nicht einsehen wollte, dass ihn jemand kritisieren durfte, nur weil er 'in irgendeinem Winkel des Landes gewählt worden war'. Überhaupt bleiben Mout die politischen Vorstellungen de Gaulles reichlich fremd: "Die Größe Frankreichs, seine Unabhängigkeit von der Außenwelt, das war die certaine idée, die ihn von Beginn an trieb. Was nicht heißt, dass er das Frankreich, wie es tatsächlich existierte, nicht ebenso verachtete wie die Franzosen, denen er tatsächlich begegnete. An dem Tag, als Pompidou zu seinem Nachfolger gewählt wurde, erklärte er gegenüber seinen Freunden, dass Frankreich den Weg in die Mittelmäßigkeit eingeschlagen habe. 'In der Mehrheit sind die Franzosen von heute als Volk noch nicht groß genug, um das Frankreich zu bewahren, das ich dreißig Jahre lang in ihrem Namen vertreten habe.' Gegenüber dem ergebenen Malraux beklagte er, dass 'die Franzosen keinen nationalen Ehrgeiz mehr verspüren... Ich habe sie mit Flaggen amüsiert.' Ein bedrückendes Verdikt, aber ein treffendes. Was bleibt am Ende von seiner Politik der nationalen Unabhängigkeit, seinen mutwilligen Annäherungen an Russland und China, vor allem von seinem Raushalten der verhassten Angelsachsen? Der Brexit dürfte ihm gefallen haben - so wie auch viele eiserne Brexiteers glühende Gaullisten sind."

Weiteres: Als Schlüsselroman über den britischen Literaturbetrieb gehört Olivia Langs Autofiktion "Crudo" zu den heißesten Neuerscheinungen auf der Insel. Johanna Biggs fand zwar heraus, dass Langs Twitter-Account als Schlüssel zu Personen und Ereignissen dienen kann, fragt sich am Ende aber doch: "Warum einen Roman schreiben, wenn der Großteil von 'Crudo' wahr ist?" David Runciman bespricht die Erinnerungen von Barack Obamas außenpolitischem Redenschreiber Ben Rhodes. Und John Lanchester liefert die  Kurzgeschichte "Love Island".

Slate.fr (Frankreich), 31.07.2018

Jan Banning - Red Utopia. Büro einer Kommunistischen Partei. Foto aus dem vorgestellten Band 

Fanny Arlandis stellt in einem Fotoessay einige höchst melancholische Fotos des Fotografen Jan Banning vor, der Büros kommunistischer Parteien, wo immer sie noch existieren - fotografierte. Aber nicht in Ländern, wo sie an der Macht sind! Zitat Banning: "Einige visuelle Besonderheiten sind mir aufgefallen. In Russland regierte die Kommunistische Partei das Land bis 1990. Das Lustige ist, dass heute die großen Plakate, die riesigen Fotos, die für große Büros bestimmt waren, in winzigen Räumen in kleinen Städten stehen. Ich denke, das unterstreicht den Verfall der Partei umso mehr." Mehr Bilder (und Bestellmöglichkeit) bei Nazraeli Press und auf der Website des Fotografen.
Archiv: Slate.fr
Stichwörter: Banning, Jan, Utopia

Elet es Irodalom (Ungarn), 27.07.2018

Der Lyriker Dénes Krusovszky veröffentlichte vor kurzem seinen ersten Roman "Akik már nem leszünk soha" ("Wer wir nie mehr sein werden", Magvető Budapest, 2018, 540 Seiten), eine Generationen und Grenzen übergreifende Geschichte von 1956 bis heute. Im Gespräch mit Csaba Károlyi erklärt Krusovszky die Rolle der Zeit in seinem Werk. "Es bewegt mich einfach zu sehen, was das Dasein in der Zeit für einen heute lebenden Menschen bedeutet: wie wirkt sie sich auf uns aus, welche ihrer Schichten sehen wir und wie können wir unsere Zeit bewohnen. Wenn ich zum Beispiel höre, dass die Welt schneller geworden ist, fühle ich stets, dass dies eher eine Metapher für eine Art Unaufmerksamkeit oder Ungeduld ist, denn die Welt an sich ist nicht langsamer oder schneller als jemals zuvor. Also drücke ich es so aus, dass mich diese Unaufmerksamkeit erregt. Die Zeit ist nicht in jedem Roman gleich betont, doch es gibt kaum einen, in dem sie gar keine Rolle spielt. Im Falle meines Buches denke ich, dass die Zeit nicht nur Thema oder Motiv ist, sondern irgendwie auch der Grund für die ganze Erzählung."

New York Times (USA), 28.07.2018

Im aktuellen Heft des Magazins beschäftigt sich Robert F. Worth mit dem Imperium des indischen Yogi Baba Ramdev. Was steckt alles hinter dem religiösen Traditionalismus des Gründers, der mit Ayurveda-Kuren und Yoga-Camps zum Milliardär wurde? "Ramdev ist mehr als ein Heiliger, er ist der perfekte Bote einer aufsteigenden Mittelklasse, die nach religiöser Bestätigung hungert und genug hat vom sozialistischen, rationalistischen Erbe Jawaharlal Nehrus. Er hat sehr erfolgreiche Kampagnen gegen die Korruption geführt und den wirtschaftlichen Nationalismus gegen 'neokoloniale Schurken' ausgespielt. In gewisser Weise hat er den Hinduismus transformiert, indem er Patriotismus, Gesundheit und Religion darunter vereint hat. Es ist ein härterer Hindu-Nationalismus, der oft aggressiv gegen Indiens 172 Millionen Muslime auftritt … Auf seine Art ist er Indiens Antwort auf Donald Trump. Es wird spekuliert, ob er für den Posten des Premiers kandidieren wird. Wie Trump führt er ein Multimilliardendollar-Imperium, und wie Trump hat er eine starke Fernsehpräsenz, und seine Beziehung zur Wahrheit ist dehnbar. Außerdem lässt er keine Chance zum Branding aus, sein Name und sein Gesicht sind in Indien überall, auf Nudeln, Bodenreiniger und SIM-Karten … Oberflächlich betrachtet ist sein gesegnetes Auftreten von Trump meilenweit entfernt. Doch seine Aktivitäten bemänteln eine reaktionäre Kampagne zur Transformation der Nation. Fühlt er sich herausgefordert, zeigt er mit dem Finger auf 'korrupte' Mitglieder innerhalb der säkularen Elite. Letztes Jahr verhinderte ein Richter die Veröffentlichung einer kritischen Ramdev-Biografie und verhängte einen Maulkorberlass über die Autorin. Sie durfte das Buch nicht einmal in den sozialen Medien erwähnen. In gewisser Weise ist Ramdev mächtiger als jeder Premier. Vielleicht gehört er einer ganz neuen Kaste an; ein populistischer Tycoon, geschützt vor seinen Kritikern und sogar vor dem Gesetz durch eine riesige Gefolgschaft und den Ruf heiliger Absichten."

Außerdem: Taffy Brodesser-Akner sucht das Geheimnis hinter Gwyneth Paltrows megaerfolgreicher Wellness-Marke Goop. Und Stephen Kearse untersucht die Verwerfungen in postmodernen Partnerschaften.
Archiv: New York Times