Magazinrundschau

Ist das Kunst oder schon Verbrechen?

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
16.07.2019. Der Guardian staunt über das Ausmaß der Korruption des ANC. In 168 ora findet der Kadar-Biograf György Földes die Gleichsetzung des Orban-Regimes mit dem Kadars etwas sehr bequem. In American Interest ruft der russische Autor Boris Akunin dem Westen zu: Helft der Ukraine! Respekt feiert die Präsidentin der Slowakei, Zuzana Čaputová, als neuen Havel. In der London Review wünscht sich Adam Tooze eine neue, europafreundlichere deutsche Regierung. Die New York Times porträtiert den russischen Künstler Pjotr Pawlenski.

Guardian (UK), 15.07.2019

Wer in Südafrika etwas werden will, braucht einen Auftrag, eine Lizenz oder einen Posten vom Staat. Wer Zugang zum Staat will, braucht den ANC, und Zugang zum ANC bekommt, wer das nötige Geld aufbringt. Unter Jacob Zuma hat der ANC den Staat gekapert, berichtet Mark Gevisser mit leichter Verzweiflung. Wie allumfassend die Korruption in Südafrika ist, zeigt der Fall der Brüder Watson, der im Land gerade für größte Aufregung sorgt. Gavin Watson und seine jüngere Brüder waren Heroen des Anti-Apartheid-Kampfes, sie gaben ihre Rugby-Karriere bei den Springboks auf, weil sie nicht in einem Club spielen wollten, der keine Schwarzen aufnahm. Jetzt kursiert ein Video, auf dem Angestellte von Watsons Firma Bosasa Millionen zählen, angeblich Schmiergelder: "Den Aussagen von vier Whistleblowern zufolge, alles frühere Bosasa-Manager, wurden rund fünf Millionen Dollar Schmiergeld gezahlt, um Aufträge zu sichern. Sie sprechen von einer Unternehmung in industriellem Maßstab, bei der Gelder erst gewaschen und dann verteilt wurden, um Einfluss zu kaufen, Verträge zu sichern und der Strafverfolgung zu entkommen. Sie berichten von Bargeld, das in Louis-Vuitton-Taschen gestopft und als Geschenk oder in monatlichen Raten neben der Autobahn übergeben wurde. Staatsbeamte erhielten Autos und Häuser, kostenlose Sicherheitsausstattungen oder Schulbesuche für ihre Kinder - sogar monatliche Fleischvorräte. Der frühere Präsident Jacob Zuma wurde in einer Aussage namentlich genannt als Empfänger von Geschenken, und er soll derjenige gewesen sein, der die 2007 begonnenen Ermittlungen gegen die Firma gestoppt hat. Selbst der derzeitige Präsident Cyril Ramaphosa, der sich mit dem Versprechen wählen ließ, der Korruption den Garaus zu machen, akzeptierte unwissentlich für seinen Wahlkampf gegen Zuma eine Spende von Watson: Bosasa hatte Ramaphosas Sohn Andile ein Honorar für 'beratende Dienste' gezahlt."
Archiv: Guardian

168 ora (Ungarn), 14.07.2019

Vor dreißig Jahren, am 6. Juli 1989, an dem Tag als das Oberste Gericht Ungarns den 1958 hingerichteten Imre Nagy (Ministerpräsident während der Revolution 1956) rehabilitierte, starb der seit 1956 regierende kommunistische Staatschef János Kádár. Zu seinem Begräbnis kamen wider Erwartung hunderttausende Menschen. Seit der ersten Regierung von Viktor Orbán (1998-2002) aber insbesondere seit 2010 wird Orbans System mit dem von János Kádár verglichen. Der Historiker und Biograf von Kádár, György Földes, hält eine Gleichsetzungen für falsch und begründet dies in einem Gespräch mit Attila Buják: "Es ist ein ziemlich oberflächlicher Gedankengang, die zwei Regime, das von Kádár und Orbán, miteinander parallel zu setzen. Diese Meinung teilte ich nie, es ist unfruchtbar und täuschend, die Orbán mit Kádár gleichzusetzen. Ich glaube ebenso wenig an die These vom 'Schafsvolk' oder an den Homo Kadaricus, der alle Veränderung über Epochen hinaus überlebt haben soll. Das gegenwärtige 'System der Nationalen Kooperation' ist eine neue Erscheinung. Weder die Korruption noch die gesellschaftlichen Ungleichheiten waren vergleichbar. Das System von Kádár war ein integrierendes Einparteiensystem, Orbáns System ist ein exkludierendes Mehrparteiensystem. Ich halte es weder für zielführend noch für wissenschaftlich fundiert, dreißig Jahre nach der Wende den Großteil der heutigen Probleme auf das kommunistische System zurückzuführen. Sowohl die antikommunistischen Liberalen als auch die Neokonservativen versuchen damit, von der eigenen Verantwortung abzulenken."
Archiv: 168 ora

American Interest (USA), 12.07.2019

Jeffrey Gedmin und Laure Mandeville führen ein lesenswertes Gespräch mit dem Krimiautor und Japan-Verehrer Boris Akunin, der Russland vor einiger Zeit verlassen hat - unter anderem, weil er gegen die Besetzung der Krim protestiert hat. Akunin ist auch Autor einer Geschichte Russlands und entwickelt die These, dass das Land immer wieder zum Autokratismus zurückkehren wird, weil es sonst seine gewaltige Fläche nicht beherrschen könne. Erst eine Dezentralisierung des Landes könne in die Demokratie führen. Auf die Frage, was der Westen für Russland tun könne, antwortet er: in Ruhe lassen. "Was der Westen dagegen meiner Meinung nach tun kann, ist, der Ukraine zu helfen, einem neuen Land, einer jungen Demokratie, noch instabil und verletzlich. Wenn die Demokratie in der Ukraine gewinnt, wäre das ein gewaltiger Antrieb für die demokratische Bewegung in Russland. Für uns ist die Ukraine eine Art alternatives Russland, ohne die Bürde einer imperialistischen Vergangenheit und mit der Freiheit, seine Führer zu wählen. Aber die Ukraine ist arm und desorganisiert. Die Russen blicken darauf und sagen sich: Demokratie ist nicht gut. Um es einfach zu machen: Wenn die Ukrainer in der Demokratie besser leben als die Russen, dann wird sich auch Russland in diese Richtung bewegen."

Respekt (Tschechien), 14.07.2019

Optimistisch zeigt sich Marek Švehla im Bezug auf das Nachbarland Slowakei und dessen neue Präsidentin Zuzana Čaputová: "Es mag wie ein Klischee klingen oder vielleicht wie eine etwas krampfhafte Suche nach neuen politischen Helden in Zeiten, in denen es keine gibt. Doch (…) schon innerhalb kurzer Zeit nach ihrem Betreten der politischen Bühne zeigt sich, dass Zuzana Čaputová so eine Persönlichkeit ist und sein wird. Man könnte arbeitshalber sogar davon sprechen, dass in der Region ein neuer Václav Havel herangewachsen ist. Er ist keine Nachbildung des alten. Er ist unter neuen Bedingungen und mit anderen Erfahrungen herangewachsen, aber mit einer ähnlichen Überzeugungskraft, Authentizität und vor allem den gleichen Idealen, auf die man sich stützen kann. Čaputová brachte vergangene Woche ein paar Dinge fertig, bei denen traditionellen Havlisten das Herz warm werden dürfte. Dem chinesischen Außenminister hielt sie bei einem Treffen in Bratislava Menschenrechtsverletzungen vor. Bei einem Budapest-Besuch verkündete sie, dass die Visegrád-Gruppe sich für demokratische Werte und den Rechtsstaat starkmachen müsse. Daneben schaffte sie es, sich vor dem Bratislaver Konzert mit Sting fotografieren zu lassen (oder vielleicht eher Sting sich mit ihr) und am Wochenende das Pohoda-Festival in Trenčín zu besuchen. Man muss nicht das berühmte Foto des besten tschechischen Präsidenten mit den Rolling Stones kennen, um verkünden zu können: Havel ist zurück, hübscher als früher und mit neuer Kraft."
Archiv: Respekt

London Review of Books (UK), 14.07.2019

Ausführlich erzählt der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze die vergangenen zwanzig Jahren deutscher Parteipolitik nach, vor allem als Geschichte des sozialdemokratischen Kollaps nach der Agenda 2010. Wenn es um die verschiedenen Spaltungen im Land geht, misst er ihr ein noch größeres Gewicht bei als der Flüchtlingspolitik von 2015 oder dem Aufsteig der AfD, vor allem weil die soziale Ungleichheit im Wohlfahrtsstaat Deutschland so groß sei wie in anderen Ländern, die soziale Mobilität aber viel geringer. Am Ende zeigt er vor allem Ungeduld mit der Regierung Merkel: "Es gibt an der deutschen Demokratie viel zu bewundern. Sie ist flexibel, offen, und immer bereit zur Veränderung. Die sechs Parteien, aus denen sie nun besteht, spiegeln die Spaltungen der deutschen Gesellschaft wider. Die Komplexität reflektiert die Realität. Aber kann sie auch Führung hervorbringen? Die Antwort ist nicht nur für Deutschland entscheidend, sondern auch für Europa. Es braucht eine klare deutsche Position in etlichen Fragen, vom Brexit und der Entwicklung der Eurozone bis zum Klimawandel und zur Sicherheitspolitik im Zeitalter von Donald Trump. Ein Fenster strategischer Möglichkeiten schloss sich 2017, als Emmanuel Macron vergeblich auf eine Antwort aus Deutschland auf seine Sorbonne-Visionen für Europas Zukunft wartete. Europa kann sich keinen weiteren Aufschub leisten. Eine Neuaufstellung der Berliner Politik kann womöglich eine entschiedenere, pro-europäischere Regierung hervorbringen. Aber das ist Spekulation. Und wie lange wird es dauern? Bis dahin hat es Europa mit einer Regierung in Berlin zu tun, die ein politischer Zombie ist, Relikt einer vergangenen Zeit."

Andrew O'Hagan war bei der Abschiedsfeier für Karl Lagerfeld im Grand Palais und hängt dabei seinen Erinnerungen an den Couturier nach: "Das Licht begann sich zu verändern, und ich sah, wie sich Wolken über der riesigen Glasdecke gebildet hatten. Pharrell hüpfte auf seine Fußspitzen und alle standen auf. Die Person vor mir trug einen Lederrock und silberne Plateauabsätze. Sie hatte rote Haare, eine Jacke aus roten Pfingstrosen, blutrote Nägel und einen vollen, dunklen Bart. Sie wischte eine Träne ab. 'Mode ist auch ein Versuch, bestimmte unsichtbare Aspekte der Realität des Augenblicks sichtbar zu machen', schrieb Lagerfeld."

Weiteres: John Lanchester plädiert für das bedingungslose Grundeinkommen und will sich nicht dadurch beirren lassen, dass auch die Ultraliberalen und Libertären im Silicon Valleys die Idee unterstützen. Seamus Perry liest Gedichte von W.S. Graham. Clare Bucknell vertieft sich in einen Band über Geschlechtskrankheiten in der Imagination des 18. Jahrhunderts. Eleanor Nairne schreibt anlässlich einer Ausstellung in der Tate Liverpool über Keith Haring.

Eurozine (Österreich), 12.07.2019

Zsófia Lóránd erinnert an die feministische Bewegung vor 1989 in Osteuropa, vor allem im früheren Jugoslawien: "Die Erinnerung an den Feminismus in Osteuropa nach 1989 ist getrübt von der weit verbreiteten Angst, den Begriff radikaler Feminismus zu benutzen, der den Wunsch nach tiefgreifender sozialer Veränderung bezeichnet, um die Unterdrückung der Frau in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen auszumerzen. Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und Postfeminismus haben den Kampf für Frauenrechte und das Gespräch über Frauen als solche weitgehend ersetzt - ein Prozess, der in Ost und West gleichermaßen stattfand, der aber im Westen interessanterweise als Problem des Ostens gesehen wird und umgekehrt. Geht es um die Auslegung von 1989, so kompliziert ein Generationenclash nicht nur  die Erinnerung an, sondern auch die Zukunft der feministischen Bewegung, unabhängig von Grenzen … Um zu verstehen, was 1989 für den Feminismus in Ost- und Westeuropa bedeutete, und um ihn in der Mitte zwischen Ost und West anzusiedeln, hilft der Blick auf Jugoslawien, wo eine Art frühes Treffen zwischen Ost und West stattfand, eine Ahnung dessen, was nach 1989 geschah. Wie Frauen im restlichen Osteuropa auch, waren Feministinnen im zweiten Jugoslawien inspiriert durch zweite Welle des Feminismus im Westen. Es handelte sich um eine kleine, aber höchst kreative und mutige Gruppe, die in den 1970er Jahren die mögliche Neubewertung und eine konstruktive Kritik der staatssozialistischen Emanzipation wagte. Diese Frauen wollten in einem Staat leben, der die Gleichberechtigung ernst nimmt. Dieser seltene Fall eines feministischen Dissenz in einem sozialistischen Staat erwuchs aus dem kreativen Miteinander von Ideen, Diskurs und Menschen aus Ost und West. Die jugoslawischen Feministinnen erkannten das Wissenspotenzial der westlichen Feministinnen und dachten, dass der jugoslawische Sozialismus hinter seinen Möglichkeiten, die Frau zu befreien, zurückblieb. In den 70ern und 80ern erschufen sie eine eigene Version des Feminismus, die auf dem zeitgenössischen intellektuellen Diskurs, etwa der Frankfurter Schule, basierte und zugleich dessen Mängel erkannte."
Archiv: Eurozine

Jungle World (Deutschland), 04.07.2019

Georg Seeßlen hält in einem großen, seeßlen-typisch mäandernden Essay Rückschau auf das, was einmal das späte Goldene Zeitalter der Serie gewesen sein wird. Im Zynismus und in der Textur- und Elendsfreudigkeit neuerer Serien identifiziert er einen "kapitalistischen Realismus", Produkte aus einer "unerlösten, zerfallenden und antiutopischen Welt" - und im Weltenflucht-Angebot "Game of Thrones", schreibt er, wird wohl das letzte Aufflackern jener Medienzeit zu beobachten gewesen sein, als es Fernsehinhalten noch gelang, weite Teile der Gesellschaft an einem Lagerfeuer-Ersatz zu versammeln. Endgültig durchgesetzt haben sich nunmehr "die Zerfaserung und Auflösung, am Ende die radikale Subjektivierung: ein Medienkonsum, der eigentlich nur noch eine bilaterale Angelegenheit zwischen einer einzigen Person und der Medienmaschine ist. ... Das Fatale an der Spaltung des TV-Verhaltens liegt in der Kraft der Selbstverstärkung. Um noch akzeptable Quoten zu erlangen, müssen die 'alten' Sender, die öffentlich-rechtlichen vor allem, genau die Klientel bedienen, die noch im Geschmack an der 'heilen Welt' verharrt. Daraus entsteht ein mehr oder weniger gerontologisches Fernsehen, aus Quiz-Sendungen, 'Traumschiff' und Formaten über die 'Heimat', durchsetzt mit der üblichen Krimi-Kost, was wiederum die letzten Zuschauer vertreiben dürfte. Aber das gilt auch umgekehrt: Die Mehrzahl der Serien überfordert die verbale und visuelle Toleranz der klassischen Fernsehzuschauer, die an ihrem Medium gerade das Mainstream-Gemütliche und Akzeptierte schätzten. Der Kitsch wird immer kitschiger, und der 'Realismus' wird immer realistischer. Die Verlangsamung und die Beschleunigung werden immer inkomensurabler, so wie sich immer mehr das Übereindeutige vom Ambiguen trennt. Am Ende, wer weiß, sind die Bilderwelten einander so fremd wie die politischen Milieus."
Archiv: Jungle World

Ceska pozice (Tschechien), 07.07.2019

Kein Blatt vor den Mund nimmt im Gespräch mit Přemysl Houda über ihr Land die chinesische Schriftstellerin Sheng Keyi, die besonders die zunehmende soziale Schere zwischen Stadt und Land beklagt. "In China existieren zwei Systeme in einem. Für die einen ist es der reale Kapitalismus - keine Sicherheiten, keine Versicherungen, keine Fürsorge. Jene hingegen, die Teil des Systems sind, oder genauer gesagt die Leute, die zu den gebildeten städtischen Eliten gehören, genießen in gewissem Sinne die Vorzüge des sozialistischen Systems. Sie haben zum Beispiel Kranken- und Sozialversicherungen und ein einigermaßen ordentliches Gehalt. Sie arbeiten mit dem System zusammen - und es belohnt sie dafür." Die Menschen vom Land aber könnten niemals davon profitieren. "Wer Teil des Systems ist, ist es bis auf geringe Ausnahmen schon von der Wiege an. (…) Die Leute, die ich im Ausland treffe, halten China für ein entwickeltes und relativ reiches Land. Das Problem ist nur, dass das Geld, das in China verdient wird, nicht in die Entwicklung der ländlichen Gebiete und in die Bedürfnisse der normalen Leute gesteckt wird, sondern in große Infrastrukturprojekte, und ein Großteil des Geldes bleibt überhaupt nicht in China, weil mein ambitioniertes Land im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative riesige Beträge in Entwicklungshilfe für arme asiatische und afrikanische Staaten steckt. Dorthin gehen die Gelder des Wirtschaftsbooms - und dann noch in die Aufrechterhaltung der Ordnung in China. Um im Innern für Ruhe zu sorgen, geben wir mehr finanzielle Mittel aus als für die Armee, den Kampf gegen äußere Feinde." Über ihre eigene Schriftstellertätigkeit sagt Shen Keyi, was sie 2002 habe schreiben können, sei inzwischen nicht mehr möglich. "Mit dem Machtantritt von Xi Jinping ist es mit der Zensur - besonders seit 2015 - schlimmer geworden und wird weiter schlimmer. Die Schrauben werden angezogen. (…) Jeder Schriftsteller betreibt in einem gewissen Maß Selbstzensur. Während des Schreibens überlegt er, was er noch schreiben kann und was nicht. Ich will aber bei meinem Schreiben nichts aussparen. (…) Ich entscheide mich schon im Voraus dafür, dass ich das konkrete Buch nicht in China veröffentlichen werde, sondern in Taiwan oder Hongkong."
Archiv: Ceska pozice

New York Times (USA), 14.07.2019

Im Magazin der New York Times überlegt Fernanda Eberstadt, ob die Kunst von Pjotr Pawlenski noch Kunst ist oder schon Verbrechen oder ganz etwas anderes. Anlass ist ein Feuer, das Pawlenski in einer Filiale der Banque de France in Paris gelegt hat und die folgende Untersuchungshaft: "Für Pawlenski ist die Aktion nur der Anfang eines längeren Prozesses. Auch wenn jeder Aspekt genau geplant ist - 'Ich übe jede Geste, jede Hand- und Fußstellung genau ein, denn wenn es losgeht, geht alles sehr schnell, und vieles ist unvorhersehbar', erklärt er - ist für ihn das eigentlich Spannende die unabsichtliche Mitarbeit des Staates. Eine Ausstellung in Galerie Pack in Mailand zeigte Fotos von Pawlenskis russischer Polizeiakte: unscharfe Nahaufnahmen von Benzinkanistern und Aufnahmen von Überwachungskameras, die ihn mit Kapuze an einer Straßenecke zeigen - Aufnahmen, die anonyme Mitarbeiter des Innenministeriums absichtslos kunstvoll geschnitten haben. 'Ich lasse die Regierung am künstlerischen Arbeitsprozess teilnehmen. Die Machtverhältnisse verschieben sich, der Staat wird zum Akteur', so Pawlenski. 2014 war die Konfrontation direkter. Putin führte damals Krieg gegen die Ukraine, ließ ukrainische Aktivisten als Terroristen verhaften … Pawlenski unterstützte die Proteste auf dem Maidan aktiv. In einer mit Paris vergleichbaren Aktion zündete er die Türen der Lubjanka an, wo der russische Geheimdienst residiert. Mit dem Benzinkanister in der Hand, wartete er auf die Polizei … Er wurde festgenommen, in eine psychiatrische Klinik verbracht und kam dann sieben Monate in U-Haft. Aus Solidarität mit den ukrainischen Aktivisten wollte er als Terrorist angeklagt werden, aber man verurteilte ihn wegen Vandalismus zu einer Geldstrafe, die Pawlenski nie bezahlte."

Außerdem: Jonah Weiner verfolgt die harte Konkurrenz im Streaming-TV und überlegt, was sie für die Qualität des Angebots bedeutet. Und anlässlich ikonografischer Fotos von Grausamkeiten an Trumps Grenze und anderswo denkt Teju Cole darüber nach, wie Bilder unser Gewissen auf wirkungsvollere Art erschüttern könnten.
Archiv: New York Times