Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
30.06.2003. Im New Yorker erklärt Julian Barnes die unverschämte Kunst von Michel Houellebecq. Die Literaturnaja Gazeta erklärt, warum Ausländer die russische Seele nie verstehen werden, wenn sie Dostojewski lesen. Atlantic Monthly porträtiert Alberto R. Gonzales, den Mann, der George W. Bush 150 Todesurteile hat unterschreiben lassen. L'Espresso präsentiert zwei unbekannte Erzählungen von Virginia Woolf. TLS bewundert Sidney Blumenthals Buch über die Clinton-Kriege. Der Economist erklärt, warum seine Texte so kurz sind. Im Nouvel Obs ruft Alain Touraine die finale Krise der Zivilgesellschaft aus.

New Yorker (USA), 07.07.2003

In einer umfangreichen Reportage erzählt Peter Hessler, der lange Zeit in China gelebt hat, wie der größte Stausee der Welt am Jangtse entstand und künftig "die Vergangenheit" des Landes überfluten wird. Die Bevölkerung stehe dem Projekt mehrheitlich positiv - oder ins Unvermeidliche ergeben - gegenüber, die "Umsiedlungen" aus dem Staubereich werde von vielen durchaus als "Fortschritt" oder Gewinn gewertet. Hessler selbst hat auf seiner jetzigen Reise entlang des Jangtse dagegen vor allem "gespürt, dass das Timing für den Damm perfekt war (...). Den größten Staudamm der Welt zu bauen, erfüllte die Träume der Kommunisten, sie hätten das jedoch nie vor den Marktreformen, in den Zeiten der Isolation und des Chaos, geschafft. (...) Wenn die Menschen in Zukunft auf Chinas Wandlungsperiode zurückblicken, wird eins der bleibenden Monumente dafür eine riesige Menge toten Wassers mitten in China sein."

Zu lesen ist die Erzählung "The Walk with Elizanne von John Updike, Hendrik Herzberg fragt sich anlässlich des neuen kanadischen Eherechts für Schwule, warum die USA nicht ein kleines bisschen mehr wie Kanada sein könnten, und (der Brite) Ian Frazier berichtet von Erfahrungen, die belegen, dass "alle Filmbilder von Amerika genau stimmen".

In seiner Rezension von Michel Houellebeqs Roman "Plattform" zeichnet Julian Barnes ein wunderbares Porträt des Autors und erklärt, was "unverschämte Kunst" auszeichnet: "... sie muss einen mit der Kraft ihrer Rhetorik und der Starre ihrer Verzweiflung überzeugen. Sie darf keine Zeit lassen für Reaktionen wie 'Moment mal, das kann nicht stimmen'."

Besprochen wird weiter eine "faszinierende" Studie über "Boogaloo" (mehr hier), die "Quintessenz amerikanischer Popmusik". Der Autor Arthur Kempton ventiliere darin "die Lebensläufe und Karrieren von Rhythm-and-Blues-Stars", darunter von Motown-Records-Gründer Berry Gordy (mehr hier und hier), "von fünziger bis zu den siebziger Jahren der erfolgreichste schwarze Plattenproduzent der Welt", erklärt Rezensent Hilton Als. Außerdem gibt es Kurzbesprechungen, darunter ein differenziertes Porträt der Militärakademie West Point (mehr hier) für das der - zunächst "militärkritische" - Rolling-Stone-Journalist David Lipsky mehrere Jahre recherchiert hat ("Von allen jungen Leuten, die ich getroffen habe, waren die West-Point-Kadetten - obgleich sie wirklich große Jammerer sind - am glücklichsten").

Nancy Franklin porträtiert den Schauspieler Tony Shalhoub, von dessen TV-Serie "Monk" jetzt die zweite Staffel läuft. Um Londoner Theaterpremieren geht es bei John Lahr ("His Girl Friday", "Elmina's Kitchen"), und David Denby sah im Kino "The Hulk" von Ang Lee und die Folgeproduktion: "Charlie's Angels: Full Throttle".

Nur in der Printausgabe: ein Text über den städtebaulichen Umgang mit dem Lincoln-Center, Überlegungen zur Frage, ob man mit dem Druck von Geldscheinen noch immer Popstars erzeugen kann, das Porträt einer vermutlich depressiven 19-Jährigen und Lyrik von Richard Wilbur und James Tate.
Archiv: New Yorker

Literaturnaja Gazeta (Russland), 25.06.2003

Unter der Überschrift "'Idioten' unserer Zeit" kritisiert Anna Jakowlewa die umstrittene russische Verfilmung des Romans "Der Idiot" von Dostojewski, die in Russland als "Kulturereignis dieses Sommers" gefeiert wird. Die zehnteilige Fernsehserie von Wladimir Bortko wird dem Grundkonzept Dostojewskis nicht gerecht, da die Leinwandinterpretation der Charaktere deren psychologisches Profil überbetont und so die tiefe Symbolhaftigkeit der Figuren verloren geht: "Wer nicht versteht, dass seine Helden keine Menschen, sondern Ideen sind, der hat Dostojewski nicht verstanden. (?) Die Deutung von Dostojewskis Helden als psychologische Typen läuft auf die Darstellung menschlicher Konflikte anstelle des Widerstreits von Ideen und Wahrheiten hinaus. Aus diesem Grund kommen Ausländer, die die russische Mentalität anhand von Dostojewskis Romanen begreifen wollen und sie in der Tradition des westeuropäischen sozial-psychologischen Romans deuten, häufig zu dem Schluss, dass das typisch russische Leben ein Skandal ist und alle Russen aufgeblasene Außenseiter, Hysteriker, psychisch Kranke, Alkoholiker oder gar Prostituierte sind. Und das nennen sie dann 'das Geheimnis der russischen Seele'." (Mehr zum Film - aber nur auf Russisch - hier und hier).

In der Rubrik "Zeitgeschichte" fragt sich Swetlana Pogorelskaja in dem Artikel "Der deutsche Brain Drain", wie es möglich sein kann, dass aus einem nicht eben wenig zukunftsträchtigen Land wie Deutschland allein in einem Jahr (2002) 622 000 "meist jüngere und vor allem hoch qualifizierte Arbeitskräfte auswandern."

Zu guter letzt wird die Ausstellung "300 Jahre Sankt Petersburg: Fotografien von Menschen und Palästen" aus der Petersburger Ermitage ans Herz gelegt, die noch bis zum 27. Juli 2003 im Somerset House in London zu sehen ist.

The Atlantic (USA), 01.07.2003

Alberto R. Gonzales gilt weithin als George Bushs Kandidat für den nächsten freiwerdenden Sitz im Obersten Gerichtshof. Der Mann hat eine Vorgeschichte: Gonzales, heute Berater des Weißen Hauses, schrieb in seiner Zeit als Staatsanwalt von Texas die Memoranden (einige sind hier zu lesen), aufgrund derer Gouverneur George W. Bush die Gnadengesuche von 150 Todeskandidaten ablehnte. Alan Berlow beschreibt einige dieser Fälle, zum Beispiel die Hinrichtung Terry Washingtons, ein wegen Mordes verurteilter geistig behinderter Mann, der den Verstand eines Siebenjährigen hatte. Am Ende seines Artikels erklärt Berlow: "Bei der Zusammenfassung der Fälle Terry Washington, David Stoker und Billy Gardner machte Gonzales Gouverneur Bush nicht darauf aufmerksam, dass unwirksame Verteidigung, essentielle Strafmilderungsgründe und sogar Zweifel an der Schuld des Angeklagten eine Verurteilung bedenklich machten. Dies waren alles Fragen von Leben und Tod, die eine gründliche Erklärung und Diskussion erfordert hätten, die kein Staatsanwalt in Gonzales' Position hätte auslassen dürfen ... In einem Staat, in dem sich die Strafjustiz mit gut-dokumentierter Regelmäßigkeit irrt, war dies ein schwerwiegender Fehler."

Weitere Artikel: David Brooks fragt, ob Tony Blair das ist, was Bill Clinton immer werden wollte: der Welt größter Baby Boomer. Mitglieder des politikwissenschaftlichen Rand-Instituts zeigen zehn Konflikte auf, die für die internationale Sicherheit ein großes Problem darstellen und trotzdem kaum Beachtung finden, etwa der israelische Grenzzaun, die Kluft zwischen Hindus und Moslems in Indien, Aids und Kindersoldaten in Afrika, und und und. Für Christopher Hitchens zeigt Sidney Blumenthals "The Clinton Wars", mit welch seltsamer Mischung aus Zynismus und Naivität all die Berater, Redenschreiber und Spin Doctors in Washington agieren. Außerdem zu lesen die Kurzgeschichte "Love Me" von Garrison Keillor sowie Gedichte von Robert Bly, Patricia Clark und John Skoyles.

Leider nicht im Netz zu lesen ist die Titelgeschichte, in der Robert D. Kaplan erklärt, wie das amerikanische Imperium am geschicktesten die Welt beherrschen kann. Zehn Regeln stellt er dafür auf, die auch in einem Online-Interview nachzulesen sind: "1. Produce More Joppolos. 2. Stay on the Move. 3. Emulate Second-Century Rome. 4. Use the Military to Promote Democracy. 5. Be Light and Lethal. 6. Bring Back the Old Rules. 7. Remember the Philippines. 8. The Mission is Everything. 9. Fight on Every Front. 10. Speak Victorian, Think Pagan."

Außerdem nur im Print: David Quammen beschreibt die Abschlachtung der Braunbären in Rumänien unter Nicolae Ceausescu. Adam Bellow singt ein Loblied auf den "guten" Nepotismus. Und Seth Gitell untersucht, wie die Demokraten zur Reform der staatlichen Finanzierung von Wahlkampagnen stehen.
Archiv: The Atlantic

Nouvel Observateur (Frankreich), 26.06.2003

Der Soziologe Alain Touraine ruft die "finale Krise" aus. In einem Debattenbeitrag stellt er fest, dass sich die "Zivilgesellschaft zunehmend von Angst leiten" lasse. Gleichzeitig gehe der französische Staat, der einmal die "Hauptkraft der Modernisierung" gewesen sei, in die "Defensive". Touraine fragt sich nun, wie dessen Rolle neu zu bestimmen sei. "Im Lauf der Jahrhunderte haben wir unsere Handlungen an der Überlegenheit der Natur ausgerichtet, heute ist unser zentrales Ziel unsere Beziehung zu uns selbst. Wir sind aus dem Jahrhundert von Marx ins Jahrhundert Freuds gewechselt und versuchen nun, das Subjekt zu retten oder wiederzufinden, das angesichts der Entfesselung unkontrollierbarer Kräfte riskiert, die Kontrolle über sich zu verlieren." Er plädiert dafür, "die Rolle des Staats nicht zu vermindern", sondern in Bezug auf "öffentliche Belange zivilere Regierungsformen zu definieren und zum Laufen zu bringen."

Weitere Artikel: Zwei französische Lyriker - Andre Velter und Philippe Beck - haben sich den Essay des französischen Außenministers Dominique de Villepin (hier) über die Poesie vorgenommen und beurteilen ihn durchaus unterschiedlich. In der Abteilung Arts-Spectacles geht es in mehreren Texten um das 55. Festival in Aix. So erläutern Macha Makeieff und Jerome Deschamps, die für die Inszenierung von Mozarts "Entführung aus dem Serail" verpflichtet wurden, in einem Interview ihre "traditionelle Auffassung" der Oper ("Mozart ist Mozart, und das ist auch gut so"). In einem weiteren Gespräch berichtet Anja Silja, der "zweifellos unbeugsamste Sopran der lyrischen Welt", über "Größe und Dekadenz" des modernen Gesangs. Und in einem Porträt wird der "Benjamin" der Festspiele Francois Serhan vorgestellt, der in Aix seine erste Oper präsentiert.

Bücher: 100 Jahre Tour de France - die Liste der Publikationen ist erwartungsgemäß lang; der Nouvel Obs versucht, eine kleine Orientierungsschneise durch den Dschungel zu schlagen. Als "elektrisierend und zärtlich" wird der neue Roman "Frictions" (Gallimard) von Philippe Dijan (mehr hier) beurteilt.

Economist (UK), 27.06.2003

George Orwell gibt Stil-Unterricht! Und auch wenn derzeit sein 100. Geburtstag zur regelrechten Heiligenverehrung gerät, habe bei weitem nicht alles, was Orwell geschrieben hat, Hand und Fuß. Aber Stil. Und davon, meint der Economist, kann man lernen: "1) Nie eine Metapher, einen Vergleich oder eine andere sprachliche Figur benutzen, die man gewöhnlich geschrieben sieht, 2) Nie ein langes Wort benutzen, wo ein kurzes genauso gut passt, 3) Ist es möglich, ein Wort zu streichen, immer streichen, 4) Nie Passiv benutzen, wo man Aktiv benutzen kann, 5) Nie einen fremdsprachlichen Ausdruck, einen wissenschaftlichen Begriff, oder ein Jargon-Wort benutzen, wenn einem ein entsprechender alltagsenglischer Ausdruck einfällt, 6) Eher jede dieser Regeln brechen, als etwas Barbarisches zu sagen. Wenige Heilige haben so nützliche Ratschläge hinterlassen", lobt der Economist.

In weiteren Artikeln kann man erfahren, dass das erhoffte "politische Europa" kein Zuckerschlecken wird, warum Afrika keinesfalls als neues Nest des islamistischen Terrors gelten kann, warum sich paradoxerweise alle Beteiligten im Prozess um Rassenquoten an einer amerikanischen Universität als Sieger fühlen, dass Bernard Williams, einer der größten Kritiker der Moralphilosophie gestorben ist, und dass Dan Briodys Buch über die einflussreiche Carlyle-Finanzgruppe ("The Iron Triangle: Inside the secret world of the Carlyle Group") leider wie ein Roman von John Grisham geschrieben ist.

Und schließlich, pünktlich zu seinem 160. Geburtstag, liefert der Economist eine Bestandsaufnahme der Beziehung zwischen Kapitalismus und Demokratie. Herausgeber Bill Emmott eröffnet den Reigen und verspricht polemische Essays für den Liberalismus, aber auch gegen den Missbrauch von Kapitalismus und Demokratie - vor allem in den USA.

Nur im Print zu lesen ist, wer mit den türkischen "Ehrentoten" gemeint ist.
Archiv: Economist

Espresso (Italien), 03.07.2003

Stolz präsentiert der Espresso zwei kurze, bisher unveröffentlichte Erzählungen aus einem im vergangenen Jahr wiederentdeckten Tagebuch von Virginia Woolf. "Ein moderner Salon" und "Hampstead" berichten erwartungsgemäß von der verstörenden Routine im Leben der Frauen zu Beginn des Jahrhunderts. Ein Auszug: "Wenn drei Frauen sich treffen, wundere ich mich immer, wie sie Schulmädchen ähneln. Sie haben das gleiche College besucht, sie lieben es, daran zurückzudenken, wie sie damals waren, irgendeine erzählt unterhaltsame und liebenswürdige Geschichten über die anderen, mit der gleichen Intimität wie ein bequemer, gut getragener Handschuh." Mario Fortunato erzählt dazu die spannende Geschichte der ehemaligen Sekretärin Woolfes, der wir diese Perlen zu verdanken haben. Und Wlodek Goldkorn sinniert über ein kurzes Prosastück über eine jüdische Dame namens Mrs Loeb.

Roger Waters, Richard Wright, Nick Mason, David Gilmour. Die Jungs von Pink Floyd reden mit Carol Clerk über alles, einer nach dem anderen. Waters natürlich am längsten, er verrät dafür auch, wie alles begann. "Wir trafen uns in der Wohnung von Nick Mason. Und plötzlich meinte ich: 'Eh Jungs, ich hab da eine Idee.'"

Schön: Maria Simonetti sammelt neue Bezeichnungen für Jugendliche. 560 hat sie schon beisammen. Von A wie "abbozzarsi" bis Z wie "zuppone". Giancarlo Dotto berichtet von einer fürchterlichen Krankheit, die die Italiener heimsucht. Die Sucht nach Sex. Jetzt gibt es, schreibt er erleichtert, Hoffnung auf Heilung. Barbara Schiavulli zeigt in ihrer Reportage aus Kabul, wie katastrophal die Lage immer noch ist und wie vergessen von der Welt sich die Bewohner fühlen. Cesare Balbo hat beobachtet, wie Hollywood über Hongkong von den Spezialeffekten zu echten Kämpfen zurückkehrt, von Tarantino bis zu Tom Cruise.
Archiv: Espresso

Times Literary Supplement (UK), 30.06.2003

In Washington gehört es für politische Berater inzwischen zum guten Ton, einen Insider-Bericht oder auch eine Abrechnung zu schreiben, selten kommt dabei ein solch unausgewogenes, faktenarmes und dabei so großartiges Buch wie Sidney Blumenthals "The Clinton Wars" heraus, meint ein begeisterter Peter Strothard. Besonders überzeugend findet er, was Blumenthal zum Verhältnis zwischen Journalisten und Bill Clinton zu sagen hat: Bevor der Skandal begann, waren sie gelangweilt: "Einst mögen sie sich für Vietnam und Watergate interessiert haben, heute gieren sie nur nach Geld und Status - Dinge, die ohne Krieg oder Depression schwer zu erreichen waren."

Weitere Artikel: Vincent Deary hat von Paul Martins Buch über den Schlaf, "Counting Sheeps", nicht nur gelernt, dass die meisten Menschen müde sind, weil sie zu wenig schlafen, sondern dass daher auch einige ärgere Probleme rühren wie jugendliche Delinquenz, die Explosion der Challenger oder die Katastrophe von Tschernobyl.

Bharat Tandon ist ein wenig enttäuscht von der neuen Generation amerikanischer Erzähler, seit er die Anthologie "The Burned Children of America" gelesen hat, zu der von David Foster Wallace bis Jeffrey Eugenides alle Autoren von Rang und Namen beigetragen haben. In diesen Geschichten sei alles sehr melancholisch, sehr traurig und sehr gut geschrieben, aber nichts so überraschend oder schockierend wie bei Updike oder Roth. Tanya Harrod empfiehlt drei Ausstellungen, mit denen der hundertste Geburtstag der Bildhauerin Barbara Hepworth (mehr hier) begangen wird.

Prospect (UK), 01.07.2003

Mark Cousins war in Cannes und wundert sich, warum andauernd von transatlantischen Spannungen und speziell vom europäischen Antiamerikanismus die Rede war. Für Cousins hat sich etwas völlig anderes abgespielt: "Dieses Jahr hat gezeigt, dass die amerikanische Filmästhetik ethisch nicht in der Lage ist, mit unerhörten und ungewöhnlichen Aspekten des menschlichen Lebens umzugehen. Die große Zeit der Gewalt ist vorbei. Was in Cannes wie Antiamerikanismus aussah, ist in Wirklichkeit eine Erneuerung der Filmsprache."

Weitere Artikel: John Lloyd, der Herausgeber des FT Magazine, hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, von den Medien verleumdet zu werden, und fordert eine um Aufrichtigkeit bemühte Berichterstattung statt unseriöser Rechthaberei. Peter Pringle erklärt am Beispiel genmanipulierten Saatgutes, wie wichtig es ist, dass die öffentliche Gesundheit auch öffentlich zur Diskussion gestellt wird. In seinem Berliner Brief berichtet Tom Levine unter anderem vom gestressten Gras vor dem Reichstag. Und Bhikhu Parekh hat beobachtet, dass es nicht so sehr die westlichen Gesellschaften sind, die mit der muslimischen Gemeinschaft Schwierigkeiten haben, sondern dass es die Muslime sind, denen es schwerfällt, sich in einer multikulturellen Gesellschaft zurechtzufinden.

Nur im Print zu lesen: Adair Turner stellt sich gegen John Grays pessimistischen Anti-Humanismus.
Archiv: Prospect

Spiegel (Deutschland), 30.06.2003

Online gibt es in dieser Ausgabe nicht viel zu lesen. Ein Artikel spekuliert, ob Bundeskanzler Gerhard Schröder den EU-Kommissar Günter Verheugen für eine zweite Amtszeit nominieren will, um damit die Europa-Pläne Joschka Fischers zu torpedieren, und Bernhard Zand berichtet vom Guerrilla-Krieg gegen die Amerikaner im Irak. Im Feuilleton stellt Martin Wolf uns "Terminator 3" vor und überlegt, ob Arnold Schwarzenegger Gouverneur von Kalifornien werden will.

Nur im Print: Der Titel ist rundgestrickt um den italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, der als nächster Ratspräsident Europa präsentieren wird. "Die EU-Kollegen bangen". Im Feuilleton spricht Siegfried Lenz über das Verlieren als Grunderfahrung des Lebens und seinen neuen Roman "Fundbüro".
Archiv: Spiegel

Outlook India (Indien), 07.07.2003

Auf dem Cover von Outlook India ist - Harry Potter. Soutik Biswas überlegt, wie er dort hingekommen ist, findet universelle Werte und Anreize am Werk und vermutet, dass es bei dem hohen Preis für die Hardcover-Ausgabe wieder einmal Armut ist, die viele Kinder aus der weltweiten Gemeinde der Potter-Heads ausschließt.

Manjira Majumdar weiß von schlechtem Ersatz für kleine Geldbeutel: Wie wäre es mit "Harry Potter in Kolkata", einem Rip-Off des ersten Bandes, in dem Harry auf berühmte Figuren aus der bengalischen Literatur trifft? Oder mit einer unauthorisierten Übersetzung desselben Buches? Der Vorteil: es kostet nur so viel wie ein Groschenroman. Das Problem: Joanne Rowling sieht das nicht so gerne.

Weitere Artikel: Sheela Reddy berichtet von der Enttäuschung von 100.000 im indischen Exil lebenden Tibetern, nachdem Premierminister Vajpayee während seines China-Besuches in einer offiziellen Verlautbarung Tibet zu einem Teil der Volksrepublik erklärte. Saba Naqvi Bhaumik vermutet, dass Tibet ein Pfand war, das im Bemühen um eine historische Annäherung zwischen den zwei größten Nationen der Welt hinterlegt wurde, und erörtert die Bedeutung der Reise des Premiers: "Ein großer Erfolg? Ein kleiner Ausverkauf von Tibet? (...) Semantik hin oder her - Vajayees Besuch war wichtig."

Weiterhin umstritten: die Frage, ob Indien der amerikanischen Einladung nachkommen und Truppen in den Irak entsenden sollte. Aber ja, meint Satish Nambiar und sieht einen möglichen Gewinn an Einfluss. Nein, nein und nochmals nein, findet Prem Shankar Jha und weist auf die Gefahren hin. Schließlich hat Faizan Ahmad George Orwells Geburtshaus besucht und eine chaotische Farm der Tiere vorgefunden.
Archiv: Outlook India

New York Times (USA), 29.06.2003

Ist es schon so weit, dass wir Robert Lowell (mehr hier und hier) wiederentdecken können, fragt William H. Pritchard mit den neuerschienen "Collected Poems" auf dem Schreibtisch. Angebracht wäre es, denn "Lowell holte mehr raus aus dem amerikanischen Leben in der Mitte des Jahrhunderts - literarisch, kulturell, politisch - als irgendjemand anderes". Seit seinem Tod 1977 hätte es für Amerikas einst meistgefeierten Poeten "nur eine Richtung gegeben: nach unten." Lohnen würde es sich alleine schon um zu entdecken, wie viel Leben er in seine Gedichte reinzupacken suchte, um es dann wieder auszusenden. Zum Nachprüfen gibt es ein paar Gedichte als Kostproben. "Here the jack-hammer jabs into the ocean; My heart, you race and stagger and demand More blood-gangs for your nigger-brass percussions ..."

Das Entscheidende an Hillary Clintons "Living History" (Auszug im Original, mehr auf Deutsch hier) ist nicht die Zeitgeschichte, die aufgeschrieben wurde, sondern diejenige, die ausgelassen wurde. "Diese Augenwischerei sagt uns etwas über die Geschichte aus, wie Hillary sie haben will", stellt Maureen Dowd in ihrer kühl-distanzierten Kritik fest. Dies ist nicht Geschichte im Verständnis von Churchill, sondern von Carville - Wahlkampfliteratur für die 2008 HILLARY! Präsidentschaftskampagne." Und auf die Erklärung Hillarys, bei Bill geblieben zu sein, weil er nicht nur ihr Ehemann, sondern ja auch ihr Präsident gewesen sei, bemerkt die Rezensentin süffisant: "Da fragt man sich schon, ob Hillary ihrem Bill vergeben hätte, wäre er nur ihr Bundes-Wirtschaftsvertreter gewesen."

Weitere Rezensionen: Amanda Foreman hält David Gilmours Biografie (erstes Kapitel) von Lord Curzon (kurzer Lebenslauf) für eine gelungene Verteidigung des als Totengräber des Kolonialismus geschmähten Vizekönigs von Indien. Zur ausgiebigen Schilderung der Ungerechtigkeiten gegen den schillernden Politiker hätte sie sich allerdings auch ein paar Gegenargumente gewünscht. James McManus empfiehlt den Roman "The Company You Keep" von Neil Gordon: In 42 langen E-Mails treffen Woodstock und islamischer Fundamentalismus aufeinander, spannend und "völlig glaubwürdig". Als erstklassige Unternehmensgeschichte würdigt Richard Lingeman "Wheels for the World" (erstes Kapitel) von Douglas Brinkley: Henry Ford, seine bahnbrechende Idee und sein Erfolg stehen am Beginn und im Zentrum dieser Chronik der ersten 100 Jahre der Ford Motor Company. (Den Kunstsinn der Autobauer zeigen die Fresken Diego Riveras).
Archiv: New York Times