Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
11.04.2006. Im New Yorker beschreibt Seymour Hersh die amerikanischen Pläne für einen Regimewechsel im Iran. Im Guardian erzählt Orhan Pamuk die Geschichte von Gentile Bellinis Porträt des Sultans Mehmet II. In Clarin fordert Gianni Vattimo das Primat der Nächstenliebe in der Demokratie. Le Point sieht aus dem Streit um die Arbeitsmarktreform nur Verlierer hervorgehen. Der Economist warnt vor dem süßen Gift des weichen Paternalismus. Polityka beschreibt die Schwierigkeit, in Warschau ein Museum ohne Gebäude, Sammlung und Mitarbeiter aufzubauen. Das TLS erzählt von den freudlosesten und aufgeblasensten Gegenden Europas. Und die New York Times vermisst den ehrgeizigen Aufsteiger in der Literatur.

New Yorker (USA), 17.04.2006

Nachdem Seymour M. Hersh 2004 im New Yorker schon die Zustände im irakischen Abu Ghraib enthüllt hatte, machen seine jüngsten Recherchen jetzt auch die amerikanischen Konfrontationspläne gegen den Iran bekannt. In seinem erneut akribisch zusammengetragenen Artikel zitiert er zum Beispiel einen Diplomat in Wien: "Es geht um mehr als das Atomthema... In Wirklichkeit geht es darum, wer in den nächsten zehn Jahren den Mittleren Osten und sein Öl kontrolliert." Und ein im Pentagon als Berater für den Krieg gegen den Terror zuständiger Beamter sagte ihm: "'Das Weiße Haus glaubt, dass der einzige Weg, das Problem zu lösen, in einem Machtwechsel im Iran liegt. Und das bedeutet Krieg.' Es bestehe die Gefahr, sagte er, dass "damit auch die Auffassung innerhalb des Irans verstärkt wird, Nuklearwaffen seien die einzigen Möglichkeit, ihr Land zu schützen.' Ein militärischer Konflikt, der die Region destabilisiere, berge außerdem das Risiko weiterer Terroranschläge: 'Die Hisbollah kommt ins Spiel. Und Al Qaeda.'"

Weiteres: John Lahr porträtiert den vor hundert Jahren geborenen amerikanischen Dramatiker Clifford Odets. Nick Paumgarden informiert über neue Regeln in der New York Public Library. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Trojan Sofa" von Bernard MacLaverty.

Adam Gopnik befasst sich mit der Publikation des vor dreißig Jahren in Ägypten gefundenen Judas-Evangeliums, Besprochen wird neue Roman "Black Swan Green" des britischen Schriftstellers David Mitchell (Random House). Die Kurzbesprechungen widmen sich ausschließlich Gedichtbänden. John Lahr stellt die Theaterproduktionen "Everything Bad & Beautiful" und "Tryst" vor. Und David Denby sah im Kino die Verfilmung der Lebengeschicht eines berühmten Pin-up-Girls der 50er Jahre "The Notorious Bettie Page" von Mary Harron und die Independent-Komödie "Friends with Money" von Nicole Holofcener.

Nur in der Printausgabe: ein Porträt des amerikanischen Bilderbuchautors und- illustrators Maurice Sendak ("Wo die wilden Kerle wohnen"), Berichte über das neue Publikum von Pete Seeger und eine bevorstehende Revolte gegen einen Brauch der Episkopalkirche sowie Lyrik von Mary Stewart, Hammond Paul und Muldoon Richard Wilbur.
Archiv: New Yorker

Guardian (UK), 08.04.2006

Die Londoner National Gallery eröffnet in Kürze eine Ausstellung über den Maler Gentile Bellini, der 1480 von Venedig nach Konstantinopel reiste, um dort Mehmet den Eroberer zu porträtieren. Der Schriftsteller Orhan Pamuk schreibt über dieses Sultansporträt, das heute zu den größten Ikonen der türkischen Geschichte zählt (nicht zuletzt wegen der langen, krummen Nase des Sultans, wie Pamuk meint): "Das islamische Bilderverbot, die Angst vor Porträts und die Ignoranz gegenüber dem, was die Malerei im Europa der Renaissance schuf, bedeutete, dass ottomanische Künstler keine lebensechten Porträts der Sultane malen konnten. Dieser Vorbehalt gegenüber den kennzeichnenden Merkmalen eines Menschen beschränkte sich nicht auf die Welt der Kunst. Auch ottomanische Historiker, die sehr viel zu den militärischen und politischen Ereignissen ihrer Zeit schrieben, scheuten sich, über das Wesen ihrer Sultane zu schreiben, über ihre Charaktere oder ihre geistigen Fähigkeiten - obwohl es dafür kein religiöses Verbot gab. Nach der Gründung der modernen türkischen Republik 1923, als die Verwestlichung gerade begann, beklagte der nationalistische Dichter Yahya Kemal: 'Wenn wir nur Malerei und Prosa hätte - wir wären eine andere Nation!'"

Weiteres: In einem bewegenden Text erzählt die britische Dichterin Jackie Kay, die in einer Adoptivfamilie in Glasgow großgeworden ist, wie sie nach vierzig Jahren erstmals nach Nigeria zurückflog, um ihren leiblichen Vater zu treffen. James Campbell porträtiert den Autor und Herausgeber Eddie Linden, der nach einer furchtbaren Oliver-Twist-artigen Kindheit und mit einem Startgeld von 70 Pfund die Literaturzeitschrift Aquarius gründete. Zum Buch der Woche gekürt wird Frank Snowdens "meisterhafte" Geschichte "The Conquest of Malaria in Italy".
Archiv: Guardian

Point (Frankreich), 06.04.2006

In einem Kommentar zu den Protesten gegen die Arbeitsmarktreform stellt der Historiker und Frankreichkritiker Nicolas Baverez ("La France qui tombe") fest, dass der Konflikt nur Verlierer hervorgebracht habe: das politische Duo de Villepin und Chirac, die Reform, die öffentliche Debatte sowie die protestierenden Studenten und Jugendlichen. "Besiegt sind auch die jungen Demonstranten, die, selbst wenn ihnen die Erzwingung einer offiziellen Rücknahme des CPE gelänge, damit nichts erreicht hätten, um der Verzweiflung einer Generation abzuhelfen, die sich mit Fug und Recht als verloren betrachtet und die lediglich die Wahl hat, dass die Begabtesten von ihnen freiwillig ins Ausland gehen (mehr als eine Million) oder in den Staatsdienst eintreten, den anderen dagegen nur sozialer Abstieg, Ausschluss und Kriminalität bleiben. Durch eine tragische Ironie zielt ihr Widerstand, der von Angst und Verteufelung des Liberalismus gekennzeichnet ist, in erster Linie auf die Instrumente ihrer Emanzipation und verstärkt die Absicherungen zu Gunsten jener 'Insider', die sie aus der Gesellschaft ausschließen."

Weiteres: Bernard-Henri Levy argumentiert in seinen Bloc-notes in eine ganz ähnliche Richtung und sieht die Nation "von einem Extrem ins andere verfallen". "Endlos oszilllieren wir zwischen den zwei Gesichtern unseres nationalen Jakobinismus: einen Tag die Technokraten, am andern die, die wollen, dass Köpfe rollen."

Zu lesen ist außerdem ein Interview mit dem italienischen Senatspräsidenten Marcello Pera, ehemals Philosophieprofessor und Vizepräsident der Partei "Forza Italia". Der Atheist und Papstvertraute (mehr) erklärt darin unter anderem, warum die jüdisch-christlichen Werte nicht unbedingt in Gott begründet werden müssten, um sie zu teilen und für universell gültig zu halten.
Archiv: Point

Clarin (Argentinien), 08.04.2006

"Wir brauchen einen neuen Luther. Aber der bin nicht ich." Frisch eingetroffen in Buenos Aires, um einen neuen Lehrstuhl für Ethik und Kulturwissenschaften zu eröffnen, spricht der italienische Philosoph Gianni Vattimo einmal mehr über das vertrackte Verhältnis von Religiosität und Demokratie: "Offenbar benötigt unser demokratisches Leben Religiosität, und bis heute schien die Integration von Gesellschaften gewährleistet, wenn sie über eine gemeinsame Religion verfügen. Aber ist das nicht ein Mythos? Meinem Eindruck nach sind im Gegenteil Unterschiede nötig. Ich bin überzeugt, der Lebendigkeit einer Demokratie täte es gut, sich auf das Primat der Nächstenliebe zu einigen: die Nächstenliebe legt uns nahe, den anderen als anderen anzunehmen, statt ihn auf uns selbst zu reduzieren. Schon Platon hat ständig die Frage der Einheit oder Vielheit diskutiert, aber er hat nie erklärt, weshalb die Einheit eigentlich besser sein soll als die Vielheit. Warum, um Himmels willen, soll die Einheit besser sein?"
Archiv: Clarin

New York Review of Books (USA), 27.04.2006

Werden die Demokraten die nächsten Präsidentschaftswahlen im Internet gewinnen? Der Publizist Bill McKibben ist da sehr optimistisch und verweist auf das extrem erfolgreiche Weblog DailyKos, das täglich eine halbe Million Besucher anzieht, welche die Demokraten fit für die Wahlen machen wollen. Betrieben wird es von Markos Moulitsas Zuniga, der die Wahlkampagne für den Präsidentschaftskandidaten Howard Dean vor dessen Niederlage gegen den demokratischen Konkurrenten John Kerry mitorganisierte. Bei DaliyKos haben sich inzwischen regelrechte virtuelle Projektgruppen gebildet, erzählt McKibben: "Bei näherem Hinsehen entpuppt sich Kos' Website als eine Art wachsender Schwarm der Kommunikation, als kollektive Intelligenz. Mit beeindruckenden Ergebnissen: Ein Autor mit dem Pseudonym 'Jerome a Paris' brachte Dutzende anderer, an Energiepolitik interessierte Kumpane dazu, einen Energieplan zu schreiben, den ich wesentlich verständlicher und ideenreicher finde als alles, was die Think Tanks so produziert haben. Er wurde von Tausenden von Besuchern gelesen und überarbeitet und wird als ein nützliches Modell dienen, falls die Demokraten die Kongresswahlen gewinnen und wieder stärker in die Gesetzgebung eingreifen können."

Weitere Artikel: Christopher de Bellaigue schreibt über den Iran und die Bombe. John Gray bespricht einige Bücher zum Begriff der Globalisierung. Henry Siegman analysiert die Folgen des Wahlsiegs der Hamas in Palästina. Und Charles Simic liest einen Band mit nachgelassenen Gedichten von Elizabeth Bishop.

Polityka (Polen), 06.04.2006

"Ihr habt Glück: Ihr habt weder ein Gebäude, noch eine Sammlung, noch Mitarbeiter" soll der Direktor der Tate Gallery, Nicholas Serota, gesagt haben, als er von der Idee gehört hat, in Warschau ein Museum für Zeitgenössische Kunst zu bauen. Für Piotr Sarzynski steht fest: "Trotz der Einberufung vieler Beratergremien und der Festlegung für den Standort gegenüber des stalinistischen Kulturpalasts im Zentrum der Hauptstadt gibt es immer noch mehr Fragen als Antworten". Baubeginn soll nächstes Jahr sein, und noch ist nicht klar, ob "moderne" oder "zeitgenössische" Kunst gezeigt wird, und wie man eine Dauerausstellung zustande bringt, da nicht mal polnische Museen Exponate abgeben wollen. Trotz der vielen offenen Fragen wünscht sich Sarzynski aber eines: "Das Museum muss ein Ort der Präsentation und Konfrontation dessen sein, was im Bereich des Theater, der Musik, der Gebrauchskunst, des Plakats und sogar der Werbung, der Architektur, der Mode und des Lifestyles passiert."
Archiv: Polityka

Magyar Hirlap (Ungarn), 05.04.2006

Der junge Theatermacher Arpad Schilling denkt über das politische Theater in der Demokratie nach: "Vor 1989 war die Lage einfach: Theater kritisierte entweder die bestehende Ordnung, oder war Unterhaltung. Der auf der Bühne zum Ausdruck gebrachte Widerstand fand natürlich Anklang, denn er richtete sich gegen eine bestimmte Macht, deren Opfer sie alle waren: die Schauspieler und das Publikum... Die Theater waren voll, weil mit dem Herzen gespielt wurde. Draußen lauerte der Feind. Es war ein gemeinsamer Kampf, ein gemeinsames Theatererlebnis... Heute haben wir keinen gemeinsamen Feind mehr. Wir sind uns selbst Feind. Politiker erzählen uns, es gebe Bruchlinien, verschiedene Absichten, Feindbilder. Doch zwei Jahre nach dem EU-Beitritt ahnt jeder vernünftige Mensch, dass es in Grundsatzfragen keine Alternativen gibt. Die Frage ist nur, mit welcher Demagogie man gerade an die Macht kommt."
Archiv: Magyar Hirlap
Stichwörter: Politisches Theater

DU (Schweiz), 10.04.2006

Diese Ausgabe des du-Magazins ist ganz dem Tanz gewidmet. Anlass ist der zehnte Geburtstag des Tanzfestivals Steps. Camille Schlosser erzählt eine Geschichte von einem Jungen, der vor vielen Jahren Ballettunterricht nehmen durfte. "Die Schule war um 16 Uhr zu Ende, der Ballettunterricht begann erst um 17 Uhr. Also spielte der Bub in der freien Stunde mit seinen Schulkameraden im Pausenhof Fußball. Verschwitzt radelte er dann über die Brücke zum Ballett, und die sauberen, parfümierten Jungtänzerinnen mussten die Ausdünstungen des Fussballers kommentieren. 'Der Schwitzer ist wieder da', wagten die kleinsten Tutu-Mädchen hinter dem Paravent zu sagen. Um vor weiteren Kommentaren nach der Unterrichtsstunde zu flüchten, zog der Bub oft nur hastig Hosen und Hemd über seine Tanzkleidung an, wechselte die Schuhe und rannte zu seinem Fahrrad. Einmal verlor er dabei aus seinem Frottiertuch heraus seine Unterhose, und über den Fußgängerstreifen rannte ihm ein Herr nach und sagte: 'Vous avez perdu votre slip!' 'Non', sagte der Bub, vom Unfall wegrennend. Warum zu dieser peinlichen Unachtsamkeit auch noch französisch gesprochen wurde, blieb das Rätsel der Zufälligkeit."

Online lesen kann man außerdem eine Geschichte des Tanzes in der Schweiz von Jean-Pierre Pastori.
Archiv: DU
Stichwörter: Fahrräder, Camille, Hemd, Fahrrad

Foglio (Italien), 08.04.2006

Hier ist der Cavaliere schon Geschichte. Die Wochenendbeilage der Zeitung Il Foglio präsentiert durchaus ironische und großformatige Öl-Porträts von Silvio Berlusconi in den verschiedensten Inkarnationen (und im pdf-Format): als Kaiman, als Napoelon, als Churchill, als Thatcher, und mehr, mehr, mehr, und mehr.
Archiv: Foglio
Stichwörter: Berlusconi, Silvio

Economist (UK), 06.04.2006

Der Economist warnt im Aufmacher vor dem süßen Gift des neuen, "weichen Paternalismus" eines Staates, der seine Bürger vor absehbaren schlechten Entscheidungen bewahren will. "Ziel dieser neuen Paternalisten ist nicht das 'Kindermädchen Staat', ein schimpfender Spielverderber, der seine Schützlinge dazu zwingt, brav ihr Gemüse zu essen und ihre Medizin zu nehmen. Stattdessen haben sie das vor Augen, was man den 'Onkel Staat' nennen könnte: einen welterfahrenen Staat, der uns einen Stups in die richtige Richtung gibt und womöglich die Fäden zu unseren Gunsten zieht, ohne dass wir dies überhaupt bemerken... Schlussfolgern, urteilen, unterscheiden und sich beherrschen - all diese Fähigkeiten sehen die weichen Paternalisten als Bürden an, die der Staat erleichtern kann und sollte. John Stuart Mill hingegen sah sie als Gelegenheit für den Bürger, sein Menschsein auszuüben. Der weiche Paternalismus mag den Menschen zu besseren Entscheidungen verhelfen und sie vor ihren übelsten Neigungen erretten, doch er tut nichts, um diese Neigungen zu bessern. Die Neffen von Onkel Staat haben keinen Grund, erwachsen zu werden."
Archiv: Economist

New York Times (USA), 09.04.2006

In einem Essay fragt sich Joseph Finder, warum es in der gehobenen Literatur keine Geschichten von ehrgeizigen Aufsteigern mehr gibt, wie etwa Balzacs Eugene de Rastignac oder Stendhal's Julien Sorel. Er vermutet dahinter den Versuch, sich gegenüber populären Genres abzugrenzen: "Literatur, so die stillschweigende Vereinbarung, wird nicht um des persönlichen Erfolgs willen geschrieben. Um ihren eigenen Status zu bewahren muss sie das Thema Status aussparen. Ein nicht-ironisches Interesse an Macht, Geld oder Ruhm würde ihren Platz in der Kultur kompromittieren."

Paul Gray nennt es "die wohl erste literarische Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs": Irene Nemirovskys "Suite Francaise", die jetzt auch auf Englisch erschienen ist. Zwei Novellen und ein Faktenbericht einer Jüdin über die deutsche Okkupation Frankreichs. Und die große Frage, wie so etwas möglich ist: "Es bedeutet, dass die 1942 in Auschwitz ermordete Autorin diese so exquisit geformte wie austarierte Prosa nahezu zeitgleich verfasst hat mit den Ereignissen, auf denen sie basiert" (Hier eine Leseprobe).

Weitere Artikel: Terrence Rafferty findet, dass der gute alte linke politische Humor in Jose Saramagos neuem Roman "Seeing" ein ganz bisschen selbstgefällig wirkt. Greil Marcus bespricht einen Essayband zu Allen Ginsbergs Gedicht "Howl".
Archiv: New York Times
Stichwörter: Geld, Saramago, Jose, Aufsteiger

Gazeta Wyborcza (Polen), 08.04.2006

Der Publizist Adam Leszczynski setzt sich kritisch mit der "Geschichtspolitik" auseinander, einer neuen Strategie der konservativen Regierung Polens, die den Patriotismus stärken und die glorreichen Kapitel der Nationalgeschichte stärker zu Tage fördern soll. "Die Befürworter dieser Idee sehen dabei die Aussöhnung mit den Nachbarn - Juden, Deutschen, Ukrainern - als Gefährdung der nationalen Interessen. Die Konsequenz kann nur sein: wir sind umgeben von Feinden, und gegen Feinde muss gekämpft werden." Für Leszczynski geht es auch um einen Gegenentwurf zum linken Gesellschaftsbild: "Man muss die Vergangenheit nur entsprechend präparieren und das Heute gestaltet die Rechte."
Archiv: Gazeta Wyborcza

Express (Frankreich), 06.04.2006

In einem kleinen Essay denkt der Wissenschaftler, Schriftsteller und ehemalige Mitterand-Berater Jacques Attali über das Phänomen Sudoku nach. Das schnell süchtig machende Zahlengrübelspiel sage viel darüber aus, wer wir seien: "Es ist das globale Spiel schlechthin: Es setzt keinerlei Sprachkenntnisse voraus, nicht einmal Rechenkenntnisse, weil man es auch so spielen kann, dass man die Zahlen durch verschiedene Zeichen oder Buchstaben ersetzt. Es ist auch ein vielseitiges Spiel, perfekt für unterwegs und ideal, um auf 'nomadische Objekte', Spielbretter oder Handys übertragen zu werden. Außerdem ist es ein Spiel für den Einzelnen, das dem, der sich ihm hingibt, das beruhigende Vergnügen verschafft, durch sich steigernde Anstrengungen in wenigen Minuten ein Rätsel zu lösen. Es ist letztlich und vielleicht vor allem aufschlussreich für die grundlegende Angst unserer Gesellschaften: vor der Unordnung und der Leere; Sudoku vermittelt die Gelegenheit, Ordnung zu schaffen, alles an seinen Platz zu räumen und dem Durcheinander der Realität zu entfliehen. Insgesamt ist dieses Spiel ein Hinweis darauf, was aus uns zu werden droht: eine Ansammlung von Egoisten, Autisten, Konservativen und Verängstigten, die aus der Welt in einen virtuellen Zahlenraum flüchtet."
Archiv: Express
Stichwörter: Attali, Jacques

Outlook India (Indien), 17.04.2006

Dass Identität und Pluralität einander ergänzen können, hat Shuddhabrata Sengupta dem Essayband "Identity and Violence" von Amartya Sen entnommen. Sen entwerfe ein "nicht-solitaristisches" Selbst, das sich durch besondere soziale Fähigkeiten auszeichne, schreibt Sengupta: "Ein 'solitaristisches' Identitätskonzept sperrt Moslems, Hindus und Christen in einen 'zivilisatorischen Kerker'. So beraubt eine überkommene Idee davon, was es heißt, Moslem, Hindu oder Christ zu sein, die Identität all ihrer Möglichkeiten ... Als Gegengewicht zum Gerede um den 'Kampf der Kulturen' fordert Sen die Anerkennung kultureller Leistungen der islamischen Welt."

In einem anderen Beitrag untersucht Sheela Reddy den Boom literarischer Festivals und findet: Literaten könnten die neuen Rockstars sein - wenn sie nur das Agieren auf der Bühne beherrschen würden.
Archiv: Outlook India

Espresso (Italien), 13.04.2006

Umberto Eco wundert sich über die Fülle an Widersprüchen, die zum modernen Leben dazugehören. "Ich möchte auf die Widersprüche der globalen Mobilisierung der Globalisierungsgegner hinweisen, auf den bewaffneten Frieden und die humanitäre Intervention (eine Reihe von kriegerischen Aktionen im altruistischen Sinne). Und dann sind da noch die Programme der neuen Verbündeten von Berlusconi, die linken Faschisten. Außergewöhnlich widersprüchlich sind die klerikalen Atheisten wie Pera oder Ferrara. Nicht zu vergessen sind, auch wenn wir uns daran gewöhnt haben, die künstliche Intelligenz und das elektronische Gehirn (als ob das Gehirn wirklich dieses weiche Etwas ist, das in unserem Schädel sitzt)."

Im Titel lässt Giampaolo Pansa den Berlusconi-Herausforderer Romano Prodi im Interview noch einmal seine Pläne erläutern. Auch Italien hat seine Teenagerstars, wie Alberto Dentice und Sebastiano Triulzi mit Beispielen aus Film, Literatur und Musik beweisen.
Archiv: Espresso

De Brakke Hond (Belgien), 01.04.2006

Der Islam sei "in Mode" bei der Migranten-Jugend in den Vorstadtghettos, schreibt der Publizist und Nahostexperte Sus van Elzen in einem Essay über die Krise des multikulturellen Europa. Er geht mit den Eltern der Jugendlichen ins Gericht: "Genügt es, wenn diese in ihren zu Moscheen umgebauten Gemüseläden und Garagen sitzen und ihr Schicksal beklagen, dass die heutige Jugend ihnen nicht mehr zuhört? Können sie mit ihren Kindern nicht reden, weil sie selbst so wenig zu sagen haben?" Diese Rechtfertigung lässt er nicht gelten, denn "Züge mit heiklen Sprengstoffen über GSM in die Luft zu jagen, ist eine verwickelte Sache. Wer das kann, sollte auch Verantwortung dafür übernehmen können, die eigene Moschee von Mördern und Kriegstreibern zu säubern und potentielle Märtyrer der Polizei zu melden, bevor sie Leid verursachen."
Archiv: De Brakke Hond
Stichwörter: Märtyrer

Times Literary Supplement (UK), 07.04.2006

Staunend hat Zinovy Zinik Daniel Kalders "Lost Cosmonaut" gelesen, den Bericht einer Reise zu den "freudlosesten und aufgeblasensten Landschaften" der früheren Sowjetunion: "Tatarstan und Kalmückien, Mari El und Udmurtien drängen sich in den unteren Wolgaregionen, irgendwo zwischen dem Asowschen und dem Kaspischen Meer. Die kleinen Republiken entstanden im Zuge der rigoros verfolgten sowjetischen Vielvölkerpolitik. Bevor ihnen jedoch die nominelle Unabhängigkeit gewährt wurde, mussten sie erst einmal Massendeportationen und forcierte Assimilation hinnehmen. Auferlegt wurde ihnen auch eine fiktive, künstlich kreierte oder neu aufpolierte Folklore. Dazu gehörten ein obligatorisches Staatstheater in jeder Hauptstadt, wo Stücke in einer Sprache aufgeführt wurde, die niemand mehr verstand, ein Heimatkundemuseum, in dem sich niemand an die Bedeutung der Exponate erinnerte, und auf den öffentlichen Plätzen die allgegenwärtigen Statuen der Nationaldichter und -helden, die niemand schätzte. Es ist ein ganz anderes Europa, ein Schatten-Europa, das, wenn es nach uns ginge, nicht existierte. Aber es existiert, nur nicht für uns."

"Goethe ist gut für Sie", weiß Paul Bishop und versucht zu ergründen, warum Deutschlands literarischer Institution so wenig Sympathie entgegengebracht wird. "In der englischsprachigen Welt können weder Shakespeare noch Cervantes, weder Racine noch Dante so viel feindselige Leidenschaften hervorrufen wie die Gestalt Goethe. Warum ist das so? In 'Love, Life, Goethe: How to be happy in an imperfect world' legt John Armstrong nahe, dass die Quelle dieses Image-Problems nicht in Goethe, sondern im Gegenteil in uns selbst liegt. Denn oft stecke hinter der Ablehnung Goethes, glaubt Armstrong, die Angst, Goethe selbst könnte wie ein Vorwurf wirken - seine Ernsthaftigkeit, sein Glück und sein Erfolg lassen unser eigenes Leben schäbig und unvollständig erscheinen."

Weiteres: H. J. Jackson stellt klar, dass die unter dem Namen Mary Brunton veröffentlichten Romane nicht Jane Austen zugeschrieben werden können. Außerdem besprochen werden Briefe von Rudyard Kipling, und zwei Studien zu Glanz und Elend der amerikanischen Universitäten.