Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
23.05.2006. Der New Yorker porträtiert die Terroristenjägerin Rita Katz. Polityka untersucht die polnische Bloggerszene. In Foglio glaubt Tom Wolfe, der Mensch sei mehr als seine Gene. In der Times geißelt Ian Buruma die Liebe der Intellektuellen zu Diktatoren. Elet es Irodalom stellt klar, dass man auch in einer Diktatur Nein sagen kann. In Le Point fragt Bernard-Henri Levy, warum Handke überhaupt auf dem Spielplan der Comedie Francaise gelandet ist. Al-Ahram wirft den Europäern ethnischen Absolutismus vor. Walrus sorgt sich um die deutsche Linda. Die New York Times sieht den Lektor als Lobbyisten.

New Yorker (USA), 29.05.2006

Benjamin Wallace-Welles porträtiert die Terroristenexpertin und Direktorin des SITE Institute (The Search for International Terrorist Entities) Rita Katz und beschreibt, wie die 1963 im Irak geborene Tochter eines wohlhabenden jüdischen Geschäftsmanns ins Geheimdienstgeschäft und zu ihrem "privaten Kreuzzug" kam. 2003 legte Katz - zunächst unter Pseudonym - das Buch "Terroristenjägerin. Wie ich das Netzwerk des islamistischen Terrors aufdeckte" vor. "Katz hat eine sehr eigene Vorstellung vom Kampf gegen den Terrorismus, die sie mit den meisten anderen Auftragnehmern und Beratern teilt, die das gleiche tun wie sie. Sie glauben, dass die Regierung in der Einschätzung der extrem-islamistischen Bedrohung versagt habe und ihr Gespür für die Terrorismusbekämpfung völlig falsch sei. Nach ihrer Auffassung, geht man gegen Terroristen am besten nicht wie das FBI vor... sondern arbeitet wie die Terroristen selbst - mit Wut und der Überzeugung, dass sich die Geschichte durch die eigenen Entscheidungen wenden wird. Vor einer Überschätzung der Bedrohung fürchtet sie sich nicht, weil deren Unterschätzung viel schlimmer sei."

Mit einem ätzenden Verriss überzieht Anthony Lane die Verfilmung von Dan Browns "The Da Vinci Code": "Tatsächlich werden die alleinigen Nutznießer aus diesem kompletten Fiasko die Mitglieder von Opus Dei sein, von denen sich einige ja selbst geißeln. Ab sofort wird derartige Buße einfach - ganz ohne Peitschenhiebe und Dornenmanschette um den Oberschenkel. Sie kostet lediglich so viel wie eine Kinokarte und zweieinhalb Stunden Leiden." Zu lesen ist außerdem die Erzählung "God the Novelist" von Henry Roth.

Buchbesprechungen widmen sich dem neuen Roman "Theft: A Love Story" von Peter Carey, einer Biografie der Schriftstellerin Nelle Harper Lee, einer Studie über sportlichen Heldenmut und einer Biografie der Verfasserin eines viktorianischen Rezept- und Haushaltsführungsklassikers. Paul Goldberger würdigt schließlich Renzo Piano, der mit drei Projekten in New York "seine Brillanz, aber auch seine Grenzen" unter Beweis stellt; gerade fertiggestellt wurde sein Erweiterungsbau für das Morgan Library & Museum.
Archiv: New Yorker

Polityka (Polen), 20.05.2006

"Oh, mein Blog!" rufen in der polnischen Wochenzeitung Mariusz Czubaj und Miroslaw Filiciak. "In einem Land, in dem vierzig Prozent der erwachsenen Bevölkerung nichts liest, werden über zwei Millionen Online-Tagebücher, sogenannte Blogs, geführt". Warum? "Ein Blog zeugt von der Existenz einer Person. Kulturforscher vergleichen die Blog-Manie mit der Porträtmanie des späten Mittelalters, als Kaufleute das Bedürfnis nach Individualität und Außergewöhnlichkeit stillen wollten. Dieses Um-jeden-Preis-etwas-sagen-wollen hat schon einen eigenen Namen bekommen: Exscribitionismus." Was es in Polen allerdings nicht gibt, stellen die Autoren mit Bedauern fest, sind seriöse, politisch engagierte Blogs. "Nach diesem Maßstab gemessen, stecken wir noch in der Phase des egozentrischen, exhibitionistischen Online-Tagebuchs - das sagt viel über unsere Gesellschaft aus."

Außerdem: Für Adam Krzeminski ist der Auftritt Deutschlands als Gastland bei der Warschauer Buchmesse das "ü-Tüpfelchen" des Deutsch-Polnischen Jahres, und gefeiert wird Matisyahu, der Chasside, der mit seinem Mix aus Hip-Hop und Reggae die USA verzaubert hat.
Archiv: Polityka

Plus - Minus (Polen), 20.05.2006

Im Magazin der konservativen Rzeczpospolita überlegt Dariusz Rosiak, warum Polen in der europäischen Politik so wenige Akzente setzen kann. Den Grund sieht er einerseits im West-Komplex: "Die polnische Öffentlichkeit ist paralysiert von dem ängstlichen Gedanken, was man im Westen über das Land denkt. Man vergleicht manisch die eigenen mit westlichen Standards und versucht diese zu erfüllen, auch wenn das niemand erwartet. Andererseits wird das Polen-Bild der westlichen Medien immer noch von Stereotypen bestimmt. Generell ist es ein wenig interessantes Land, in dem wenig passiert, also gibt es nichts zu kommentieren. Unser Image entsteht also durch komplexbeladene polnische Kommentatoren und Stereotypen, die in den westlichen, liberalen Eliten funktionieren." Keine gute Ausgangsbasis für eine selbstbewusste Außenpolitik. Was Polen brauche, sei "politische Determination, Kompetenz und ein Zugehörigkeitsgefühl, das nicht auf Opfermythen basiert, sondern auf der Überzeugung, dass es gut ist, Teil der EU zu sein."

Zum Kinostart von "The da Vinci Code" erinnert Szymon Holownia daran, dass sich schon verschiedene Menschen an pseudo-wissenschaftlichen Theorien berauscht haben - von der Theophysischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert bis zu Erich von Däniken. "Der gelangweilte Mensch in der westlichen Welt wirft sich wie ein nach neuen Eindrücken lechzender Teenager auf alles Neue, besonders, wenn ihm versprochen wird, sich innerlich zu reinigen, Tabus zu brechen. Und zu den geheimnisvollsten Institutionen gehört bekanntlich die katholische Kirche, die wohl noch lange Material liefern wird für Autoren wie Dan Brown."
Archiv: Plus - Minus

New York Review of Books (USA), 08.06.2006

Michael Massing stellt sich in der Debatte um John Mearsheimers und Stephen Walts Artikel über die "Israel Lobby" auf die Seiten der Autoren, die behauptet haben, nicht amerikanische Interessen, sondern jüdische Pressure Groups würden die Politik der USA gegenüber Israel bestimmen. Massing räumt aber ein, dass die Autoren in ihrer Studie keine zwingenden Beweise für ihre Anschuldigungen liefern. Aber: "Die schmutzige Kampagne gegen John Mearsheimer und Stephen Walt gibt selbst ein hervorragendes Beispiel für die tyrannisierenden Taktiken dieser Lobby und ihrer Unterstützer." Ach so.

Weiteres: Eduard Iricinschi, Lance Jenott und Philippa Townsend diskutieren ausführlich das jüngst publizierte Judas-Evangelium, das sie immerhin als eine kluge Meditation über das Böse gelten lassen. Trotzdem bringe es einen nicht weiter als Bob Dylan, der bereits gesungen hatte, es liege an uns zu entscheiden, "ob Judas Ischariot Gott auf seiner Seite hatte". Jeff Madrick empfiehlt eher halbherzig Kevin Phillips' Buch "American Theocracy", in dem der frühere Politiker unter Nixon die Abhängigkeit vom Öl, den Einfluss religöser Gruppen und die Schulden zu den größten Gefahren für Amerikas Zukunft erklärt. Dies sei zwar bisher Phillips pessimistischste Analyse, aber für Madrick ist sie noch nicht realistisch genug. Marcia Angell ("Der Pharma-Bluff") konstatiert ein schwindendes Vertrauen in die Pharma-Industrie in den USA, was sie nur allzu begründet finden kann. Und Daniel Mendelsohn gibt harsch zu Protokoll, dass ihn Philip Roth' neuer Roman "Everyman" nicht bewegt und nicht überzeugt hat.

Foglio (Italien), 20.05.2006

Die Wochenendbeilage des Foglio hat die Rede des Schriftstellers Tom Wolfe abgedruckt (wie immer als pdf, Teil 1 und Teil 2), die er im Rahmen der Jefferson Lecturers in Washington gehalten hat. Wolfe glaubt, spätestens seit der Erfindung der Sprache habe sich der menschliche Geist den Niederungen der Darwinschen Evolution entzogen. "Eine der ersten Erfindungen des Homo loquax, nachdem er zu sprechen gelernt hatte, war die Religion. Seit dem 'Ursprung der Arten' (hier der vollständige Text auf Englisch) im Jahr 1859 hat die Doktrin der Evolution mehr als alles andere dazu beigetragen, dem religiösen Glauben unter den gebildeten Bürgern in Europa und Amerika ein Ende zu bereiten; denn Gott ist tot. Dabei war es die Religion, die mehr als jede andere Waffe im nuklearen Arsenal des Homo loquax darür gesorgt hat, die Evolution vor 11.000 Jahren auszulöschen. Zu behaupten, dass die Evolution die Beschaffenheit des modernen Menschen erklärt, ist so ähnlich wie zu sagen, dass der Bessemer-Prozess zur Herstellung von Stahl etwas über das Phänomen des modernen Wolkenkratzers aussagt." Angenehmer zu lesen ist die Rede allerdings in der amerikanischen Html-Version.
Archiv: Foglio

Times Literary Supplement (UK), 19.05.2006

Der große Russland-Historiker Robert Conquest empfiehlt Geoffrey Hoskings Buch "Rulers and Victims": "Gibt es eine Chance für Russlands nie ganz ausgelöschte, überlebende und sich immer wieder neu belebende Aufklärung? Fünf Generationen haben in unglaublichen Ausmaß schieres Pech gehabt, angefangen mit der Ermordung von Zar Alexander II., die es den Reaktionären ermöglichte, die zivilen Reformen von Loris Melnikow zu stoppen: der erste von so vielen Fehlschlägen. Geoffrey Hosking ist nicht gerade optimistisch, doch er macht uns etwas Hoffnung auf eine bessere Zukunft, in der die Russen vielleicht doch noch eine Gemeinschaft werden könnten. Immerhin, schließt er, 'müssen sie nun einen Nationalstaat bilden, den niemand gewollt hat. Sie haben keine andere Wahl.' Das ist doch ein Anfang."

Weiteres: Hellauf begeistert ist Jonathan Cecil von Lee Servers Biografie "Ava-Gardner", die ganz ohne die gegenüber Hollywood-Stars übliche "Kriecherei" auskomme. Yvonne Roberts stellt neue Publikationen vor, die uns mit der tröstlichen Botschaft beglücken, dass Liebe das ganze Leben über möglich ist, selbst in einer Ehe. Christopher de Bellaigue diskutiert Robert Irwins Buch "For Lust of Knowing", das sich mit Edward Saids Orientalismus-Vorwürfen auseinandersetzt.

Und noch ein Hinweis auf die Sunday Times der vorigen Woche, in der Ian Buruma den unerschütterlichen Hang von Intellektuellen zu Diktatoren geißelte: "Stalin wurde von Sidney und Beatrice Webb applaudiert. Mao wurde von einem nicht abreißenden Strom westlicher Bewunderer besucht (von denen einige Namen in China noch immer Ekel hervorrufen). Castro konnte sich jahrelang in den Schmeicheleien von Literaten wie Jose Saramago und Gabriel Garcia Marquez aalen. Sogar Pol Pot stieß bei einigen Journalisten und Akademikern auf Wohlgefallen. Letztes Jahr unterschrieben eine Reihe von Journalisten, Autoren und Prominenten, darunter Harold Pinter, Nadine Gordimer, Harry Belafonte und Tariq Ali, einen Offenen Brief, der behauptete, auf Kuba habe es 'seit 1959 keinen einzigen Fall von Verschwinden, Folter oder außergerichtlichen Exekutionen gegeben'... Nichts davon ist neu, und wäre nicht wert, ausgegraben zu werden, wenn es sich nicht gerade wiederholen würde: Hugo Chavez, der gewählte starke Mann Venezuelas, ist das neueste Objekt der Anhimmelei durch westliche 'Progressive', die von ihren Ausflügen nach Venezuela mit leuchtenden Augen zurückkehren."

Elet es Irodalom (Ungarn), 19.05.2006

Entlarvte Stasi-Spitzel entschuldigen sich meist damit, dass sie zur Mitarbeit gezwungen wurden. Am Beispiel renommierter Wissenschaftler zeigt der junge Historiker Krisztian Ungvary, dass man doch relativ große Spielräume hatte. Als die Historiker György Ranki, Ferenc Glatz und der Literaturwissenschaftler Mihaly Szegedy-Maszak die Mitarbeit mit der Stasi einfach ablehnten, hatte es keine ernsthaften Konsequenzen für ihre Karrieren. Dagegen bespitzelte der Historiker Karoly Vigh den berühmten Kollegen Domokos Kosary sogar freiwillig. Kosary verlor seine Stelle und wurde beinahe eingesperrt. "Die Fälle, die ich schilderte, sind die Spitze des Eisbergs. Die Archive sind voll von Geschichten, die zeigen, dass nicht nur Verräter, sondern auch mutige Menschen in der Diktatur lebten. Zahlreiche Spuren wurden der Nachwelt überliefert, die zeigen, wie die Kadar-Ära funktionierte. Früher oder später kommen sie alle ans Tageslicht. Es liegt im Interesse der ungarischen Gesellschaft, dass die Täter und Opfer dieser Geschichten endlich bekannt werden."

Die Unabhängigkeit der Medien leidet unter wirtschaftlichen Zwängen und dem "Medienappetit der Parteien", schreibt Medienforscher Jozsef Martin. "Ein finnischer Kollege erzählte mir vor zehn Jahren, dass er sich nichts Schlimmeres vorstellen könne, als wenn der Chef der nationalen Presseagentur nach dem Regierungswechsel sofort gehen müsste. In Ungarn ist das bereits Realität. Alle sinnvollen Kompromisse scheitern an der Unerbittlichkeit parteipolitischer Überzeugungen."

Weiteres: In einem sehr schönen Essay feiert der Kunsttheoretiker Laszlo Földenyi eine Budapester Ausstellung von Eva Köves und Andras Gal. Nach langen Jahren beschließt Peter György seine Tätigkeit als Fernsehkritiker des ES-Magazins: das ungarische Fernsehen sei so schlecht, dass er keine Lust mehr hat, sich damit zu befassen.

Point (Frankreich), 18.05.2006

Bernard-Henri Levy beschäftigt sich in seinen Bloc-notes mit dem Fall Handke und findet, man solle ihn weder auf den Spielplan setzen, noch ihn davon streichen. Nach Lektüre seiner diversen Einlassungen zu Serbien und der "widerlichen" Chronik "Rund um das Große Tribunal" gegen Milosevic 2003, "bestehe ich auf der Tatsache, dass ich nicht auf seine Teilnahme an der Beerdigung des Diktators warten musste, um zu verstehen, was mich von ihm trennt - und dass ich deshalb an Bozonnets Stelle nicht diesen 'entscheidenden Akt'... hätte abwarten müssen, um zu wissen, dass er in meinem Theater nichts zu suchen hat... Die Wahrheit ist, dass man Handke erst gar nicht aufs Programm setzen sollte. Man hätte sich eher klar machen müssen, dass man keine Lust hat, mit einem Mann zu arbeiten, der meint, dass 'das Leiden der Serben größer ist als das der Juden während der Nazizeit'."
Archiv: Point

Al Ahram Weekly (Ägypten), 18.05.2006

In einem leidenschaftlichen Text wirft der palästinensische Migrationsforscher und Publizist Abdel-Qader Yassine den europäischen Staaten vor, mit ihrer als Folge einer "jahrhundertelangen aggressiven imperialistischen Expansion" betriebenen Einwanderungspolitik einen "ethnischen Absolutismus" zu kreieren: "Obwohl die EU die geschlossenste ökonomische Einheit, das reichste und mächtigste Gebilde der Geschichte ist, verbarrikadieren sich ihre Völker, unterstützt von einer Rhetorik der Angst und der Hilflosigkeit ... Wie kann man die Flüchtlinge für die Missstände Europas verantwortlich machen, wo diese entrechteten und vertriebenen Menschen doch das Abfallprodukt der imperialen Idee sind?"

Ferner: Rania Khallaf stellt den bahrainischen Dichter und Kulturaktivisten Qassem Haddad vor. Und Samir Farid findet den von der ägyptischen Zensur schon mit Spannung erwarteten Kinofilm "The Da Vinci Code" oberflächlich und billig.
Archiv: Al Ahram Weekly
Stichwörter: Einwanderungspolitik

Weltwoche (Schweiz), 18.05.2006

"Ich wollte das alles. Vaterland und vollgepisste Tote. Geschichte und Irrlichter. Erschießungen und Spione." Anfangs ein begeisterter Anhänger Fidel Castros, emigrierte Norberto Fuentes in den Neunzigern und schrieb eine 2000-seitige fiktive Autobiografie des Maximo Lider. Sandro Benini ist von der gekürzten deutschen Ausgabe begeistert und unbefriedigt zugleich. "Stilsicher geschrieben, spannend erzählt, hervorragend durchkomponiert und großartig auf Deutsch übersetzt, ist sie weder Geschichtsbuch noch historischer Roman, sondern am ehesten das hybride Zeugnis einer unbewältigten Hassliebe. Fuentes schafft eine literarische Figur und erhebt zugleich den Anspruch auf deren historische Wahrhaftigkeit. Bei aller Faszination über die Kühnheit dieses Unterfangens und aller Bewunderung für den enormen historiografischen Einsatz, den der Exilkubaner geleistet hat: Sein Werk hinterlässt den Leser ziemlich ratlos. Eine seltsame exotische Frucht, die man gerne isst, von der aber kaum ein Nachgeschmack im Munde übrig bleibt."

Weiteres: Simon Brunner schaut sich die Generation Smart an und glaubt, die Appelle an die Dreißigjährigen, doch endlich Kinder zu bekommen, werden" kraftlos verpuffen wie eine Ohrfeige in der Schwerelosigkeit". Beatrice Schlag fragt sich, warum ausgerechnet auf den amerikanischen Sektenführer Warren Jeffs mittlerweile ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt ist. Hanspeter Born resümiert, wie die englischen Behörden auf die Fußball-Hooligans reagiert haben.
Archiv: Weltwoche

Nepszabadsag (Ungarn), 18.05.2006

Die Pläne für eine große Budapester Ausstellung über den ungarischen Volksaufstand von 1956 erinnern den Künstler Dezsö Vali an die Kulturpolitik der kommunistischen Diktatur. Die Budapester Kunsthalle wolle den Künstlern vorschreiben, wie sie das Thema bearbeiten sollen. "Es ist ein grundsätzlicher Fehler, in einer landesweiten Ausstellung Themen im Voraus festzulegen. Es erinnert an Zeiten, in denen Gemälde über die Traktoristin und den fröhlichen Maiaufmarsch der Fabrikarbeiter erwünscht waren. Jetzt sind Trauer und Verdrängung erwünscht. Beamte im grauen Anzug und dunkelblauen Kostüm geben uns vor, was wir malen sollen. Es ist noch niemandem gelungen und wird auch niemals gelingen, auf diese Weise echte Kunst hervorzubringen."

In der Samstagsausgabe erzählt Charles Gati, Historiker an der Johns Hopkins University, wie er in den Archiven der Geheimdienste über den ungarischen Volksaufstand von 1956 recherchierte: "Am wichtigsten wäre es gewesen, die Dokumente im Archiv des sowjetischen Geheimdienstes KGB endlich lesen zu dürfen. Bei meinem letzten Besuch 1992 fragte ich eindringlich danach, worauf ein Archivar seine Dienstpistole auf den Tisch legte. Ich dachte, es sei jetzt besser zu gehen." Die Unterlagen der CIA zeigten, "dass die Versprechen, die USA werde Osteuropa 'befreien', von keinen praktischen Maßnahmen begleitet wurden. Wer immer und überall die Wühlarbeit der CIA vermutet, wird sehr überrascht sein: Während der Revolution hatte die CIA gerade mal einen einzigen Mitarbeiter in ganz Ungarn, und der hatte so viel in der Botschaft zu tun, dass er kaum mal das Gebäude verlassen konnte."
Archiv: Nepszabadsag

NRC Handelsblad (Niederlande), 17.05.2006

Eine Reihe holländischer Intellektueller (unter ihnen Connie Palmen, Geert Maak und Joost Zwagerman) haben im NRC Handelsblad öffentlich ihre Solidarität mit der von Ausbürgerung bedrohten Ayaan Hirsi Ali bekundet: "Vielleicht war sie ursprünglich kein echter Flüchtling nach heutiger Interpretation der Gesetze, in den vergangenen vier Jahren ist sie das jedoch sicher geworden. Die 'Zufluchtstadt Amsterdam', die verfolgten Autoren und Künstlern Asyl bietet, muss ihr Ruhe und Sicherheit gewähren. Wir finden es zutiefst beschämend für die Niederlande, dass Ayaan sich gezwungen sieht, das Land zu verlassen und damit aufs Neue auf der Flucht zu sein."
Archiv: NRC Handelsblad
Stichwörter: Hirsi Ali, Ayaan, Asyl

Walrus Magazine (Kanada), 01.06.2006

Ein Jahr nach der Aufregung um die Ausmusterung der Kartoffelsorte "Linda" besuchte Naomi Buck die Protagonisten der Auseinandersetzung. Jörg Renatus, dessen Firma Europlant "Linda" aus dem Sortiment genommen hatte, glaubt nicht, dass die Sorte eine Chance hat - trotz der Initiative einiger Landwirte. "'Sehen Sie', sagt er und massiert seinen Palm Pilot, 'Linda ist jetzt vierzig Jahre alt. Sie wurde erstmals 1964 gezüchtet. Sie ist anfällig gegen Pilzinfektionen und hat keinerlei Widerstandskraft gegen Nematoden (mehr). Im Herbst ist sie mehlig; im Frühling fest. Sie ist eine Sorte wie hundert andere auch.' Außerdem, meint Renatus: 'Warum sollte Volkswagen den Käfer produzieren, wenn es den Golf gibt?' Der Golf ist in diesem Fall 'Belana' (mehr), und Renatus strahlt, als ihr Name fällt. 'Sie ist gelb und fest, überaus widerstandsfähig und hat einen intensiven Geschmack. Und sie verkauft sich schon besser als Linda das je getan hat. Wir exportieren sie sogar nach Kanada."
Archiv: Walrus Magazine
Stichwörter: Kanada, Volkswagen

Punto de Vista (Argentinien), 01.05.2006

Punto de Vista, gewissermaßen der argentinische Merkur, stellt seit einiger Zeit zumindest einen Artikel der jeweils aktuellen Ausgabe ins Netz, diesmal eine kritische Bilanz des gegenwärtigen Buenos Aires-Hypes durch Adrian Gorelik: "Den Anfang machte die massive Mobilisierung der Zivilgesellschaft, die sich geradezu als Antwort auf die Krise, statt als eines ihrer markantesten Symptome präsentierte. Dem folgte ein kultureller Boom, verbunden mit einer besonderen Form von militantem Tourismus, in Gestalt etwa der Besuche Naomi Kleins. Die Krise bescherte Buenos Aires einen Platz auf der Weltkarte des Aktivismus (und die Aufhebung der Dollar-Peso-Parität einen Platz auf der Liste der bezahlbaren Reiseziele). Inzwischen hat der Boom die Ursachen der Krise erfolgreich feiernd verdrängt ... Am deutlichsten zeigt sich das an der neuen Immobilienspekulation im Zentrum. Hier knüpft man völlig ungebrochen an die Entwicklungen der 90er Jahre an, so als hätten diese nie etwas mit dem anschließenden Zusammenbruch zu tun gehabt."
Archiv: Punto de Vista

New York Times (USA), 21.05.2006

Nur ein gut beworbenes Buch ist ein gutes Buch. Soviel versteht Rachel Donadio nach Gesprächen mit führenden US-Verlegern. Ihr Essay über die rätselhaften Gepflogenheiten des Marktes zeigt die Kniffe und das Taktieren der Involvierten (wie krieg ich die Frontauslage bei Barnes & Noble?) auch innerhalb der Verlage: "Lektoren wetteifern um Werbe- und Ausstattungsetats. Ihre Rolle wird mehr und mehr die eines Geschäftsmannes und Lobbyisten, der die eigenen Leute, den Handel und die Presse begeistern muss, Monate bevor das Buch erscheint."

Eine von der New York Times initiierte Umfrage unter Autoren, Kritikern und Verlegern kürt Toni Morrisons "Beloved" zum besten amerikanischen Prosatext der letzten 25 Jahre (alle Plätze samt Rezensionen hier). A. O. Scott kommentiert: "Die Top-5 sind allesamt befasst mit Geschichte, ihre Schöpfer entstammen einer einzigen Generation (der heute 70- bis 75-Jährigen) ... Da wird Vergangenheit geklärt und Platz geschaffen für die Literatur von morgen."

Weitere Artikel: Terrence Rafferty empfiehlt Carlos Fuentes' "brillanten" politischen Briefroman "The Eagle's Throne". Und in einer inspirierten Besprechung nennt Dave Itzkoff Douglas Couplands neuen Roman "JPod" ein "gut abgemischtes Output".

Das New York Times Magazine ist der zeitgenössischen Architektur gewidmet. Worum dreht sich's bei den großen Architektur-Debatten von Berlin bis Lower Manhattan? Der Leiter des Design Museums London, Deyan Sudjic, stellt fest, dass Architektur allzu oft mit politischer Überzeugung gleichgesetzt wird - Flachdach = Fortschritt, historischer Stil = Tradition und so weiter: Architektur "ist von Belang, weil sie dauerhaft ist und groß und weil sie das Aussehen unseres Alltags bestimmt, doch vor allem deshalb, weil sie mehr als jede andere kulturelle Form ein Mittel des historischen Reinemachens ist." Berliner wissen, was er meint.

Weitere Artikel: Im Aufmacher erklärt Arthur Lubow am Beispiel eines Projekts von Herzog und de Meuron, was die Arbeit in China für ausländische Architekten so tricky macht. Nicolai Ouroussoff stellt die Bauten des libanesischen Architekten Bernard Khoury und seines Vaters Khalil - "Mr. Beton Brut" - vor. Im Interview mit Deborah Solomon vergleicht der britische Architekt Richard Rogers das Bauen in Europa und in den USA. Und Edward Lewine befragt Daniel Libeskind zu den raffinierten Details seines New Yorker Lofts (eine Sauna mit Fenster aufs Chrysler Building!).
Archiv: New York Times