Magazinrundschau
Die Magazinrundschau
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
19.12.2006. Prospect überlegt, ob Kapitalismus Demokratie braucht. In Tygodnik Powszechny behauptet der Schriftsteller Jerzy Pilch: Glückliche Menschen schreiben keine Bücher. Die Revista de Libros feiert den chilenischen Boswell Adolfo Bioy Casares. Der Economist verfrachtet FU und Humboldt-Uni in den Flughafen Tempelhof. Die Gazeta Wyborcza fürchtet, Castros Kuba könnte Pinochets Chile nacheifern. In Le Point mahnt Bernard-Henri Levy, dass mit Castro bald noch ein lateinamerikanischer Diktator straflos im Bett sterben wird. Magyar Hirlap erinnert an die von Stalin ausgelöste Hungersnot in der Ukraine. Das TLS erzählt, wie Margaret Thatcher von einem spanischen Außenminister bezirzt wurde. Die Weltwoche wird von Taliban entführt. In der New York Times denkt Peter Singer über faires Spenden nach.
Prospect (UK), 01.01.2007

Desai hingegen glaubt nicht an die notwendige Bindung von Kapitalismus und Demokratie: "Es wäre schön, wenn Individualismus, Freiheit und Pluralismus die notwendige Grundlage des Kapitalismus bilden würden. Tatsächlich geht es aber auch ohne sie. Sicherlich setzt der Kapitalismus Kräfte frei, die autoritäre Regime untergraben können, doch sie tun es auf ungleichmäßige und keineswegs zwangsläufige Art und Weise."
Tygodnik Powszechny (Polen), 17.12.2006

Außerdem: Der Film "Workingmen's death" des Österreichers Michael Glawogger bewegte Jakub und Maciej Wisniewski dazu, sich intensiver mit dem Phänomen Arbeit in globaler Perspektive zu beschäftigen. Das Fazit der Ausführungen: "Was wir sehen, ist nicht das Ende der Arbeit als solche, sondern das Ende der Arbeit, wie wir sie kennen. Sie wird sich den Wandlungen des Kapitalismus anpassen müssen, wie sie es stets getan hat. Nach Mark Twain kann man sagen: die Kunde vom Tod des Arbeiters ist übertrieben."
Spectator (UK), 18.12.2006

Rachel Johnson probiert Schuhe mit Masai Barfuß-Technik aus, die sie zwar hässlich findet, die aber immerhin die Füße von Emma Freud, Jemima Khan oder Cherie Blair verunstalten. "Nachdem man sich durch die Liste von Verbesserungen gearbeitet hat, die dieses plumpe Schuhwerk einem auf magische Weise ohne Operation oder Fitness-Studiobesuch beschert, würde man auch jedem glauben, der MBTs als Antwort auf den Klimawandel, die globale Erwärmung und den Frieden im Nahen Osten rühmt."
Revista de Libros (Chile), 17.12.2006

Rafael Gumucio ist hingerissen von Adolfo Bioy Casares' soeben posthum erschienener 1600 Seiten starker Biografie seines Busenfreundes Jorge Luis Borges: "Ein monströses, erschöpfendes, absurdes, aber irgendwie auch heroisches und unglaublich befreiendes Buch. Denn darin tummeln sich die beiden unbekümmert wie zwei riesige vergnügte Kindsköpfe. Vorbild war ganz offensichtlich James Boswells 'Life of Johnson'. Darüber, dass Boswell - wie Bioy weiß - gemeinhin als der größte Narr der englischen Literatur betrachtet wird, dürfte Bioy sich durch die Tatsache hinwegtrösten, dass Johnsons Werk - seinerzeit bewundert als Gipfel angelsächsischer Intelligenz - heute vor allem in Boswells Biografie fortlebt."
Figaro (Frankreich), 16.12.2006
In einem Kommentar ärgert sich Francois Simon, Restaurantkritiker des Figaro, angesichts der Internationalität etwa der Slow Food-Bewegung über die Arroganz und Selbstbezüglichkeit der Franzosen, was ihre Essgewohnheiten angeht. "Auf dem Gastronomiesektor herrscht hierzulande eine derartige Selbstzufriedenheit, dass die gesamte Welt von unserer Selbstbeweihräucherung ausgeschlossen scheint. Einträchtig quittiert unser Land bolivianische Nüsse oder die argentinische Yakon-Wurzel mit einem verächtlichen Seufzer des Desinteresses. Mit köstlich altmodischer Großmäuligkeit fordern wir in unserem lieblichen Land die ganze Welt heraus. Ja, wir waren einmal Weltmeister der Gastronomie. Wir haben uns auf unseren Lorbeeren ausgeruht. Und in der Zwischenzeit sind der Welt die Augen aufgegangen. Nachdem sie uns bewundert hat, hat sie sich an die Arbeit gemacht. Heute kann man auf der ganzen Welt göttlich speisen."
Economist (UK), 18.12.2006

Weitere Artikel: Über Licht und Schatten im Leben und Wirken von Ariel Sharon geben zwei neuere Biografien Auskunft (Uri Dans "Ariel Sharon: An Intimate Portrait" sowie Nir Hefez' und Gadi Blooms "Ariel Sharon: A Life"), doch halten sich beide nach Ansicht des Economist zu sehr in ihrem Urteil zurück. Geradezu ins Schwärmen gerät er über Michael Bloombergs jüngst bekannt gegebene Visionen für ein "zukunftsfähiges" New York, in dem 2030 neun Millionen Einwohner nur zehn Minuten bis zum nächsten Park gehen müssen. Es ist wirklich süß vom Economist, dass er Begeisterung auch für eine Berliner Planung entwickelt, die zwei finanzielle Kernprobleme der deutschen Hauptstadt mit einer Klappe schlagen soll: Der Flughafen Tempelhof als Sitz einer mit der Freien Universität fusionierten Humboldt-Universität. (Könnten wir da nicht auch noch die drei Opern unterbringen?) Und schließlich: Der Nachruf auf Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet gerät zum Porträt eines glanzlosen und biederen Schurken.
Gazeta Wyborcza (Polen), 16.12.2006

In einem lesenswerten Essay blickt der Reporter Artur Domoslawski auf Lateinamerika nach dem Tode Pinochets und denkt über den Einfluss nach, den der chilenische Diktator noch immer hat. "Sein Rezept, brutale Repressionen und neoliberale Wirtschaftsreformen, hat viele Nachahmer gefunden, die mit mehr oder weniger Geschick agiert haben. Das Erbe dieses Phänomens belastete Südamerika in den neunziger Jahren und führte zu der Gegenbewegung der letzten Zeit, mit den Siegen Chavez', Lulas, Morales und anderer. Das einzige Land, das in den Achtzigern einen anderen Weg ging, war Kuba. Fidel Castro wurde für viele Rebellen auf dem Kontinent ein Symbol. In der realen Politik aber hat er verloren - die neuen, linken Bewegungen haben die kubanischen Methoden verworfen und gehen einen neuen Weg. Ironie der Geschichte ist, dass Castros Nachfolger dem Modell Pinochets nacheifern könnten: rauher Kapitalismus plus Autoritarismus."
Point (Frankreich), 14.12.2006

Vorgestellt wird außerdem ein Band mit von Elisabeth Levy moderierten Gesprächen zwischen dem Philosophen Alain Finkielkraut und dem ehemaligen Präsidenten von Medecins sans frontieres Rony Brauman: "La discorde : Israel-Palestine, les juifs, la France" (Mille et Une Nuits).
Foglio (Italien), 16.12.2006
Jeder Journalist wirbt für irgendetwas, schreibt Giampiero Mughini, der vom Presserat in Lazio für seinen Auftritt in einer Handywerbung gerügt wurde. "Ich rede etwa von dem sehr sympathischen Carlo Rossella, ein großartiger Journalist, den ich seit 30 Jahren kenne und über den ich einen Roman schreiben würde, wenn ich die Disziplin dafür hätte. Er ist die perfekte Inkarnation der Mischung aus großem journalistischen (und literarischen) Talent und absolut keinem ethischen Rückgrat. In seinen Journalen ist die Produktplatzierung eine Konstante, eine ständige Versuchungsanordnung zur Unmöglichkeit, Nein zu sagen."
Alle Spionage- und Agentengeschichten der Gegenwart hat Shakespeare in "Hamlet" schon erzählt, winkt Siegmund Ginzberg ab (erst hier und dann hier). "Es gibt sogar Polonium. Die Giftmörder enden so böse wie ihre Opfer, dahingerafft von ihrem eigenen Gift. Ab einem gewissen Punkt verliert man die Übersicht, wer nun wen ermorden will, auf wessen Rechnung und um wen zu rächen."
Weitere Artikel: Gabriella Mecucci besichtigt das "Haus der ersten Republik", einen sechsstöckigen Palazzo in der römischen Via Cristoforo Colombo, wo unter anderem Pietro Nenni, Antonio Giolitti und Ugo La Malfa wohnten. Und Ugo Bertone stellt den in Italien lebenden, in Frankreich geborenen und Polnisch sprechenden Finanzmagnaten Romain Zaleski vor.
Alle Spionage- und Agentengeschichten der Gegenwart hat Shakespeare in "Hamlet" schon erzählt, winkt Siegmund Ginzberg ab (erst hier und dann hier). "Es gibt sogar Polonium. Die Giftmörder enden so böse wie ihre Opfer, dahingerafft von ihrem eigenen Gift. Ab einem gewissen Punkt verliert man die Übersicht, wer nun wen ermorden will, auf wessen Rechnung und um wen zu rächen."
Weitere Artikel: Gabriella Mecucci besichtigt das "Haus der ersten Republik", einen sechsstöckigen Palazzo in der römischen Via Cristoforo Colombo, wo unter anderem Pietro Nenni, Antonio Giolitti und Ugo La Malfa wohnten. Und Ugo Bertone stellt den in Italien lebenden, in Frankreich geborenen und Polnisch sprechenden Finanzmagnaten Romain Zaleski vor.
Guardian (UK), 16.12.2006

Magyar Hirlap (Ungarn), 16.12.2006
Auf Stalins Betreiben wurde 1931-33 eine künstliche Hungersnot in der Ukraine ausgelöst. Historiker schätzen, dass damals Millionen Menschen starben. Vor einigen Tagen hat das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die künstliche Hungersnot von 1931-33 zum Völkermord erklärt und seine Leugnung strafbar macht. In Russland wird das Thema weiterhin totgeschwiegen, was den ungarischen Historiker Miklos Kun an die Versuche, die Gulags und den Holocaust zu relativieren, erinnert. "Während in ukrainischen Dörfern die verzweifelten, vor Hunger irre gewordenen Menschen die grünen Zweige der Bäume aßen, wurde ukrainisches Lebensmittel auf Stalins Befehl in anderen sowjetischen Republiken im Rahmen des sogenannten 'sowjetischen Dumpings' zum günstigen Preis verkauft ... Bei seiner Reise durch die Sowjetunion erklärte G. B. Shaw gegenüber der Presse in Moskau, dass er noch nie so gut gegessen habe, wie während der 'angeblichen' Hungersnot in der Ukraine. Die KP hat dem weltberühmten Dramatiker bestimmt ein üppiges Abendessen in Kiew spendiert, aber er konnte doch mit seinen eigenen Augen sehen, wie ukrainische Bauer auf der Straße an Hunger sterben."
Times Literary Supplement (UK), 15.12.2006

George Steiner erklärt sich zwar in Bezug auf Georg Büchner für etwas befangen - sein Urgroßonkel, der Publizist Karl Emil Franzos, hatte Büchners Schriften 1878 zu publizieren begonnen - muss aber angesichts der Ausgabe der "Dichtungen, Schriften, Briefe und Dokumente" im Klassikerverlag feststellen: Der Mann war ein Genie. Nach Lektüre mehrerer Neuerscheinungen zum Thema konstatiert Alastair Sooke: "Satan ist wieder en vogue." Und Jon Barnes stellt David Standishs Kulturgeschichte der Täuschung "Hollow Earth" vor.
Espresso (Italien), 21.12.2006

Nepszabadsag (Ungarn), 14.12.2006

Nach den Krawallen haben ungarische Intellektuelle den parteipolitischen Zank und die strikte Teilung Ungarns in zwei politische Lager satt. Neue Bürgerinitiativen wie 'Ich liebe Ungarn' setzen sich für einen parteiübergreifenden zivilen Dialog ein, berichtet Zsolt Greczy. Dafür ist ihnen jedes Mittel recht! Hier geht es zu einem Videoclip, in dem viele bekannte ungarische Musiker einen Song über Ungarn, das Land "der friedlichen Mehrheit" singen.
Weltwoche (Schweiz), 14.12.2006

Bisher hat sich noch fast jede Prognose als falsch erwiesen, und die wirklich umwälzenden Ereignisse hat niemand vorhergesehen, bilanziert Michael Miersch die Geschichte der Prophezeiungen: Weder den Siegeszug der Pille noch des Autos hat jemand geahnt: "'Die Computer der Zukunft werden vielleicht nur noch 1,5 Tonnen wiegen', spekulierte die amerikanische Zeitschrift Popular Mechanics 1949. Der damalige IBM-Chef prognostizierte: 'Ich glaube, es gibt einen weltweiten Bedarf von vielleicht fünf Computern.' '640 K', davon war Bill Gates noch 1981 überzeugt, 'sind genug für jeden.' Und im Jahr 2001 schrieb die deutsche Tageszeitung Die Welt: 'Das Internet wird kein Massenmedium, weil es in seiner Seele keines ist.'"
Przekroj (Polen), 14.12.2006

Vorige Woche beging man in Polen den 25. Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts durch General Jaruzelski. Aus diesem Anlass erinnert Cezary Lazarewicz an die Geschichte des wohl bekanntesten Fotos aus dieser Zeit. "Am 31. August 1982 rief die im Untergrund agierende Solidarnosc zu Demonstrationen anlässlich des zweiten Jahrestag ihrer Anerkennung auf. In Folge einer brutalen Polizeiaktion starben im niederschlesischen Lubin drei Demonstranten. Aber nur der Tod des 28-jährigen Michal Adamowicz ging in Bildern um die Welt und wurde zum Symbol der Repression der Kommunisten". Erst seit 1992 ist der Fotograf Krzysztof Raczkowiak namentlich bekannt. Die Todesschützen wurden nie gefunden.
al-Sharq al-Awsat (Saudi Arabien / Vereinigtes Königreich), 13.12.2006
Abu Dhabi boomt - nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell. Zwei Artikel räumen mit einem gängigen Klischee auf: Statt als kulturloser Einöde, in der sich alles um Öl und Geld dreht, beschreiben sie das Emirat am Golf als regionales Zentrum einer kulturellen Blüte. Salman Dusri fasst das Problem zusammen, mit dem sich die Kulturpolitik des Staates konfrontiert sieht: "Wie kann ein Land seine kulturelle Identität bewahren, während es gleichzeitig versucht, mit aller Macht vom ökonomischen Aufschwung zu profitieren?" Die Lösung: Finanzierung von kulturellen Aktivitäten jeder Art, die sich vor allem an die breitere Bevölkerung richten.
Ausländische Hilfe ist dabei offenbar willkommen. So berichtet Muhammad al-Mazdiwi von der Eröffnung eines Außencampus der renommierten Pariser Universität Sorbonne in Abu Dhabi. Die Einrichtung eines Guggenheim-Museums ist bereits beschlossen (mehr hier), über eine Filiale des Louvre wird gegenwärtig noch verhandelt (mehr hier). Nicht ohne Genugtuung beobachtet Mazdiwi, mit welchem Selbstbewusstsein die arabischen Unterhändler dabei gegenüber den Franzosen auftreten. Er zitiert ein Mitglied der französischen Delegation mit den Worten: "Wenn wir nicht schnell mit ihnen zu einer Einigung kommen, dann werden andere große Museen, vor allem Sankt Petersburgs Eremitage, zur Stelle sein, um ein ähnliches Projekt anzugehen."
Ausländische Hilfe ist dabei offenbar willkommen. So berichtet Muhammad al-Mazdiwi von der Eröffnung eines Außencampus der renommierten Pariser Universität Sorbonne in Abu Dhabi. Die Einrichtung eines Guggenheim-Museums ist bereits beschlossen (mehr hier), über eine Filiale des Louvre wird gegenwärtig noch verhandelt (mehr hier). Nicht ohne Genugtuung beobachtet Mazdiwi, mit welchem Selbstbewusstsein die arabischen Unterhändler dabei gegenüber den Franzosen auftreten. Er zitiert ein Mitglied der französischen Delegation mit den Worten: "Wenn wir nicht schnell mit ihnen zu einer Einigung kommen, dann werden andere große Museen, vor allem Sankt Petersburgs Eremitage, zur Stelle sein, um ein ähnliches Projekt anzugehen."
Elet es Irodalom (Ungarn), 15.12.2006

Verleger aufgepasst! Der Schriftsteller Miklos Vamos feiert Ernö Szep, einen der bekanntesten ungarischen Schriftsteller der Vorkriegszeit, der 1919 durch den Liebesroman "Lila Akazien" bekannt wurde, dessen Feuilletons und Chansons zu den wichtigsten Zeitdokumenten und dessen "Drei Wochen in 1944" zu den schockierendsten Berichten über den Holocaust gehören. "Als Holocaust-Überlebender stellte er sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer so vor: 'Ich war einmal Ernö Szep.' Nach zeitgenössischen Darstellungen wirkte er wie ein kleiner Junge, als er nach zwei Weltkriegen Abschied von sich selbst nahm." (Hier und hier zwei feuilletonistische Texte von Ernö Szep in deutscher Übersetzung)
New York Times (USA), 17.12.2006

Außerdem: Zev Chafets besucht eine Prediger-Familie, die New Yorks Finanzwelt den Teufel austreiben will. Im Interview mit Deborah Solomon erklärt der Mitbegründer der Zagat-Restaurantführer, Tim Zagat, wie industriell hergestellte Fette unser Leben verändern. Und Tom Mueller stellt einen Mann vor, der Psychogramme von Kunsträubern erstellt und selber ein Auge auf Berninis Ludovica-Statue hat.