Magazinrundschau

Mit dem Alter radikaler

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
13.05.2008. In Eurozine bekennt sich der 69-jährige katalanische Philosoph Xavier Rubert de Ventos zu fortschreitender Radikalität. In Nepszabadsag verkündet der 75-jährige Schriftsteller György Konrad: Erinnern ist Rebellion. In Artforum denkt der 84-jährige Philosoph Artur C. Danto über Revolution und Kunst nach. Anne Applebaum nimmt in The New Republic Nicholson Bakers pazifistische Streitschrift "Human Smoke" auseinander. In Folio beklagt Christian Demand das Elend der Kunstkritik. Der Spectator porträtiert den einzigen offen schwulen anglikanischen Bischof, Gene Robinson.

Nepszabadsag (Ungarn), 10.05.2008

Braucht der Mensch die Erinnerung? Keine Frage für den Schriftsteller György Konrad: "Die persönliche Geschichte ist ein aktives Arbeitsinstrument, eine Beispielsammlung, eine lebendige Metapher, die wie ein Tier ihre Muskeln sehen lässt. [...] Erinnern ist menschlich, es ist das Humane selbst. Die Natur steht der Geschichte gleichgültig gegenüber. Das Gras auf dem Massengrab ist nicht weniger grün als anderswo. Die Natur trauert nicht und legt auch kein Zeugnis ab. Sich zu erinnern ist eine unnatürliche Aktion, die sich gegen den Tod stellt. Warum will ich, dass jemand lebe, der nicht mehr lebt? Schreibt denn die Demut nicht gerade die Einfalt des Vergessens vor? Man sagt, wer nicht vergisst, ist gefährlich. Ebenfalls sagt man, Gott vergisst nicht. Die Erinnerung des Menschen ist eine ähnliche Hybris, eine Verwegenheit, wie das Feuer anzuzünden. Der Apfel, der Adam zur Unterscheidung zwischen Gut und Böse zwang, vergegenwärtigte in seinem Kopf gleichzeitig sein bisheriges Leben. Erinnern ist - Rebellion."
Archiv: Nepszabadsag
Stichwörter: Konrad, György

Eurozine (Österreich), 11.05.2008

Der katalanische Philosoph Xavier Rubert de Ventos erklärt im einem aus der Zeitschrift L'Espill übernommenen Interview, warum er Reaktionäre wie Celine und Drieu La Rochelle lieber liest als John Rawls. Vielleicht auch Ernst Jünger? "Also wirklich nicht! In seinen Pariser Tagebüchern beschreibt er, wie er die letzten Briefe von Menschen behalten hat, die von den Nazis während des Krieges zum Tode verurteilt wurden. Mit eisiger Eleganz rechtfertigt er den angenehmen Umstand, dass diese Briefe nie ihr Ziel erreichten. Im Gegensatz dazu akzeptieren Drieu La Rochelle und Celine ihre menschliche Natur ohne Entschuldigung, Ich bin ebenfalls ein Mensch und mag es gleichzeitig nicht, einer zu sein. Ich fühle mich seltsam damit, schlecht, unwohl, besessen, perplex. Wenn meine Philosophie mir irgendetwas gebracht hat, dann, dass ich meine monströse Verfassung in eine Struktur des allgemeinen Diskurses eingefügt habe. Ich fühle mich mit Celine, Drieu und mehr und mehr mit Marx verwandt. Ich bin ideologisch radikaler geworden. Ich habe mich früher immer über Leute gewundert, die mit dem Alter radikaler wurden. Aber mit mir passiert das jetzt auch."
Archiv: Eurozine

Artforum (USA), 01.05.2008

Die Mainummer ist dem guten alten Jahr 1968 gewidmet. Es war keine Revolution, "jedenfalls nicht die Revolution, die sich die Studenten erträumten", schreibt der New Yorker Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto, der die Studentenproteste an der Columbia University im April 1968 miterlebte. Und doch war es eine: "Ich habe eine Art Theorie über große soziale Brüche: Bevor sie stattfinden, passiert etwas in der Kunst. Man denke an die Romantik und die Französische Revolution oder die russische Avantgarde der Jahre 1905 bis 15 und an Alexander Rodschenkos Slogan 'Kunst ins Leben' Das war schon nicht mehr so weit vom Fluxus-Motto entfernt, das von Studenten in John Cages Seminar in experimenteller Komposition an der New Yorker New Schoool getragen wurde."

Außerdem im 68er-Dossier: Ein Gespräch zwischen Sylvere Lotringer und Antonio Negri, über die Revolution, die niemals endet (das aber nur auszugseise online gestellt ist) und ein langer Essay von Tom Holert über Joseph Beuys und die antiautoritäre Kunst und Erziehung in Deutschland um 1968.
Archiv: Artforum

Folio (Schweiz), 12.05.2008

NZZ-Folio ist der Kunst gewidmet. Oder vielmehr der Frage: Was ist gute Kunst? Die Kunstkritik kann diese Frage schon lange nicht mehr beantworten, behauptet der Kunsthistoriker Christian Demand, "der einfach nicht fassen kann, welche Ansammlung von sprachlicher Wichtigtuerei, moralischer Hochstapelei und schlechtem Denken ihm in diesem Genre regelmäßig zugemutet wird." Das mag auch daran liegen, dass ein geistig-moralisches Gefälles zwischen Kunst und allen übrigen Artefakten angenommen wird. "Der Gedanke, dass die Kunst irgendwelche Eigenschaften besitzen müsse, die sie über die restliche soziale Welt 'erheben' und damit von den dort gängigen Rechtfertigungspflichten freistellen, ist seit mehr als dreihundert Jahren von ganzen Armeen von Kunstschriftstellern so breit ausgetreten worden, dass es einiger Anstrengung bedarf, will man sich auf diesem Terrain noch einen anderen Weg bahnen. Warum sollte man auch? Gerade für den Kritiker hat es ja durchaus Vorteile, der bereits gespurten Bahn zu folgen. Sie bietet zum Beispiel ein plausibles Erklärungsmodell für das Phänomen der chronischen Uneinigkeit bei der Bewertung von Kunst, und zwar praktischerweise eines, bei dem man als Kritiker bei seiner Arbeit automatisch immer auf der richtigen Seite steht."

Gudrun Sachse befragt die Künstlerin Pipilotti Rist, die Leiterin der Zürcher Kunsthalle Beatrix Ruf, den Galeristen Bob van Orsouw, den Kunsthändler Simon de Pury und den Kunstprofessor Philip Ursprung - letzterer erklärt, warum "Schönheit" keine Kategorie mehr für die Kunstkritik ist: "Die vermittelnden Institutionen mögen den Begriff gar nicht, weil er von der direkten Verbindung zwischen kunstwerk und Betrachter handelt und Vermittlung überflüssig macht."

Außerdem: Rene Ammann besucht die Künstler Max Grüter, Sidonie Nuoffer und David Renggli in ihren Ateliers. Marion Maneker begleitet New Yorks begehrteste Kunstberaterin Kim Heirston. Der Bildhauer Wolf E. Schultz erzählt, wie man sich fühlt, wenn die im öffentlichen Raum aufgestellte Skulptur jahrzehntelang misshandelt wird.
Archiv: Folio

Outlook India (Indien), 19.05.2008

Outlook hat in dieser Woche das alljährliche "Bollywood Special" zu bieten, in dem sich diesmal alles um die Stars bzw. Superstars dreht. Es gibt zum einen Umfragen dazu, wer die größten und beliebtesten Stars aller Zeiten sind - natürlich gewinnt Amitabh Bachchan bei den Männern sehr deutlich, bei den Frauen ist die Lage weniger klar (hier die Ergebnisse in vielen Einzelkategorien).

Die noch einmal engere Beziehung, die die südindischen Fans zu ihren Stars haben, schildert im spannendsten Artikel Sadanand Menon. Er weiß nicht nur von den fließenden Übergängen zwischen Leinwand und Wirklichkeit zu berichten, sondern diagnostiziert auch einen dramatischen Wandel im Heldenbild: "Männliche Helden im südindischen Kino waren lange Zeit androgyn. Sowohl männliche als weibliche Fans fanden sie attraktiv. Fast alle bedeutenderen Helden des Südens der 50er bis 70er Jahre hatten in früheren Phasen ihrer Karriere Frauenrollen gespielt. Damals waren die Körper der männlichen Stars weit vom gegenwärtigen Machismo und seiner aggressiven Maskulinität entfernt."

Bhaichand Patel vergleicht die weiblichen Stars der Gegenwart mit denen von einst und findet nicht, dass die größere Freizügigkeit in Filmen jüngerer Zeit ein Gewinn ist: "Bis vor kurzem bekam man in indischen Filmen nicht viel zu sehen von den weiblichen Hauptdarstellerinnen. Sie waren vom Hals bis Fuß züchtig bedeckt. Einige Stars von heute, Aishwarya Rai, Bipasha Basu und Kareena Kappor, sind durchaus bereit, einiges zu zu zeigen... Aber diese Frauen sehen aus wie Barbie-Puppen, nicht wie normale Menschen, exquisit, aber aus Plastik. Den Reiz ihrer Vorgängerinnen, die wir nur in Saris gewickelt kannten, haben sie nicht."

Naman Ramachandran erzählt die Geschichte des Superstar-Zeitalters, in dem die Stars zu gottgleichen Idolen wurden - eine Phase, die erst im Jahr 1969 einsetzt.
Archiv: Outlook India

Letras Libres (Spanien / Mexiko), 11.05.2008

"Ideen für die Linke" lautet der Themenschwerpunkt der aktuellen Ausgabe von Letras Libres. Der bekannte venezolanische Publizist und Ex-Marxist Teodoro Petkoff spricht im Interview über den Unterschied zwischen der "autoritären" und der "demokratischen" Linken Lateinamerikas: "Venezuela ist ein untypischer Fall. Die Linke ist hier auf anderem Weg an die Macht gelangt als in den übrigen Ländern Lateinamerikas. Chavez gelang dies trotz bzw. mithilfe eines gescheiterten Militärputsches. Die traditionelle, organisierte Arbeiterschaft konnte Chavez allerdings nicht für sich gewinnen; dafür aber eine Gruppe, die man für unorganisierbar gehalten hat: die 'städtischen Armen', also Langzeitarbeitslose, arme Hausfrauen, Gelegenheitsarbeiter, Straßenverkäufer, Kleinkriminelle etc. Zum Glück hat er sich aber, wenigstens bis jetzt, als unblutiger Utopist gezeigt. Wie ist das möglich? Er kann sich seine Experimente erlauben, weil er über einen solchen 'Scheißhaufen' Geld verfügt: Wir 27 Millionen Venezolaner werden dieses Jahr 70 Milliarden Erdöl-Dollars einnehmen. Damit kann Chavez locker all seine Phantasien ausleben."
Archiv: Letras Libres

New Yorker (USA), 19.05.2008

Sue Halpern beschreibt, wie traumatisierte Veteranen mit einem Kriegssimulationsprogramm behandelt werden. "Das Programm nennt sich Virtual Iraq und die Patienten arbeiten in einer computersimulierten Umgegbung darin ihr Kampftrauma auf. Das Portal besteht aus einem am Kopf befestigten Bildschirm, Kopfhörern, einer Geruchsmaschine und einer modofizierten Version von Full Spectrum Warrior, einem populären Videospiel."

David Remnick porträtiert den amerikanischen Jazz-Discjockey Phil Schaap, der seit siebenundzwanzig Jahren jeden Werktag auf WKCR, dem Radiosender der Columbia University, die Sendung "Bird Flight" moderiert, die sich "so obsessiv, leidenschaftlich und detailreich" dem Bebop-Saxofonisten Charlie Parker widmet, dass ihr Macher "gelegentlich klingt wie ein durchgedrehter Talmud-Gelehrter, der beschlossen hat, dass die Gesetze der Menschheit nicht in den alten babylonischen Traktaten ruhen, sondern in wechselnden Aufnahmen von ,Moose the Mooche' und ,Swedish Schnapps'."

Weitere Artikel: Hendrik Hertzbergs kommentiert die vorerst letzte Runde im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur zwischen Barack Obama und Hillary Clinton. Zu lesen ist außerdem die Erzählung "East Wind" von Julian Barnes und Lyrik von Bob Hicok und Richard Wilbur.

Bee Wilson rezensiert eine Studie zur Nahrungsmittelkrise: "The End of Food" von Paul Roberts (Houghton Mifflin). Alex Ross resümiert ein fünf Konzerte umfassendes Stravinski-Festival. John Lahr stellt Inszenierungen von Stücken von Caryl Churchill und Samuel Beckett vor. Sasha Frere-Jones bespricht die amerikanische Version von "Deutschland sucht den Superstar", die Fox-Sendung "American Idol". Und David Denby sah im Kino die Komödien "Noise" von Henry Bean mit Tim Robbins in der Hauptrolle und "Harold & Kumar Escape from Guantanamo Bay" von Jon Hurwitz and Hayden Schlossberg.
Archiv: New Yorker

Europa (Polen), 10.05.2008

Natürlich hat man in Polen aufmerksam den "Machtwechsel" im Kreml verfolgt. Und alle fragen sich, welche Zukunft das neue Regime haben wird. Der Putinkritiker Boris Nemzow winkt ab: "Die gegenwärtige Stabilität ist illusorisch. Fahren Sie mal in die Garnisonen - 150.000 Offiziere haben keine Wohnungen. Die U-Boote rosten ohne Mannschaften und Waffen vor sich hin; die Beziehungen zu den Nachbarn sind ruiniert - selbst Lukaschenko betrachtet Russland als Feind. Staatliche Institutionen sind fast inexistent, die Selbstverwaltung funktioniert nicht. Das einzig Stabile sind die Gas- und Ölpreise und niemand weiß, wie lange das anhält. Stabilität ist ausschließlich ein schönes Bild des staatlichen Fernsehens. Und nichts mehr..." Wann die Russen ihr korruptes Regime satt haben werden, weiß Nemzow auch: 2020, behauptet er.

Das Milieu der Neuen Linken, assoziiert mit der Krytyka Polityczna, hat den Philosophen Stanislaw Brzozowski wiederentdeckt. Dass sein Werk von verschiedenen Seiten wiederholt vereinnahmt und kritisiert wurde, beweist die Diskussion zwischen dem Chefredakteur der Krytyka Polityczna Slawomir Sierakowski (mehr hier) und dem Literaturhistoriker Maciej Urbanowski. Während erster mit Brzozowski gegen die Liberal-Konservativen ankämpfen will, konstatiert Urbanowski: "Brzozowski wird immer dann aktuell, wenn ein Bedarf für Aktivismus und Radikalismus besteht, weil man das Bestehende satt hat. (...) Für mich lehrt er uns vor allem, dass die Geschichte nicht von selbst entsteht, dass wir für sie verantwortlich sind; dass wir gegen diese verdammte polnische Schwäche ankämpfen müssen, die unsere Existenz in Frage stellt." (Mehr zu Brzozowski hier und hier)
Archiv: Europa

Spectator (UK), 09.05.2008

Theo Hobson erlebt eine Messe mit Gene Robinson, dem einzigen offen schwulen anglikanischen Bischof aus den USA, der bei den britischen Kollegen nicht gerade willkommen ist. An der kommenden Lambeth Conference darf er nicht teilnehmen. Aber Robinson hat in England auch viele Fans. "Er bekommt stehenden Applaus. Das habe ich in einer Kirche noch nie erlebt - außer im Fernsehen, beim Begräbnis von Prinzessin Diana. Die Prinzessin hat auch etwas mit dem Ganzen zu tun. Bei der anglikanischen Schwulenbewegung geht es um Verletzlichkeit, emotionale Ehrlichkeit, die Verbrüderung mit den Ausgestoßenen. Robnson setzt diese sanften Tugenden mit prophetischer Kraft um. In seiner Predigt zitierte er die Passage aus dem Johannesevangelium, in der Jesus seinen Jüngern erklärt, sie seien noch nicht reif für die ganze Wahrheit des Christentums und dass der Heilige Geist später Erweiterungen verkünden wird. 'Das passiert gerade. Letzten Endes geht es um das Patriarchat - und den Anfang von seinem Ende. Die Stärke des Widerstands bedeutet, dass wir da einen Nerv getroffen haben.'"
Archiv: Spectator

Nouvel Observateur (Frankreich), 08.05.2008

In einem Interview spricht der populäre chinesische Schriftsteller Yu Hua über sein jüngstes Buch "Brother" (Seuil). Darin zeichnet er ein Porträt Chinas der letzten vierzig Jahre und berührt im ersten Teil auch die Kulturrevolution, eine Zeit, die er als Junge noch selbst erlebt hat und ein Thema, das bis heute Tabu ist und über das man in China eigentlich nichts veröffentlichen darf. Einige Figuren seien zwar fiktiv, aber "in China übersteigt die Realität die Vorstellungskraft bei weitem. (...) Es war eine verrückte Epoche: In einer Zeitung aus dieser Zeit habe ich gelesen, dass Pen Zheng, der Bürgermeister von Peking, Mao ernsthaft vorgeschlagen hat, die Verbotene Stadt zu schleifen und an ihrer Stelle die größten Latrinen der Erde zu errichten, damit die gesamte Welt dort pissen und scheißen geht, wo die Kaiser gelebt haben!"

Eine Besprechung dieses Buchs und ein Porträt von Yu Hua ist auch in Le Monde des Livres zu lesen.

Al Ahram Weekly (Ägypten), 08.05.2008

Gamal Nkrumah erzählt die Geschichte des sudanesischen Kameramanns Sami Al-Haj, der 2001 von den Pakistanis festgenommen und den Amerikaner übergeben wurde, die ihn sieben Jahre lang ohne Anschuldigung in Guantanamo einsperrten - nun ist er als unschuldig entlassen worden: "Al-Haj sagt, dass man ihn mit Schlafentzug gefoltert hat und dass er grausamen Befragungstechniken unterworfen wurde. Er leidet an Rheuma und anderen Krankheiten, und ihm wurden Medikamente und medizinische Verdorgung vorenthalten. In den letzten 16 Monaten seiner Gefangenschaft ist er in den Hungerstreik getreten, um gegen seine illegale Inhaftierung zu protestieren. Und er sagt, dass er mit einem Tropf zwangsernährt wurde."

Heftig umstritten ist ein Beschluss des Präsidenten der ägyptischen Schauspielergewerkschaft, die Arbeit nicht-ägyptischer arabischer Darstellerinnen und Darsteller in ägyptischen Produktionen auf zwei Filme im Jahr zu begrenzen. Ein derartiger Protektionismus steht, wie Rania Khallaf feststellt, nicht nur im Widerspruch zu den "Initiativen der Regierung, panarabische Handelsbeziehungen auf den Weg zu bringen, in der Hoffnung auf einen gemeinsamen arabischen Markt", sondern auch zur Tradition des ägyptischen Kinos. Einige der noch heute beliebtesten Stars der Filmgeschichte waren - wie der "Vater der Komödie" Naguib El-Rihani, Sohn eines Irakers - keine Ägypter.
Archiv: Al Ahram Weekly

Elet es Irodalom (Ungarn), 13.05.2008

Der Entstehung einer "europäischen Identität? steht nicht nur die kulturelle Heterogenität des europäischen Kontinents im Wege, sondern auch die Unsicherheiten der heutigen Übergangszeit, erklärt der Medienwissenschaftler Peter György: "Als die Grenzen verschwanden, wurde der Raum schwindelerregend weit und das kulturelle Muster unüberschaubar kompliziert. Als der Nationalstaat verschwand und es sich herausstellte, dass Schengenland so riesig wie mannigfaltig ist, tauchte der alte Reflex der Isolation wieder auf. Die Antwort auf die traumatische Gegenwart und auf die erfolglose Modernisierung ist, wie immer, das Verlangen nach Gesinnungsgemeinschaft, nach einer überschaubaren Vertrautheit. Dies ist genauso verständlich wie hoffnungslos... . Die Beschlagnahmung der nationalen Identität durch den Rechtsradikalismus ist keine richtig gute Lösung. Und da das liberale Laissez-faire in gesellschaftspolitischer Hinsicht nicht viel Gutes gebracht hat, klammern sich die aus der Gesellschaft wegbrechenden Millionen, welch ein Wunder, an die Hoffnung einer nationalen Gemeinschaft." György plädiert für einen Dialog mit den Enttäuschten über die Zusammenhänge von Trauma und Frustration.

Times Literary Supplement (UK), 07.05.2008

Der große Schatten Edward Saids und seiner "Orientalismus"-These wirkt fort, schreibt Robert Irwin, der für den Nahen Osten zuständige Redakteur der Times. Froh ist er darüber nicht und bespricht darum mit Vergnügen zwei Bücher, die Saids "Orientalismus"-Buch auseinandernehmen: Daniel Martin Variscos Buch mit dem lustigen Untertitel "Reading Orientalism - Said and the Unsaid" und das Buch des unter Pseudonym schreibenden Islam-Abtrünnigen Ibn Warraq "Defending the West" (Auszug). Warraq, dessen Verteidigung des Westens Irwin denn doch ein bisschen stört, macht auf die von Said vernachlässigte Rolle der deutschen Orientreisenden aufmerksam. Irwin schreibt: "Deutsche Gelehrte dominierten arabische, hebräische und Sanskrit-Studien im 19. Jahrhundert, aber Said vermied eine nähere Auseinandersetzung mit ihrem Werk. Dies liege daran, dass die Vorherrschaft der Deutschen nicht mit Saids These des Zusammenhangs zwischen Orientalismus und Imperialismus zusammenpasse, andere glauben, dass sein Deutsch einfach nicht gut genug war."

New Republic (USA), 28.05.2008

Selten ist ein Buch in den letzten Jahren mit solcher Verve verrissen worden wie Nicholson Bakers (mehr hier) pazifistische Streitschrift "Human Smoke" (Auszug), die die Berechtigung des alliierten Kriegs gegen die Nazis in Frage stellt, durch die Gulag-Historikerin Anne Applebaum. Es ist eine doppelte Polemik, einerseits gegen Bakers Buch, andererseits gegen das Internet und einen ihrer Meinung nach hier grassierenden Unernst, der mit zusammengestoppeltem Wissen aus Google und Wikipedia Verschwörungstheorien fabriziert. Und Baker ist Wikipedia-Fan, wie er jüngst in der New York Review of Books unterstrich! Bakers Buch resümiert Applebaum so: "Man kann mit Bakers Argumentation nicht uneins sein, weil er keine hat. Er baut keine Beweisführung auf, er unterstellt und lässt den Leser raten, was. Meine beste Paraphrase seiner Ansichten geht so: Churchill war ein Tyrann und Trinker. Die Roosevelts waren Snobs und Antisemiten. Also waren sie nicht gut. Also war ihr sogenannter 'guter' Krieg reine Heuchelei. Also kämpften sie nur, weil sie Büttel des militärisch-industriellen Komplexes waren und und eine blutrünstige Vorliebe für Flächenbombardements hatten..." Und so weiter...

Nun sieht es so aus, als würde Barack Obama für die Demokraten ins Rennen gehen. Sicherlich gibt es heute weit weniger Rassismus als noch vor fünfzig Jahren, schreibt John B. Judis, aber es bleibt ein rassistisches Unterbewusstsein, das sich durch subtile soziologische Methoden ans Licht bringen lässt. Etwa 15 Prozent der Anhänger der Demokraten würden Obama nicht wählen, weil er schwarz ist, und die Frage ist in Judis' Artikel, ob und wie Obama dieses Hindernis überwinden kann. Die eher noch rassistischen Bevölkerungsteile findet Judis in der weißen Working Class, aber nicht nur dort: "Die einzigen Gruppen, die keine rassischen Aversionen gegen Schwarze zeigten, waren Weiße mit Universitätsabschluss und natürlich Afro-Amerikaner. Die Hispanics hatten fast so viele Vorurteile wie die Weißen, und dann gibt es da noch die als 'Andere' bezeichnete Gruppe, die Asian-Americans einschließt und die noch ausgeprochenere Ressentiments hegt - einer der Gründe, warum Obama in Kalifornien so schlecht abschnitt." Laut Judis sollte Obama die Rassenfrage im Wahlkampf eher vermeiden und sich auf die Themen Irak-Krieg und Wirtschaft konzentrieren.

Die New Republic ist auch sonst in Form, diese Woche: Cynthia Ozick schreibt einen großen Essay über Lionel Trilling. Francesca Mari erklärt, was "Cosmic Realism" ist. Gabriel Sherman analysiert Murdochs Strategie für das Wall Street Journal.
Archiv: New Republic