Magazinrundschau
Dieser Mangel an Befremden
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
01.12.2009. In Eurozine plädiert der slowenische Dichter Ales Debeljak für die Vermischung der Kulturen. Umberto Eco sekundiert in Le Monde. The Nation porträtiert den salvadorianischen Autor Horacio Castellanos Moya, der wiederum in Babelia erklärt, warum es 200 Jahre nach der Unabhängigkeit einer Reihe von lateinamerikanischen Staaten nichts zu feiern gibt. Polityka legt die Polen auf die Couch. La vie des idees liest ein Buch über die Resistance und die Juden. Amerikaner lesen mehr als Europäer, kontert der Historiker Peter Baldwin im Merkur. Und in der The New York Review of Books macht Robert Darnton zwei kühne Vorschläge für ein neues Book Settlement.
Eurozine (Österreich), 30.11.2009

Außerdem: Welche Bedeutung hat Spinoza heute noch? Das diskutieren - zusammengebracht vom slowakischen Magazin Kritika & Kontext - Gabor Boros, Herman De Dijn, Moira Gatens, Syliane Malinowski-Charles, Warren Montag, Teodor Münz und Steven B. Smith.
The Nation (USA), 14.12.2009

Weiteres: In New York, Madrid und Rom fingen die Taxifahrer jedesmal an zu jubeln, wenn Jose Manuel Prieto auf die Frage, aus welchem Land er komme, "Kuba" antwortete. Prieto, verstört von dieser Reaktion, antwortet ihnen mit einem Essay: "Travels by Taxi: Reflections on Cuba" (auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen). Verleger und Parlament sollen endlich aufhören, dem Internet die Schuld am Niedergang der Zeitungen zu geben (den haben die Zeitungen nämlich selbst verschuldet) und endlich über geeignete Fördermittel nachdenken, die den Journalismus wieder revitalisieren kann, meinen John Nichols und Robert W. McChesney. Besprochen werden Christopher Caldwells Buch "Reflections on the Revolution in Europe: Immigration, Islam, and the West" (Leseprobe) und eine englische Ausgabe der Gedichte von Rilke.
Monde (Frankreich), 28.11.2009
Im Zeitalter des Internets ist dem Kunstfreund nichts mehr fremd, schreibt Umberto Eco. Die Folgen sind bedenklich: "Unser Geschmack wird durch die Tatsache geprägt, dass es kaum mehr möglich ist, Befremden (oder Unverständnis) angesichts des Unbekannten zu empfinden. In der Welt von morgen wird das Unbekannte, wenn überhaupt, jenseits der Sterne liegen. Wird dieser Mangel an Befremden (oder Ekel) zu größerem Einverständnis zwischen den Kulturen führen oder zu Identitätsverlust? Es ist kaum möglich, dieser Herausforderung auszuweichen: Besser ist es darum, den Austausch zu intensivieren und Vermischungen zuzulassen. In der Botanik fördert das Kreuzen der Arten die Kultur. Warum nicht in der Kunstwelt?"
Elet es Irodalom (Ungarn), 20.11.2009

Babelia (Spanien), 28.11.2009
Zum bevorstehenden zweihundertsten Jubiläum der Unabhängigkeit einer Vielzahl lateinamerikanischer Nationen schreiben in Babelia eine Reihe sehr lesenwerter lateinamerikanischer Autoren. Der salvadorianische Schriftsteller Horacio Castellanos Moya (den The Nation diese Woche porträtiert) zitiert in seinem Beitrag einen mexikanischen Schuhputzer, dem er zunächst nicht recht glauben will: "Hierzulande ist alle hundert Jahre der Teufel los: 1810 wegen der Unabhängigkeit, 1910 wegen der Revolution, und 2010 wird es wieder so sein - niemand kann das aufhalten. So steht es im Himmel geschrieben." Bis er sich abschließend konsterniert fragt, ob der Mann nicht recht hat: "Steht uns nicht ein neuer Zyklus infernalischer Gewalt bevor (wie sie in Mexiko bereits in vollem Gange ist), kaum verhüllter Gewaltherrschaft (wie in Honduras, Venezuela, Nicaragua) und Kriegen zwischen Nachbarländern (was sich derzeit zwischen Caracas und Bogota bzw. Lima und Santiago abspielt, kommt einem doch nur zu bekannt vor)? Jedenfalls: Was gibt es eigentlich zu feiern? Abgesehen von der einen oder anderen künstlerischen Leistung leiden wir unter dem Kater von zweihundert Jahren Enttäuschung, während unsere Regierungen uns weiterhin mit Trugbildern von Wohlstand und Entwicklung ködern wie einst die spanischen Konquistadoren mit ihren Glasperlen und ihrem falschen Schmuck."
Polityka (Polen), 27.11.2009

Mariusz Czubaj versucht zu erklären, warum nordeuropäische Krimiautoren immer beliebter werden: "Der skandinavische Krimi stellt die Frage nach unserer kulturellen Identität, nach dem Modell des Staates und seiner Pflichten gegenüber den Einwanderern sowie nach der Zunahme der Gewalt im Alltag. Damit ist diese Gattung eine Form der Debatte über die Gesellschaft und eine wichtige, wenn auch fabularisierte, Stimme in der Diskussion über die heutige Welt".
Außerdem: Der Schriftsteller Erwin Kruk erinnert sich an Masuren und erzählt von seinem (erfolglosen) Versuch, das Elternhaus wieder zu bekommen. Janusz Wroblewski bespricht begeistert Wojciech Smarzowskis Film "Dom zly" (Böses Haus), ein Thriller, der im kommunistischen Polen Ende der 70er-Jahre spielt: "Aus einer betrunken-surrealistisch-naturalistischen Situation, von den Schauspielern wunderbar dargestellt, entsteht ein glasklares Bild der Paranoia der Volksrepublik. Ein perfektes Gegenmittel für nostalgische Sehnsucht nach den sozialistischen Zeiten." Und nachzulesen und nachzuschauen sind die Eindrücke von Antonio Armanos und Massimo Bregas Reise entlang der Spuren des Eisernen Vorhangs.
Nouvel Observateur (Frankreich), 26.11.2009

Economist (UK), 27.11.2009

Espresso (Italien), 26.11.2009

La vie des idees (Frankreich), 23.11.2009
Jean-Marc Dreyfus bespricht ein Buch der Historikerin Renee Poznanski, das auf 800 Seiten, offenbar sehr differenziert, ein großes Tabu der französischen Geschichte aufgreift: "Propagandes et persecutions - La Resistance et le 'probleme juif', 1940-1944". Die Resistance, so stellt sich hier heraus, reagierte auf die Judenverfolgung der Nazis ähnlich wie die Öffentlichkeiten der alliierten Länder - abwiegelnd, desinteressiert und opportunistisch. Das gilt auch für die Medien der Resistance: "Von Ausnahmen abgesehen zeigte sich die Untergrundpresse sehr diskret über das Schicksal der Juden, während das von Vichy erlassene 'premier statut' die französischen Behörden schon dazu verpflichtete, für alle ihre Beamten Ariernachweise zu erbringen. Zwar ließ die kommunistische Presse die Juden in den Opferlisten figurieren, und auch die jüdische Widerstandpresse der Kommunisten prangerte die Verfolgungen der Juden früh an, wobei nicht selten in antikapitalistischer Rhetorik jüdische Bankiers angegriffen wurden, aber selbst die radikalsten antijüdischen Maßnahmen wurden allenfalls in Kurzmeldungen abgehandelt." Erst mit dem Holocaust ab 1942, so Dreyfus, geriet das Thema in ein breiteres Bewusstsein, ohne je als zentral wahrgenommen zu werden - und auch nach dem Krieg wurde es noch lange heruntergespielt.
Merkur (Deutschland), 01.12.2009

Weitere Artikel: In einer kleinen Geschichte der Technologiekritik fällt Kathrin Passig auf, dass sich die Argumente gegen Handy, Internet oder Twitter nicht von denen gegen Straßenbeleuchtung, Telefon oder Tonfilm unterscheiden. Der Philosoph Volker Gerhardt erklärt die Politik als geradezu unabwendbare Tragödie, zumindest im Platonschen Sinne. Der Politikwissenschaftler Heinz Theisen erklärt ausgerechnet am Beispiel Israel die Integration verschiedener Kulturen für gescheitert und plädiert dafür, es generell bei einer Koexistenz zu belassen. Und Thomas Speckmann analysiert Russlands und Chinas Strategien, ihre Einflussphären auszuweiten.
New Statesman (UK), 30.11.2009

Nepszabadsag (Ungarn), 28.11.2009

Outlook India (Indien), 07.12.2009

Außerdem: Yashodhara Dalmia empfiehlt eine Ausstellung der "Suite Vollard", hundert Kupferstichen von Pablo Picasso, die im Instituto Cervantes in Delhi gezeigt werden.
New York Review of Books (USA), 17.12.2009
Robert Darnton, Historiker und Leiter der Harvard Universitätsbibliothek, dröselt die Argumente um das Google Book Settlement auseinander und skizziert dann zwei kühne Vorschläge, wie der Streit gelöst werden könnte: Die radikalste Lösung wäre es, Googles digitale Datenbank per Gesetz in eine von der öffentlichen Hand finanzierte digitale Bibliothek umzuwandeln. "Wenn staatliche Intervention als zu schwerer Eingriff in das amerikanische Recht gilt, könnte noch eine minimale Lösung für den privaten Sektor gedacht werden. Das Parlament müsste mit Gesetzen einschreiten, um die Digitalisierung von verwaisten Werken vor Prozessen zu schützen, aber es müsste keine finanzielle Unterstützung bewilligen. Diese könnte statt dessen von einer Koalition aus Stiftungen kommen. Die Digitalisierung, der open-access-Vertrieb und die Bereitstellung verwaister Werke könnte durch nonprofit-Organisationen erfolgen wie das Internet Archiv, das als digitale Bibliothek von Texten, Bildern und archivierten Webseiten entstanden ist. Um Konflikte mit dem kommerziellen Markt zu vermeiden, würde diese Datenbank nur Bücher aufnehmen, auf denen kein Copyright mehr liegt, und verwaiste Werke. Ihre Zeitspanne würde sich ausweiten, während Copyrights erlöschen, und sie könnte opt-in-Möglichkeiten für Rechteinhaber von Büchern vorsehen, auf denen zwar noch ein Copyright liegt, die aber nicht mehr lieferbar sind."
Außerdem: Der britische Religionswissenschaftler Malise Ruthven setzt sich ausführlich und detailliert mit Christopher Caldwells "Reflections on the Revolution in Europe: Immigration, Islam, and the West" (Leseprobe) auseinander. Ian Buruma liest Tagebücher aus dem besetzten Frankreich. Tony Judt fragt, wie tot ist die Sozialdemokratie. Die Autorin Cathleen Shine bespricht Gail Collins' Buch "When Everything Changed: The Amazing Journey of American Women from 1960 to the Present". Und John Richardson schreibt über Francis Bacon, dem im letzten Jahr eine große Retrospektive in der Tate Britain gewidmet war, die jetzt auch in New York gezeigt wurde.
Außerdem: Der britische Religionswissenschaftler Malise Ruthven setzt sich ausführlich und detailliert mit Christopher Caldwells "Reflections on the Revolution in Europe: Immigration, Islam, and the West" (Leseprobe) auseinander. Ian Buruma liest Tagebücher aus dem besetzten Frankreich. Tony Judt fragt, wie tot ist die Sozialdemokratie. Die Autorin Cathleen Shine bespricht Gail Collins' Buch "When Everything Changed: The Amazing Journey of American Women from 1960 to the Present". Und John Richardson schreibt über Francis Bacon, dem im letzten Jahr eine große Retrospektive in der Tate Britain gewidmet war, die jetzt auch in New York gezeigt wurde.
Kommentieren