Magazinrundschau

Sprechen Sie, schreiben Sie

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
08.03.2011. Vanity Fair folgt dem Twitter-Gründer Jack Dorsey. In Elet es Irodalom verteidigt Laszlo Rajk Bela Tarr gegen den Tagesspiegel, der Tarr politische Äußerungen entlockte. In Le Point ruft BHL die Ägypter und Tunesier auf: Helft euren libyschen Brüdern. Die NYRB berichtet über das deprimierte New Orleans. Outlook India stellt den indischen Guttenberg vor - aus der Kaste der Yoga Gurus. Telerama berichtet von deutschen Zensurversuchen bei einem französischen Arte-Film über schwarze Kassen der CDU. Gentlemen's Quarterly blickt auf die kommenden Filmproduktionen und schaudert.

Telerama (Frankreich), 04.03.2011

Zensur bei Arte? Jean-Michel Meurice hat einen Dokumentarfilm gemacht, der die Finanzierung der Adenauer-CDU aus höchst obskuren Schweizer (also wohl auch Ex-Nazi-)Quellen belegen will, der aber auch auf die Schwarzgeldaffäre der CDU unter Helmut Kohl zurückkommt. Die deutschen Hierarchen bei Arte haben sich drei Jahre lang gegen die Ausstrahlung gestemmt - jetzt darf der Film im April gesendet werden, berichtet Olivier Milot: "Jerome Clement, der scheidende Präsident hatte aus Schwäche oder aus Angst vor einem 'diplomatischen Zwischenfall' abgewunken. Verständlich? Darüber urteile jeder selbst. Man kann sich jedenfalls fragen, was passiert wäre, wenn französische Politiker einen deutschen Dokumentarfilm über französische Politiker oder Ereignisse verhindert hätten..."
Archiv: Telerama
Stichwörter: Kohl, Helmut

Vanity Fair (USA), 01.04.2011

David Kirckpatrick porträtiert den 34-jährigen Jack Dorsey, den Erfinder von Twitter, der nicht auf geradem Wege sondern über eine Menge Selbstverwirklichungsstationen in Silicon Valley gelandet ist. Unter anderem studierte naturwissenschaftliches Zeichnen, praktizierte intensiv Massage, interessierte sich für Mode, Ballett und für Kunst. Nun hat er neben Twitter noch ein anderes Start up, Square, das es mit einer Smartphone-App und einer kleinen Plastikvorrichtung jedermann ermöglichen soll, Geld von Kreditkarten einzuziehen. Mit seinen Square-Leuten geht er ab und zu auch ins Museum und andere Kunststätten, um Kunstwerke zu betrachten: "Eines der letzten Kunsttreffen war den ästhetischen Qualitäten der Golden Gate Bridge gewidmet. 'Wir sind der einzige Bezahldienst der Welt, der sich auch für Design interessiert', sagt Prada-Fan Dorsey. Er zeigt ein dramatisches Foto von der Brücke, das von der Spitze eines der Pfeiler aufgenommen wurde. 'So etwas möchte ich bauen. Es hat Klasse, es ist inspirierend, grenzenlos. Jeder seiner Aspekte ist umwerfend..."
Archiv: Vanity Fair

Elet es Irodalom (Ungarn), 04.03.2011

Ein Interview mit dem ungarischen Filmemacher Bela Tarr im Tagesspiegel vom 20. Februar (anlässlich seines Berlinale-Films "The Turin Horse", mehr dazu hier) hat in Ungarn für heftige Nachbeben gesorgt. Tarr hatte sich kritisch zur Regierung von Viktor Orban geäußert. Er distanzierte sich allerdings kurz darauf von dem Interview und der Tagesspiegel nahm es vorübergehend aus dem Netz. Der ungarische Architekt Laszlo Rajk, der auch bei mehreren Filmen Tarrs mitgewirkt hat, nimmt den Filmemacher in Schutz und wirft den Kritikern, vor allem aber dem Tagesspiegel vor, die Autonomie des Künstlers verletzt zu haben: "Wenn jemand die Kunst des Bela Tarr kennt - und solch eine Kenntnis könnte man vom Chef des Kulturressorts einer anspruchsvollen Berliner Tageszeitung erwarten - dann weiß man, dass Tarr seine künstlerische Tätigkeit und seine ideologischen, philosophischen und politischen Stellungnahmen klar voneinander trennt. Daher bin ich der Meinung, dass die verschiedenen Äußerungen Tarrs zu einem einzigen Gebilde verschmelzen und gemeinsam seine Größe in Kunst und Öffentlichkeit wiedergeben. Es geht also nicht darum, ob Tarr wirklich gesagt hat, was ihm zugeschrieben wird und ob die Zeitung eine Tonaufnahme besitzt oder nicht. Des Wesentliche ist, dass Tarr anlässlich der Preisverleihung über das Werk sprechen wollte, und nicht über Politik."

Point (Frankreich), 04.03.2011

Bernard-Henri Levy ruft Ägypter und Tunesier auf, in Libyen einzugreifen, um auch dort den Diktator zu verjagen, dem Mubarak und Ben Ali noch vor ein paar Wochen zu Hilfe geeilt wären: "Heute ist es nicht mehr absurd sich vorzustellen, dass Ägypten und Tunesien... einen Sieg der Aufständischen wünschen, dass sie helfen, in den befreiten Gebieten Urzellen politischer Strukturen aufzubauen, ohne die die Libyer früher oder später in die Knechtschaft zurückfallen würden, ja dass sie aktive Solidarität üben und dem libyschen Volk, das schon so viel gelitten hat, helfen, den Verbrecher gegen die Menschlichkeit fortzujagen, der seit vierzig Jahren über Tripolis herrscht."
Archiv: Point

New York Review of Books (USA), 24.03.2011

Nicholas Lemann hat sich einige Dokumentarfilme über Katrina und die Folgen für New Orleans angesehen, unter anderen zwei Filme von Spike Lee, die auf DVD vorliegen. Und er kann nur Trauriges berichten, sowohl über die Vorgeschichte und das Ereignis selbst als auch über seine Bewältigung. In der schwarzen Bevölkerung der Stadt herrscht eine größere Verbitterung denn je, berichtet er, und schließt dann doch mit einer optimistischen Note: "Fünfeinhalb Jahre nach dem Sturm ist es ermutigend zu sehen, dass die Leute ihr Leben in den Griff bekommen, trotz aller Gründe zur Verzweiflung. Tausende und Abertausende Einwohner von New Orleans tun das. Sie sind nicht gebrochen. Sie bewohnen ihre Stadt."

April Bernard erklärt am Beispiel einiger neuer Bücher mit Texten von Elizabeth Bishop, warum ihr diese neuen "kritischen" Ausgaben suspekt sind, vor allem wenn sie "unfertige" Werke enthalten. Für Wissenschaftler mag das ja alles schön und gut sein, aber diese Bücher zielen immer mehr auch auf ein normales Publikum. Zu dem Band "Edgar Allan Poe & The Juke-Box - Uncollected Poems, Drafts, and Fragments" sagt Bernard: "Der normale Leser musste den Eindruck haben, dass diese Skizzen als das präsentiert wurden, was der Untertitel anzeigte, was sie aber nicht waren: Gedichte. Im besonderen Fall von Bishop, bekanntlich einer Perfektionistin, widersprach das der Vorstellung der Künstlerin selbst."

Außerdem: Max Rodenbeck beschreibt die Ereignisse und die Aufbruchsstimmung in Tunesien und Ägypten. Peter Brooks denkt anlässlich einiger Neuerscheinungen über die Lage der amerikanischen Universitäten nach. David Kaiser und Lovisa Stannov lasen neue Bücher über Vergewaltigungen in Gefängnissen. Und Colin McGinn bespricht V.S. Ramachandrans Buch "The Tell-Tale Brain: A Neuroscientist?s Quest for What Makes Us Human"

La regle du jeu (Frankreich), 06.03.2011

Der französische Theaterregisseur Jean-Louis Martinelli hat in Teheran, wo er eine Meisterklasse gab, Jafar Panahi getroffen. Der iranische Regisseur wartet nach seine Verurteilung zu sechs Jahren Gefängnis im Dezember letzten Jahres auf den Fortgang der Ereignisse: "Ich lebe in der schlimmsten aller Situationen. Jeden Moment kann man kommen und mich ins Gefängnis werfen. Ich weigere mich, mit Freunden zu telefonieren, aus Angst, sie zu gefährden und bitte sie aus demselben Grund, nicht von mir zu sprechen. Gewiss, ich könnte ins Ausland reisen. Übrigens wird das durch meinen jetzigen Hauarrest wohl bezweckt. Ich bin sicher, das sie die Augen abwenden würden, wenn ich abreisen würde. Aber ich werde es nicht tun." Auf die Frage Martinellis, ob man ihm schadet, wenn man mit ihm spricht, sagt er: "Sprechen Sie, schreiben Sie, so wie Sie können und wollen. Nur so kann ich überleben. Schweigen ist der Tod."
Archiv: La regle du jeu
Stichwörter: Panahi, Jafar

Magyar Narancs (Ungarn), 24.02.2011

Für Verstimmungen sorgt ein weiteres Interview eines Ungarn in der deutschen Presse: Am 15. Februar hatte in der SZ der Leiter der ungarischen Philharmoniker, Zoltan Kocsis, die kultur- und demokratiefeindlichen Maßnahmen der ungarischen Regierung relativiert und sein Unverständnis gegenüber manchen Regierungskritikern - wie Andras Schiff oder Ivan Fischer - bekundet (Kocsis führte das in einem weiteren Interview mit HVG - auf Deutsch - aus). Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Zoltan Andras Ban runzelt die Stirn: "Wenn man durch und durch ein Künstler ist, interessiert man sich einzig und allein dafür, die für die eigene Kunst notwendigen Mittel für sich und seine Kollegen aufzutreiben. Und weil diese in unserem Fall vom Staat bereitgestellt werden, existiert für Kocsis kein rechtes oder linkes Staatsgebilde - wichtig ist nur, dass die jeweilige Formation das notwendige Geld zur Verfügung stellt. [...] Spürt er etwa nicht, dass er mit diesem Interview, in dem er die Regierung in Schutz nimmt, jenen tristen Staatsbeamten, die bei weitem nicht so erhaben denken wie er, schlagkräftige Argumente in die Hand gibt? Hat er denn keine Angst davor, dass sie für ihre Taten nunmehr seinen Namen und seinen internationalen Ruf ausnutzen können? Nicht nur in seinem Interesse, sondern womöglich auch gegen das Interesse anderer?"

Esther Kinskys Roman "Sommerfrische" ist kürzlich auch in ungarischer Sprache erschienen. Die Schriftstellerin Noemi Kiss lobt ihn für seine Sprachkraft, nur diese Fixierung deutscher Schriftsteller auf die "ungarische Puszta" stößt ihr ein wenig auf: "Die aussagekräftigen Beschreibungen der unbeweglichen Landschaft nehmen fast kein Ende, die Umschreibungen sind gut, die konzentrierten Bilder der gedrückten Stimmung machen ganze Absätze aus - womit die Handlung dann kaum noch Schritt halten kann. Dies wäre die Poesie der Puszta. Bei Kinsky ist das ein ausgetrockneter Fluss, der sich in einem Sommer ohne Regen nicht mit Wasser füllt. Auch Thomas Mann hatte das bei seinen Besuchen vor einem Jahrhundert auf den Punkt gebracht. Das Nichts der ungarischen Tiefebene, die Aufregung, der Duft und der Gestank der trostlosen Langeweile hat den deutschen Geist stets in Erregung versetzt. Mehrfach erwähnt Kinsky, dass sie über eine Landschaft schreibt, in der es nichts gibt, man sieht beispielsweise keine Schatten, weil etwas fehlt, was über Konturen verfügt. [...] Kinskys Roman ist für den ungarischen Leser eine wahre Delikatesse. Schade nur, dass immer noch die Puszta unser Wahrzeichen zu sein scheint."
Archiv: Magyar Narancs

Outlook India (Indien), 14.03.2011

Auch Indien hat, wie die Titelgeschichte von Outlook India zeigt, seinen Karl Theodor zu Guttenberg, das heißt einen charismatisch-populistischen Politiker neuen Typs. Allerdings sieht Baba Ramdev etwas anders aus und hat einen Yoga- statt eines Schlosshintergrunds. Genauer gesagt: Er ist der größte Yoga-Guru des Landes, der sich nun zum Vorkämpfer gegen Korruption und Schwarze Kassen stilisiert und mit einer eigenen Partei antreten will - geschickterweise unterbreitet er allerdings den großen Parteien attraktive Kooperationsangebote. Sheela Reddy hat ihn getroffen und beschreibt das von ihr mit Skepsis, aber nicht ohne Anerkennung betrachtete Phänomen: "Nicht gerade der Selbstbeschreibung des asketischen Mönchs entspricht sein offenkundiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Bei seinem Auftritt vor der Fernsehkamera ist ein Auge immer aufs Studiopublikum gerichtet, das er nicht weniger ängstlich als irgendein Schauspieler beobachtet, um zu sehen, wie die Performance ankommt. (...) Seine Kritiker spotten über seine Tendenz, die riesige Anhängerschaft - 'mehr als eine Milliarde Menschen', erinnert mich Ramdev mehr als einmal - mit potenziellen Wählern zu verwechseln. (...) 'Im vergangenen Jahr', berichtet er, 'habe ich mit meiner Kampagne gegen Korruption und Schwarzgeld zig Millionen Menschen im halben Land erreicht. Im nächsten Jahr kommt die andere Hälfte dran.'"
Archiv: Outlook India

Polityka (Polen), 04.03.2011

Das Warschauer Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP) hat kürzlich eine Umfrage in der Ukraine über den Stand der polnisch-ukrainischen Beziehungen gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Ukrainer immer weniger für Polen interessieren, berichtet Jagienka Wilczak (hier auf Deutsch). Das hat Auswirkungen auch auf das Interesse an der EU: "54 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Ukraine sich um die Mitgliedschaft in der EU bewerben soll, aber 70 Prozent finden, sie sollte mit Russland und Belarus eine Union bilden. Offensichtlich haben die Ukrainer die Überzeugung nicht aufgegeben, dass beide Bündnisse gleichzeitig möglich sind. Dies zeugt nicht nur von fehlendem Wissen über die EU und die Integration, sondern auch davon, dass prowestliches Denken bei Polens Nachbarn gar nicht dominiert. Darüber hinaus signalisiert es eine noch immer starke Sehnsucht nach einer Politik der Mehrgleisigkeit, eine Abneigung gegen eine eindeutige Stellungnahme, in welche Richtung es gehen soll. [...] Russland gilt noch immer als den Interessen der Ukraine näher als Brüssel. Oft fällt in der Ukraine der Satz: 'Wenn die EU will, dass wir der Union beitreten, soll sie dafür zahlen.'"
Archiv: Polityka
Stichwörter: Integration, Belarus

Gentlemen's Quarterly (USA), 01.02.2011

Kein Wunder, dass es mit dem amerikanischen Film bergab geht. Mark Harris schaudert es beim Blick auf die Liste der Filme, die in diesem Jahr rauskommen werden: Adaptionen von Comics oder Kinderbüchern und Sequels mit einer 5 oder 7 im Titel. Natürlich können diese Filme floppen. "Filme, die angeblich nicht floppen können, floppen die ganze Zeit. Aber wenn ein Film, auf den sich alle als Hit einigen, floppt, dann liegt es nie daran, dass schon die Idee langweilig war. Denn die Vorstellung, dass Wiedererkennbarkeit tatsächlich gegen einen Film arbeiten könnte, wäre so vernichtend für das Ökosystem der Studios, dass man sie von Grund auf neu aufbauen müsste."

Longform verlinkte am Freitag auf einen Artikel von Pauline Kael im New Yorker, die das 1980 schon ähnlich sah: Die Konzernbeamten scheuen das Risiko. "Wenn ein Manager etwas finanziert, das wie ein perfekt sicheres, fades Stück Material aussieht, es mit Stars vollpackt und die Produktionskosten dann in die Höhe schießen und der Filme viele Millionen verliert, dann gibt ihm niemand die Schuld - er hat das Spiel nach den gleichen Regeln gespielt wie alle anderen auch. Wenn er aber bei einem kleinen Projekt pokert, das nicht im voraus verkauft werden kann - ein Projekt, das ein talentierter Regisseur wirklich machen will, mit einem subtilen, nicht leicht zu beschreibenden Thema und ohne Stars - und es verliert nur ein bisschen Geld, dann ist er reif für die Schlachtbank."