Magazinrundschau
Symphonie der Solidarität
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
01.09.2020. Der New Yorker studiert am Beispiel Floridas, wie die Republikaner versuchen, die Wahlen über Zugangsbeschränkungen zu manipulieren. Im New York Magazine erklärt der Statistiker David Shor, welche Fehler die Demokraten machen. Im New Statesman fürchtet Christopher Clark aus historischen Gründen einen Krieg in Libyen. Wer den Preis der Dekolonialisierung wissen will, muss Albert Memmi lesen, ruft die London Review. Van lässt sich von dem Philosophen Timothy Morton die Freundlichkeit der Quantentheorie erklären.
New Yorker (USA), 07.09.2020

In einem anderen Beitrag macht sich Jill Lepore Gedanken über unser neues, altes Leben in den eigenen vier Wänden und wie wir es am besten gestalten: "Bereits vor der Pandemie und der Quarantäne verbrachten Amerikaner und Europäer neunzig Prozent ihrer Zeit drinnen, wie Joseph G. Allen und John D. Macomber in ihrem Buch 'Healthy Buildings: How Indoor Spaces Drive Performance and Productivity' feststellen. Wohnhäuser, Autos, Gefängnisse, Schulen, Busse, Fabriken, Züge, Flugzeuge, Büros, Museen, Krankenhäuser, Geschäfte, Restaurants: Wie viel deiner Lebenszeit verbringst du drinnen, ohne die Quarantäne? Multipliziere dein Alter mit 0,9. Wenn du 40 bist, hast du 36 Jahre drinnen verbracht, ein Drittel davon schlafend, aber immerhin. Die meisten Amerikaner und Europäer verbringen mehr Zeit drinnen als einige Walarten unter Wasser."
New York Magazine (USA), 17.07.2020

Elet es Irodalom (Ungarn), 28.08.2020

Forward (USA), 01.09.2020

New Statesman (UK), 26.08.2020

Novinky.cz (Tschechien), 31.08.2020

London Review of Books (UK), 13.08.2020

La regle du jeu (Frankreich), 25.08.2020

"- Hatten Sie keine Angst entführt und eingesperrt zu werden wie Ihr Mann?
- Doch. Die ganze Zeit. Ich bin jeden Morgen aufgestanden und jeden Abend zu Bett gegangen mit der Angst im Nacken.
- Und?
- Dann dachte ich an ihn. Meinen Mann. Er gab mir Mut und die Inspiration, die ich brauchte.
- Haben Sie mit ihm gesprochen, konnten Sie kommunizieren?
- Nein, er ist ja isoliert, in einer Zelle von sechs Quadratmetern, zu klein für den großen Kerl, der er ist. Aber wir müssen nicht sprechen, um verbunden zu sein.
- Und heute?
- Es bleibt so. Gestern hatte er Geburtstag. Seine Anhänger haben sich unter den Gittern seiner Zelle versammelt, damit er spürte, dass er nicht allein ist. Aber die Polizei hatte es vorausgesehen und ihn am Vortag in eine andere Zelle gebracht."
Intercept (USA), 30.08.2020

168 ora (Ungarn), 27.08.2020

VAN (Deutschland), 25.08.2020

Kathrin Bellmann hat für ihre Doktorarbeit erforscht, was vom Probespiel zu halten ist, mit dem sich Orchester ihren Nachwuchs rekrutieren. Nicht so wahnsinnig viel, erklärt sie im Gespräch: Die Reliabilität fehle, "also die Zuverlässigkeit in der individuellen Bewertung, das heißt: Jemand bewertet ein und dieselbe Performance beim ersten Mal hören anders als beim zweiten Mal. ... Ein ganz bekannter Messfehler ist der Halo-Effekt: Mangels Bewertungskriterien hänge ich mich an einem Detail auf. Im Falle des Probespiels sagt dann die eine: 'Dieser Triller, der war brillant, wir müssen den haben in unserem Orchester.' Und ein anderer meint: 'Der hat das c viel zu tief gespielt, den können wir auf keinen Fall nehmen.' Man muss sich eben der Tatsache stellen, dass die menschliche Bewertung sehr fehleranfällig ist, und einen möglichst guten Weg finden, damit umzugehen. Das kann funktionieren, wenn man im Vorfeld Bewertungskriterien wie Intonation, Artikulation, Rhythmus, Phrasierung, … festlegt und diese beim Bewerten auch nutzt, beispielsweise in Form einer Ratingskala."
Mitunter ins unfreiwillig Komische driftet ein Gespräch mit Timothy Morton ab, der als "Star der neuen Philosoph:innen" vorgestellt wird und seine Ideen in enger Wechselwirkung mit Musik entwickelt. Zumindest im Interview beschleicht einen allerdings der Eindruck, man könne hier den Niedergang der Dekonstruktion zur Esoterik beobachten: Die Art, wie Zeit gemessen wird, sei eine "koloniale Ideologie" zum Zwecke der Unterwerfung, lesen wir. Fakten helfen nicht weiter bei der Gestaltung der Zukunft, Gefühle hingegen schon, denn die seien selbst "aus der Zukunft", auch habe alles Lebendige "eine spezifische Schwingung", entsprechend sei "Quantentheorie freundlich, sie verbindet uns mit allem Lebendigen, sie ist also eigentlich politisch sehr fortschrittlich." Und überhaupt "kann uns Kunst als Erfahrung dabei helfen, unsere Beziehung zum Nichtmenschlichen zu verstehen. Wenn ich heute Musik höre, die mich im Innersten bewegt, dann habe ich morgen vielleicht Mitgefühl mit einem Seevogel oder einem Igel im Garten."
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