Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
11.08.2003. L'Express nimmt Abschied von Marie Trintignant. Für L'Espresso reist Andrzej Stasiuk  durch Moldawien. Im Nouvel Observateur lanciert Patrice Chereau eine leidenschaftliche Attcke gegen die Streiks der Kulturschaffenden in Frankreich. In der ungarischen Zeitschrift ES sorgt Ernst Nolte für Debatte. Outlook India feiert das Überleben der Inder in Indien und in London. Die Literaturnaja Gazeta bringt konträre Standpunkte zu Tschetschenien.

Express (Frankreich), 07.08.2003

Anlässlich des tragischen Todes der französischen Schauspielerin Marie Trintignant bringt der Express in der aktuellen Ausgabe ein ausführliches Porträt der Schauspielerin und ihrer Familie. Bertrand Cantat, Sänger der erfolgreichen französischen Band Noir Desir, hat seine Lebensgefährtin unter bisher noch ungeklärten Umständen tödlich verletzt. Ein Familiendrama, das aus der Feder Shakespeares stammen könnte, klagt der Express mit ein wenig Pathos und erzählt die Umstände von Marie Trintignants Tod in der Nacht in einem Hotel in Vilnius: "Alles passiert um ein Uhr nachts, in jener Suite 35, deren Fenster bei zugezogenen Gardinen offen stehen. Geschrei alarmiert die Empfangsdame aber auch Gary Tuck, einen Filmemacher, der im Hotel wohnt.. Da das Paar nicht das Telefon abnimmt, begibt sich die Empfangsdame in die dritte Etage. Canntat öffnet, entschuldigt sich und sagt, dass der Lärm aufhören wird. Er hält Wort, denn das Drama hat sich bereits abgespielt..." Was bleibt ist die Erinnerung, auch die des berühmten Vaters Jean Louis Trintignant. Nachzulesen in einem Band mit Gesprächen erschienen unter dem Titel "La passion tranquille".

In den goldenen Zwanzigern ist die Sommerserie über Schönheit angekommen, in der Zeit, in der ein - gerade auch bei Sommerhitze - nicht mehr weg zu denkendes Kleidungsstück erfunden wurde: der Minirock. Inspirieren lassen haben sich die Modemacher der 20er von den ausgefallenen Tänzen Josephine Bakers - man denke nur an das goldene Bananenröckchen -, von orientalisch anmutenden Kostümen der Ballets russes, aber auch von den von aller Beinkleidung befreiten Ausdruckstänzen Isadora Duncans, erzählt Catherine Ormen. Sie ist Gründerin des Musee de la Mode in Marseille und hat eine Geschichte der Mode (Modes, XIXe-Xxe, ed. Hazan) veröffentlicht.

In der Bücherschau stellt Sylvaine Pasquier zwei Bände über den Tschetschenienkrieg vor. Ein Krieg, der nur als "crime d'indifference" bezeichnet werden kann, wie Andre Glucksmann ausführt, und sich in einer Art "huis clos" abspiele.
Archiv: Express

ES, 09.08.2003

Nun sorgt Ernst Nolte für Debatten in Ungarn. In Reaktion auf einen Artikel vom 13. Juni in der Tageszeitung Nepszabadsag über Ernst Noltes Besuch im Budapester "Haus des Terrors" erschien in der ES eine mit "ein Überlebender" unterzeichnete Glosse, in der Nolte und der Leiterin dieses Hauses vorgeschlagen wird, "die Gaskammern, die mit einem leichten Tod locken, doch einmal auszuprobieren". Dies löste eine längere Diskussion aus, die von Empörung über den "Überlebenden" bei Maria Schmidt (Direktorin des "Hauses des Terrors") und Andras Gero bis zur Verteidigung des "Überlebenden" bei Tamas Koltai reicht. Koltai findet, wer sich über so einen Vorschlag empöre, setze "ein Gleichheitszeichen zwischen wirkliche und virtuelle Tötung". Gegen Koltais Bezeichnung "simpler Schuft" setzte sich wieder Nolte zur Wehr: "Nur absichtlich Unwissende oder Agitatoren können bestreiten, dass die Verfolgung der 'Bourgeoisie' in Russland viel härter und gnadenloser war als die Verfolgung der Juden in den ersten Jahren des 'Dritten Reichs'." Gegen Noltes These, ohne die Vernichtung der Bourgeoisie hätte es keinen Holokaust gegeben, wendet sich in dieser Woche Andras Hanak, der Nolte vorwirft, "Hitlers Taten und Schriften auf die psychiatrische Couch" zu setzen. Laszlo Karsai hält den Vergleich dieser Vernichtungsaktionen in Russland und dem Dritten Reich für grundsätzlich falsch: Durch seinen Vergleich erschaffe Nolte erst "den 'zu Recht' vor den (judeo-) Bolschewiken zitternden Nazi. Nicht die Nazis zitterten vor den Bolschewiken, sondern Nolte fürchtete sich übermäßig vor seinen radikalisierenden linksgerichteten Schülern, und diese Furcht projizierte er auf Hitler und die Nazis."
Archiv: ES
Stichwörter: Karsai, Laszlo, Nolte, Ernst

Espresso (Italien), 15.08.2003

Andrzej Stasiuk (mehr) reist durch Moldawien und lässt uns lesenswerterweise an seinen Eindrücken in diesem "unbekannten Land" teilhaben. "Wenn der Westen hyperreal ist, dann ist der Osten surreal. Der Osten ist das Staunen über die eigene Existenz, das Paradox, die Absurdität und die Wandlungen. Der Osten ist die auf halbem Weg liegengelassene Arbeit eines gelangweilten Demiurgen, der über seinem eigenen Werk eingenickt ist und die Arbeit an einem anderen Ort wieder aufnimmt, nachdem er vergessen hat, was die ursprüngliche Idee war. Ja, ich liebe den Osten."

Schweine mit Flügeln, geklonte Bäume, transgene Schmetterlinge: Die Kunst erobert die Biolabors, verkündet Francesca Reboli, die die Zukunft auf einer Ausstellung in Nantes bestaunen durfte. "Reagenzgläser mit halblebendigen Skulpturen, erstellt durch Züchten von Stoffen. Darunter die 'Semi-living Worry Dolls', kleine Puppenformen zusammengehalten durch chirurgische Nähfäden zum Verschließen von Wunden, aus Zusammenballungen lebender Zellen: Püppchen aus Fleisch, die unsere Ängste vor der biotechnologischen Zukunft symbolisieren."

Maria Simonetti führt ihre Slang-Sammlung der italienischen Jugendsprache fort. Aus der mittlerweile veritablen Liste kann man etwa entnehmen, was ein Babbaluga ist: jemand über dreißig, der immer noch so lebt als wäre er zwanzig. Bedenkenswert.
Archiv: Espresso

Outlook India (Indien), 18.08.2003

In dieser Woche geht es ums Überleben: "Wenn man in Indien ist, dann weiß man das. Man kann seine Augen schließen, und die Geräusche werden es einem sagen. Man kann sich auch die Ohren zuhalten, dann werden es einem die Gerüche mitteilen. Es ist kein einfacher Ort. Es ist kein einfaches Leben, aber wir schaffen es immer, einen Weg zu finden. Wir überleben Indien." Fast die gesamte Ausgabe wurde für Ansichten, Erinnerungen und Reportagen freigemacht, die eine Nation des trotzigen Optimismus heraufbeschwören. Den Anfang macht Gurcharan Das, der in den Neunzigern ein "neues Indien" sich aufschwingen sah, und damit die politische, ökonomische und soziale Liberalisierung, ein neues nationales, wahrhaft postkoloniales Selbstbewusstsein, die Aneignung der englischen Sprache als Werkzeug und anderes mehr meint. "Ich denke, das ist passiert, weil wir entschieden mit den alten Dogmen brachen (...) und eine neue Wahrnehmung von uns und der Welt entdeckten."

Kiran Nagarkar dagegen teilt diese Einschätzung ganz und gar nicht. Wir überleben alles, klar - "die Korruption, die Lethargie, die unendlichen Schikanen" - aber reicht das aus? Ist das, fragt Nagarkar, vielleicht sogar der falsche Weg, der Weg von Eigeninteresse und Teilnahmslosigkeit an der Gemeinschaft? Den Indern sei alles egal, keiner denke an morgen, und genau deshalb bleibe ihr Leben eines, dass es zu überleben gilt.

Weitere Artikel: Ramachandra Gura untersucht das Erbe Nehrus. Was, so fragt er, überlebt von ihm, nachdem der einst als großer Staatsmann gepriesene Erbe Gandhis in seinen letzten Lebensjahren und bis heute beständig an Ansehen verloren hat. Für Gura ist es die "soziale Toleranz" Nehrus, sein "Respekt für Vielfalt" - und das ist etwas, das er den regierenden Hinduisten hinter die Ohren schreiben möchte.Sandipan Deb war wie ganz Indien süchtig nach Filmen, hat lange Jahre seines Lebens zwanghaft in guten wie schlechten Filmen gesessen - und überlebt. Doch war das wirklich nötig? Und Sanjay Suri fragt sich, wie die Briten eigentlich Indien überleben, also zum Beispiel die inoffiziell fast eine Million in London lebenden Inder. Die Antwort: nicht so gut, sie flüchten! Die Inder dagegen bleiben.
Archiv: Outlook India

Spiegel (Deutschland), 11.08.2003

Fast nur Innenpolitik diesmal. Dietmar Hipp meint: "Die Justiz als unabhängige Dritte Gewalt? Davon kann in Deutschland zumindest bei den Staatsanwälten keine Rede sein." Denn: "Seit dem wilhelminischen Kaiserreich blieben die entscheidenden Gesetzesbestimmungen für die Zwitter-Behörde gleich. 'Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen', heißt es zackig wie eh und je." Hipp zählt alle Fälle aus der jüngsten Zeit auf, in denen bekannt geworden ist, wie Innenminister auf die Ermittlungen von Staatsanwälten massiv Einfluss genommen haben, vermutet aber vor allem eine hohe "Dunkelziffer".

Natürlich nicht im Netz zu lesen ist Joachim Fests großartiges Porträt von Sebastian Haffner, dessen Natur das "Konvulsivische" war, wie Fest schreibt, "Gelassenheit dagegen eine für den zivilisierten Umgang mit der Welt erlernte Tugend". So erzählt Fest von einer Begegnung mit Haffner kurz nach dem Fall der Berliner Mauer: "Das ganz und gar Verrückte sei eingetreten, kam er mir im Dezember 1989 in Berlin entgegen, er fühle sich 'lächerlich' gemacht und müsse mit der 'entsetzlichsten Niederlage' zurechtkommen, die ihm je widerfahren sei. Zeitlebens habe er die Politik nach rationalen Kriterien betrachtet - wenn man so will, als eine Art Tauziehen. Die Spielregeln erlaubten den beteiligten beinahe alles: das Vertrauen in die rohe Kraft, Irreführung, das Ausnutzen einer gegnerischen Schwäche, Hinterlist. Nur eines sei immer außerhalb des Denkbaren, man könne fast sagen, 'verboten' gewesen: dass die eine Partei einfach ihr Ende des Seil aus der Hand lasse, weil sie den Spaß verloren hat. Eben das werfe er Gorbatschow vor. Was jetzt ende, sei die Möglichkeit politischen Urteilens: 'Ich bin überflüssig. Das hat nicht einmal Hitler erreicht. Aber der Herr Generalsekretär, den alle Welt so sympathisch und umgänglich findet - dem ist es gelungen.'"

Mit Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach der Spiegel "über das deutsch-amerikanische Verhältnis und die Zukunft der EU". Und mit Hollywood-Produzent Jerry Bruckheimer über sein Erfolgsrezept. Es wird behauptet, der Einstieg Haim Sabans bei Pro 7 Sat 1 "verändere die deutsche Medienlandschaft grundlegend". Von Suhrkamp-Chef Günter Berg hat der Spiegel etwas "über Pannen im Lektorat" erfahren. (Es ist ja seltsam mit dem Internet: Die eigenen Artikel stellt der Spiegel nicht kostenfrei online. Die FAZ macht es genau so. Nun aber stelllt Spiegel online einen Artikel der FAZ am Sonntag online: Georg Diez schreibt ein Porträt über Ted Honderich, der dem Suhrkamp-Verlag seinen neuesten Antisemistismusstreit einbrachte.) Und schließlich gibt es auch noch einen Artikel zu den Antisemitismusvorwürfen gegen Mel Gibsons neuen "Jesus-Film".

Der Titel handelt diesmal von "subtilen Marketingtricks", mit denen "Phänomene des normalen Lebens als krankhaft dargestellt" würden, sexuelle Unlust und die Wechseljahre etwa. Die schon beinah dialektische, jedenfalls klug formulierte Folgerung des Spiegel: "Die Behandlung von Gesunden sichert das Wachstum der Medizinindustrie."
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 09.08.2003

Behende und umsichtig wie Lucille Ball selbst (eine der 100 wichtigsten Time-Personen des Jahrhunderts, hier ein Audio-Interview) ist auch Stefan Kanfers Biografie "Ball of Fire" (erstes Kapitel), lobt Terrence Rafferty. Mit der Slapstick-Serie "I love Lucy" (mehr) reüssierte die rothaarige Ball vor fünzig Jahren in dem von Woody Woodpecker und seinen realen männlichen Kollegen dominierten Genre. Unerhört und heldenhaft, damals den Film für das Fernsehen aufzugeben, findet der Rezensent. Noch dazu als Frau. Gelohnt hat es sich. "Der wichtigste Rotschopf des 20. Jahrhunderts war eine sehr wohlgestaltete Frau namens Lucille Ball, nach einer beschäftigten aber nicht glanzvollen Filmkarriere sich dem Fernsehen zuwandte und es den Jungs namens Red, dem Trickfilmvogel und den Millionen Fernsehzuschauern zeigte, wie richtiger Slapstick gemacht werden sollte." Die Frage aber, warum Ball im Fernsehen so viel erfolgreicher war als im Film, kann auch Kanfer nicht beantworten, bedauert der Rezensent.

Es gibt Bücher, die ihre Autoren am liebsten unter den Tisch fallen lassen würden. Gerade die, behauptet Laura Miller in ihrem Essay, sind oft die besseren, aufschlussreicheren. Don de Lillo etwa lehnte es rundheraus ab, ein Frühwerk zu signieren. "Manche Schriftsteller sind toleranter im Umgang mit ihren unglücklichen Werken der Vergangenheit als andere. Jahrzehntelang führte Salman Rushdie einen seiner frühen Romane "Grimus" auf seiner Werksliste, obwohl das Buch vergriffen war; darüber befragt, wies er freundlicherweise darauf hin, dass das Buch wohl nicht die Zeit wert wäre, es zu lesen."

Aus den weiteren Besprechungen: Peter Davidson bewundert Edward Hirsch für dessen sechsten Gedichtband "Lay Back the Darkness", das "unverblümte Epos eines ehrlichen Mannes mit der Mission, sein Leben aufzusaugen und zu verstehen". Terry Teachout glaubt, dass man ohne spezielle Kenntnis der amerikanischen 30er und 40er Jahre wenig Freude an der 800-seitigen Edition der Briefe James A. Thurbers haben wird und sich wahrscheinlich sogar langweilen mag. Zu viel, zu lang, zu verdrießlich: Sasha Frere-Jones empfiehlt Arthur Kemptons "Boogaloo" (erstes Kapitel), ein Überblick über 100 Jahre schwarze Musik, entweder mit einer kohärenten Hintergrundtheorie auszustatten oder es einfach gleich zu halbieren.

Archiv: New York Times

Economist (UK), 09.08.2003

Der Titel widmet sich der glorreichen Zukunft der Fischfarmen: "Blue Revolution". Ein langer Artikel hieraus ist frei gestellt.

Nach Conan der Barbar und Terminator strebt Arnold Schwarzenegger die nächste große Rolle seiner Karriere an. Und zwar im wirklichen Leben, als Gouverneur von Kalifornien. Dies hat er am vergangenen Mittwoch erklärt, und "die große Überraschung dabei ist", so der Economist, "dass er es todernst meint." Doch nicht nur das. "Arnold Schwarzenegger ist nicht der Neuling, als der er erscheinen mag. Er hat bereits alle richtigen Töne getroffen. Er tritt an gegen eigennützige Interessenpolitik und Routine-Politik. Er will die Wirtschaft von zu hohen Steuern und bedrückenden Regelungen befreien. Die Menschen in Kalifornien tun ihrem Job, sagt er, doch die Politiker 'schwindeln, fummeln und scheitern'." In politischer Hinsicht hat Schwarzie, wie er liebevoll genannt wird, gleich mehrere Trümpfe im Ärmel. Erstens ist er "ein in republikanischen Kreisen vertrautes Gesicht", und zweitens mit einer Kennedy verheiratet. Doch "er hat auch zwei weitere Pluspunkte. Einer ist George Bushs Geheimwaffe: niedrige Erwartungen. Die Leute werden überrascht sein, zu erkennen, dass Schwarzenegger trotz seines muskelbepackten Images ein gewandter und gut unterrichteter Mann ist."

Die irakische Besatzung kommt die Amerikaner teuer zu stehen, sowohl in finanzieller Hinsicht (die Kosten belaufen sich auf etwa 1 Milliarde Dollar pro Tag), als auch in puncto Menschenleben. Der Economist vermutet, dass sich die USA noch vor den Präsidentschaftswahlen aus dem Irak zurückziehen werden, doch bis dahin bleibt noch eine Menge zu tun.

Weitere Artikel: Laut Economist ist der wohl größte Unterschied zwischen Europa und Amerika ihr jeweiliges Verhältnis zum Urlaub: für die Amerikaner ist er nichts Besonderes, für die Europäer heilig. In zwei Artikeln beschäftigt sich der Economist mit der Zuwanderungsmetropole London und stellt fest, dass die Stadt nicht nur kosmopolitscher wird, weil immer mehr Ausländer dort wohnen, sondern auch weil immer mehr Briten aufs Land ziehen. In Japan schließen sich die zwei Oppositionsparteien hinter Naoto Kan zusammen. Ob sie dadurch eine Chance haben werden, Japans Premier Koizumi aus dem Amt zu verdrängen, steht allerdings in den Sternen. Der Economist begrüßt drei Bücher, die sich auf unklischeehafte Weise mit Saudiarabien beschäftigen, und hat vor allem an Bob Crews "The Beheading and Other True Stories" und seiner Art, Horror mit Humor zu verbinden, Gefallen gefunden.

Außerdem erfahren wir, dass mit Foday Saybana Sankoh einer der wohl blutrünstigsten Revolutionäre Afrikas gestorben ist, dass sich die südafrikanische Regierung trotz der katastrophalen Gesundheitslage im Land zu keinerlei durchgreifenden Maßnahmen entschließt, wie Reichtum und Glücklichsein zusammenhängen, und wie sich die Beziehungen zwischen Nicht-Regierungs-Organisationen und großen Firmen gestalten.

Nur im Print zu lesen: der Terrorismus in der deutschen Geschichte und die David-Kelly-Affäre. Der Titel widmet sich der glorreichen Zukunft der Fischfarmen: "Blue Revolution". Ein langer Artikel hieraus ist frei gestellt.
Archiv: Economist

Literaturnaja Gazeta (Russland), 06.08.2003

In ihrer aktuellen Ausgabe befasst sich die Literaturnaja Gazeta mit Anspruch und Wirklichkeit in eigener Sache. Der "Dinosaurier unter den russischen Zeitungen", von A. C. Puschkin im Jahre 1830 gegründet, sieht in der Tatsache, dass "ihm einerseits Zionismus und andererseits Antisemitismus unterstellt wird", eine Bestätigung seiner Objektivität, Toleranz und Weltoffenheit: "In unserer Wochenzeitung drucken wir Schriftsteller verschiedenster Couleur und publizieren regelmäßig Texte von führenden russischen Literaten der Gegenwart, selbst wenn sie heute in Israel, Amerika oder Deutschland leben." Die bereits 1947 um die Ressorts Wirtschaft und Politik erweiterte, ursprünglich "rein literarische" Wochenzeitung "hat sich der Erneuerung des konstruktiven Dialogs zwischen Intellektuellen und Kulturschaffenden mit unterschiedlichsten politischen Ansichten verschrieben."

Mit der Veröffentlichung zweier inhaltlich divergierender Einschätzungen zur Lage in Tschetschenien stellt die Literaturnaja Gazeta ihre Meinungsvielfalt unter Beweis. Natalja Airapetowa thematisiert in ihrem Artikel die "Operation Bumerang", mit der der tschetschenische Feldkommandeur Schamil Bassajew "Wladimir Putin und dem russischen Volk den Kampf ansagt". Auch hinter dem Selbstmordanschlag auf das russische Militärkrankenhaus in Mosdok wird Bassajew vermutet. "Die tschetschenischen Kämpfer und ihre Drahtzieher im Westen haben alles getan, um den Südkaukasus von Russland abzuspalten."

In einem Interview mit dem Redakteur Sergej Gromow macht der umstrittene russische Politologe und Philosoph Gejdar Dschemal, der zugleich Ko-Vorsitzender der "Islamischen Partei der Wiedergeburt" ist, neben dem "postsowjetischen Establishment" den von Moskau eingesetzten provisorischen Präsidenten Tschetscheniens, Achmad Kadyrow, für die "Eskalation des Tschetschenienkrieges" verantwortlich. Kadyrow strebe eine Kandidatur für das Amt des tschetschenischen Präsidenten an und brauche "die Fortführung des Konfliktes als Hebel zur Einflussnahme im Kreml", um sich und seinem Clan die Vorherrschaft in der Region zu sichern. Dschemal kommt zu dem Schluss, dass "der Tschetschenienkrieg die Agonie einer längst überholten sowjetischen Staatsstruktur ist. Russland muss (?) endlich in eine neue Phase seiner Geschichte eintreten."

London Review of Books (UK), 07.08.2003

Warum sind wir im Irak? Weil New Labour das Interesse an der Politik verloren hat, meint Ross McKibbin. "Da die neue Führung sich von so vielem aus der Vergangenheit der Labour Party verabschiedet hat, und da sie nicht bereit ist, systematisch über Ideologie und Politik nachzudenken, hat sich ein Vakuum gebildet, das größtenteils mit Thatcherismus gefüllt wurde. Für Männer und Frauen, deren Bewunderung vor allem der Machtübernahme galt, war es leicht von einer Bewunderung des Thatcherismus als System der Wählerüberzeugung zu einer Bewunderung des Thatcherismus als Politik zu rutschen. Dies hatte den radikalen Effekt, dass sich Labour überraschenderweise nicht an parlamentarischen Reformen und an der weiteren Demokratisierung unserer Institutionen interessiert zeigte. (...) Da scheinbar nichts anderes oder nichts besseres zur Verfügung steht, als das amerikanische Modell - oder das, was man unter dem amerikanischen Modell versteht - dient es zunehmend als Ideologie des New Labour. Und deshalb sind wir im Irak."

Weitere Artikel: Es ist ein gängiges Klischee der Literaturwissenschaft, von Samuel Taylor Coleridge zu sagen, er habe "nur wenige große Gedichte" geschrieben, erklärt Barbara Everett, und so habe man sich lange Zeit nur darum gestritten, um welche Gedichte es sich nun handele. J. C. C. Mays, der nun die Coleridge-Gesamtausgabe vervollständigt hat, versuche zwar mit den Klischees aufzuräumen, versäume es allerdings, neue Kriterien und neue Schwerpunkte für die Coleridge-Lektüre vorzuschlagen. James Meek kommt Ellen Ruppel Shells Buch über Fettleibigkeit ("The Hungry Gene - The Science of Fat and the Future of Thin") irgendwie schizophren vor. Hier ein Auszug aus dem Buch. In "Short Cuts" vergleicht John Sturrock die Wirkung von David Kellys Selbstmord im Konflikt zwischen Regierung und BBC mit einem Satz von Stendhal: "Politik in ein fiktionales Werk zu integrieren ist, als feuerte man eine Pistole während eines Theaterstücks ab: ein lautes, unerwünschtes Eindringen der Wirklichkeit in eine Szenerie durchkalkulierter Kunstgriffe." Peter Campbell berichtet von der wunderlichen Ausstellung "Medicine Man" im British Museum. Die ausgestellten Objekte stammen aus der Sammlung von Sir Henry Wellcome, der ein medizinhistorisches Museum plante, und sind so zahlreich und verschiedenartig, dass sie für Campbell nur unter dem Namen "unsere Ängste" laufen können.

Nur im Print zu lesen: Robert Irwin erklärt, wie der Koran funktioniert, und Michael Pee berichtet aus Liberia.

Nouvel Observateur (Frankreich), 07.08.2003

Der Film- und Theaterregisseur Patrice Chereau (mehr hier) beschäftigt sich in einem leidenschaftlichen Text noch einmal mit den geplatzten Theaterfestivals dieses Sommers und fragt sich, "wie man sich überhaupt weigern kann zu spielen". Ein solcher Streik sei "das Schlimmste, was passieren kann... Man muss sagen dürfen, ohne sich beleidigen zu lassen, dass all diese Absagen ein verzweifelter und verrückter Akt waren.". "Man sagt: 'Wir Künstler werden ncht anerkannt.' Dies ist ein Argument, über das ich zuerst lächeln musste und das mich dann traurig machte. 'Die Kultur bekommt keine Anerkennung.' Aber wir sollten gar keine Anerkennung erwarten! Fordern wir sie, aber erwarten wir sie nicht. Anerkennung bekommt man nur durch seine Arbeit, durch das, was man mit ihr sagt. Bevor man ein günstiges Statut erwartet und bevor man sagt 'Man erkennt mich nicht an', sollte man sich vielleicht lieber zunächst einmal fragen, was man mit seiner Arbeit in diesem Metier sagen will und warum man sie macht."

In einem weiteren Debattenbeitrag analysiert der ehemalige spanische Regierungschef Felipe Gonzales, wozu die "Lektionen aus dem Chaos im Irak dienen könnten" und erklärt, dass es "genau richtig war, sich gegen die Intervention zu stellen."

Vorgestellt werden die Essaysammlung "Esquisses de mythologie" (Quarto) des 1986 gestorbenen Philologen und Religionshistorikers Georges Dumezil (mehr hier), eine Studie über japanische Prostituierte im 11. Jahrhundert und die noch vor seinem Tod 2001 autorisierte Biografie des Malers Balthus (mehr hier). Außerdem zu lesen ist ein Porträt des ägyptischen Regisseurs Youssef Chahine (mehr hier), der derzeit in New York einen neuen Film dreht, und die Besprechung des Films "Le Faisan d'or" des kirgisischen Regisseurs Marat Sarulu. Schließlich nimmt Francois Forestier Abschied von Marie Trintignant.

Und wer neidisch werden will, liest noch das Dossier der Woche, das in Landhäusern schwelgt - Preise und "Checkliste fürs Glücklichsein" inklusive.

Cultura y Nacion (Argentinien), 10.08.2003

Lateinamerikas Zeitschriften bieten diese Woche Nestor Garcia Canclini im Doppelpack. In Cultura y Nacion, der Wochenendbeilage der argentinischen Tageszeitung Clarin, kontrastiert der in Argentinien geborene und in Mexiko lehrende Ethnologe "Show-Städte" wie Berlin, New York und Barcelona mit den "Paranoia-Städten" Lateinamerikas, die nur noch vom Polizei- oder Fernsehhubschrauber zu erfassen sind. Ins Unermessliche gewachsen bleiben dort nur gigantische Werbetafeln als Markierungen, schreibt der Theoretiker der "hybriden Kulturen" in seinem Essay "Aus der Warte der Verkehrswacht". Ihre Einwohner können sich das städtische Ganze überhaupt nicht mehr vorstellen: "Die Menschen überleben, indem sie sich ihr kleines Umfeld ausmalen". Wie wird es dort in zehn Jahren aussehen? Der wuchernde Stadtrand wird weiter an Bedeutung gewinnen, die Massenmedien noch mehr zum einzigen Bindeglied zwischen den Einwohnern mutieren und Gewalt und Unsicherheit sich noch verschärfen, meint Garcia Canclini, der allein aus einer größeren Bürgerbeteiligung an der Stadtverwaltung, wie in einigen Städten Brasiliens praktiziert, Hoffnung schöpft.

Angel (Mexiko), 10.08.2003

In El Angel, der Kulturbeilage der mexikanischen Tageszeitung Reforma, beschreibt Garcia Canclini indes Leben und Werk des mexikanischen Fotografen Enrique Metinides. Der hat sich seit seinem zwölften Lebensjahr darauf spezialisiert, für Revolverblätter in Mexiko-Stadt Unfälle abzulichten. Dabei gilt sein Interesse nicht den Verunglückten selber, sondern den Umstehenden: "Ein Bild eines Brandes kann jeder machen; es geht jedoch darum, die Widerspiegelung der Flammen auf den Gesichtern der Zeugen abzulichten". Garcia Canclini ist von dieser "Ästhetik des Kontextes" zutiefst fasziniert; er sieht in den derzeit auch in London ausgestellten Fotografien eine beeindruckende Chronik des Molochs Mexiko-Stadt. Fotograf Enrique Metinides hat sich vor einigen Jahren zur Ruhe gesetzt. Er widmet sich nun ganz seiner Sammlung von Polizei- und Feuerwehrautos im Spielzeugformat und seinem Video-Archiv von Tausenden internationaler Katastrophen. Hier eine kleine Fotogalerie.

Archiv: Angel
Stichwörter: Mexiko Stadt

New Republic (USA), 11.08.2003

Daniel W. Drezen, Assistant Professor der Politikwissenschaften an der University of Chicago, hält eine Demokratisierung des Iraks durchaus für möglich. Anhand geschichtlicher Beispiele versucht er klarzustellen, dass eine längere Präsenz der USA vor Ort völlig legitim ist, um diesen Prozess zum Erfolg zu führen. "Was prinzipiell die Erfolge von den Misserfolgen unterscheidet, ist nicht ihr Niveau westlicher Kultur, ökonomischer Entwicklung oder kultureller Homogenität. Vielmehr ist es die Höhe der Anstrengungen, welche die USA und die internationale Gemeinschaft in die demokratische Transformation stecken. In Deutschland und Japan zum Beispiel verringerte die umfangreiche Hilfe der Amerikaner soziale, politische und andere Hindernisse und führte zur Wiederherstellung des politischen Parlaments und ermöglichte den Übergang zur Demokratie."

Ruth Franklin sieht Günther Grass' Novelle "Im Krebsgang" in Zusammenhang mit der W.G. Sebald losgetretenen Debatte über die deutsche Literatur und den Bombenkrieg. Aber leider fällt das neue Buch gegenüber der Danziger Trilogie für sie stark ab. "Grass' Romane waren immer eng an die Aktualität gebunden", schreibt sie in ihrer langen Rezension. "Diesmal aber scheint er sie nicht sosehr widerzuspiegeln als mit dem Strom zu schwimmen. Bei Grass ist das um so schlimmer, weil er mehr als jeder andere deutsche Schriftsteller die Falschheit der neuen Debatte über Deutschland als Opfer darstellen müsste."
Archiv: New Republic

Times Literary Supplement (UK), 11.08.2003

"Selbst für die schrecklichen afrikanischen Standards" sei das Gemetzel, das sich in den vergangenen zehn Jahren im Gebiet der Großen Seen zugetragen hat, "außergewöhnlich", meint Gerard Prunier. Zur Erinnerung: Während des Völkermords 1994 in Ruanda wurden 800.000 Tutsi ermordet, anschließend 300.000 Hutus, im Bürgerkrieg in Burundi kamen seit 1993 300.000 Menschen ums Leben, und im Kongolesischen Bürgerkrieg zwischen zweieinhalb und vier Millionen Menschen. "Solch ein Grad von Gewalt betäubt den Verstand", meint Prunier, weswegen er dringendst Jean Pierre Chretien Buch "The Great Lakes of Africa" empfiehlt, das die insgesamt 2000-jährige Geschichte der Region nachzuzeichnen versucht. "Eine der Qualitäten von Jean-Pierre Chretiens Buch ist, dass es überhaupt existiert, dass es überhaupt wagt, sich mit diesem tragischen Teil unserer Welt auf normale Art zu befassen. Wer nach einer schnellen Erklärung dafür sucht, was hier schiefgelaufen ist, für den ist 'The Great Lakes of Africa' nicht das Richtige. Aber wer etwas über die kulturellen und politischen Traditionen im Herzen Afrikas erfahren möchte, für den ist das Buch ein ziemlich guter Anfang."

Robert Fraser ist hellauf begeistert von Delia da Sousa Correas wunderschönem Buch über "George Eliot, Music and Victorian Culture". Darin berichtet da Sousa zum Beispiel von Eliots Begegnung mit Franz Liszt, während einer Deutschland-Tournee. "Eliot war hingerissen: 'In einem Moment', erzählte sie dem Fraser' Magazine, 'denkt man, was für ein großartiges Gesicht, um eine Hexe in Macbeth abzugeben, mit den zerknitterten Brauen und diesem übernatürlichen Glanz in seinen Augen. In einem anderen dann, wenn er den Kopf zurückwirft und sich seine Nasenlöcher weiten, sieht er aus wie ein Prophet im Augenblick seiner Eingebung."

Nicht ganz überzeugt hat Munro Price der Essayband "George Washington's False Teeth", in dem Robert Darnton das 18. Jahrhundert gegen seine postmodernen Kritiker verteidigt. Zwar findet er Darntons Texte allesamt anregend und brillant geschrieben, doch ihren Blick auf die Aufklärung ein wenig zu rosig. In ihrer letzten Sommerkollektion ließen Dolce & Gabbana lauter adrette Artemisse in Sandalen und Minitunika über den Laufsteg hüpfen. Harold Koda kann also mit seinem Buch "Goddess" nicht so falsch liegen, in dem er behauptet, dass die antiken Göttinnen noch immer unsere Modevorstellungen bestimmen . Edith Hall hat das Buch trotzdem nicht besonders gefallen, ihr kommt es zu gewichtig daher. Richard Horton staunt über die Ausstellung "Medicine Man" im British Museum. Sie zeigt die fast vergessene Sammlung des Pharma-Giganten Henry Wellcome.